Blind Guardian
Interview mit Hansi Kürsch zum 25-jährigen Band-Jubiläum

Interview

Blind Guardian

Ohne Frage zählen BLIND GUARDIAN zu den erfolgreichsten Metalbands Deutschlands. Dabei feiert man in diesem Jahr das 25-jährige Band-Jubiläum und hat zu diesem Anlass auch die erste Best-Of-Kopplung veröffentlicht. Wir nutzten die Gunst der Stunde, unterhielten uns ausführlich mit Hansi Kürsch über den bandeigenen Perfektionismus und ließen 25 Jahre Bandgeschichte Revue passieren. Und obwohl der Sänger mit dieser Charakterisierung nur bedingt glücklich ist, bestätigt er mit seiner bodenständigen, freundlichen und dabei höchst eloquenten Art das „nette Jungs von nebenan“-Image wieder einmal aufs Trefflichste. Denn wenngleich man sich der eigenen Qualitäten und Erfolge bewusst ist, ist das im Hause BLIND GUARDIAN offensichtlich kein Grund, arrogant zu werden oder irgendwelche Starallüren zu entwickeln.

Hey Hansi, Gratulation zu eurem 25-jährigen Band-Jubiläum! Wie fühlt man sich denn so, wenn man erkennen muss, dass man nun auch zu den „Alten Herren“ der deutschen Metal-Szene gehört?

Genau so: alt! (lacht) Ich habe mir nie darüber Gedanken gemacht, aber wenn man dann auf einmal tatsächlich sieht, es sind 25 Jahre – mit den Jahren, die wir unter dem Namen LUCIFER’S HERITAGE verbracht haben, sind es 30 Jahre – dann wird man schon ein wenig sentimental und muss sich einfach eingestehen, dass man zum alten Eisen gehört. Ich merke das natürlich auch an anderen Sachen – man bewegt sich nicht mehr ganz so schnell, man ist ein bisschen ruhiger – aber das sind Kleinigkeiten.
Insgesamt sind wir immernoch mit der gleichen Spontanität und mit dem gleichen Enthusiasmus dabei und den Leuten, die vor der Bühne stehen, scheint es auch nichts auszumachen, dass wir ein bisschen älter geworden sind. Wir haben nach wie vor Fans von 14 aufwärts bis Mitte 40 da stehen und es gibt auch noch den einen oder anderen, der sogar noch älter ist. Von daher merkt man, Musik hält einen doch irgendwie jung.

Ihr habt ja auch nie dieses ultra-jugendliche Image gepflegt, wie man es jetzt beispielsweise aus der Punk-Ecke kennt.

Haben wir überhaupt ein Image gepflegt? Das ist so die Frage. Wenn überhaupt – das hab ich häufiger mal gelesen – dann als die „netten Jungs von nebenan“, wobei das auch nicht hundertprozentig zutreffend ist. Ich glaube, bei uns steht die Musik im Vordergrund und wenn die Musik im Vordergrund steht, ist das echt altersunabhängig. Man kann bei einigen Sachen, die wir gemacht haben, auch von zeitloser Musik sprechen. Klar, es ist alles Heavy Metal und für den einen oder anderen hat das dann immer einen staubigen Charakter, aber für die, die es mögen, ist ganz klar, dass wir eine zeitlose Band sind. Und die Songs, die Anfang der Neunziger gut gewesen sind, müssen 2012 auch nicht unbedingt schlechter sein.

Eine ganze Reihe zeitloser Songs habt ihr nun auf euer erstes Best-Of-Album, „Memories Of A Time To Come“, gepackt. Vermutlich ist es da aber wie bei jeder Band  – vor allem, wenn sie einen ähnlich starken Backkatalog hat wie ihr – so, dass jeder Fan ein paar Lieder hat, die er persönlich vermissen wird. Nach welchen Kriterien sucht man da überhaupt die Stücke aus?

Uns ging es ja genauso. Mir fehlen da auch ein paar Nummern, aber man muss logischerweise mit einem Kompromiss leben, sowohl im Zusammenspiel mit seinen Kollegen als auch in technischer Hinsicht. Sprich: Die Zeit, die einem gegeben ist, um so ein Album fertigzustellen, die bestimmt natürlich auch, wieviel Material drauf sein kann. Zudem bestimmt der Output selbst natürlich auch ein bisschen, wie die Struktur des Albums gestaltet werden muss. Bei uns war es jetzt so, dass wir von vorne herein die Idee hatten, einen organischen Flow zu kreieren, der die 25 Jahre zeitgerecht darstellt.
Wir wollten jedes Album irgendwo vertreten haben, aber es sollte nichts darunter leiden, dass es dann an einer Stelle auf dem Best-Of erscheint, an der es nicht die volle Wirkung erzielen kann. Deswegen mussten wir alles neu mixen, teilweise haben wir uns ja sogar dazu entschieden, Sachen neu aufzunehmen. Da kam es dann auch dazu, dass wir merkten, dass einige Songs eben mit anderen Songs – wie es bei einem normalen Studio-Album auch ist – besser harmonieren. Insofern sind selbst da noch Kompromisse nötig gewesen, um den Flow dann eben auch zu rechtfertigen. Eine Nummer wie „Fly“ zum Beispiel hätte einfach nicht so gut in dieses Album reingepasst wie „This Will Never End“.

Die eigentlich zur Verfügung stehende Spielzeit der beiden CDs habt ihr dabei nicht einmal vollständig ausgenutzt. Man hätte jetzt hergehen und einfach noch ein paar nicht neu abgemischte Sachen dazupacken können. Das wolltet ihr aber bewusst nicht tun.

Nee, das hätte diesem organischen Grundgedanken nicht entsprochen. Wir hätten automatisch dann mit soundtechnischen Kompromissen leben müssen und man hätte dann doch die unterschiedlichen Epochen festgestellt. Das, was wir da jetzt gemacht haben, hat uns ungefähr drei Monate lang beschäftigt. Wenn wir noch drei, vier Nummern mehr gemacht hätten, wäre das dementsprechend immer ein bisschen länger geworden. Wir sind da einfach an die Grenzen des für uns zeitlich möglichen gegangen.
Für die Fans wäre es natürlich schöner gewesen – und uns wäre es eigentlich auch lieber gewesen – wenn man die Spielzeit vollends aufgefüllt hätte. Aber wir wollten den Nummern, die auf dem Album dann vertreten sind, gerecht werden. Was man hätte machen können, ist, von vorne herein zu sagen, wir nehmen keine Nummern neu auf und konzentrieren uns nur auf Remixe. Dann hätten wir sicherlich die knapp 72 Minuten pro CD ausnutzen können, aber ob es dadurch dann besser geworden wäre? Keine Ahnung.

Ich fand es jedenfalls ziemlich cool, dass ihr die Sachen auch neu aufgenommen habt. „Valhalla“ fand ich einfach großartig, vor allem, weil Kai Hansen (GAMMA RAY, ex-HELLOWEEN) wieder dabei war.

