In Flames - Come Clarity

Review

Den konservativen Old-School-Liebhabern wird es scheissegal gewesen sein, den Frischlingen unter den Flammenjüngern ist wohl unter einem Fluß bitterster Tränen die Kauleiste voller Verzweiflung auf Klötenniveau runtergerutscht und die dazwischenliegende, bereits mit einem Auge wegschielende graue Masse dürfte höchstens mit einem halbgaren „Schade“ geantwortet haben. Als IN FLAMES den Release von „Come Clarity“ um mehr als ein halbes Jahr verschoben, wurde mal wieder deutlich klar, dass die Göteborgreliquie zu den wenigen Bands dieser Welt gehört, die es auf nahezu allen Ebenen fertigbringen, einen Keil in ihre Fan- und Kritikerschar zu treiben. Musikalisch eh gnadenlos umstritten, (ent)spannte sie, je nach Gruppenzugehörigkeitsgefühl, das Metaluniversum aufgrund des fehlenden US-Vertriebs (auf die Folter), obwohl das neue Objekt der Begierde/des Ärgernisses doch schon bereits seit April 2005 fertig verpackt in der Schublade lag. Höchste Zeit also, um gemäß dem programmatischen Titel endlich Klarheit aufkommen zu lassen – dumm nur, dass es mal wieder nichts wird. Nix ist mit einem eindeutigem Statement, weder in Richtung Weichspülgeseier noch Elchtodgebolze. „Come Clarity“ wählt vielmehr einen (bequemen?) Zwischenweg aus Vergangeheit und Moderne, vermeidet es dabei aber in die eigene Falle der Unentschlossenheit zu tappen, indem es beide Extreme wohlüberlegt und mit Fürsorge aufeinander abgestimmt ausdifferenziert. Mit dem tighten Opener „Take This Life“ macht die traditionelle Ausrichtung den Anfang: old-schooliges Stakkatogeriffe, eine im Gegensatz zu „Soundtrack To Your Escape“ deutlich erhöhte Schlagzahl, ein ebenso vermehrter Einsatz stark melodiöser Gitarrenharmonien sowie herrliche Doublebassteppiche leiten zu einem absolut mitsingtauglichen Refrain über, bei dem unwiederruflich eines gewahr wird: Anders Fridén hat merklich an seinem Cleangesang gefeilt und gibt ihn in nie gekanntem Überfluß zum Besten. Allen voran bei dem radiotauglichen und etwas zu „cheesy“ geratenen balladesken Titelsong. Hier wird auch deutlich, dass „Come Clarity“, mehr als jedes andere IN FLAMES-Album, auf knackige und kompakte Eingängigkeit setzt: kaum ein Song überschreitet die vier Minuten Marke, wodurch die 13 Tracks zwar sehr zugänglich erscheinen, jedoch auch eine leichte Tendenz zur fehlenden Langzeitwirkung aufweisen. Stilvariation heisst demnach die richtige Antwort, die IN FLAMES prompt im Duett mit der schwedischen Popsängerin Lisa Miskovsky geben – und mit „Dead End“ einen der härtesten und schnellsten Songs auf der Platte kreieren. Und hat hier jemand Metalcore geschrien? Es ist nicht zu verleugnen, dass jener moderne Einfluß auf „Come Clarity“ in reicherem Maße verhanden ist, als vielleicht im Vorfeld zu erwarten war. Aber auch wenn die Metalcoreanleihen auffällig poppig ausfallen und sich die Welt in einem Sturm der Entrüstung darüber definitv das Maul zerreißen wird, zeigt der Archetyp dieser Szene den meisten entsprechenden Bands die Grenzen auf. Selbst indem sich IN FLAMES an Stilmitteln eines Genres bedienen, das sie maßgeblich durch ihre eigene Geschichte beeinflußt haben, indem sie Fortschritt durch Rückschritt als Selbstreflexion erreichen und somit in gewissen Sinne zu Nachahmern werden, bewahren sie sich den Anspruch der Innovation. „Come Clarity“ ist sicherlich kein neues „Jester Race“ oder „Clayman“, jedoch ein entschiedener Schritt zurück zur alten Klasse, mit dem sich IN FLAMES ihrer selbst gesteckten Linie treu bleiben, bereits abgegraste Flecken auf dem Weideland nicht häufiger als nötig zu betreten.

01.02.2006
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