Eluveitie - Helvetios

Review

Irgendwie habe ich diese Schweizer immer etwas unterschätzt und sie für wenig mehr als einen weiteren gesichtslosen Vertreter der Folk-Metal-Szene gehalten. Angesichts des nun erscheinenden „Helvetios“ muss ich dieses Urteil aber deutlich revidieren und Abbitte leisten. Das hier Dargebotene geht musikalisch weit über jene bierseligen Schunkel-Hymnen hinaus, von denen ich durch Gruppen wie FINNTROLL, ENSIFERUM, KORPIKLAANI oder auch EQUILIBRIUM bereits seit Jahren gnadenlos übersättig war. ELUVEITIE schaffen es tatsächlich, dem Folk-Metal neue Impulse zu geben und dabei auch für Musikliebhaber jenseits Hörner tragender und trinkender Freizeit-Wikinger interessant zu sein.

Dabei fängt alles so harmlos an. Das erste Drittel des Albums wartet mit eingängigen und spannenden Stücken auf, die sich aber alle im Bereich etablierter Folk-Metal-Standards bewegen. Nach dem gesprochenen „Prologue“ und dem flott nach vorne preschenden Titelsong gibt es mit „Luxtos“ zwar bereits einen ohrwurmigen Mitsing-Hit, doch weder diese Stücke noch das rhythmisch spannende „Home“ oder das unspektakuläre „Santonian Shores“ schaffen es wirklich, die Genre-Grenzen aufzubrechen. Jedoch hat man bis hierhin auch lediglich die Einführung in ein Album gehört, das sein gesamtes Potential erst als Gesamtprodukt entfaltet.

„Helvetios“ lebt auch von seinem großartigen Spannungsbogen, der alle siebzehn Stücke umfasst, sich immer weiter steigert und auf einen großartigen gemeinsamen Höhepunkt hinführt. Verantwortlich für diese Albumstruktur ist das zugrundeliegende Konzept, das sich an einer historischen Nacherzählung der Gallischen Kriege aus der Sichtweise der keltischen Helvetier versucht. Weitere Erklärungen zu den geschichtlichen Hintergründen findet der geneigte Leser in unserem Vorabbericht zur Listening-Session des Albums, so dass an dieser Stelle auf ausführlichere Erklärungen verzichtet werden soll.

Ohne die Einbettung in das Gesamtkonzept würde das getragene Akustik-Lamento „Scorched Earth“ vermutlich ein wenig in die Länge gezogen wirken. Mit Blick auf das Gesamtbild fügt es sich aber hervorragend ein und bildet einen willkommenen Ruhepol, der das erste vom zweiten Albumdrittel trennt. In diesem geht es nun nicht nur storyseitig mächtig zur Sache, auch musikalisch wird noch eine ordentliche Schippe drauf gepackt und der Härtegrad merklich angezogen. Besonders das enorm vielschichtige „Meet The Enemy“ lässt bereits erahnen, in welche Dimensionen ELUVEITIE im weiteren Albumverlauf noch vorstoßen werden.

Dass ELUVEITIE auch poppig können, zeigt „A Rose For Epona“, das in ähnlicher Form auch von NIGHTWISH hätte stammen können. Die wirklichen Stärken liegen aber im – durch ein wiederum sehr ruhiges instrumentales Zwischenspiel („Hope“) abgetrennten – letzten Albumdrittel. Hier ziehen „The Siege“ und „Alesia“ wirklich alle Register und setzen vollkommen neue Genre-Standards. Allein diese beiden Stücke würden den Kauf des gesamten Albums bereits rechtfertigen und profitieren doch zweifellos durch ihre Einbettung in das Gesamtkonzept des Albums.

Alles in allem ist „Helvetios“ ein saustarkes Folk-Metal-Gesamtkunstwerk, das in seinen schwächsten Momenten hervorragend umgesetzte Folk-Metal-Standards zelebriert. Wo ELUVEITIE aber richtig auftrumpfen, da sprengen sie das ausgelutschte Genre-Korsett und spielen in einer gänzlich eigenen Liga. Dass sie dabei nicht nur eine Vielzahl an traditionellen Folk-Instrumenten harmonisch in ihre Songs integrieren, sondern auch der Einsatz von Elementen aus Black-, Thrash- oder Gothic-Metal niemals störend wirkt, macht dieses Meisterwerk (fast) perfekt.

24.01.2012
Exit mobile version