Santiano - Doggerland

Review

Galerie mit 18 Bildern: Santiano - Wacken Open Air 2019

Das Phänomen SANTIANO ist eines, über das sich manche unserer Leser als Zaungäste amüsieren. Der Fakt, dass schlagereske Schunkel-Shantys die Szene erreichen können, beweist, dass Schlager- und Metalfans mehr gemeinsam haben, als sie zugeben wollen. Überdies sind beide Lager noch die Letzten, die noch CDs kaufen. Vom ZDF-Fernsehgarten bis zum Wacken ist es also oftmals nur ein kleiner Sprung. Kurioserweise sorgt die deutsche Kneipenkultur dafür, dass gestandene Rocker und Metaller auf spaßorientierte Normalos treffen, denen Dinge wie „Glaubwürdigkeit“ und „Authentizität“ am Allerwertesten vorbeigehen. Fällt es beim X-ten Bier denn wirklich auf, ob irgend eine Folk-Metal-Band, DROPKICK MURPHYS oder SANTIANO läuft? Das clevere Kalkül von Universal macht SANTIANO einfach universell vermarktbar. Mit „Doggerland“ gehen die gecasteten Nordlichter bereits auf ihre sechste Kreuzfahrt. Droht uns ein Eisberg?

SANTIANO – Nichts neues im Norden

Beim ersten Durchlauf muss man zugeben, dass viele skandinavische „Metalbands“ auf denselben Kitsch und dieselben Stilmittel zurückgreifen wie SANTIANO. Auch auf Album Nummer sechs setzen die Norddeutschen auf ihre bewährte Mischung aus Schlager, Folk, Pop und „Rock“. Der Mangel an verzerrten Gitarren und die aalglatte Produktion verwandeln die Songs in das musikalische Äquivalent zur Filmografie Til Schweigers: Ecken und Kanten sind nicht auszumachen. Alles schwimmt in einer einheitlichen Sepia-Konsumästhetik und verströmt einen vulgären Antiintellektualismus.

Das Problem mit SANTIANO ist nicht, dass uns reiche, softe Spießer als authentische Seebären präsentiert werden (dieser Fakt ist schließlich für jeden unter 70 ersichtlich), sondern mit welcher Perfidität es geschieht. Ein Song wie „Es klingt nach Freiheit“ beschwört neben pathetischen Chören, wie der Name schon sagt, das Klischee des wackeren Seefahrers, der sich seiner „Freiheit“ erfreut.

Nein Leute! So klingt „Freiheit“ sicherlich nicht. So klingt Versklavung an den Status Quo und bürgerliche Beliebigkeit. Wer wirklich hören möchte, wie man poppige Sounds mit einem maritimen Thema verbindet, sollte stattdessen „Weit ist das Meer“ vom aktuellen SUBWAY TO SALLY Album hören.

Ein Dixi auf der Nordsee

Der Versuch, raues, maskulines Seefahrertum zu besingen, geht durch die Natur des gesamten Produktes schief. Das Leben auf See ist einsam, gefährlich, schwierig, dreckig und oft sehr hart: Diese Dinge lassen sich nicht wirklich in ein genormtes Konsumprodukt pressen, mit welchem man die Werbung bei Pro7 unterlegt oder welches man an der Netto-Kasse verkauft. Es ist dennoch respektabel, wie konsequent die Herrschaften musizieren. Jede Zielgruppe muss bedient werden, koste es, was es wolle.

Radio Bob und die Rockkneipe brauchen Futter? „Zu alt um jung zu sterben“ und „Diggy Liggy Lo“ bedienen beide. Das zuvor erwähnte „Es klingt nach Freiheit“ lässt die Oma-Herzen im Fernsehgarten höherschlagen. Durch das Duett mit Pop-Nervensäge Lina Bó soll wohl das jüngere TikTok-Publikum abgegrast werden: „Wenn ich dich je vergess“ ist wirklich ein Titel, den man besser vergessen sollte. „Seine Geschichte“ hingegen, ist der wohl einzige Song, der eine wirkliche inhaltliche Substanz aufweist. Er leidet allerdings ein wenig unter der zu glatten Produktion und der zu schlagerhaften Gesangsperformance.

Was wurde uns denn da angespült?

Durch „Doggerland“ kommt eine große Beliebigkeit zum Ausdruck, die auch immer mehr unsere zwischenmenschlichen Beziehungen bestimmt. Das Album verkörpert das Gegenteil von dem, was die Band versucht musikalisch darzustellen. Man hat Shantys und authentischen Folk die Zähne gezogen und sie durch den industriellen Fleischwolf gedreht. Die besagte Beliebigkeit geht so weit, dass man sich auch vorstellen kann, wie die Herrschaften die neuen Produkte von Nestlé oder Coca-Cola mit viel „Oh ho ho“ und Gefiedel besingen. „Doggerland“ offeriert uns die Hülle eines Albums, die Hülle einer Band und die Hülle von Musik. Man fühlt sich so, als müsse man den Geschmack von kalorienreduzierten Grünkernbratlingen oder einer einfachen Reiswaffel bewerten.

Die vorhandenen Punkte gelten der Professionalität von Produktion und Veröffentlichung.

 

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11 Kommentare zu Santiano - Doggerland

  1. Sprengi sagt:

    Santiano sind natürlich total Metal. Schliesslich sind die ja auch in Wacken auf der Hauptbühne…

  2. MetalGerhardt sagt:

    Wenn’s sogar für ne Review auf metal.de reicht, hat die Band ja scheinbar alles richtig gemacht.
    Auf laut.de kam die Platte besser weg.
    Ob das nun einen Sinn ergibt?
    Ich überfrage dann mal meine eigene Existenz 😄

  3. RockHard sagt:

    Sehr geiles Review. Respekt und Kompliment für diese tollen (und wahren) Worte!

  4. blackthrash sagt:

    für Strg F wäre sowas Metal,

  5. Cyi sagt:

    Auch von meiner Seite aus – vielen Dank!

  6. Bedeutet mir sehr viel.
    Ich gebe den Dank zurück 🙂

  7. nili68 sagt:

    Das mit Wacken ist wohl halt so passiert und die paar Euro nimmt man doch gerne mit. Da die das wohl nicht von Haus aus auf ein Metal-Publikum abgesehen haben, werfe ich denen nichts vor. Ist halt nicht mein Ding und gut. Allerdings hab‘ ich jetzt ’ne Anregung, was ich meiner Mutter zu Weihnachten schenken kann. Würde sich zwischen den 2-3 CDs, die sie hat, gut machen.

  8. doktor von pain sagt:

    Meinst du echt, die stellt sich ’ne CD von Santiano zwischen Dying Fetus und Marduk?

  9. Se Wissard sagt:

    Ne, weil Santiano alphabetisch nach Marduk kommt.

  10. Zauberelefant sagt:

    Vielleicht sortiert sie nach Farben, weil das an der Wand schöner aussieht?