Lustfinger
Punk's Not Dead - Interview mit Tom Fock
Interview
LUSTFINGER sind eine der ältesten Punkbands aus Deutschland und haben mit „Es gibt nichts zu bereuen“ ein bei metal.de eher zwiespältig aufgenommenes Album abgeliefert. Trotzdem, oder gerade deswegen, war es eine Freude mit Frontmann Tom Fock über das Album, LUSTFINGER, die Coronakrise und Punk im Allgemeinen zu plaudern. Der Mann entpuppt sich als grundsympathischer Gesprächspartner, der den Grundgedanken von Punk immer noch im Herzen führt und mit Begeisterung von ‚damals‘ erzählt.
Tom, Glückwunsch zur aktuellen Platte. Die ist ja nun schon ein Weilchen draußen, wie waren denn die Reaktionen bislang?
Die Reaktionen waren unterm Strich wie meistens gemischt, wobei ich aber sagen muss, dass sie überwiegend positiv waren. Die negativen Kritiken kamen logischerweise von den „Hardcore-Punks“, oder von denen, die meinen zu wissen was Punk ist, oder wie Punk zu klingen hat. Klar, es gibt sicher einen eindeutigen Sound das man sagen kann das ist Punk. Aber mal ehrlich, die Spannbreite was jetzt z.B. Punk ist, ist doch sehr breit geworden. Um z.B. die Großen mal zu nennen, TOTE HOSEN, ist das noch Punk? Für mich nicht wirklich. GREEN DAY? Für mich Pop-Punk. Ich bin mit den SEX PISTOLS, THE CLASH, den RAMONES und 999 groß geworden. Unterm Strich ist das doch Rock`n`Roll und durch die Texte, Optik und Einstellung wird dann Punk draus. Aber seit der Entstehung von Punk bis heute, haben sich daraus so viele verschiedene Richtungen und Sounds entwickelt. Heute klingen die „Punk-Bands“ doch ganz anders als 1977. Vor allem was und wer sich heute alles Punk nennt ist auch schon fraglich! Letztendlich ist es mir auch wurscht was die Leute von uns halten. Entweder gefällt es, oder nicht. Ich bin tief in meinem Herzen Punkrocker, egal was ich für Musik mache, wie ich rumlaufe. Ich bin mit Punk großgeworden, Punk hat mich geprägt und deshalb bleibt diese Musik ein Hauptbestandteil in meinem Leben. Hast Du unser Album davor mal gehört, „Wir wissen was wir wollen“? Das kam bei Punk-Fans sehr gut an. Aber das zeigt auch meine / unsere Spannbreite.
Wie lange habt ihr an dem Album gebastelt? Wie lief die Produktionsphase ab?
Insgesamt vom Schreiben der Songs bis zu Veröffentlichung sind eindreiviertel Jahre vergangen. Dazwischen gab es noch einen Rechtstreit mit unserem Verlag, was uns ziemlich ausgebremst hat. Die Produktionsphase lief dann so, dass ich dem Produzenten, der gleichzeitig auch unser Arrangeur war, die Songs geschickt habe und er die Songs dann überarbeitet hat. Da wir kostengünstig arbeiten mussten, haben wir dann immer dann aufgenommen, wenn der Produzent mal Zeit und eine Lücke in seinem Zeitplan hatte. Das war zwar kostengünstiger, hat aber auch seine Zeit gekostet. Dazu noch die Zeit für Chöre, mischen, mastern, Promotion vorbereiten. Aber alles lief rund und easy.
Ich finde, dass das Album zwei Gesichter hat. Einmal das Punkige, dass Songs wie den Opener oder „Bumsilaki“ zeigt und eines, welches geprägt ist von Tralala-Punk der Marke neue TOTE HOSEN (verzeih mir bitte die Wortwahl). Wie geht das zusammen?
Jetzt muss ich ein bisschen ausholen. Ich persönlich orientiere mich nicht an den HOSEN oder sonstigen deutschen Bands. Wenn, dann habe ich mich immer mit britischen Bands identifiziert. Was nicht heißt, dass auch deutsche Punk-Bands, oder auch die Hosen früher mal für meinen Geschmack gute Platten gemacht haben. Was bei mir auch eine ganz große Rolle spielt, ist mein extrem breiter Musikgeschmack. Ich höre bis auf deutschen Rap alles. Selbst Schlager aus den 60 und 70 teilweise 80 finde ich gut. Gerade aus den 60 und 70 waren die Arrangements echt klasse. Ich gehe aber auch auf Metal, Rock, Punk, Pop usw. Konzerte. All das spiegelt sich in irgendeiner Weise immer in meiner Musik wieder und beeinflusst mich sicherlich auch. Warum klingt nun das Album „Es gibt nichts zu bereuen“ wie es ist?
