
Seit „Konkret Musik“ sind nun auch schon knapp fünf Jahre ins Land gezogen und in dieser Zeit scheint sich einiges im Lager der schwedischen Eklektiker GÖSTA BERLINGS SAGA getan zu haben. Offenbar nicht mehr bei InsideOut beheimatet, segeln die Herren nun im Kader von Pelagic Records. Und als wollten sie den Schritt weg vom Labelriesen pünktlich zum 25. Bandjubiläum regelrecht zelebrieren, haben sie im Vorfeld der Veröffentlichung ihres neuen Albums „Forever Now“ gleich mal eine gut zwanzigminütige Improvisation namens „Fragment I“ veröffentlicht. Da liegt die Vermutung nahe, dass dies auch auf den Charakter der eigentlichen Vollzeitplatte schließen lässt, auf der auch der Track „Fragment II“ enthalten sein wird. Doch muten die Schweden ihren Hörern wirklich so etwas in voller Länge zu?
Die Schweden feiern mit „Forever Now“ ihr 25-jähriges Bestehen
Die Antwort darauf ist vielleicht am besten mit „jein“ zu beantworten, aber das bedarf Einiges an Erläuterung. Zunächst einmal bewegen sich GÖSTA BERLINGS SAGA wieder etwas fort vom gediegeneren Elektro-Rock des Vorgängers. Aber sie kehren auch nicht wirklich zur vielschichtigen, experimentellen Atmosphäre von „ET EX“ zurück. „Forever Now“ klingt stattdessen mehr nach Schweden-Prog der Moderne, nimmt aber gern die Geradlinigkeit und Stringenz von „Konkret Musik“ mit wie beispielsweise in „Through The Arches“ oder „Ascension“. Dem gegenüber stehen dann Cuts wie das methodisch wie stimmungsvoll vor sich hin brodelnde und gelegentlich überkochende „Dog Years“.
Irgendwie ist es der Band damit gelungen, mit „Forever Now“ so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau einzuspielen. Es ist instrumentaler Prog, aber es rockt und hat Hooks en masse, die eben nur nicht in Form von Refrains oder überlebensgroß segelnden Gesangslinien sondern geradezu cineastisch in Szene gesetzten Melodiebögen in Erscheinung treten. Und „cineastisch“ heißt hier nicht, dass jede freie Fläche im Klangbild mit Bombast zugeschissen worden ist, sondern, dass GÖSTA BERLINGS SAGA die Stimmung wirklich minutiös wie in einem gelungenen Filmdrama steuern, sowohl in einem aufgeweckten „Through The Arches“, einem eingangs leicht nach John Carpenter klingenden Titeltrack oder eben dem finster knurrenden „Dog Years“.
GÖSTA BERLINGS SAGA und die eierlegende Wollmilchsau
Dass das passiert, merkt man auf Empfängerseite oftmals gar nicht sofort, weil man einfach mittendrin im Geschehen ist und sich mitreißen lässt. Hier kommt der eingangs angerissene, sporadische Teil dieser Veröffentlichung und das Statement der eierlegenden Wollmilchsau wieder zum Tragen. Denn die Schweden schaffen es, diesen Sound zugleich perfekt durchkalkuliert, förmlich dirigiert, dann andererseits aber auch sporadisch und wie aus der Hüfte hervor gejammt klingen zu lassen. „Ascension“ ist dafür ein Paradebeispiel, ein treibender Track mit triolischem Rhythmus, der sich über das Stück hinweg kaum ändert. Und doch passiert dank der klanglichen Texturierung durch Gitarren, Keyboards und Bass so viel, dass man förmlich hinweg gespült wird.
Im Kontext von „Fragment I“ gesehen wirkt „Forever Now“ fast so, als seien die Tracks wirklich aus isolierten Jams heraus entstanden, die dann jedoch im Gegensatz zu „Fragment I“ feinsäuberlich ausgearbeitet und auf den Punkt gebracht worden sind. Die puren Improvisationskünste kommen noch mal auf dem knappen „Fragment II“ zum Tragen, das möglicherweise leichte Krautrock-Vibes in sich trägt. Generell kommen die meisten Tracks wie bedächtig dirigierte Jams daher, deren lockere, bisweilen gar luftige Inszenierung jedoch einen enormen Beitrag zur allgemeinen Hörbarkeit leistet. Dabei werden die dramatischen Schrauben mal fester angezogen („Forever Now“, „Dog Years“), mal etwas mehr gelockert („Through The Arches“, „Ceremonial“).
Der Pelagic-Einstand ist also mehr als gelungen
Es bleibt also spannend und dynamisch. Und ähnlich wie auf „Konkret Musik“ werden auch hier an passenden Stellen kleinere Intermezzi platziert, deren Funktion durchaus verschieden ist. „Arrangements“ dient als Intro für den Titeltrack und stellt eines der Motive des Stücks vor. „Full Release“ fungiert als Einleitung für die gesamte Platte und wirkt so, als würden die Instrumente gerade aus dem Schlummer erwachen und sich strecken und dehnen, bevor es mit „Through The Arches“ richtig losgeht. Und dann ist da das endlos hinreißende „Make Of Your Heart A Stone“ mit diesen faszinierenden Akustikgitarren und unterschwelligen Keyboards, die Bilder von unwirklichen Naturlandschaften vor dem geistigen Auge entstehen lassen, von denen gerade die letzten Wassertropfen nach einem sommerlichen Regenschauer abperlen.
Zu ihrem Silbernen Jubiläum belohnen sich GÖSTA BERLINGS SAGA also mit einem frisch und energetisch klingenden Retro-Prog-Album, das sich ziemlich genau zwischen die Stühle Spontanität und Kalkül zu setzen scheint. „Forever Now“ platziert sich firm in der Moderne mit einem verklärten Blick in die Vergangenheit, geht gut ins Ohr und hat durch die verschiedenen, instrumentellen Layer dennoch eine enorme Tiefe. Und die gute Strukturierung der Trackliste sorgt für einen geschmeidigen Hörfluss, sodass es an „Forever Now“ nur wenig zu beanstanden gibt. Vielleicht nur ein paar fließendere Übergänge wie von „Arrangements“ zum Titeltrack, aber ansonsten machen GÖSTA BERLINGS SAGA hier das Meiste richtig und liefern damit einen gelungenen Einstand bei Pelagic.
Die Review hier mit 9 Punkten hatte mich aufhorchen lassen.
Ich finde es auch ein gutes, experimentelles, teilweise sehr abgedrehtes aber über die Laufzeit niemals langweiliges Album. Da die „Dramaturgie“ innerhalb der Stücke mir dann leider doch etwas zu experimentell ist vergebe ich persönlich ein paar Punkte weniger.