Fanden wir auch. Das war für uns auch unbedingt notwendig, wenn wir schon so eine Retro-Nummer auf retro wieder aufnehmen, dass wir dann Kai wieder mit an Bord haben. Glücklicherweise hatte Kai da gerade auch Zeit und war sogar im Studio mit anderen Sachen zugange, so dass das ohne großartige Probleme funktioniert hat. Das war ein reiner Glückstreffer.

Man merkt dem Best-Of auch den euch eigenen Perfektionismus an. Die meisten Bands hätten da einfach mehr oder weniger willkürlich Lieder ausgewählt und auf ein Album geklatscht, während ihr die alle komplett neu abmischt. Und jetzt habe ich bei den ganzen alten Songs plötzlich Details entdeckt, von denen ich davor gar nicht wusste, dass sie überhaupt da sind.

Das ging uns auch so. Einige Sachen wussten wir, denn wenn ich mich jetzt meinetwegen auf eine Gesangsperformance auf der „Nightfall In Middle-Earth“ konzentriere, dann weiß ich schon, was ich damals gemacht habe, und bin logischerweise auch eher in der Lage, um Ecken zu denken. Aber einige Sachen sind doch in Vergessenheit geraten und da war ich jetzt auch ganz froh, dass man die wieder so zum Vorschein bringen konnte.

Insgesamt profitieren die Lieder in jedem Fall ziemlich deutlich. Was ich persönlich jedoch nicht gebraucht hätte, ist die Neuaufnahme vom „Bard’s Song“.

Von „In The Forest“ oder von „The Hobbit“?

Die neue Version von „The Hobbit“ ist super! Aber „In The Forest“ klingt mir irgendwie zu pompös und aufgeblasen.

Das war aber ganz bewusst so gemacht, weil wir uns damit einfach absetzen wollten. Wir haben das ja 2003 schon einmal in einer moderneren Version aufgenommen und hatten jetzt praktisch noch Aufnahmezeit von der EMI zugestanden bekommen, mit der wir überhaupt nicht gerechnet hatten. Eigentlich hatten wir schon alle Deadlines überschritten und bekamen auf einmal grünes Licht für weitere anderthalb Wochen, die wir mit Musik füllen konnten. Und da wir nicht mehr in die Mixe reingehen wollten oder konnten, haben wir gesagt, wir gehen noch einmal an den „Bard’s Song“ ran und versuchen mal was komplett anderes. Das muss nicht jedem gefallen, kann aber. Also ich bin ganz zufrieden mit der Aufnahme. Das ist wie mit den Mixen von den alten Nummern: Die Frage der Notwendigkeit stellt sich immer, aber wenn man Spaß daran hat, warum nicht?

Klar, das sowieso. Und man hat dadurch auch die Wahl zwischen verschiedenen Versionen. Mir gefällt halt das intimere der alten Aufnahmen besser als jetzt dieses etwas pompöse.

Das ist halt Geschmackssache. Ich finde die neue Version ein wenig näher an der Grundintention dran als unsere 2003er-Aufnahme. Und 1992 waren wir einfach noch nicht so weit. Deswegen ist es für mich jetzt ganz schön, das Lied auch mal in einer aktuelleren Form zu hören, die sich allerdings schon deutlich unterscheidet von den anderen beiden.

Sonst hätte man sie ja auch nicht gebraucht…

Aus meiner Sicht hätte man sie ansonsten wirklich nicht gebraucht, das war tatsächlich auch ein bisschen die Prämisse, um das überhaupt noch einmal zu machen. Die Zeit, die wir hatten, war limitiert, man hätte sicherlich da noch einmal an die Mixe gehen können, aber irgendwann muss man so ein Ding auch einfach loslassen.

Du hast gerade schon die EMI angesprochen. Was mich ein bisschen gewundert hat, ist, dass das Best-Of nicht bei Nuclear Blast, eurem eigentlichen aktuellen Label, erschienen ist.

Wir haben ja mehr als zehn Jahre lang über unseren Vertrag bei Virgin Records mit der EMI zusammengearbeitet. Die Rechte für das meiste von unserem alten Material liegt tatsächlich noch bei der EMI und es war auch eine EMI-Idee, überhaupt ein Best-Of zu machen. Nur sollte sich das dann auf unsere Virgin-Ära beziehen, was für uns sinnlos gewesen wäre, weil wir nicht unbedingt vorhaben, alle fünf oder sogar alle zwei Jahre eine Best-Of-Platte herauszubringen. Von daher war es für uns wichtig, die komplette Ära von BLIND GUARDIAN bis zum abschließenden fünfundzwanzigsten Jahr dann irgendwie berücksichtigt zu haben. Da gab es dann glücklicherweise auch ein „go“ von Nuclear Blast, so dass die Platte zwar bei der EMI erschienen ist, aber auch Nuclear-Blast-Material enthält und wir für die zukünftigen Platten immernoch bei Nuclear Blast unter Vertrag stehen.

 

Verstehe. Wenn wir nun aber schon euer Jubiläum feiern, müssen wir auch ein wenig auf die Bandgeschichte zurückblicken. Erinnerst du dich noch an eure Anfangstage, als ihr für euer Debütalbum („Battalions Of Fear“, 1988) im Studio standet?

Da kann ich mich recht gut dran erinnern. Ich kann mich auch noch an die Demo-Aufnahmen für LUCIFER’S HERITAGE erinnern. Bei den Aufnahmen zu „Battalions“ war es dann so, dass wir ein Zeitfenster von 20 Tagen hatten, was für die damaligen Verhältnisse schon extrem viel gewesen ist, so dass wir das natürlich auch als puren Luxus empfunden haben. Wir sind ins „Karo Studio“ nach Münster gegangen und waren eigentlich guter Dinge, dass wir die 20 Tage gar nicht komplett brauchen würden. Dem war natürlich nicht so. Wir sind dann schon drei oder vier Tage länger geblieben als wir eigentlich bleiben durften, was das Produktions-Budget etwas überstrapaziert hatte und für unsere damalige Plattenfirma wiederum ein bisschen kritisch war.
Kalle Trapp war für uns der absolute Produzenten-Guru, er hat uns echt supergeil durch die Produktion geführt. Aber wir mussten doch erkennen, dass wir auf dem Weg an die Spitze, was die Professionalität an unseren Instrumenten anging, noch einiges zu lernen hatten. Auf der anderen Seite hatten wir ein extremes Selbstvertrauen und waren echt felsenfest davon überzeugt, dass wir mit dem Album direkt zur absoluten Top-Spitze der Metal-Bands in Europa oder sogar der ganzen Welt aufsteigen würden. Für uns gab’s nix besseres! Und da hat man dann auch so gelebt. Wir waren zwar wirklich sehr fannah von Anfang an – und hatten von Anfang an auch Fans, das war ziemlich geil! – aber waren hundertprozentig davon überzeugt, dass wir recht schnell an die Spitze stoßen würden.
Im Studio selbst waren wir eigentlich vier Typen, die auf Klassenfahrt waren, wenn man so will. Ich hatte damals eine Lehrstelle anfangen müssen und musste morgens immer mit dem Zug von Münster nach Krefeld fahren. Das war damals noch eine extreme Tortur, weil da doch zwei oder drei Zugverbindungen nötig gewesen sind, so dass ich dann immer um 8 Uhr entweder im Betrieb oder in der Schule angekommen und während der Arbeitszeit immer eingeschlafen bin.