Man entwickelt sich immer weiter, wird besser, der Horizont erweitert sich, dass alles hebt auch die Qualität und spiegelt sich im Spielen und im Komponieren wieder. Unsere erfolgreichsten Alben waren „Alles Im Griff“ und „Keine Gnade für Jesse James“. Beide Alben auf gutem Niveau produziert und gespielt. Verantwortlich dafür waren auch professionelle Produzenten und Tontechniker und dementsprechende Studios. Das wollte ich wiederholen und ich wollte auch einfach ein paar Songs machen, die man eventuell im Radio spielen kann. Songs die mir Spaß machen, die ich gut finde und wertig genug sind auf eine CD zu kommen. Durch einen Zufall bin dann vor einigen Jahren mit Jörg ‚Warthy‘ Wartmann in Verbindung gekommen und ich habe ihn gefragt, ob er nicht einen Song von der CD „Zündstoff“ radiotauglich machen möchte. Das Ergebnis hat mich erst einmal erschreckt, denn ein Song der ein Tempo von 180 hatte und dann auf 120 läuft erschreckt einen. Doch was er letztendlich aus dem Song gemacht hat, hat mich überzeugt und dazu bewegt ihn zu fragen, ob er nicht das nächste Album produzieren möchte. Ein Grund dafür war auch, dass wir damals viele positive Resonanzen auf das Album „Zündstoff“ bekamen. Aber die Radiostationen meinten, gute Songs aber zu hart, können wir nicht spielen. Ein weiterer Gedanke war auch, Songs zu schreiben, die eventuell auch die Masse anspricht und wir wieder mehr zum live spielen kommen und natürlich mehr verkaufen. Songs wie „Unser Weg“ oder „Niemals vergessen“ mögen mehr Rock sein als sie mit Punk was zu tun haben, aber ich finde sie geil und….sie haben ein wenig dazu beigetragen, dass mehr auf uns aufmerksam geworden sind. Ich sehe auch alles nicht mehr so eng und ich möchte einfach das machen, was ich will. Jeder kann für sich entscheiden, ob es ihm gefällt oder nicht. Der Zwiespalt für mich und dabei ist, dass LUSTFINGER immer mit Punk in Verbindung gebracht wird und somit dürfte ich nach Ansicht anderer nichts anderes mehr machen, weil sie nichts anderes erwarten, oder LUSTFINGER auch nicht anders klingen darf. Klar, wenn einer LUSTFINGER auflegt und was ganz anderes erwartet, der wird und kann durchaus enttäuscht sein, oder gar verärgert. Egal.Ich freue mich auf die neue CD, die ich wieder mit Warthy Wartmann zusammen machen werde und mal schauen, was sich dann auf der CD finden wird.
Danke für die Erklärung. Ich persönlich finde es auch cooler, wenn man sich musikalisch breiter aufstellt. Ich beispielsweise höre auch (fast) alles. Momentan, neben Metal natürlich, sehr gerne die DEAD KENNEDYS und Blues. Bist Du eigentlich alleiniger Songwriter in der Band?
Ich schreibe was die Musik betrifft fast alles selbst, bis auf wenige Ausnahmen. Was Texte betrifft hole ich mir gerne Leute von außen, dafür gibt es folgende Gründe. Ich habe früher oft Texte geschrieben und wenn man da im Fluss ist, geht einem das irgendwie leicht von der Hand. Bist Du aber irgendwann für längere Zeit draußen, fällt es einem schwer. So zumindest geht es mir. Für mich ist es auch mittlerweile schwierig neue Themen zu finden, oder die Themen die man schon einmal angesprochen hat, neu zu interpretieren. Deshalb ist es dann ganz gut, Leute von außen zu holen und mitwirken zu lassen.
Ich selbst habe LUSTFINGER nie wirklich als Punkband wahrgenommen, sondern, wie Du schon gesagt hast, eher als Rockband. Würdest Du sagen, dass die Einordnung als Punkband daher rührt, dass ihr früher musikalisch nicht so fit an den Instrumenten gewesen seid?
