Sabaton
Die Sprache des Krieges

Special

Im Februar dieses Jahres starteten SABATON ihren bandeigenen History-Channel auf YouTube. Warum? Um „Historische Hintergründe“ zu liefern, für „einen SABATON-Song pro Woche“. Dafür tat sich die Band mit Indy Neidell zusammen, einem amerikanischen Historiker, der durch ein besonders ambitioniertes Projekt bekannt wurde. Auf dem YouTube-Kanal „The Great War“ dokumentierte er gemeinsam mit anderen Historikern in den Jahren 2014 bis 2018 Woche für Woche den Verlauf des Ersten Weltkriegs 100 Jahre zuvor.

Genau der richtige Mann also, um SABATON-Songs zu erklären, von denen sich ein Großteil um Ereignisse dreht, die irgendwie mit einem Krieg verknüpft sind. Die Wahl war tatsächlich auch nicht schlecht, gelingt es Neidell bei seinen anderen Projekten doch, auch den etwas trockenen Stoff abseits der großen Schlachten unterhaltsam aufzubereiten und somit einem breiten Publikum zugänglich zu machen.

Historische Hintergründe zu SABATON-Songs

Auch auf SABATONs Kanal gelingt dies im Wesentlichen. Als würde er aber denken, im Zusammenhang mit Metal ein bisschen martialischer auftreten zu müssen, legt Neidell in den Videos, die zur Erklärung der Songs der Schweden dienen, deutlich mehr Dramatik in seine Stimme. Da peitschen die Worte schon mal nach vorne, wenn eine überraschende Artilleriesalve erwähnt wird oder werden rau hervorgepresst, um einen vernichteten Bomberangriff zu beschreiben.

Letztlich gelingt es Neidell jedoch, selbst bei einem stumpfen Schlachtensong wie „Panzerkampf“ durchaus differenziert vorzugehen und verschiedene Facetten der zugrunde liegenden Schlacht aufzuzeigen. Der Krieg wird dadurch immerhin ein Stück weit entmystifziert. Manchmal verpasst Neidell es jedoch, eine kritische Einordnung zu geben. Direkt im ersten Video, Thema ist der Song „40:1“, wird zum Beispiel ein polnischer Offizier erwähnt, der trotz der Gewissheit der Niederlage, seine unterlegenen Truppen fast bis zum Ende weiterkämpfen lässt. Am Ende stirbt er dadurch, dass er sich mit einer Granate selbst tötet – immerhin habe er ja geschworen, bis zum Tod zu kämpfen.

In solchen Situationen sind es Schnitt und Videobearbeitung, die das Video problematisch werden lassen. Wenn davon berichtet wird, dass der polnische Offizier den Kampf bis zum Tod schwört, erklingt die passende Songstelle: „The captain has pledged his life – ‚I’ll face my fate here'“, begleitet von Video-Material der deutschen Invasion Polens. Insgesamt leistet Neidell die solide Arbeit eines Militärhistorikers und erlaubt sich nur kleine Schnitzer und Versäumnisse. Sein größter Gegenspieler bei dem Unterfangen, die Geschichte hinter den Songs etwas differenzierter darzustellen, man ahnt es vielleicht schon, sind SABATON und ihre Musik selbst.

Alles Propaganda?

Es ist problematisch, als Video-Material zur Untermalung ausgerechnet Propagandafilme des Dritten Reiches – in Teilen auch der Sowjetunion und der West-Alliierten – zu verwenden. Diese Filme mögen die einzige Möglichkeit darstellen, zeitgenössisches Filmmaterial zu benutzen, sind aber keineswegs authentisch. Diese Aufnahmen wurden so bearbeitet, dass sie dem Zuschauer ein bestimmtes Bild der Kriegshandlungen vermitteln. Siegreiche Schlachten sollten den Wunsch wecken, selbst ins Feld zu stürmen, Niederlagen Wut auf die Gegner schüren. Neutrale Bilder sind dies also in keinem Fall.

Man könnte fast drüber hinwegsehen und argumentieren, dass aufgeklärte Menschen sich von solchen Bildern nicht mehr beeinflussen lassen, wenn erst einmal der Kontext klar und entzaubert ist. Doch ist der Kontext klar? Zumindest bei SABATON scheint da noch ein bisschen Nachhilfe nötig zu sein.

SABATON-Sänger Joakim

Zurück zum ersten History-Video rund um den polnischen Kampf zu Beginn des Zweiten Weltkriegs. Dort wird erwähnt, dass Song und Video dazu beitragen sollen, einen neuen Blickwinkel auf die Rolle Polens während des Kriegs zu eröffnen. Während Neidell noch einigermaßen differenziert darstellt, das Polen bei weitem nicht das rückständige, völlig hilflose Opfer des Deutschen Reiches und der Sowjetunion war, sondern sich durchaus, im Rahmen seiner Möglichkeiten, zu wehren wusste, zeigt sich SABATON-Bassist Pär einfach nur froh, eine Alternative zur „Propaganda aus den Geschichtsbüchern“ bieten zu können. Eine Wortwahl, die man erst einmal sacken lassen muss.