Was mir zu „Battalions Of Fear“ einfällt, ist, dass da mit dem Titeltrack quasi euer politischster Song überhaupt drauf ist.

Wir hatten zwischenzeitlich immer mal wieder Sachen, die politisch waren, aber „Battalions“ ist sicherlich von den Songs, die wir gemacht haben, im Bezug auf den Text der „punkigste“. Das war ein klares Statement, passte auch in die damalige Zeit, da muss ich mich auch nach wie vor nicht für verstecken. Aber hätte man auch besser machen können, wenn ich ehrlich bin.

Gut, das kann man… meistens, immer eigentlich…

Ja, kann man meistens immer, genau! (lacht) Aber damals war die textliche Ausrichtung eigentlich noch weniger klar als bei den späteren Alben, so dass wir da auch noch wesentlich unbefangener rangegangen sind. Und dann kommt auch mal ein politischer Text zustande. Wir hatten nachher immer mal wieder solche Ansätze. „Theatre Of Pain“ ist zum Beispiel ein Versuch, einen Song zu schreiben, der von der Zerstörung der Natur kundet. Es gab immer mal wieder diese Versuche, aber die sind meistens ignoriert oder überhaupt nicht wahrgenommen worden. Das war eigentlich bei allen Alben so, dass sich die Leute meistens immer nur auf die Fantasy-Themen gestürzt haben, was vielleicht auch besser zur Musik gepasst hat.

Ich glaube, ihr habt es halt textlich auch selten so offensichtlich auf den Punkt gebracht wie bei „Battalions“.

Ja, aber das ist ja bei den Fantasy-Sachen häufig auch so, dass die gar nicht so extrem auf den Punkt sind und auch gar nicht so – wie soll man sagen? – plastisch, sondern ein bisschen differenzierter. Und das ist den Leuten ja meistens auch nicht so aufgefallen.

Wir hatten vorher schon einmal kurz Kai Hansen erwähnt. Als es dann mit „Follow The Blind“ (1989) bei euch weiterging, dürfte er eine ziemlich wichtige Rolle gespielt haben. Wie kam der Kontakt zustande und wie war es dann, mit einer Szene-Berühmtheit wie Kai zusammenzuarbeiten?

Kai war für uns auf jeden Fall eine absolute Berühmtheit und aufgrund der davor erschienenen HELLOWEEN-Alben eines unserer großen Vorbilder. Der Kontakt kam zustande über Kalle Trapp. Kai hatte HELLOWEEN gerade verlassen, wir waren eben dabei, dieses Album aufzunehmen, und haben dann irgendwann in der Küche ein bisschen herumgeträumt, mit wem man gerne zusammenarbeiten würde. Und dann fiel bei uns der Name Kai Hansen und Kalle sagte: „Den kenn ich doch! Mit dem bin ich gut befreundet, den kann ich einladen. Wenn ihr den mal kennenlernen wollt, dann kommt der ins Studio.“
Und dann kam Kai ins Studio und wir waren dreist genug zu fragen, ob er nicht in „Hall Of The King“ ein Gitarren-Solo spielen wollte. Das hat er auch gemacht. Wir haben dann die anderen Songs durchgehört, „Valhalla“ hat ihm am besten gefallen und dann hat er sich selbst direkt angeboten, das Solo zu spielen und auch den Pre-Chorus zu singen, was für uns natürlich obergenial gewesen ist. Ich glaube auch, dass der Erfolg von „Follow The Blind“ zu großen Teilen darauf zurückzuführen ist, dass Kai auf dem Album für uns praktisch mit Promotion gemacht hat.

Solches Namedropping wird heutzutage vielerorts ja noch wesentlich exzessiver betrieben…

Ich muss auch sagen, dass es für uns nicht der erste Gedanke gewesen ist, damit ein Promo-Tool zu haben, sondern es stand tatsächlich die Kooperation an sich im Vordergrund. Es war für uns natürlich eine Art sehr früher Ritterschlag, dass eine Größe wie Kai Hansen mit uns Musik machte. Im zweiten Ansatz wurde uns dann klar, dass das natürlich auch für die Presse und für die Fans da draußen vielleicht ein Grund ist, sich dieses Album zuzulegen.

Den vielleicht größten Schritt eurer Karriere habt ihr aber mit „Tales From The Twilight World“ (1990) gemacht. Da klang alles noch eine ganze Ecke toller und reifer und die Scheibe gilt heute zurecht als der erste Klassiker in eurem Backkatalog. War euch damals schon klar, was ihr mit der Scheibe erreichen könnt?

Wir haben zumindest gewusst, dass wir mit der Scheibe einen Qualitätssprung gemacht hatten, jeder einzelne in der Band. Ich glaube, dass tatsächlich die Zusammenarbeit mit Kai da ein echter Motivationsschub gewesen ist. Aber auch unsere komplette mentale Ausrichtung damals war zum einen komplett darauf ausgelegt, dass wir uns noch mehr aufs Songwriting konzentrieren. Und für uns alle war zu dem Zeitpunkt klar, wir können als professionelle Musiker bestehen und haben wirklich das Potential, eine international erfolgreiche Band zu werden. Mit der „Follow The Blind“ war es so, dass wir Deutschland auf jeden Fall als Metal-Eck für uns erschlossen hatten, und in einigen anderen Ländern fingen die Fans an zu zucken. Man hatte erste Kontakte nach Japan und ins benachbarte europäische Ausland.
Und das alles war tatsächlich für uns der entscheidende Kick, nochmal 100 Prozent mehr in die Musik reinzugeben, als wir es vorher schon getan hatten. Wir hatten dann auch – was vielleicht auch ein Grund gewesen ist – zum ersten Mal mit unserem eigenen Studio-Equipment arbeiten können. Wir hatten uns damals eine Aufnahme-Maschine geholt, mit der wir sehr viel herumexperimentiert haben. Wir waren auch immernoch extrem tief in der Szene drin. Es gab eine Menge Musik, die uns beeinflusst hatte, von irgendwelchen amerikanischen Thrash-Bands über die alten Heroen bis hin zu nicht-metalstämmigen Sachen wie QUEEN zum Beispiel, die wieder eine Rolle gespielt haben. Das alles führte dazu, dass das Songwriting extrem einfach von der Hand ging und wir in relativ kurzer Zeit dieses Album fertig hatten. Wir waren uns auch schon relativ früh darüber bewusst, dass da nochmal ein Quantensprung vorgenommen worden ist im Vergleich zu dem, was wir davor gemacht hatten.