(Lacht) Na ja, so hat man eben angefangen, als der Punk aufkam. Man konnte sehr wenig am Instrument und das war ja das Schöne dran, dass man einfach anfangen konnte und sich Punk-Band schimpfen konnte. Wobei wir ja auch wirklich Fans vom Punk und selbst Punks waren und das vertreten haben so gut es ging. Wenn Du Dir die Scheiben „Never Mind The Bollocks“ von den SEX PISTOLS, THGE CLASH, THE STRANGLERS, STIFF LITTLE FINGERS oder auch die erste sensationelle Scheibe von U.K. SUBS „Another Kind Of Blues“ anhörst, dann waren da Profis am Werk! Leute die ihr Instrument beherrscht haben und davon waren wir weit entfernt.
Aber auf diese Perfektion kam es grundsätzlich in den ersten Jahren des Punk nicht unbedingt an. Trotzdem haben sich natürlich die Bands, die was drauf hatten letztendlich etabliert und sind erfolgreich geworden, teilweise bis heute. Ich muss auch immer lachen, wenn Leute behaupten die RAMONES das ist 08/15 Musik. Denen kann ich immer nur sagen, ok, dann versuch mal den Sound und den Groove so hinzubekommen. Blöder Vergleich, ist aber so, AC/DC klingt so einfach, aber das was Malcom. Ruud und Williams als Groove / Rhythmus-Teppich machen, dass musst Du erst einmal so hinkriegen. Allein, dass ein einfaches Zack -Bumm-Zack-Bumm am Schlagzeug so groovt gehört was dazu. Naja und wie schon mal gesagt, man wird eben im Laufe der Jahre besser, lässt sich wenn man dafür offen ist von vielem beeinflussen und inspirieren und somit sage ich, LUSTFINGER ist heute Punk`n`Roll und nicht mehr unbedingt die 3 Akkord-Punk-Band.
Wie autobiografisch sind Songs wie „Bumsilaki“ oder „Auf dem Damenklo“? Hast Du sowas schon erlebt, oder erfindest Du solche Lyrics?
Also, der Boss und Mentor meines Labels sagte schon vor Jahren ich muss ein Buch schreiben über das was ich alles erlebt habe. „Damenklo“, Sex, Drugs & Rock`n`Roll alles auf dem Klo gehabt. War schön, lustig und aufregend! „Bumsilaki“, wer hatte denn noch keinen Urlaubsflirt? Somit ist in diesen Texten immer eine gewisse Realität mit drin.
Lass uns mal über Liveaktivitäten reden. Wie wichtig sind Gigs für euch? Schränkt euch die derzeitige Situation mit Corona da extrem ein, oder seid ihr alle anderweitig berufstätig, sodass ihr auf das Geld aus Touren nicht angewiesen seid?
Wir wissen nun alle was abgeht und all unsere Konzerte, incl. Tournee mit Marky Ramone und QUEERS, sowie unsere eigenen Sachen sind im Moment abgesagt. Die Pressekonferenz vom RKI verspricht nichts Gutes. Grund auch, weil viele Leute bis heute nicht kapiert haben auf was es ankommt. Soziale Kontakte und Ansammlungen von Menschen meiden. Wo bleibt die Solidarität unter uns? Es ist zum Kotzen wie sich diese Gesellschaft entwickelt hat. Müssen tatsächlich Ausgangssperren verhängt werden? Heute um 19:20 Uhr spricht Mutti nochmal zur Bevölkerung, ich bin gespannt. Konzerte sind die einzige Einnahmequelle die es noch gibt im Business. Keiner kauft mehr CDs und das Geschäft mit Downloads kannste knicken und vergessen. Somit werden es für ein paar in der Band die von Musik leben, egal ob sie Unterricht machen, oder bei anderen auch noch live spielen, keine schönen Monate werden. Ich hoffe und vielleicht beruhigt sich die Lage bis Juni, dann hätten wir die Chance doch noch die Konzerte zu die ab Juli stattfinden sollten zu spielen.
Ja, das hoffe ich auch. Wie hast Du eigentlich die Geburt des Punk mitbekommen?
