Rammstein - Rammstein

Review

RAMMSTEIN sind zurück!

Sage und schreibe ZEHN Jahre mussten wir warten. Nun ist es endlich soweit und der Nachfolger von “Liebe Ist Für Alle Da“ erblickt endlich das Licht der Welt – RAMMSTEIN sind zurück! Die Erwartungen an das selbstbetitelte siebte Studioalbum sind entsprechend hoch. Die Vorabsingles “Deutschland“ und “Radio“ haben die Spannung bereits ordentlich angeheizt, sorgte doch gerade das Video zu erstgenanntem für reichlich Diskussionsstoff. Schafft das auch der Rest von “Rammstein“?

„Mein Herz in Flammen“

Das Album beginnt passenderweise mit “Deutschland“, einem Song über die gespaltenen Gefühle bezüglich des Landes und der eindeutigen Abkehr vom Nationalismus. RAMMSTEIN äußern sich hier politisch eindeutiger als jemals zuvor, was dem Text die nötige Würze und Tiefe verleiht. Dazu ist die Musik druckvoll und kantig, ohne dabei die Eingängigkeit des Liedes zu schmälern. RAMMSTEIN landen mit ihrer ersten Single in jeder Hinsicht einen Volltreffer. Politisch geht es mit “Radio“ weiter, einer Ode an die Presse- und Meinungsfreiheit. Die Band, die ihre Wurzeln in der Deutschen Demokratischen Republik hat, verdeutlicht mit diesem Lied nicht nur die Liebe zur Musik, sondern auch die Wichtigkeit dieser im damaligen Regime. Mit poppiger Melodie und leichten KRAFTWERK-Anleihen überzeugt auch der zweite Song, wenngleich stilistisch eher ungewohnt gestaltet.

„Im Namen des Herren“

Weiter geht es mit “Zeig Dich“, welches in typischer RAMMSTEIN-Art eine düstere Seite der Menschheit aufgreift und sie musikalisch und lyrisch aufarbeitet. In diesem Fall sind es die leider immer wieder publik werdenden Missbrauchsfälle, die von katholischen Geistlichen ausgehen. Während der Song inhaltlich aufgrund des Themas stark an “Halleluja“ erinnert, ist es vor allem die musikalische Komponente, die die Hörerschaft in den Bann ziehen wird. Das Intro bildet ein Choral, der von stampfenden Rhythmen und RAMMSTEIN-Gitarren abgelöst wird, woraufhin in feinster “Laichzeit“-Manier “Zeig Dich“ ins Mikrofon gebellt wird. Mit einer eingängigen Hook und gekonnten Wortvariationen gekrönt, verbindet dieses Lied alte sowie neue Qualitäten der Band und setzt so den starken Beginn fort.

“Ausländer“ ist wohl eines der Worte, die im deutschen Sprachgebrauch am stärksten mit Vorsicht zu gebrauchen sind. Was RAMMSTEIN allerdings damit anstellen, ist pure Comedy. Musikalisch verziert er moderne EDM-Party-Musik mit fetten Gitarren und einem Text, der locker als “Pussy 2.0“ durchgehen würde. Sextourismus in aller Herren Ländern funktioniert nach Till Lindemann offenbar besser, wenn man die Sprache der Damen spricht, die man zu beglücken gedenkt. Mit einem recht oberflächlichen Thema und einem amtlichen Club-Hit schaffen es RAMMSTEIN dennoch, das Denkgehäuse zur Arbeit zu bewegen. Eigentlich sind wir Deutsche in jedem Land der Welt nichts Anderes als Ausländer. Die Perspektive macht es eben.

„Überall das dralle Fleisch“

Den nächsten Song hätte man ohne ein wenig Interpretationskraft wohl am ehesten zu den schlechtesten Songs der Bandgeschichte zählen können. “Sex“ wirkt beim ersten Hördurchlauf wie eine plumpe und oberflächliche Hymne an die körperliche Liebe. Das kann es doch einfach nicht gewesen sein, oder? Nein, glückerweise nicht. Der Song prangert im Gegenteil sogar recht geschickt eine sexuell aufgeladene Gesellschaft an, in der man mal mehr, mal weniger freiwillig mit Nacktheit und Sexualität konfrontiert wird. Musikalisch dürfte er hingegen sofort zünden, groovt er sich doch ordentlich nach vorne und gewinnt durch gelegentlich verzerrte Synthies an Kraft.