Den Nachfolger, „Somewhere Far Beyond“ (1992), halte ich für absolut großartig und liebe die Scheibe total, aber im Allgemeinen geht die Scheibe in eurer Diskographie fast ein wenig unter.

Das ging mir genauso. Für mich war die Scheibe nie besonders wichtig, wegen „Tales From The Twilight World“ und wegen den Alben nach der „Somewhere“, weil die einfach so übermächtig gewesen sind. Und das obwohl „Somewhere“ zum Beispiel unser erstes Nummer-Eins-Album gewesen ist. Das war eigentlich das Album, was in Japan für uns den absoluten Durchbruch bedeutet hatte. Das war auch das erste Mal, dass wir da dann touren durften. Und es beinhaltet den „Bard’s Song“. Also eigentlich alles Sachen, die für das Album sprechen. Aber ich hätte auch immer gesagt: Es ist ein gutes Album, da muss man sich nicht für verstecken, aber es steht in der Tradition von „Tales From The Twilight World“ und ich würde dieses erstmal als noch wichtiger und noch stärker bezeichnen. Wichtiger war „Tales“ – ich glaube schon, dass man das immernoch sagen kann – aber stärker ist eindeutig „Somewhere“. Das war mir lange nicht bewusst.

Als ich damals – das dürfte um 2000 herum gewesen sein – über einen Kumpel auf BLIND GUARDIAN (und dadurch überhaupt erst zur Metal-Szene) gekommen bin, war die „Somewhere“ das erste Album, das mich richtig überzeugt hat. Inzwischen halte ich zwar die „Imaginations From The Other Side“ für wesentlich besser, aber „Somewhere Far Beyond“ war für mich definitiv die Einstiegsdroge.

Ja, für Frederik (Ehmke, Drummer – Anm. d. Red.) auch. Das war auch ein Grund, warum wir auf die Best-Of jetzt schlussendlich drei Nummern von der „Somewhere“ draufgepackt haben. Klar, der „Bard’s Song“ ist relativ kurz und irgendwie kann man die beiden Teile auch als ein Stück bewerten. Aber Frederik meinte schon immer, es wäre auch sein Einstieg in BLIND GUARDIAN gewesen und für ihn wäre es immernoch die beste oder eine der besten Scheiben. Ich war da immer so ein bisschen befremdet, aber nachdem ich dann jetzt die Chance hatte, nochmal an den Sachen zu arbeiten, muss ich schon sagen, ich kann es verstehen.

Mit „Tokyo Tales“ (1993) habt ihr dann schon euer erste Live-Album herausgebracht. Japan muss für euch damals ein absoluter Kulturschock gewesen sein, oder?

Ja, absolut. André und ich sind im Juli 1992 erstmalig zwei Wochen lang in Japan auf Promo-Tour gewesen und das war der Mega-Kulturschock. Damals gab es eben noch nicht an jeder Ecke irgendwelche Sushi-Läden und überhaupt japanisch zu essen war etwas, was sich der Normal-Europäer nicht vorstellen konnte. Die ganze Mentalität, die ganze Hektik, das war so anders. Es gab niemanden, der in Japan Englisch sprechen konnte, außer den Leuten, die entweder für die Magazine oder für die Plattenfirmen gearbeitet haben. Man war in einer vollkommen anderen Welt und wenn man sich ein Bild machen will, wie es ungefähr gewesen ist, kann man sich den Film „Lost In Translation“ angucken. Der gibt eigentlich genau das wieder, was ich in den ersten fünf Jahren immer empfunden habe, wenn wir in Japan spielen durften. Das ist eigentlich so surrealistisch-abgefahren, dass man aus dem Schmunzeln und aus dem Staunen nicht mehr herauskommt.
Hinzu kam, dass ich aufgrund der ständigen Erdbewegungen dort die ersten fünf Jahre jede Nacht die brutalsten Alpträume hatte, die man sich vorstellen kann. Also wirklich mega-ultra-brutale Alpträume. Und die hab ich wirklich nur da gehabt und auch nur in dieser Phase, weil da die Eindrücke einfach so anders waren als irgendwo sonst auf diesem Planeten. Diese Zeit kann man nicht zurückholen. Es war wirklich so, dass man als Europäer noch ein absoluter Exot gewesen ist. Es gab wenig Tourismus. Klar, es gab die amerikanischen Soldaten, die dort rumgerannt sind, aber die haben immer schon eine Sonderstellung gehabt. Ansonsten gab es praktisch nur Musiker und Künstler, die überhaupt einmal den Trip nach Japan gewagt haben oder die Chance hatten, da hinzukommen. Und dementsprechend anders war alles.
Das hat sich dann in den darauffolgenden Jahren doch ein bisschen normalisiert und die letzten drei, vier Male, die wir da gewesen sind, war es immernoch besonders, aber doch schon westlicher orientiert. Spätestens nach der Fussball-Weltmeisterschaft (2002 in Japan und Südkorea – Anm. d. Red.) hat sich da dann doch etwas geändert und alles sich ein bisschen angenähert. Und mittlerweile kriegt man überall japanisches Essen, auch das ist dann dort nicht mehr so überraschend, obwohl immernoch überragend. Ja, es ist schon ganz besonders in Japan.

Gerade in den Neunzigern war Japan auch DIE Hochburg für europäische Power-Metal-Bands.

Das stimmt, aber wir hatten auch immer ein gutes Standing in Europa, deswegen war es für uns nur EIN Riesenmarkt, den wir gerne mitgenommen haben. Wir sind logischerweise den Japanern auch extrem dankbar. Aber für uns war es nicht so wichtig wie für andere Power-Metal-Bands, die praktisch ihr überleben dort sichern mussten.

 

Als ihr dann wieder zurück wart, habt ihr angefangen an „Imaginations From The Other Side“ (1995) zu arbeiten, das für viele Fans – mich eingeschlossen – im Grunde das perfekte BLIND-GUARDIAN-Album darstellt. Kannst du das nachvollziehen oder siehst du das ganz anders?