Eigentlich von Anfang an! Also 1976 ging es ja sozusagen los und wir kannten die ersten Songs der SEX PISTOLS und anderer Bands und hatten auch deren Singles. Wir waren gespannt wie sich das entwickelt und fanden es cool, dass die so rebellieren und wie sie rumliefen. Wir waren im Laufe der nächsten Jahre sehr oft in London. Dezember um genauer zu sein war es Weihnachten 1977 als wir bei unserem ersten Sänger (Wacky) im Partykeller nach der Bescherung und Weihnachtsgans mit den Eltern trafen. Der erste Drummer (Dutto) kam mit einem Schwung Schallplatten die er sich von seinen Eltern gewünscht hat. Darunter das erste Studioalbum der SEX PISTOLS „Never Mind The Bollocks“. Zu dem Zeitpunkt waren wir schon ziemlich vom Punk infiziert, hatten uns aber noch nicht richtig getraut es z.B. optisch auszudrücken. Aber an diesem Abend hat es uns dann alle richtig gepackt, da die Platte fast den ganzen Abend rauf und runter lief. Seit dem Abend waren wir elektrisiert und haben uns das nächste Sakko vom Vater organisiert was er nicht mehr brauchte und haben Sicherheitsnadel und Buttons dran gemacht. Später wurde es dann natürlich immer stylischer.
War es bei dir auch der Überdruss an progressiven, respektive den großen Hard Rock Bands wie LED ZEPPELIN, BLACK SABBATH oder DEEP PURPLE der dich zum Punk geführt hat?
Ich bin, denke ich, in der geilsten Zeit aufgewachsen was alleine Musik betrifft. Dazu zählt für mich der Zeitraum Ende der 60, dann 70, 80 und vielleicht noch Anfang 90. Aber 70 und 80 war schon extrem prägend für mich. Dazu kommt, dass ich einen 7 Jahre älteren Bruder habe, der auf Rock usw. steht. Ich bin somit mit Hardrock, Rock, Glam-Rock. Pop, Schlager usw. aus der besten Zeit aufgewachsen und habe es in frühen Jahren unter anderem über meinen Bruder hautnah mitbekommen. Wir fanden auch jede neue Musikrichtung mehr oder weniger immer richtig klasse und haben uns auch für Glam Rock total begeistert. THE SWEET, SLADE, MUD, SUZIE QUATRO, usw. was für geile Bands! Damals ganz wichtig auch der Beat Cub und Disco im Fernsehen. Auch die späteren Sendungen wie Szene79, Rock-Pop, Rockpalast usw.
Überdruss war es bei mir sicher nicht. Aber, wenn etwas so gewaltig daherkommt und Dich auf einmal aus deinem im ruhigen Fluss dahintreibendes, langweilige jugendliche Leben reißt, für Aufruhr, Aufsehen und Rummel sorgt, so rebellisch ist, dann ist man als jugendlicher mit 16, 17 schnell dafür zu begeistern. So war es mit Punk eben. Die Fuck Off-, No Future- und Anarchy-Einstellung und vor allem die Musik, der Sound hat uns gepackt. Da blieb eher mein Bruder auf der Strecke, der damit nichts anfangen konnte.
Wie sehr hat sich Punk im Laufe der Jahre verändert? Ihr selbst seid ja schon seit 40 Jahren dabei, wenn ich nicht irre.
Jep, 2021 ist es soweit, dann gibt es die Band unglaubliche 40 Jahre! Als sich LUSTFINGER 1981 gegründet hat, war der Ur-Punk am abklingen vor allem in England. In Deutschland hingegen war der ursprüngliche Punk noch in einer wenn auch leichten Hochphase. Vor allem aber der Deutsch-Punk war total angesagt. In England kamen und wurden immer mehr verschiedene Arten des Punk bzw. der Punk-Musik erfunden und der Punk war da auch schon durch die Musikindustrie für den Mainstream entdeckt und vermarktet worden. Das war ja wie bei der Neuen Deutschen Welle. Alles was deutsch gesungen hat, war auf einmal NDW und wurde unter Vertrag genommen. Oder deutsche Bands die englisch gesungen haben, sangen auf einmal deutsch um einen Deal zu bekommen. Bei den „Punk-Bands“ für den Mainstream hat man die Optik angepasst, es leicht wilder gemacht und fertig. Was haben z.B. Boomtown Rats mit Punk zu tun? Für mich nichts. BLONDIE finde ich mega, aber BLONDIE als Punk zu bezeichnen?
