Turn Back Time To 1997
Folge 2: Voivod - Phobos

Special

Wir reisen nach langer Zeit wieder einmal zurück ins Jahr 1997, in dem eine ganze Reihe wichtiger, aber auch abgedrehter Alben das Licht der Welt erblickten – und zu letzteren gehört definitiv „Phobos„, das neunte Studioalbum der kanadischen Thrasher VOIVOD. In einer Zeit, in der IN FLAMES noch melodischen Death Metal mit Charakter veröffentlichten, brachten VOIVOD eines ihrer experimentellsten und progressivsten Alben heraus. Der Weg dorthin war jedoch ein steiniger, denn VOIVOD hatten bis hierhin (und darüber hinaus) einige turbulente Jahre hinter sich gebracht.

In den frühen Neunzigern stand die Band sogar kurz vor dem Aus, als der langjährige Sänger Denis Belanger die Band verließ. VOIVOD hatten zu diesem Zeitpunkt auch keinen festen Bassisten, da Jean-Yves Thériault die Band aufgrund musikalischer Differenzen verlassen hatte. Die vergleichsweise schlechten Verkaufszahlen von „The Outer Limits“ veranlassten VOIVOD dazu, ihre Zusammenarbeit mit MCA Records zu beenden.

Doch man beschloss, trotz allem weiter zu machen und holte sich den Sänger und Bassisten Eric Forrest ins Boot. Für die beiden folgenden Alben „Negatron“ und eben „Phobos“ standen VOIVOD bei Hypnotic Records unter Vertrag. Anfangs erfuhr „Phobos“ wenig Gegenliebe seitens der Presse, worauf die Band eine längere Pause einlegte. In dieser Zeit verließ Forrest die Band wieder. Doch mit der Zeit entwickelte sich „Phobos“ zu einem Klassiker. Grund genug also, mal einen zeitreisenden Blick darauf zu werfen.

Voivod – Phobos

VOIVOD – „Phobos“: Die harten Fakten

Lineup:

Eric Forrest – Bass, Gesang
Dennis D’Amour – Gitarre
Michael Langevin – Schlagzeug

Gastmusiker:

Karyn Crisis – Gesang („Forlorn“)
Jason Newsted – Bass, Gesang („M-Body“)
Ivan Doroschuk – Electronics
James Cavalluzzo – Electronics

Label: Hypnotic Records

VÖ. 12.08.1997

Trackliste:

  1. Catalepsy I
  2. Rise
  3. Mercury
  4. Phobos
  5. Bacteria
  6. Temps Mort
  7. The Tower
  8. Quantum
  9. Neutrino
  10. Forlorn
  11. Catalepsy II
  12. M-Body
  13. 21st Century Schizoid Man (KING CRIMSON-Cover)

„Phobos“ entpuppt sich als sperriger Midtempo-Gigant, der mehr auf Atmosphäre denn Härte setzt. Elektronische Effekte, die unter anderem von Ivan Doroschuk (MEN WITHOUT HATS) beigesteuert worden sind, untermalen die düstere Stimmung. Forrests Gesang klingt dank seiner Verzerrung aggressiv und irgendwie bösartig. Generell verbreitet das Album eine geradezu lebensfeindliche Stimmung. Der Sound ist nicht direkt klinisch, aber auch nicht wirklich warm. Das Album klingt kalt, das aber doch in einer vergleichsweise zugänglichen Art und Weise. In dieser Hinsicht hat das Produktionsteam um Rob Sanzo ganze Arbeit geleistet. „Phobos“ ist gerade zugänglich genug, um seine Hörer nicht vor den Kopf zu stoßen – und entfaltet doch keinen Frohsinn. Im Gegenteil.

Musik fernab der Euphonie

Das Intro „Catalepsy I“ rattert förmlich los, als würden VOIVOD den Motor anschmeißen, der das folgende „Rise“ antreibt. Und das Ding rockt rotzig, ohne jedoch den Ohren zu schmeicheln. Dissonante Chords, die wunderbar in die zum Teil recht punkige Rhythmik eingebettet werden, machen das Fundament dieses und der folgenden Songs aus. Dazu hat das Songwriting einen geradezu expressiven Charakter. Obwohl fest im Rock/Metal verankert, zielen die Songs stets auf maximale Atmosphäre ab und brechen gerne auch mit traditionellen Songstrukturen.

Diese werden natürlich trotz allem bedient, etwa in „Forlorn“, das dank seiner schweren Grooves leicht in Richtung Alternative Metal schielt. Treibende Grooves machen auch „The Tower“ aus. Richtig punkig wird es bei „Mercury“, richtig rockig dagegen bei „M-Body“, bei dem Jason Newsted (ex-METALLICA) mitgewirkt hat. Doch den Höhepunkt atmosphärischer Dichte erreichen VOIVOD mit „Bacteria“, das wie ein in Songform gegossener Weltuntergang klingt.

Und wie kann man ein derartig großes Album auch besser abschließen als mit einem Cover von KING CRIMSON. „21st Century Schizoid Man“ ist dabei dem Original treu nachempfunden und wirkt im Gegensatz zum Rest des Albums fast schon euphorisch. Die Surrealität des Originals ist zwar auf die Texte reduziert worden, aber so ist das nun mal bei Cover-Songs. Irgendetwas geht immer verloren, selbst bei den besten Neuinterpretationen. Rein musikalisch jedenfalls fügt sich die hier dargebotene Version gut ins Gesamtbild ein und beschließt ein beeindruckend bedrückendes Album.

Zurück in die Gegenwart

Seit „Phobos“ haben VOIVOD wieder viel erleben müssen. Die Wiedervereinigung mit Denis „Snake“ Belanger und der Einstieg von Jason „Jasonic“ Newsted hatte die Band wieder auf Kurs gebracht. 2005 mussten die Kanadier jedoch den vielleicht dramatischsten und schwersten Einschnitt in ihrer Laufbahn wegstecken: den Krebstod von Denis „Piggy“ D’Amour. Dessen Aufnahmen sind noch auf „Katorz“ und „Infini“ zu hören, bevor die Band mit „Target Earth“ schließlich wieder neues Material produzierte. Zu diesem Zeitpunkt hat sich das Besetzungskarussell wieder gedreht. Nicht nur stieß Daniel „Chewy“ Mongrain 2009 als neuer Gitarrist hinzu, sondern Jean-Yves „Blacky“ Thériault kehrte zurück und ersetzte Newsted am Bass, ehe er den Posten 2014 wieder räumen musste. Seit 2015 ist Dominique „Rocky“ Laroche am Viersaiter zu hören.

Und es ist interessant, zu hören, wie sich die Einflüsse D’Amours auch auf das Spiel von Mongrain ausgewirkt haben. Dessen Riffing, zuletzt auf „Post Society“ etwa, findet seine Spuren eben auch auf „Phobos“. Vor allem wenn man etwa den Titeltrack von „Post Society“ mit „Mercury“ vergleicht, findet man erstaunlich viele Parallelen zwischen den beiden. Dennoch bleibt „Phobos“ nicht nur ein historisches Dokument einer Band, die sich praktisch stets gewandelt hat bzw. wandeln musste, sondern auch als ein Klassiker des progressiven Thrash, der in jedes gut sortierte Plattenregal gehört.

15.05.2017

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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