Cradle Of Filth - Total Fucking Darkness Re-Release

Review

Ein Blick zurück ist immer interessant. Wie klang eine Band vor zig Jahren, wie sehr hat sie sich verändert? Gerade wenn die Entwicklungsschritte mächtig sind, wirkt ein Demo-Tape noch spannender. CRADLE OF FILTH sind eine Art Inbegriff von kritisch beäugter Entwicklung. Wer auf den aktuellen Output der Briten steht und die alten Sachen nicht kennt, wird kaum glauben, dass es sich um die gleiche schmutzige Wiege handelt. Freunde der frühen Kost kommen oft nicht mit den späteren Alben klar. Kommerzrufe sind hier mindestens so schrill wie Dani’s hohe Töne. True? CRADLE OF FILTH doch nicht! Was würden all die Laberbacken dann erst sagen, wenn man die Truppe mit Metal-Panzern wie CANNIBAL CORPSE und DYING FETUS vergleicht? Ach übrigens: Auf ihrem dritten Tape „Total Fucking Darkness“ (wie schon auf den Demos davor) klingt Front-Pinsel Dani Filth ab und an wie John Gallagher und manche Riffs erinnern an die bekanntesten Kannibalen im Death Metal. Hanebüchen! Blasphemie! Das ist ja so, als würde man CRADLE OF FILTH zum Black Metal zählen!

Der Eröffnungssong stellt schon ein erstes Highlight dar. „Spattered In Faeces“ (ein Extra der Neuauflage) ist ein „Goetia“-Song, der überlebt hat. „Goetia“, das sollte das erste Album sein, doch nach der Aufnahme kam es nie zur Veröffentlichung; angeblich, weil Rechnungen unbezahlt blieben. Der kommerzielle Beigeschmack war also schon früh vorhanden. Spaß beiseite. Die Nummer platziert Elemente, die sich als Band-Trademarks etablieren sollen (Keyboardklänge, Kreischen bis zum Kreislaufkollaps, königliche Kakofonie), neben todeswalzendes Riffing, wie es für die Frühfrühwerke typisch war. „The Black Goddess Rises“ knarzt sich, zuweilen richtig fies schleppend, als lupenreine Death-Metal-Nummer ins Gehör – anders als später auf dem Debüt. Stimmlich bewegt sich Dani Filth hier wahrlich in DYING-FETUS-Gefilden, das Grunzen klingt phasenweise sogar recht identisch zu alten Ergüssen der Brutalos. Die musikalische Härte wird aber erneut in bekannter CRADLE-Manier durch düster-romantische Interludien aufgeweicht. In dieselbe Kerbe schlägt auch „As Deep As Any Burial“, wobei die Gitarren jetzt fixer schreddern. Das Song-Ende wird von ruhigem, aber dunklem Tastengeklimper und Gothic-Atmosphäre beherrscht. Die Stimmung in „Unbridled At Dusk“ ist morbide. Generell offenbaren CRADLE OF FILTH hier schon ihre Vorliebe für ausgefeilte Songstrukturen, die sowohl beim Tempo als auch instrumental immens vielseitig sind. Rasantes Stakkato-Riffing, Solo-Spielerei, melodische Licks, Ruhephasen, Blastbeats, treibende Drumparts, Keyboard-Gequietsche, Growls, Kreischgesang – alles vorhanden. Das Intro zu „The Raping Of Faith“ ist zu spacig, ansonsten bündelt auch die Nummer alle genannten Stärken. „Fraternally Yours, 666“ beschließt den ursprünglichen Demo-Reigen als Piano- und Orgel-Outro.

Tracklist „Total Fucking Darkness“, 1993:

1. The Black Goddess Rises
2. Unbridled At Dusk
3. The Raping Of Faith
4. As Deep As Any Burial
5. Fraternally Yours, 666 (Outro)

Spieldauer: 23:54

Das ist doch mal ein Albumtitel, der es auf den Punkt bringt. Und der im starken Kontrast zu den eigentlichen und folgenden lyrischen Gebilden steht, die CRADLE OF FILTH erbauen. „Total Fucking Darkness“, damit ihr Bescheid wisst! Anfang November 1993. Ein Jahr vor dem Release des Erstlings „The Principle Of Evil Made Flesh“. Nach zwei Demos und einer Split-Veröffentlichung. „Total Fucking Darkness“ wurde legendär. Zeit also, das dritte Demo-Tape in neuer Auflage, aufgepeppt, mit neuem Artwork frisch auf den Markt zu bringen. Weil CRADLE OF FILTH so dermaßen kommerziell denken und vorgehen? Weil sie aufgrund von Status, Anerkennung, Kritik, Lob, Verachtung und vor allem ihrer Musik zu den bekanntesten Bands im extremen Metal zählen. Als Vinyl-Edition (die ersten 222 Kopien als Spezialausgabe mit limitiertem Booklet, Vorwort von Dani Filth und bislang ungesehenen Bandfotos) und CD kommt die Neuauflage in die Läden und Webshops. Aufgeplustert auf über 60 Minuten Spieldauer, aufgenommen im Turan Studio in Oxford mit einem Fachmann, der bereits mit EMPEROR, aber auch mit THIN LIZZY gearbeitet hat. Eine Mischung, die auf interessante Weise symbolisch erscheint, denn CRADLE OF FILTH bewegen sich wie kaum eine andere Band zwischen den Stühlen, begeistern/verärgern metallische Extremisten ebenso wie Symphonic- oder Gothic-Freunde.

„Devil Mayfair (Advocatus Diaboli)“ ist einer der bis zuletzt unveröffentlichten Songs, der sich gut zu den bereits beschriebenen Liedern gesellt, und auch die älteren Versionen der Demo-Tracks „The Black Goddess Rises“, „The Raping Of Faith“ und „Unbridled At Dusk“ sind 1992 entstanden. In einer Zeit, die mehr wie eine andere Ära erscheint. Vergleicht man allein die Promofotos von damals, zwischendurch und heute, muss man der Truppe eine schrille Entwicklung konstatieren. Traditionelles Corpsepaint und ursprüngliche Kleidung sind Farbspielen, die eher an Make-up erinnern, und ausgefallenen, ja zuweilen pompösen, Klamotten gewichen. Mit „Seance An Mandrake“ und „Hekate Enthroned“ haben es noch zwei reine Instrumental-Zwischenspiele, die eine angemessene Horror-Stimmung verbreiten, auf die Neupressung geschafft.

Ob man sich das Teil nun zulegen muss oder nicht, darf jeder ganz allein entscheiden. Fakt ist jedenfalls, dass man ein wichtiges Diskografie-Relikt auch weniger ansprechend neu verpacken kann. Für Fans der Band und Sammler sicherlich ein verführerisches Teil. Klammert man den „Muss ich besitzen“-Aspekt mal aus, bleibt die Frage nach der Rechtfertigung aber wie immer bestehen, auch wenn der „Goetia“-Überlebens-Song und alle anderen Überbleibsel schon ordentliche Schmankerl sind. Total Fucking Cradle.

23.05.2014
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