Ich kann das generell nachvollziehen, bei jedem Album, egal ob man jetzt vom letzten sprechen würde oder vom ersten. Wir haben uns ja auch immer die gleiche Mühe gegeben. Unsere Qualitäten haben sich verändert und unsere Einstellung zur Musik hat sich auch ständig verändert. Von daher ist klar, dass man mal mehr den Zahn der Zeit trifft, mal ein bisschen weniger. Alle Alben haben ihre ganz besonderen Reize, die beim einen oder anderen dann dazu führen, dass für denjenigen immer ein anderes Album das beste ist. Aber es scheint so, dass wir mit „Imaginations From The Other Side“ und „Nightfall In Middle-Earth“ den Zahn der Zeit extremst getroffen hatten und die Erwartungen unserer Fans auch zu 100 Prozent erfüllt hatten.
Ich denke mal, das ist ein Entwicklungsprozess. Qualitativ kann man in meinen Augen bei keinem von unseren Alben sagen, dass da irgendwie mal geschludert worden wäre oder dass da eine Handvoll an Fillern auf einem Album wäre. So ist keines unserer Alben angelegt. Bei „Imaginations“ war es eben auch genau wie bei der „Tales From The Twilight World“ dieser extreme Enthusiasmus, der da war. Wir waren eine etablierte Band, die an dem, was sie gemacht hat, extrem viel Spaß hatte, und wenn eben Bestätigung von außen kommt, dann investiert man gerne noch mehr Zeit. Wir haben eigentlich alle Zeit, die wir hatten, und unser komplettes Dasein der Musik verschrieben, wenn man so will. Und ich glaube, das hört man auf dem Album einfach. Wir waren sehr geschmackssicher und haben da die Gunst der Stunde genutzt.
Es gibt bestimmte magische Momente, die kann man nicht erzwingen, die sind einfach da. Ich merke das immer wieder bei unserem Songwriting, vieles ist grundsätzlich sehr solide Handarbeit und in bestimmten Momenten entzieht sich so ein Song oder eine ganze Songwriting-Phase der eigenen Kontrolle. Man ist praktisch auch nur noch ein Teil des Ganzen und das war bei der „Imaginations“, glaube ich, spürbar. Und das macht sie zu so einem besonderen Album. Auch der Wechsel von Hamburg nach Dänemark zu Flemming Rasmussen hatte bestimmt einen gewissen Einfluss, aber die Songs sind alle in Krefeld entstanden. Und von daher glaube ich, dass der Hauptgrund für die Klasse des Albums tatsächlich in der Band zu suchen ist.

Du sagst ja schon selbst, dass ihr noch nie halbgare Sachen gemacht habt. Das ist wohl auch der Perfektionismus, den man euch immer unterstellt und den ihr immer wieder aufs Neue bestätigt. Bei der „Imaginations“ sind aber im Aufnahmeprozess auch einige Sachen schiefgegangen. Ist euch da nicht sogar mal ein kompletter Refrain plötzlich verloren gegangen?

Ohja! Aber das hatten wir bei der „Nightfall In Middle-Earth“ auch. Das war bei „Mordred’s Song“. Da ist dann im Mix – damals hat man ja noch auf Bändern gearbeitet – das Hauptband gerissen. Glücklicherweise war das an einer Stelle, wo sich ein Refrain befand, so dass man das Band wieder fixieren und dann an dieser einen Stelle einen anderen Refrain einschneiden konnte. Wenn das in einer anderen Passage passiert wäre, wäre „Mordred’s Song“ nicht auf dem Album gelandet und wir hätten uns wahrscheinlich geärgert. Und dann wäre vielleicht alles anders gewesen, weil „Mordred’s Song“ ist nicht so unwichtig für die Platte.
Aber ansonsten ist bei der Platte fast alles reibungslos gelaufen. André (Olbrich, Gitarrist – Anm. d. Red.) hatte sich zwischenzeitlich einen Nerv im Ellenbogen eingeklemmt, was dazu führte, dass die Spielhand nicht mehr funktioniert hatte. Und das führte dazu, dass wir die Produktion unterbrechen und noch einmal nach Deutschland zurück mussten. In der Zwischenzeit haben wir dann aber „Bright Eyes“ fertiggestellt, was im Nachhinein für uns von Vorteil gewesen ist. Es war während der Produktion echt schlimm zu sehen, wie André eben immer größere Probleme hatte, die Sachen zu spielen. Man denkt dann natürlich erstmal, dass derjenige – also egal wer – gerade ein kleines psychisches Tief hat, was in diesem Fall nicht so gewesen ist, sondern es gab tatsächlich eben ein Problem im Arm.
André ist dann operiert worden und eine Zeitlang war nicht ganz klar, ob die Operation erfolgreich gewesen war. Es stellte sich zwar ziemlich schnell raus, dass er wieder hundertprozentig einsatzfähig werden würde, zu dem Zeitpunkt war es aber wirklich nicht klar, ob er in der Band bleiben könnte oder nicht. Es hätte alles auch anders laufen können. Das war also eine Sache, die noch schief gelaufen ist. Ansonsten gab es an und für sich die gleichen Probleme, die man bei jeder Platte hatte, aber die Arbeit mit Flemming hat einfach so viel Spaß gemacht. Wir waren wie gesagt so enthusiastisch damals, dass wir uns von den ganzen Sachen eigentlich überhaupt nicht beirren haben lassen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass an irgendeinem Punkt irgendwer mal skeptisch gewesen wäre, dass die Sache nicht gut ausgehen würde.
Das war bei der „Tales From The Twilight World“ übrigens ähnlich. Da hatten wir auch die Schlagzeugaufnahmen beendet und Thomen (Stauch, ex-Drummer – Anm. d. Red.) hatte schon im Vorfeld immer Blut gespuckt. Er ist dann direkt nach dem Ende der Schlagzeugaufnahmen nach Krefeld zurückgefahren, hat sich von einem Lungenarzt untersuchen lassen und musste dann auch an der Lunge operiert werden. Da gab es praktisch auch eine Parallele zur „Imaginations“, dass wir eine ganze Weile nicht wussten, ob Thomen in der Band bleiben könnte. Er musste immerhin zwei Monate im Krankenhaus bleiben und wir mussten dadurch eine Tour canceln. Das waren schon aufregende Zeiten, aber eigentlich immer überdeckt von dieser extremen Euphorie.

Es zeichnet eine erfolgreiche Band wohl auch aus, sich von solchen Rückschlägen nicht beirren zu lassen, sondern daraus immer auch gestärkt hervorzugehen.

Wir hatten bis jetzt aber immer auch ein glückliches Händchen, wir hatten immer das Happy-End auf unserer Seite. Wenn man da früh irgendwelche Knüppel zwischen die Beine geworfen bekommt, wenn man ein Bandmitglied so verliert – da gibt es ja genügend andere Beispiele – kann einem das auch den Boden unter den Füßen wegziehen und dann hätte auch alles anders laufen können. Es ist wie bei jeder anderen Band auch, es ist immer so eine Kombination aus Können, Glück und Durchhaltevermögen.

Als nächstes habt ihr mit „Nightfall In Middle-Earth“ (1998) ein Konzeptalbum über J. R. R. Tolkiens „Silmarillion“ gemacht. Worin liegt für dich persönlich der besondere Reiz von Tolkien und seinen Büchern? Was macht die so viel spannender für so ein Konzeptalbum als beispielsweise Stephen King, über dessen Bücher du ja auch schon viele Liedtexte geschrieben hast?