Ja, es gibt den Background wie bei BILLY IDOL oder auch BLONDIE, aber die Musik ist Rock oder Pop-Rock und die Aussagen der Songs haben nichts mit der eigentlich Aussage des Punk zu tun. Der richtige Punk hat sich im Laufe der Jahre auch rasant verändert. Waren Ende der 70 Bands wie STRANGLERS, 999, PISTOLS, THE CLASH, THE DAMNED usw. angesagt und prägend für den Punk, waren es Anfang der 80 Bands wie DISCHARGE, G.B.H., THE EXPLOITED, BAD BRAINS was dann unter dem Begriff Hardcore lief. Es waren zu diesem Zeitpunkt schon viele verschiedene Richtungen am Laufen. Post-Punk, Garagen-Punk, Fun-Punk, New Wave usw. Das hat die Punkszene auch gespalten und es bildeten sich für jede Richtung eigene Fangruppen. Punk in Deutschland ist bis heute wie ein Kurs an der Börse, mal lief es gut, mal schlechter. Punk wurde x-Mal totgesagt und immer wieder gab es ein Hoch. Im Moment finde ich gibt es gerade wieder ein Tief. Bei Festivals hast Du eventuell noch genug Zuschauer. Oder auch die ganz bekannten älteren Bands haben noch einen einigermaßen guten Zuschauerschnitt. Ich rede hier nicht von den Hosen! Heute musst Du schauen, dass Du 3-4 gute Bands an den Start kriegst um ein Konzert zu machen zu dem dann 300 Leute kommen wenn es gut läuft. So sehe ich die Lage im Moment. Aber nach wie vor zählt: PUNK‘S NOT DEAD.
In den 90ern gab es eine Explosion von schwedischen und amerikanischen Bands wie GREEN DAY, LAGWAGON, NO FUN AT ALL oder MILLENCOLIN, die sich ihren Platz neben Größen wie BAD RELGION oder NOFX sicherten. Punk war auf einmal wieder en vogue und fand sogar in den Charts statt. Hat der deutschsprachige Punk davon auch profitieren können?
Alles was Du aufgezählt hast ist ein Gemisch aus Mainstream und Rock mit Punk-Attitüden, härterer Rock, Hardcore usw. Was jetzt aber nicht heißen soll, dass es schlecht ist oder keine Berechtigung hätte. Ich selbst finde die erste Scheibe von GREEN DAY gut. Ich liebe BLINK 182, MILLENCOLIN aber letztendlich hat das nichts mehr mit dem ursprünglichen Punk zu tun. Deutsche Bands hat das in dem Sinne beeinflusst, dass es deutsche Bands gibt, die in diesem Style spielen, die Musik für sich 1:1 adaptiert oder angepasst haben, so wie wir die Bands der Anfangstage von Punk versucht haben zu kopieren. Profitieren kann jede Band davon, wenn ihre Musik, also ihr Style, ihre Art der Musik von anderen Bands in die Charts kommt und vom Mainstream angenommen wird. Dann kannst Du sagen wir spielen ähnlich wie Green Day usw. und schon wird es eventuell für den ein oder anderen interessant da mal rein zuhören, oder zu einem Konzert zu gehen. Wenn solche Bands wie Blink182 oder Green Day so präsent in den Charts und im TV sind, kann das sicher eine Auswirkung haben.
Aber, dann musst Du sagen was Du unter deutschsprachigen Punk verstehst? Wenn das eine deutsche Band ist die zu diesem Zeitpunkt auftaucht und aktuell ist und wie gesagt, die in diesem Style spielt und dementsprechend präsentiert wird, kann das der Band einen gewissen Schub geben. Deutschsprachigen Bands wie uns, oder z.B. Normahl hilft es nicht viel oder gar nicht, wenn Green Day oder Blink182 auf Platz 1 der Charts sind. Und all die aufgezählten Bands, sind in meinen Augen keine wirklichen Punk-Bands. Sie verkörpern eine musikalisch weiterentwickelte und andere Form dessen, was Punk mal ursprünglich war, wenn man das überhaupt damit vergleichen und so sagen kann.