Gut, im Zweifel ist Pär auch kein englischer Muttersprachler und bezieht sich vielleicht darauf, dass zu Sowjetzeiten einige Dinge im polnischen Geschichtsunterricht ideologisch geprägt dargestellt wurden. Allerdings spricht er von der heutigen Zeit und liefert zudem noch andere Aussagen, die man bestenfalls noch als unreflektiert einordnen kann. Zwar stellt er im Interview klar, dass SABATON sich eher als Heavy-Metal-Band denn als Geschichtslehrer verstehen, will mit der Band aber durchaus, „Interesse wecken“ und die Zuhörer „ermutigen“, sich mit Geschichte zu beschäftigen.

SABATON stehen sich selbst im Weg

Durch seine Kommentare, warum bestimmte historische Themen ausgewählt werden, konterkariert er oft die Bemühungen Neidells. Hat dieser gerade noch die Geschichte der US-Marines im Ersten Weltkrieg umrissen, erklärt Pär, was ihn eigentlich so sehr an diesem Thema interessiert, dass er einen Song darüber schreiben wollte – vermeintlich coole Sprüche wie „Ihr Hurensöhne, wollt ihr ewig leben?“ Lauscht man dann dem Ausschnitt zum entsprechenden Song „Devil Dogs“, wird klar, dass die Soldaten lieber „glorreiche Taten“ vollbringen sollen, als vor dem Feind zu fliehen. Warum gibt es einen Song namens „Panzerkampf“? Pär: „Weil unsere Fans das mögen. Panzer, mehr Panzer und noch mehr Panzer!“

Dann wäre da noch der Song „Gott Mit Uns“, der den Dreißigjährigen Krieg anschneidet. Wie Pär sagt, ein „sehr spaßiger, sehr erhebender Song […] ein Publikumsliebling.“ Wenn dies über einen Song gesagt werden kann, der zum gemeinsamen Kampf und Durchhalten im Krieg aufruft, ist das schon etwas problematisch. Vom aktuellen Song „Fields of Verdun“ ganz zu schweigen, in dem die „Schützengräben voller Blut“ besungen werden. Zwar spricht eine Zeile auch vom „Irrsinn des Krieges“, doch kommt diese nicht gegen den ganzen vermeintlichen Bombast des Krieges im Rest des Songs an.

Es gibt so viele Beispiele, dass es müßig wäre, sie alle hier aufzuzählen. Der Einwand ist berechtigt, dass SABATON nicht die ersten sind, die sich in ihrer Musik mit Kriegen und Schlachten befassen. Ja, es gibt ja sogar Bands, die sich mit ganz realen Serienkillern beschäftigen. Doch selbst MACABRE grunzen nicht von „glorreichen Taten“ im Zusammenhang mit Ted Bundy.

Und was ist mit den anderen Bands?

Eine andere Band, die hin und wieder reale Schlachten zum Thema ihrer Songs macht, ist IRON MAIDEN. Ein Unterschied ist jedoch, dass die Songs, trotz teilweise konkreter historischer Bezüge, abstrakt bleiben. Wo SABATON oft Jahreszahlen und Ortsnamen parat haben, bleiben IRON MAIDEN bewusst ambivalent, lassen dem Zuhörer die Möglichkeit, auch andere, auf die individuelle Situation bezogene, Interpretationen ihrer Songs zuzulassen.

Zudem gibt es bei IRON MAIDEN genügend Songs, in denen zumindest die Bitterkeit und Sinnlosigkeit des Krieges durchscheint. „Die With Your Boots On“ zum Beispiel, oder auch „The Trooper“. Der Tod erscheint hier, ganz nüchtern, als Konsequenz des Krieges. Ihm ist ein Kampf um Überleben vorangestellt, der aber niemals mit positiven Adjektiven besetzt wird. Der Verlust des Lebens als Folge der Befehle anderer, erschient hier um so bitterer. Ein Punkt übrigens, auf den IRON MAIDEN auch Käufer ihres „Trooper Ales“ hinweisen. Dort wird auf dem Rückenetikett der Flasche erklärt, was die Inspiration für den Song war. Ein „tapferer aber närrischer Angriff, der einen massiven Verlust an Menschenleben zur Folge hatte“. Dies ist ein ganz anderer Umgang als „Panzer, mehr Panzer und noch mehr Panzer!“

SABATON-Bassist Pär

Es ist auch der gesamte Kontext einer Band, der an dieser Stelle zu berücksichtigen ist. BOLT THROWER widmen sich ja auch gerne kriegerischen Szenarien, positionieren sich in Interviews aber immer klar antifaschistisch und antimilitaristisch. Auch in ihren Songs weisen sie ganz bewusst auf die Schrecken des Krieges hin. „Es nähert sich der Tod… Wo ist der Sieg?“ fragt die Band zynisch im Song „Where Glory Beckons“.