Gerade Stephen Kings „The Dark Tower“ wäre eigentlich auch konzeptionell eine schöne Sache. Das könnte man genauso angehen, da würde ich gar keine großen Unterschiede sehen. Es sprach damals praktisch bloß die Musik eher eine Tolkien-Sprache als eine Stephen-King-Sprache. Das wäre bei mir generell der Hauptgrund, an Tolkien-Themen heranzugehen. Wenn man eine musikalische Vorlage hat, die schon stark in diese Richtung tendiert, liegt es auf der Hand, auch in solche Themen abzudriften. Es war bei der „Nightfall“ relativ früh absehbar, dass es in diese Richtung gehen würde. Ich hatte auch noch ein keltisches Konzept in Richtung der Arthus-Sage und ein germanisches Konzept in Richtung der Rheingold-Sage. Aber wir haben uns relativ schnell für die Tolkien-Geschichte entschieden. Tolkien kann sehr komplex sein und kann auch sehr differenziert betrachtet werden. Man ist da nicht so sehr ans Storytelling gebunden, das finde ich persönlich sehr wichtig. Man kann im Grunde genommen ein bisschen hin und her springen. Dadurch kann man persönlicher arbeiten als bei vielen anderen Fantasy-Autoren und deswegen fand ich Tolkien immer sehr passend.

Dann kam mit „A Night At The Opera“ (2002) euer Bombast-Album schlechthin. Habt ihr da rückblickend den Eindruck, dass ihr es an manchen Stellen vielleicht doch ein wenig übertrieben habt mit der Anzahl an verschiedenen Spuren?

Nee, aber wir haben die Diskussion mitbekommen, dass es Leute gibt, die das so empfinden. Wir sind da immer wieder in uns selbst gegangen und haben versucht herauszufinden, ob man Sachen besser machen kann – das war ja auch einer der Gründe, warum wir jetzt „And Then There Was Silence“ nochmal aufgenommen haben. Wir mussten dabei aber auch wieder feststellen, dass an und für sich alles, so wie es 2001/2002 aufgenommen wurde, nicht ohne Grund passiert ist. Für uns ist es so, dass wir nach wie vor hinter dem Album stehen, auch so wie es passiert ist. Wir versuchen im Laufe des Jahres dieses Album noch einmal zu remixen, um vielleicht auch so ein Aha-Erlebnis bei den Leuten hervorzurufen, wie du es mit den älteren Geschichten auf „Memories Of A Time To Come“ erlebt hast, wenn man vielleicht dieses komplexe Thema etwas offener angeht.
Ich glaube, dass teilweise die Komplexität dadurch entsteht, dass wir keine roten Linien für den Hörer eingebaut haben. Das haben wir dann bei „A Twist In The Myth“ und vor allem bei „At The Edge Of Time“ versucht zu beherzigen und da ist es uns auch ganz gut gelungen, glaube ich, so dass der Zugang ein bisschen einfacher wird. Ich könnte mir vorstellen, dass man das bei „A Night At The Opera“ jetzt im Nachhinein nochmal versucht zu justieren. Aber was die grundsätzliche Ausrichtung von dem Album angeht, war die absolut notwendig, weil die Songs tatsächlich so komponiert gewesen sind.

Ich selbst bin bei „A Night In The Opera“ immer ziemlich erstaunt, wenn ich einzelne Lieder davon höre, wie gut die eigentlich sind. Wenn ich aber das komplette Album am Stück höre, funktioniert es für mich irgendwie nicht so ganz.

Mal sehen, wenn wir jetzt die Sachen nochmal remixen, ob man den Eindruck ein bisschen verändern kann. Wir haben letzte Woche in „The Maiden And The Minstrel Knight“ reingehört. Das ist von der Präzision, die wir da an den Tag gelegt haben, mit Abstand das ambitionierteste und eigentlich auch bestgelungene Album. Nur irgendwo ist anscheinend irgendwas auf der Strecke geblieben, weil wenn so viele Leute der Meinung sind, dass die Komplexität alles andere übertüncht, dann mag da durchaus irgendwo noch was im Argen sein. Und vielleicht können wir das durch den Remix etwas gerade biegen. Ich sehe es ähnlich, wenn ich einzelne Songs höre, dann bin ich immer wieder überrascht, was für Ideen wir da hatten und wie schlüssig die Songs auch in sich sind. Aber wenn ich tatsächlich dann beim siebten oder achten Song angekommen bin, ist es mir auch zuviel.

Ihr habt dann euer „Live“-Album (2003) aufgenommen und später das große „Blind Guardian Open Air“ in Coburg veranstaltet. Ich muss gestehen, dass ich euch da auch zum ersten Mal live gesehen habe.

Besser spät als nie! Aber wenn du erst um die Jahrtausendwende eingestiegen bist, dann war es ja auch gar nicht so spät. Dieses Festival war unfassbar. Das war ein Glückstreffer was die Location anging, was das Wochenende anging, was die Idee mit den zwei unterschiedlichen Sets anging, was die Bands, die wir eingeladen haben, anging – da hat wirklich alles gepasst. Es war eine rundum gelungene Sache, die uns aber sehr viel Zeit gekostet hatte, deswegen haben wir es bis jetzt auch noch nicht wiederholt, was aber nicht heißt, dass es nicht doch irgendwann nochmal passiert. Wir brauchen nur einen würdigen Aufhänger und dementsprechend viel Zeit, um die Sache dann auch wieder so pompös und gut detailliert durchzuplanen.
Das war mehr oder weniger der Abschluss der „A Night At The Opera“-Tour, die zu dem Zeitpunkt die erfolgreichste Tour gewesen ist, die wir gespielt hatten. Das war schon einer der krönenden Abschlüsse. Wacken war auch super, aber Coburg fand ich ehrlich gesagt damals noch ein bisschen erhebender. Was allerdings im Nachhinein für uns echt schwierig war, war die Kosten zu kalkulieren, die da aufgrund der örtlichen Gegebenheiten entstanden sind. Da mussten wir viel Lehrgeld bezahlen. Man muss sagen, wir hatten damals schon viele Leute da, aber es wären mit Sicherheit noch mehr gewesen. Nur war zum damaligen Zeitpunkt dann klar, dass OZZY OSBOURNE, IRON MAIDEN und METALLICA bei „Rock am Ring“ und „Rock im Park“ spielen würden. Die sind praktisch einen Monat nachdem wir unser Festival announced hatten erst angekündigt worden. Das hat natürlich auch den ein oder anderen davon abgehalten, zu uns zu kommen. Ich denke, es hätten sogar doppelt so viele Leute werden können, dann wäre es für uns natürlich ein sehr erfolgreiches Unterfangen gewesen.

