In Flames - Siren Charms

Review

Weint mit mir, Metalheads! Denn heute müssen wir einen langjährigen Freund zu Grabe tragen. Keinem Leser wird man an dieser Stelle erklären müssen, was IN FLAMES für den melodischen Death Metal bedeuten. Die schwedischen Urgesteine waren (und werden es noch lange bleiben) zusammen mit einigen Landsleuten – allen voran AT THE GATES – die Blaupause für einen Großteil des modernen Metals. Daran gibt es auch heute nichts zu rütteln. Was aber stellt man anno 2014 dar? Nun ja, obwohl Anders Fridén in seinen Promointervies unermüdlich das Mantra „Wir sind immer noch eine Metal-Band!“ runterbetet, ist diese Einordnung spätestens seit „Siren Charms“ nicht mehr so einfach.

Eine Band kann und soll sich entwickeln, die eigenen Grenzen ausloten, experimentieren und zu guter Letzt einfach das tun, wonach den Musikern der Sinn steht. Man nehme OPETHs aktuelles Werk als Referenz. In diesem Sinne ist „Siren Charms“ auch ein ordentliches Stück Musik geworden, mit ausgezeichnet arrangierten Songs und der dazu passenden Produktion, für die man sich extra in die Berliner Hansa Studios begeben hat. Ein Satz, den der sympathische Sänger den Kollegen von der Rock Hard gegenüber geäußert hatte, bringt die Problematik jedoch auf den Punkt: „Ich wollte, dass neben DEPECHE MODE, U2, R.E.M. und DAVID BOWIE der Name IN FLAMES steht.“ Ziel erreicht, denn die elf neuen Songs werden sich in dieser Gesellschaft weitaus wohler fühlen, als neben den bisherigen Referenzen. Sagen wir es offen heraus – das neue Album ist durch und durch Pop. Glatter, am Reißbrett komponierter Pop ohne jegliche Innovation, Ecken und Kanten oder gar Eier. Natürlich gibt es immer noch Gitarren, hier und da glaubt man die vertrauten Trademarks der Band zum Greifen nahe („Rusted Nail“). Was aber weit mehr überwiegt, sind die zum Heulen radiotauglichen Strukturen, die derart vorhersehbar und anbiedernd sind, dass man es kaum glauben möchte. Nehmen wir nur mal Songs, wie den Opener „In Plain View“ oder die zweite Single „Through Oblivion“. 30 Sekunden 08/15-Strophe-Gedudel, bei der Anders noch weinerlicher klingt, als man es eh von ihm gewohnt ist, und schon wird einem ein schmalz-triefender Refrain vor den Latz geknallt. Und dann das Gleiche nochmal. Das ist der geneigte Radiohörer und Hit-Single-Käufer so gewohnt, und so wird das auch bei vielen Wochenendrockern bestens ankommen. Denn mehr Easy-listening-Songbau geht kaum.

Und dies ist noch nicht der tiefste Abgrund, in den die Schweden ihre (ehemaligen) Fans mit dem Sirenengesang ziehen. Denn der Duett-Song „When The World Explodes“ mit Andrea Berg … ähm … der schwedischen Sopranistin Emilia Feldt ist nicht anders zu beschreiben als Schlager. Dass Anders ihn als den härtesten Track des Albums benennt, kann eigentlich nur ein Witz sein. Klar, die erste Minute ist passables Metalcore-Geriffe. Sobald der Refrain (auf diesem Album verkommt das Wort zu einem Schimpfwort) jedoch einsetzt, meldet sich der Brechreiz automatisch. Keyboards, Operngesang und ein zahnlos in den Hintergrund gedrücktes und völlig unpassendes Gegrowle – das ist wirklich nur ganz schwer auszuhalten. Aber es gibt ja auch Leute, denen die Kooperation von WITHIN TEMPTATION und XZIBIT gefallen soll. Und so wird „Siren Charms“ für IN FLAMES zwei Konsequenzen haben: erstens wird die Band in Zukunft noch größere Hallen füllen und zweitens werden Fans, die jemals Alben der Marke „The Jester Race“, „Colony“ oder „Come Clarity“ in ihr Herz geschlossen haben mit dem neuen Material nichts anfangen können. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Ausverkauf, Kommerzialisierung und ähnlich blöde Vorwürfe sollen hier nicht geäußert werden. Man kauft den Jungs schon ab, dass sie heute nun mal genau so komponieren. Gerade der Balanceakt zwischen Eingängigkeit und Härte war aber in der Vergangenheit ihr größter Trumpf. Diese Balance haben sie nun verloren. Ein wahrlich zahnloses Stück Musik.

01.09.2014
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