Kriegsromantik und Soldatenlyrik

Die Antwort geben SABATON im Outro ihres aktuellen Albums „The Great War“, in dem sie das Gedicht „In Flanders Fields“ zitieren. Geschrieben vom kanadischen Soldaten John McCrae nach dem Verlust eines Kameraden im Jahr 1915, ist es pure Kriegsromantik, wie man sie im deutschen Sprachraum von Dichtern der Befreiungskriege wie Theodor Körner oder Ernst Moritz Arndt kennt:„Setzt unseren Kampf mit dem Feind fort. Aus scheiternden Händen werfen wir euch die Fackel zu, die ihr hoch zu halten habt. Brecht ihr eure Treue zu uns, die wir tot sind, werden wir nicht ruhen, auch wenn Mohn auf den Feldern von Flandern blüht.“ Die Botschaft: Der Tod auf dem Schlachtfeld, er ist nicht vergebens, wenn andere den Kampf weiterführen. Auch wenn dieses Gedicht heutzutage vereinzelt – aber nie ohne Kritik – im neutralen Gedenken an die Toten des Ersten Weltkriegs verwendet wird, ist es in seinem Ursprung doch pure Kriegsverklärung, um der Trauer Herr zu werden.

In ihren eigenen Texten greifen SABATON dieses Thema auch entsprechend auf, unter anderem im Titeltrack des aktuellen Albums „The Great War“. Dort schildert ein Soldat die Schrecken des Krieges, doch er weiß, dass er durchhalten muss. Sein Bruder ist bereits gestorben und auch er ist bereit, das „würdige Opfer“ zu bringen. „Ich weiß, dass meine Taten nicht umsonst sind“. Eine kritisch-historische Darstellung des Schlachtfelds? Nein. „Folgt mir und wir werden unsere eigene Geschichte schreiben“, heißt es stattdessen opferbereit.

Ob so ein Denken auch Neonazis anspricht? Die Antwort erfahren wir erneut auf SABATONs History-Channel. Da die Band im Song „Rise of Evil“ den Aufstieg Adolf Hitlers darstellt, ist ein Video, um das Lied in den richtigen Kontext zu rücken, sicher nicht verkehrt. Erneut macht Neidell seine Sache ganz gut und stellt verschiedene Aspekte dar, die zum Aufstieg der NSDAP führten – und erneut sind es die Bandmitglieder von SABATON, die alle Bemühungen torpedieren.

Dieses Mal ist es Sänger Joakim, der zu Wort kommt und erst einmal ganz nachvollziehbar schildert, dass man Adolf Hitler erwähnen sollte, wenn man sich mit dem Zweiten Weltkrieg auseinandersetzt. So weit, so richtig. Außerdem, so weist Neidell schließlich hin, kämen SABATON-Fans aus aller Welt. Rein aus statistischen Gründen müssten darunter auch ein paar Neonazis sein. Ob das Joakim stört? „Es ist mir scheißegal, was unsere Zuhörer denken, an was sie glauben oder welche Hautfarbe sie haben. Alles ist in Ordnung. Aber bitte, geht damit um wie mit euren Genitalien und zeigt es nicht in der Öffentlichkeit.“ Ein klares Statement gegen Krieg, gegen Neonazis, gegen Faschismus, wie es an dieser Stelle angebracht gewesen wäre – es sieht anders aus.

Quo Vadis, SABATON?

Niemand kann von einer Metal-Band verlangen, dass sie sich politisch vollkommen korrekt verhält oder gar eine Art Bildungsauftrag erfüllt. Dass auch kontroverse Themen wie Serienmord, Krieg oder Drogen behandelt werden, gehört seit Jahrzehnten zu dieser Musikrichtung. In der Regel findet aber keine positive Bewertung statt, sondern eher eine distanzierte oder abstrakte, manchmal auch zynische Betrachtung dieser Themen. Eine positive Hinwendung zum Krieg, zum Tod in der Schlacht, zum bedingungslosen Gehorsam bis ins Grab, ist in der Zuspitzung, wie sie bei SABATON geschieht, vor allem bei einer kommerziell derart erfolgreichen Band, eine Seltenheit und deshalb im besonderen Maße bemerkenswert.

Wahrscheinlich ist es nicht einmal von der Band beabsichtigt, ihre Fans auf Krieg und Tod einzuschwören. Dass sie damit Erfolg haben, wenn sie vom Krieg singen und es so wirkt, als wären sie gerne dabei gewesen, dürften SABATON aber inzwischen bemerkt haben. Vielleicht ist das Ergebnis auch wirklich nur unschuldiges, gar seliges Mitschunkeln, hin und wieder unterbrochen von einem wohligen Schauer beim Gedanken an die Schlacht. Die Gefahr, dass aus dem Mitschunkeln ein Mitmarschieren wird, dürfte gering sein. Wenn es der Band aber gleichzeitig „scheißegal“ ist, dass sich Neonazis ins Publikum mischen – dann kann die Mischung aus Bierseligkeit und Kriegsromantik schnell ein anderes Gesicht bekommen.

Die Kolumne „St. Anger – Die Meinungsmache“ ist, wie der Name schon sagt, Meinung. Begründet, aber gefärbt, wertend und vielleicht provokativ – und jeder Artikel ist das Produkt eines kleinen Teils der Redaktion. Daher spiegelt der Inhalt des Artikels auch nicht unbedingt die Ansichten der gesamten Redaktion wider.

 

14.07.2019
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