„Ich reiß der Puppe den Kopf ab“

Bereit für ein weiteres Albumhighlight? Glaubt man den zahlreichen Kommentaren auf diversen sozialen Medien, so befindet sich “Puppe“ kurz nach Veröffentlichung ganz oben auf der Favoritenliste der Fans. Die düstere Horror-Erzählung eines kleinen Mädchens, dessen Schwester zu Hause als Prostituierte arbeitet, steigert sich im Laufe des Liedes auf erschreckende, teils beklemmende Weise. Till Lindemanns Gesang im Refrain ist dabei so markerschütternd, so unvorhersehbar emotional, beinahe angsteinflößend, wie man es noch nie von ihm gehört hat. “Puppe“ bedient zwar lyrisch ein klassisches RAMMSTEIN-Thema, zählt allerdings aufgrund von Gesang und Dramatik zu den experimentellsten Nummern der Bandgeschichte.

“Was Ich Liebe“ ist hingegen die einzige Nummer, die nach den ersten Hördurchläufen so gar nicht hängen bleiben will. Das Lyrische Ich sieht sich fortwährend mit Situationen konfrontiert, in denen es lieben und gleichzeitig leiden muss, woraufhin Zustände des Glücklichseins abgelehnt werden. Die Darstellung einer pessimistischen Lebenseinstellung klingt leider wenig originell und auch der melodische Refrain geht in der Flut an herausragenden Stücken auf “Rammstein“ unter. “Diamant“, die einzige Ballade, versprüht hingegen derart viel Gefühl, als würde Till Lindemann die beschriebene zwischenmenschliche Situation in eben diesem Moment erleben. Der Text ist recht einfach gehalten, wird jedoch durch zart gezupfte Gitarren und den warmen Gesang perfekt in Szene gesetzt.

„Der Atem stockt – Das Herz schlägt wild“

Deutlich elektronischer geht es mit “Weit weg“ zu, dessen Keyboard-Thema gut in eine Science-Fiction-Serie gepasst hätte. Der recht langsame, aber spannend aufgebaute Song, dessen Voyeurismus-Story zum Schluss Raum für Interpretationen lässt, punktet auch in Punkto Eingängigkeit, wenngleich er in der Wucht vom folgenden “Tattoo“ ein wenig untergeht. Was hören wir denn hier? Stampfende “Herzeleid“-Gitarren versprühen wunderbares Oldschool-RAMMSTEIN-Flair – bestens geeignet für gepflegtes Haareschütteln bei den kommenden Konzerten. Der Wortwitz am Ende des Songs entlarvt RAMMSTEIN erneut als eine Band, deren Musik man gelegentlich mit einem zwinkernden Auge deuten muss.

Das Album mündet in “Hallomann“, einer Nummer, die wohl am ehesten als düstere Industrial-Halbballade zu bezeichnen ist. In der Geschichte wird nicht ohne einen gewissen Gruselfaktor erzählt, wie ein Mädchen entführt wird und Till Lindemann ein letztes Mal für diese Platte in die Rolle eines Menschen schlüpft, der die dunklen Seiten der Menschheit repräsentiert.

Was kann „Rammstein“?

Was hat “Rammstein“ demnach für die Fans zu bieten? Der Titel scheint nicht ohne Grund gewählt, denn Album Nummer Sieben zeigt all das, was man an RAMMSTEIN schätzt: donnernde Gitarren, treibende Rhythmen, tanzbare Elektronik und Texte irgendwo zwischen philosophischem Tiefgang, Horror und Zynismus. “Rammstein“ ist kein bitterböses Album, es ist feiner, melodischer und vielfältiger, gleichzeitig dynamisch und kraftvoll. Nach zehn Jahren hat sich das Warten gelohnt, RAMMSTEIN haben es noch drauf!

17.05.2019
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