The Scorpion im Mascot Case
Das Logo der Scorpions über Kunst und Sex
Special
Die SCORPIONS aus Hannover feiern ihren 60. Geburtstag. Als Band. Fast immer irgendwie dabei ist der namensgebende Scorpion. Daher befragt metal.de den eigenwilligen Begleiter des größten deutschen Rockexports. Es folgt ein relativ tierisches Gespräch über Kunst, Sex und das Universum.
Herr Scorpion, vielen Dank für die Bereitschaft, im Rahmen unserer Reihe „Mascot Case“ mit metal.de zu sprechen.
Scorpion: Gerne.
Den Titel des Maskottchens sprechen Ihnen, entschuldigen Sie die Direktheit, viele ab. Sie seien nur ein Logo.
Scorpion (lacht): Logo kommt vom griechischen „Logos“. Und das kannst du nicht nur als Wort verstehen, sondern auch als Sinn. Als Weltsinn. Ich bin gern ein Logo, Amigo!
Sie verwenden für sich – wie die Band – die englische Schreibweise mit „C“ statt „k“.
Scorpion: Rudolf (Schenker, Gitarrist und Bandgründer – M. P.) hat die Band von Anfang an international gedacht. Die Sprache des Rock war für ihn immer Englisch – in Abgrenzung zum miefigen deutschen Schlager, zum kleingeistigen, verkrampften, mut- und spaßbefreiten Deutschland. Da gehe ich mit: Let’s fuckin‘ rock! Take it easy!
Die Regeln des Universums dürfen wir nicht ignorieren
Die wissenschaftliche Fachpresse sagt: „Der Titel für das unbeliebteste Sternzeichen geht fast immer an den Skorpion.“ (https://www.gala.de/lifestyle/horoskope/sternzeichen-skorpion-eigenschaften-und-charakter-21616464.html)
Scorpion (ernst): Die Regeln des Universums sind nicht zu ignorieren. Insofern ist der Blick in den Himmel durchaus ernstzunehmen. Rudolf sagt: „Das Universum sendet dir permanent Signale, du musst deine Antenne nur auf Empfang stellen. Du fährst gut damit, dich auf dein Bauchgefühl zu verlassen, das ist nämlich dein wahres Inneres.“ (Das ist präzise zitiert, nachzulesen in: Rudolf Schenker: Rock Your Life, mvg Verlag 2010, S. 122 – M. P.)
Dass der Skorpion oft unbeliebt erscheint, heißt allerdings nicht, dass er negative Eigenschaften besitzt. Skorpione sind Macher, sie nehmen ihr Schicksal in die Hand. Sie gehen ins Risiko, sie suchen Herausforderungen – und sind oft erfolgreich. Das ruft Missgunst hervor. Und Neid. Dazu kommt: Der Schwanz eines Skorpions nimmt 30 – 50 % seiner Körperlänge ein …
Ähm.
Scorpion (lacht laut): Liebe ist die Message, mein Freund! Love! Für das Konzert in diesem Jahr bin ich aufgeblasen in 7,5 Metern Höhe durch Hannover gezogen.
Äh … ja. Lassen Sie uns über Kunst reden.
- Scorpions – Lonesome Crow
Scorpion: Sehr gerne!
Das Debüt der SCORPIONS hieß „Lonesome Crow“, die Vorderseite der Platte zeigt allerdings einen Skorpion. Die menschliche Hand über ihm weist eine Stichwunde auf. Und wenn man die Rückseite der Platte betrachtet, dann sieht man den zugehörigen Menschen dort liegen. Er scheint noch zu atmen und eine Krähe sitzt auf seinem Arm.
Scorpion: Ich möchte dazu nur so viel sagen: 1. Skorpione sind nur vermeintlich klein. 2. Die Krähe ist spirituell betrachtet ein mächtiges Tier. Sie steht zwischen den Welten. Da ist es einsam. Verdammt dunkles Artwork, Mann. Aber deep.
Textlich ging es 1972 bei dem SCORPIONS noch mystisch zu.
Scorpion: Dunkel, Mann.
…?
Scorpion: Puh.
Ein alternatives Artwork existiert von Rodney Matthews. Es zeigt beide Tiere in einer apokalyptischen Landschaft. Der Skorpion ist überdimensioniert und erhebt seine Scheren sowie den Stachel über einer Stadtruine. Drohend? Verzweifelt? Triumphierend?
Scorpion: Ganz im Hintergrund siehst du einen Atompilz. Das sagt alles.
Aha.
Scorpion: Ja.
Ayurveda to rock?
