Nocte Obducta - Irrlicht - Es schlägt dem Mond ein kaltes Herz

Review

Eins vorneweg: Wer die Mainzer NOCTE OBDUCTA so wie Unsereins mit ihrem mittlerweile ikonischen „Nektar“Zweiteiler kennengelernt und klangtechnisch in dessen weiteren Umfeld abgespeichert hat, den wird das neue Album „Irrlicht“, das den Untertitel „Es schägt dem Mond ein kaltes Herz“ trägt, auf den ersten Hör wahrscheinlich überraschen. Die Herren um Marcel Breuer haben sich aufgrund ihres sehr farbenfrohen, unberechenbaren Sounds einen Namen gemacht, der mal mehr, mal weniger abrasiven Black Metal mit zwar düsteren, aber dennoch stets fantasievollen Atmo-Spielereien kombiniert hat.

Ein aggressives „Irrlicht“

Das Ergebnis waren schwarzmetallische Wanderungen durch zum Teil atemberaubend schöne Klanglandschaften. Besagter „Nektar“-Zyklus fesselte durch seine Mischung aus verträumter Lautmalerei und der Aggression, mit der die Black-Metal-Ausbrüche unterfüttert worden sind. Unterdessen gewann der Black Metal auf „Verderbnis – Der Schnitter kratzt an jeder Tür“ mehr an Bedeutung, während „Umbriel (Das Schweigen zwischen den Sternen)“ die Waage wiederum etwas mehr in die andere Richtung gekippt hat.  Nun kommt also „Irrlicht“. Und getreu der Tradition der Mainzer, möglichst kein Album wie das Vorherige klingen zu lassen, hat sich der Sound wieder gewandelt.

Dieses Mal jedoch geben sich die Herren wieder deutlich mehr dem rohen Black Metal mit Dark-Metal-Würze hin, woraus der ohne größeres Vorspiel abrasiv lospolternde Opener „Zurück im bizarren Theater“ auch keinen Hehl macht. Es ist quasi die konsequente Fortführung dessen, was „Verderbnis“ darstellte. Zwar ist das Album nicht gerade das, was man in Schwarzwurzelkreisen „puristisch“ nennen würde und wer die Mainzer kennt, dürfte so etwas schon erwartet haben. Doch die Aggressivität und Rauheit, mit der NOCTE OBDUCTA anno 2020 teilweise zu Werke gehen, muss für sich erst einmal verdaut werden.

Mit neu-/wiedergefundener Rohheit überraschen NOCTE OBDUCTA zunächst

Tatsächlich kann einem die Musik, die hier präsentiert wird, zunächst etwas grobgelenkig vorkommen. Besonders hat Unsereins in dieser Hinsicht an „Von Stürzen in Mondmeere“ mit seinem schleppenden Rhythmus knabbern müssen. Als Hörer akklimatisiert man sich damit aber eventuell und fängt an, diese vertrauten Melodien zu entdecken – und wie gut sie eigentlich in den Sound eingebettet sind. Und dann beginnt „Irrlicht“ langsam aber sicher, seine Faszination auszuüben. Sprich: Wenn man sich erst einmal durch die harte Schale durchgekämpft hat, entdeckt man fernab der überlangen Songs im Kern doch viele Elemente, die man von den Mainzern gewohnt ist.

„Der alte Traum“ ist der vielleicht „typischste“ Vertreter des „klassischen“ NOCTE OBDUCTA-Sounds und der Song, dessen Urheber man nach einmaligem Hören wohl noch am ehesten blind erkennt. Hier zeigen sich die Mainzer zugänglich und melodisch, präsentieren ihren Sound farbenfroh und dem Songtitel gemäß auch ein bisschen verträumt. Flächige Synthesizer raunen teilweise ominös im Untergrund herum und suggerieren eine weitläufige Landschaft. Gleichzeitig durchlebt der Song verschiedene Stimmungen und Intensitäten und bleibt so spannend, ist also kein One-Trick-Pony des atmosphärischen Black Metals. Und dank des rauen Klanggewandes fügt sich das Stück nahtlos in die Trackliste ein.

Doch unter der harten Schale verweilt ein vertrauter Kern

Es ist ein bisschen seltsam: Auf den ersten Hör gerät „Irrlicht“ fast ein bisschen ernüchternd. Man muss als Hörer teilweise wirklich kämpfen, um mit dem Sound warm zu werden. Doch der Aufwand und die Geduld lohnen sich, denn am Ende gelingt es NOCTE OBDCUTA doch wieder, ihre Magie zu wirken und ihre Hörer komplett in den Bann zu ziehen. Selbst in „Rot und Grau“ lässt die Spannung nicht nach, in dessen Mittelteil die Herren mal kurz dank mit gerolltem R dargebotenen Zeilen wie EISREGEN klingen, vor allem in folgenden Beispiel:

Manchmal ist ein Klumpen Blut geronnen
Ein jeder Bissen knackt und knirscht wie Knochen junger Vögel.

Zwar sind die Thüringer nicht per se die schlechteste Referenz, mit der eine Band sich kleiden kann, aber ein bisschen cheesy kommt die Passage dann doch rüber. Aber das ist eine Kleinigkeit, die das Gesamtwerk kaum ankratzt. Insgesamt ist „Irrlicht“ also kein Album, das auf Anhieb in die Gehörgänge krabbelt. „Irrlicht“ fordert in gewisser Weise eine nicht unwesentliche Investition an Zeit seitens seiner Hörerschaft ein, belohnt diese aber langfristig umso mehr. So kann man die eröffnenden Zeilen von „Zurück im bizarren Theater“ für bare Münze nehmen:

Nur herein, hereinspaziert
Derweil es draußen schneit und friert
Wird heut’ ein Stück hier aufgeführt
Das zweifelsfrei das Herz berührt


Nachtrag d. Red.:

Leider ist mir entgangen, dass sich das Veröffentlichungsdatum nach hinten verschoben hat. Da die Review aber bereits online ist und kommentiert worden ist, haben wir entschieden, es dabei zu belassen. Das Veröffentlichungsdatum hat sich auf den 27. November verschoben, die entsprechende Meldung von Seiten der Band findet ihr hier:

15.10.2020

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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