Tja, da könnte man sicherlich trefflich drüber diskutieren, was Punk ist und was nicht. Für mich ist Punk schon immer eng mit politischem Bewusstsein zusammenhängend gewesen, wie beispielsweise bei SLIME oder den von dir erwähnten NORMAHL der Fall war/ist. Obgleich ist auch Bands wie die HANNEN ALKS mag, die aber mit Politik nix am Hut haben.
Man hat irgendwann alles möglich in den Topf der ‚Punk‘ hieß geschmissen und umgerührt. Ob das dann eben Punk war oder nicht, musste jeder für sich entscheiden. Da ging es englischen Bands auch nicht anders. Na klar war Punk für mich auch politisch und wenn Du unsere Scheiben genau anhörst hatten wir auch immer wieder Songs, die gegen die Politik, Polizeistaat usw. sind. „Euch gehört die Macht“, „Es reicht“, „Alles Lüge“, „Gier“, „Zündstoff“, usw. Trotzdem geht es in unseren Texte auch um Liebe, Sehnsucht, Fernweh, Spaß, Witz usw. Die Freiheit nehme ich mir. Nur Texte gegen alles und jeden, das ist mir auf Dauer auch zu fad.
Was hat sich denn für dich persönlich in 40 Jahren LUSTFINGER verändert? Bist du gemäßigter geworden oder immer noch ein Rebell gegen das System?
Ich muss schmunzeln. Früher, oder wenn man jung ist, ist man im Normalfall doch immer automatisch irgendwie rebellisch, oder? Ist man das nicht, finde ich, stimmt was nicht. Obwohl, wenn ich mir den Großteil der heutigen Jugend anschaue, glaube ich nicht das die noch rebellisch sind. Hauptsache das neue Apple Handy kommt bald raus. Die haben heute eher materialistische Probleme. Aber da werden sie auch rebellisch wenn sie was nicht kriegen. Also auch eine Art von Rebellion.
OK, was hat sich geändert? Ich laufe nicht mehr mit Nietenlederjacke rum, oder sonstigen Klamotten die mich eindeutig zuordnen lassen. Ich würde mich darin in dem Alter auch nicht mehr wohlfühlen und eher lächerlich vorkommen. Das macht man nun etwas dezenter und ich kenne auch keinen richtig alten Punkrocker oder Musiker der heute noch so rumläuft wie in seiner Jugend. Ich trage noch Bandshirts und die die Lederjacke hat keine Nieten mehr, aber vielleicht noch einen Button. Na ja, wenn Du unsere allerersten Texte anschaust „Bullen verpisst euch, keiner vermisst euch“ dann waren das schon platte Texte, aber eben für uns und die Zeit ok. Heute könnte ich das weder texten noch singen. Man entwickelt sich im Normalfall weiter und über die Sachen von früher kann ich heute teilweise auch schmunzeln.
Ich werde 58, ich muss sagen zumindest von mir, man wird automatisch gemäßigter und auch müder. Ich bin immer noch gegen vieles was die Politik veranstaltet, oder was auf der ganzen Welt passiert. Aber man sieht mittlerweile vieles differenzierter. In meinen Herz und meinem Kopf bin ich bis heute rebellisch geblieben! Die Rebellion in mir wird aber auch schon mal von der melancholischen Seite überrollt, was es früher nicht gab. Letztens hörte ich von THE CLASH den Song „Straight To Hell“. Musste ich bei der Hälfte ausmachen. Flashback bekommen und da war sie, die Melancholie. Und in dieser Melancholie kann ich auch durchaus wieder innerlich rebellisch werden. Auf der Bühne bin ich zumindest noch so wild und rebellisch wie es geht und gebe alles. Unterm Strich, ja ich bin etwas ruhiger geworden, aber das Feuer von einst brennt immer noch in mir, auch wenn die Flamme etwas kleiner geworden ist, sie wird niemals ausgehen!
Ich danke Dir schon einmal für ein tolles Gespräch, Tom. Wünsche dir und der Band alles Gute für die Zukunft und vielleicht reden wir zum nächsten Album wieder miteinander. Die letzten Worte gehören dir, wenn du noch etwas sagen magst.
Colin, ich danke Dir für das Interview. Würde mich freuen wenn wir uns zum neuen Album wieder sprechen. Das wird leider erst 2021 kommen wegen Corona. Aber bis dahin wollen wir 4 Singles und Videos veröffentlichen. In der jetzigen Zeit bleibt uns nichts anderes übrig.
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