Einen deutlichen Kontrast bildet das Cover von „Fly To The Rainbow“, das 1975 erscheint. Da scheinen, Verzeihung, andere Pilze im Spiel gewesen zu sein. Eine Person mit buntem Helm fliegt auf rotierenden Klingen in einen neonfarbenen Himmel.
Scorpion: Es waren die Siebziger, Mann! Aber es ist doch klar: Der SCORPIONS-Weg führt dich ans Ende des Regenbogens. Bleibe bei dir, dann findest du dort deinen Schatz. Und weißt du, was krass ist?
- Scorpions – Fly to the Rainbow
Klären Sie uns auf!
Scorpion: Der Schatz, der bist du selbst!
Auf der Rückseite des Covers sind die Bandmitglieder verzeichnet. Auf der emporgereckten Rückseite des Protagonisten.
Scorpion: Fun, Baby! Weißt du, wie alt Rudolf war, als er in Wacken einen Kopfstand auf der Bühne gemacht hat? Fast 58!
Das ist …
Scorpion: … tierisch. Richtig. Und ich frage dich: Ayuerveda to rock? Ha!
Lassen Sie uns ein paar Jahre weitergehen. Beim Originalcover von „Virgin Killer“ mit dem nackten Mädchen war 1976 der Spaß vorbei. Es wurde umgehend durch ein Bandfoto ersetzt. Nachvollziehbar, oder?
Scorpion: Die Band hat das Original als Kunst gesehen. Gesellschaftskritische Kunst. Kinder werden im Wortsinn unschuldig geboren. Das Universum gibt ihnen göttliche Fähigkeiten mit: Kinder sind kreativ, haben Spaß und keine Vorurteile. Und die Gesellschaft tötet dieses Potenzial im Kind mit der Zeit systematisch ab. Das wird durch das Cover dargestellt.
Da posiert ein nacktes Kind unter dem Titel „Virgin Killer“!
Ein Scorpion der Liebe!
Scorpion: Okay, okay. Das ging deutlich über das Ziel hinaus. Ich würde mir das Original auch nicht ins Regal stellen. Das geht Rudi und Klaus (Meine, Sänger der SCORPIONS – M. P.) heute sicher ebenfalls so.
Unabhängig von dieser unappetitlichen „Jugendsünde“ scheint es bei den SCORPIONS aber zusehends um Geschlechtsver…
Scorpion: Love!
- Scorpions – Lovedrive
…kehr zu gehen. Nicht zuletzt bleiben viele der Plattencover anzüglich. Dasjenige von „Lovedrive“ 1979 stammt (wie auch das von „Animal Magnetism“) von Hipgnosis. Man könnte es als frech verpackte Kritik männlicher Triebgesteuertheit deuten. Man könnte aber nach Exegese der textlichen Ergüsse der SCORPIONS ehrlicherweise auch festhalten, dass hier einfach einer seiner Nachbarin an die Möpse packt. Spätestens im Jahre 2025 sollte doch …
Scorpion: Rock ist direkt, Buddy!
Aber …
Scorpion: Und nein, ich betatsche keine Frauen! Wusstest du im Übrigen, was einem männlichen Skorpion passieren kann, der sich nach dem Paarungstanz nicht schnell genug vom Acker macht?
Nein.
Scorpion: Er kann vom Weibchen verzehrt werden. Literally!
…
Scorpion: Wusstest du außerdem, dass das Cover von „Love At First Sting“ (aus dem Jahr 1984 – M. P.) die Vorlage für die Kuschelrock-Serie gewesen ist?
- Scorpions – Love At First Sting
Sind Sie sicher, dass das nicht eher eine zufällige …
Scorpion: „Wind of Change“ war auf „Die schönsten Kuschelrock-Songs aller Zeiten“ und „Still Loving You“ auf einer „The Very Best Of“-Ausgabe. Emotions. Mann.
Es geht um wilde Unterhaltung!
Bevor wir zur Musik kommen, lassen Sie uns noch ein weiteres Album-Cover thematisieren. Auf „Savage Amusement“ aus dem Jahr 1988 ist erneut eine knapp bekleidete Frau zu sehen. Ihr rechtes Bein ist durch den Schwanz eines Skorpions ersetzt. Vage erinnert dieses Mischwesen an die „Kleine Meerjungfrau“ von Hans Christian Andersen mit ihrem Fischschwanz. Die „Meerjungfrau“ erzählt von Opferbereitschaft und wird vielfach als camouflierte Auseinandersetzung mit (tabuisierter) Homosexualität gedeutet. Dagegen scheint der Skorpion-Schwanz …
- Scorpions – Savage Amusement
Scorpion: Da offensiver ranzugehen, genau! Das kannst du so sehen, ha ha! Savage amusement eben! Erinnerst du dich an „He’s A Woman – She’s A Man“ von „Taken By Force“? Da wurde schon 1977 einiges vermischt. Und wie heißt das zweite Album? „Fly To The Rainbow“ …
Mit Verlaub, die SCORPIONS als Vorboten der LGBTQIA+-Bewegung zu betrachten, dass erscheint angesichts des textlichen Schwerpunkts meines Erachtens … gewagt.
