Dream Theater - A View From The Top Of The World

Review

Das New Yorker Traumtheater zu hassen ist heuer ja ein internationaler Volkssport geworden. Für diejenigen, die sich als Nichtmöger angesprochen fühlen, dürfte das Studium des vorliegenden, neuen Studioalbums „A View From The Top Of The World“ und damit einhergehend dessen hiesiger Besprechung relativ schnell und schmerzfrei über die Bühne gehen. Mit der neuen Platte klingen DREAM THEATER nun … naja, sie klingen so, wie DREAM THEATER nun mal klingen sollten: hinreichend eingängig auf der einen, angenehm verspielt auf der anderen Seite. Es ist von Beginn an alles da was der Hasser zu hassen liebt und – wichtiger – der Fan an den New Yorkern zu schätzen weiß. Damit dürfte sich die Sache für besagte Hasser schnell erledigt haben.

DREAM THEATER klingen (endlich wieder) wie sie selbst

Der Drive des Vorgängers „Distance Over Time“ scheint nun erst einmal verflüchtigt, als sei dieser einer aufgrund von „The Astonishing“ aufgestauten Energie entsprungen. Klar, Subtilität gehört nicht zu den Stärken der Herren LaBrie, Petrucci, Myung, Rudess und Mangini. Deshalb baut sich der Opener „The Alien“ auch nicht wirklich sonderlich dramatisch auf, sondern fällt mit allem, was er hat, mit der Tür ins Haus. Dazu gehören die klassischen Petrucci-Riffkaskaden, ein elegisch schmachtender Part mit leichtem AOR-Charakter, jede Menge Instrumental-Gefrickel und – natürlich – eine überlebensgroße Hook, die James LaBrie ziemlich solide mitnimmt. Wohlgemerkt nicht überragend, aber solide.

Wer „A View From The Top Of The World“ darüber hinaus treu bleibt, entdeckt darin weitere Perlen mit potentiellen Stammplätzen auf den künftigen Setlisten des Quintetts. Der erste folgt direkt auf den Fersen von „The Alien“, nennt sich „Answering The Call“ und ist in seiner Gesamtheit doch etwas bombastischer und fokussierter als sein Vorgänger. Ein weiterer Hochpunkt ist das stark nach RUSH klingende „Transcending Time“ – was gut eingesetzte Dur-Akkorde doch in einem Song ausmachen können. Der Abschließende, 20 Minuten schwere Titeltrack ist ein vielschichtiges, aber nicht überwältigend vertracktes Epos, das trotz seiner unübersichtlichen Spielzeit erstaunlich zugänglich geraten ist.

Allerdings scheint die Luft hier und da ein bisschen dünn geworden zu sein

Allerdings haben sich mit „Invisible Monster“ und „Sleeping Giant“ in der Mitte auch zwei Durchhänger auf die Trackliste geschlichen, die neben dem Rest der Trackliste fast wie aus einer Verlegenheit heraus entstanden klingen. Der Höhepunkt von „Insivible Monster“ ist definitiv der Instrumental-Part, der Rest klingt jedoch wie auf Autopilot geschaltet. Die Hook hat irgendwie eine forcierte Melodieführung, das Hauptthema soll vermutlich etwas Mysteriöses suggerieren (was auch in Teilen gelingt), wird kompositorisch jedoch nicht ausreichend erforscht und bleibt auf lange Sicht etwas farblos in der Luft hängen. „Sleeping Giant“ dagegen klingt zerfahren, fast ein bisschen beliebig, und mancher Takt- bzw. Rhythmuswechsel wird dem Song regelrecht aufgezwungen, was sämtlichen Dampf aus dem Stück raus nimmt.

So hundertprozentig in Topform sind sie also nicht, weshalb der Blick von der Spitze der Welt vielleicht wirklich mehr mit Bergsteigen als mit dem Selbstverständnis der New Yorker zu tun haben dürfte. „A View From The Top Of The World“ wird den Fans der Herren zweifelsohne munden – auch in seinen glanzloseren Momenten. Und wenn die Höhepunkte sitzen, kommt das alte Feeling wieder auf. Für Hasser wird sich selbstredend nichts ändern. Die dürften ohnehin schon nach dem Opener bedient sein. In dem Sinne leistet die neue DREAM THEATER-Platte wenig diplomatische Arbeit, um beide Fraktionen zusammen zu führen. Aber immerhin ist das Album auch alles andere als ein Affront gegen die Fanbasis, insofern geht die Platte schon schwer in Ordnung.

26.10.2021

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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