Ihr habt ja schon Andeutungen in die Richtung gemacht, dass euer lange geplantes Orchester-Album der perfekte Aufhänger für eine Wiederholung des Festivals wäre.

Das sehe ich auch nach wie vor so. Ich glaube zum einen, dass wir wenige Möglichkeiten haben werden, mit diesem Orchesterprojekt live zu spielen. Dann hat man natürlich, wenn man ein Orchester vor Ort hat und die technischen Gegebenheiten eh schon geschaffen hat, auch mal die Möglichkeit einen „Classic-Rock-Blind Guardian-Abend“ zu machen, also tatsächlich auch noch unser reguläres Set mit Orchester zu verfeinern. Und man kann natürlich auch ein klassisches Best-Of-Set spielen, so dass wir Material für drei Abende hätten und die Leute dann tatsächlich auch dreimal was anderes geboten bekommen würden.

Das wäre eine großartige Sache!

Ja, super, aber auch schwierig. Ich bewundere RAGE, die in Wacken mit Orchester gespielt haben. Es ist nicht so einfach, das technisch hinzukriegen, dass man ein Orchester auf die Bühne stellt, das sich hört, die Band performt und das Orchester dann auch noch wohltemperiert ist – das hängt auch ein bisschen mit Glück zusammen. Aber da muss man halt ein bisschen dran arbeiten.

So lange ihr es nicht so macht wie MANOWAR 2005 beim „Earthshaker Festival“, die ihr Orchester nur Playback haben spielen lassen…

Gut, da wären sie aber nicht die einzigen. Ich weiß, dass RAGE dieses Unterfangen wirklich gewagt haben, in Wacken mit einem echten Orchester auch live zu spielen, aber das machen die meisten nicht. Da sind MANOWAR wirklich nicht alleine, aber das will ich für uns auch vermeiden.

Ich muss da immer auch dran denken, wie ich HAGGARD bereits auf Festivals gesehen habe, die alleine ihren Soundcheck immer ewig überziehen mussten, um überhaupt die ganzen klassischen Instrumente aufeinander einzustimmen.

Vor allen Dingen braucht da bloß mal ein Windzug zu kommen… Du schaffst es ja noch nicht einmal, in einer regulären Konzerthalle Verhältnisse zu schaffen, die es möglich machen, ein Orchester mitzuschleppen. Sobald da ein bisschen zuviel Luftfeuchtigkeit ist oder die Temperatur dann doch schwankt – und das ist einfach so, wenn das Licht angeht – dann hat man eigentlich ein verstimmtes Orchester. Aber RAGE haben das alles irgendwie in den Griff gekriegt und wir haben ja ein enges Verhältnis zu Victor (Smolski, RAGE-Gitarrist – Anm. d. Red.), deswegen werden wir uns dann, wenn es soweit ist, kurzschließen. Mittlerweile gibt es auch einige, die das können. Da ja diese Kooperationen immer häufiger auftreten, werden sich da auch Klassiker Gedanken drüber gemacht haben, wie man das in den Griff bekommt. Tarja (Turunen, ex-NIGHTWISH-Sängerin – Anm. d. Red.) ist zum Beispiel auch jemand, der häufig mit einem Orchester auftritt – und dann spielt das Orchester da auch. Aber es bleibt eine schwierige Sache.

 

Blicken wir wieder zurück auf das Jahr 2005, wo ihr euch dann von Thomen getrennt habt. Der Grund waren damals wieder einmal die berühmten musikalischen Differenzen?

Ja, das war ein Grund. Ich hab die musikalischen Differenzen auch nicht als so extrem empfunden, speziell nicht im Bezug auf „A Night At The Opera“. Da bin ich nach wie vor der Meinung, dass Thomen die Performance seines Lebens abgeliefert hat. Das sah lange Zeit nicht so aus, aber irgendwann hat er während der Produktion den Dreh gekriegt und bahnbrechende Sachen gespielt. Da glaube ich nicht, dass das wirklich für ihn ein Grund gewesen ist, die Band zu verlassen. Ja, es gab konzeptionelle Differenzen, es gab aber auch einfach ideologische Differenzen, was generell die Band anging und was auch private Sachen anging. Da war es dann irgendwann nicht mehr möglich, miteinander Musik zu machen und dann war es auch gut, dass wir uns getrennt haben. Aber das war etwas, was zumindest schon drei, vier Jahre lang spürbar gewesen ist.

Habt ihr noch persönlichen Kontakt zu ihm?

Ja, haben wir. Thomen lebt mittlerweile auch wieder in Deutschland. Das war auch einer der Gründe, Thomen ist damals nach Spanien umgezogen und das hat die Kommunikation auch schwieriger gemacht. Jetzt lebt er wieder in Krefeld und ich könnte mir vorstellen, dass er demnächst auch wieder musikalisch aktiv wird.

Das freut mich sehr, weil seit dem ersten SAVAGE-CIRCUS-Album damals ist es ja eher ruhig um ihn geworden. Ich hatte in der Folge teilweise den Eindruck, er würde unter einer Art Burn-Out leiden und hätte sich deswegen ziemlich zurückgezogen.

Das mag sein, aber da kann ich nicht so viel dazu sagen. Es sind sicherlich Sachen in seinem Leben passiert, die ihn davon abgehalten haben, sich zu 100 Prozent nur auf die Musik zu konzentrieren. Bei BLIND GUARDIAN ist es eben auch so gewesen, dass André und ich die Kreativen gewesen sind. Und Thomen braucht ’ne Band. Wenn die Band funktioniert, funktioniert Thomen. Wenn er keine Leute findet, mit denen er Musik machen kann, dann wird’s schwierig. Aber es sieht so aus, als wenn er jetzt ein gutes Team zusammen hätte.

Ihr habt euch dann mit Frederik verstärkt.

Wir haben uns sehr schnell mit Frederik verstärkt und das war die ideale Wahl. Ich glaube auch nicht, dass es für uns in den nächsten zehn oder fünfzehn Jahren einen Grund geben könnte, noch einmal anderweitig umzuschwenken. Frederik ist im Grunde genommen der perfekte Ersatz für Thomen gewesen und mittlerweile sogar mehr. Er war BLIND-GUARDIAN-Fan, ist studierter Musiker, kam in diese Band und hat innerhalb kürzester Zeit dann „A Twist In The Myth“ eintrommeln müssen. Seitdem hat er einen aus meiner Sicht fulminanten Entwicklungsgang mitgemacht. Auch wir als Band sind durch Frederik live wesentlich routinierter und besser geworden. Frederik ist als Schlagzeuger immernoch nicht am Zenit, ich glaube, da ist noch viel Luft nach oben. Ich könnte mir vorstellen, dass wir so mit der nächsten, übernächsten Platte schlagzeugtechnisch ein Level hinlegen werden, dass dem ein oder anderen die Kinnlade nach unten fallen wird.

Er ist auch eine ganze Ecke jünger als ihr und bringt dadurch bestimmt eine Menge frischen Wind in die persönliche Konstellation hinein, oder?