Scorpion: Mag sein, mein Freund, mag sein! Aber es geht um Liebe! Um Liebe! Das Universum bietet das Potenzial für unendliche Liebe. Den VW Amarok mit ausfahrbarem Skorpion-Schwanz gibt es aber nur einmal.
Ja. Wahrscheinlich.
Scorpion: Peace!
Der Scorpion schwört auf „Crazy World“!
Herr Scorpion, was sind Ihrer Ansicht nach die drei besten Alben der SCORPIONS?
Scorpion: Aus der Roth-Phase ist das beste „Taken By Force“ von 1977. Ulis zum Teil sehr gefühlvolles Spiel – höre dir mal die Gitarre in „Your Light“ an! – trifft hier auf harte Rocker wie das schon erwähnte „He’s A Woman – She’s A Man“. Und „We’ll Burn The Sky“ ist ein wahrlich lodernde Ballade.
Dann ist natürlich „Blackout“ von 1982 super. Da gibt es keine zwei Meinungen. Wohl die härteste Scheibe der Jungs. Klaus hatte seine Stimme vermeintlich dauerhaft verloren und wollte es nun der ganzen Welt beweisen. Alter, welch eine Power! Und das Helnwein-Cover, das geht ja wohl sogar bei dir als Kunst durch, oder was?
- Scorpions – Blackout
Das passt tatsächlich zur Musik wie …
Scorpion: Wie die Kappe zu Klaus. Korrekt! In den Achtzigern gab es für ein Cover sogar mal fast eine Zusammenarbeit mit Andy Warhol. Nur nebenbei.
Als drittes Album nenne ich außerdem „Love At First Sting“ aus dem Jahr 1984. Die besteht fast nur aus Hits. Du willst die Definition von Achtziger-Hardrock? Hier ist sie, Bruder!
Und gibt es einen Geheimtipp, eine übersehene Perle?
Scorpion: Als Geheimtipp kann man die Platte zwar wirklich nicht bezeichnen – aber unterschätzt ist meiner Meinung nach „Crazy World“ von 1990. Die Platte mit „Wind Of Change“ eben … Aber da sind ein paar astreine Rocker drauf. Und „Restless Nights“: Welch eine Hymne!
Stichwort „Wind Of Change“ …
Scorpion: Bombastische Nummer, oder? Da haben die Sterne richtig gestanden, Genosse! Music can change the world!
Wobei der Mauerfall schon eher mit den Menschen auf der Straße zu tun hatte. Und einem gewissen Michail …
Scorpion: Michael Knight, hast ja Recht. Alias David Hasselhoff – aber der hat eben auch gesungen!
The best is yet to come!
Bewundernswert sind tatsächlich die Lebensfreude und positive Energie, die vor allem Rudolf Schenker ausstrahlt. Auf dieser Seite wurde zu einer zeitgenössischen Doku an anderer Stelle festgehalten: „Rudolf Schenker brüllt vor Freude – was für ein Tag! Zum Wachwerden (und einfach aus Scheiß) war er nackt in einer Viertelstunde einmal längs durch den Amazonas gekrault, hatte dann spontan Godzilla mit bloßen Händen eine Lektion in Demut erteilt, bevor ein aus dem Nest gefallenes Mammutjunges unter seinem Schnauzbart über den Winter gebracht werden musste. Und jetzt sitzt er hier mit seiner Flying V auf der Terrasse des Weißen Hauses, Kaffee gerade durch, weil Ronald Reagan bekehrt eine musikalisch initiierte Annäherung von Ost und West beim Barbecue wünscht.“
Scorpion: Meine Rede! Wir brauchen gerade heute mehr positive Energie! Mehr Rudolf Schenker!
Gleichzeitig ist die Band, mit Verlaub, längst ein Teil des „Systems“. Offiziell geehrt und in Politik und High Society anerkannt.
Scorpion: Die SCORPIONS wollten immer verbinden, nicht zerstören.
Haben Sie noch letzte Worte?
Scorpion: The best is yet to come!