Ja, aber Frederik ist jemand, der – wie sagt man? – weise zur Welt gekommen ist, „wise beyond age“ würde der Engländer sagen. Der wirkt schon wesentlich gelassener und erwachsener als es einem das Alter vielleicht suggerieren würde. Ich denke mal, wichtig ist, dass ein Schlagzeuger im Training bleibt. Wichtig ist jetzt bei uns, dass wir jemanden haben, der zum einen die Musik versteht, zum anderen aber uns auch mental versteht. Das ist zu 100 Prozent gegeben. Und er ist auch jemand, der so gut im Leben steht, dass er nicht dadurch abhebt, dass er auf einmal in so eine Situation kommt, das hat er eindrucksvoll bewiesen.

Seinen Einstand hat er auf „A Twist In The Myth“ (2006) gegeben, einem Album, bei dem ich wieder den Eindruck habe, dass es bei euren Fans schlechter wegkommt, als es eigentlich ist.

Das ist der Fall und bei „A Twist In The Myth“ bin ich mir auch ziemlich sicher, dass wir durch einen neuen Mix nochmal ein bisschen was rausholen könnten. Das ist produktionstechnisch in eine Richtung gemischt worden, die uns damals richtig erschien, aber bei der ich mir auch vorstellen könnte, dass man tatsächlich in fünf, sechs Jahren nochmal Hand anlegt und dem Album etwas mehr Gerechtigkeit zukommen lässt. Da haben wir uns, glaube ich, ein bisschen verlaufen. Aber grundsätzlich glaube ich auch, das Album hatte tatsächlich damit zu kämpfen, dass zum einen Thomen die Band verlassen hatte, und zum anderen vielleicht auch damit, dass „A Night At The Opera“ viele Leute zum kritischer Hereinhören motiviert hat. Das ist so ein ganz komisches Phänomen, dass man im Grunde genommen immer mit dem darauffolgenden Album ein bisschen das zu spüren bekommt, was das Album davor bewirkt hat.
Bei „A Twist In The Myth“ und „A Night At The Opera“ darf man aber absolut nicht vergessen, dass wir gerade im Bezug auf die Zeit, in der die entstanden sind, extrem viele neue, junge Fans bekommen haben, was die… ich nenne sie jetzt mal „Konkurrenzbands“ alle nicht geschafft haben. Egal wer, da hat niemand wirklich den Zeitgeist so gut einfangen können, dass da auch ein Gros an neuen Fans hinzugewonnen werden konnte. Und es gibt gerade aus diesen Generationen extrem viele Leute, für die genau diese beiden Alben die bahnbrechendsten BLIND-GUARDIAN-Alben sind. Und das wird halt von vielen Leuten auch übersehen, dass wir tatsächlich immer in der Lage gewesen sind, neue Leute zu aktivieren UND ein Gros unserer alten Fans zu halten.

Auf „A Twist In The Myth“ befindet sich mit „Straight Through The Mirror“ einer meiner absoluten Lieblingssongs. Als ich den zum ersten Mal gehört habe, war ich mir sicher, dass er live der absolute Knaller werden würde… Habt ihr ihn jemals live gespielt?

Wir haben ihn noch nicht live gespielt. Das ist eine von den Nummern, die auch so ein bisschen unterschätzt wird in dem, was da musikalisch passiert. Da muss man sich viel Zeit nehmen, um die live-technisch umzusetzen, das ist vergleichbar mit „Battlefield“. Das sind Nummern, vor denen ich gerade im Gesangsbereich höchsten Respekt habe und wo man dann vielleicht ohne es nutzen zu können, extrem viel Zeit in die Proben investieren müsste. Diese Zeit haben wir bis jetzt nicht gehabt.

Euer neuestes Album, „At The Edge Of Time“ (2010), hat inzwischen auch schon anderthalb Jahre auf dem Buckel. Hast du da inzwischen einen objektiveren Blick auf die Scheibe als direkt nach dem Release?

Wie es bei uns nunmal ist, sind anderthalb Jahre trotz allem für uns keine so große Zeit nach einer Veröffentlichung. Ich bin in der Regel erst nach vier, fünf Jahren wirklich in der Lage, das zu beurteilen. Diese Zeit braucht es, um ganz sicher zu sein, wie ein Album auf mich selbst wirkt. Aber ich glaube, „At The Edge Of Time“ gehört zu den stärksten Alben, die wir gemacht haben. Das haben wir von Anfang an so empfunden. Es war von der Songwriting-Phase her fast schon vergleichbar mit „Tales From The Twilight World“, es ging alles sehr einfach von der Hand. Da ist eine extreme Vielfalt auf dem Album, die ist vielleicht vergleichbar mit der „Nightfall In Middle-Earth“. Und es hat teilweise tatsächlich die Ansprüche, die wir auch auf der „A Night At The Opera“ hatten. Von daher bin ich mit dem Album zu 100 Prozent zufrieden und ich glaube auch, dass sogar Old-School-BLIND-GUARDIAN-Fans mit dem Album wesentlich besser klarkommen als mit „A Twist In The Myth“ oder „A Night At The Opera“.

Dem würde ich zustimmen. Vor allem, weil ihr wieder eine leichte Thrash-Schlagseite erkennen lasst.

Ja, die ist da. Aber was ich vorhin schon sagte, was wir bei der Produktion und auch beim Mix berücksichtigt haben, war, dem Hörer sozusagen eine Guideline zu geben. Das hilft der Produktion, das hilft den Songs. Die sind teilweise gar nicht so weit weg von dem, was auf „A Twist In The Myth“ oder „A Night At The Opera“ passiert, aber sie sind wesentlich griffiger. Und das empfindet der BLIND-GUARDIAN-Fan – glaube ich zumindest – dann eben als ein bisschen Old-School-lastiger, was aber teilweise gar nicht der Fall ist. Beziehungsweise das war nie weg, es wirkt halt eben nur auf „A Twist In The Myth“ und „A Night At The Opera“ ein bisschen anders. Und da glaube ich, dass wir mit den beiden Alben extrem viel gelernt haben.

 

In die Zeit zwischen „A Twist In The Myth“ und „At The Edge Of Time“ fällt mit „Sacred Worlds“ auch euer Beitrag zum Computerspiel „Sacred 2“. Bist du selbst ein begeisterter Zocker?

Nö, ich hab, um so ein bisschen in dieses Spiel reinzukommen und für mich auch kompositorisch Analogien zu dem zu schaffen, was in dem Spiel passiert, zum ersten Mal überhaupt in so ein Spiel reingespielt. Ich fand’s nicht schlecht, aber das wäre jetzt nix, womit ich meine Freizeit verbringen würde. André und Marcus (Siepen, Gitarrist – Anm. d. Red.) sind aber begeisterte Zocker, vor allem von „World of Warcraft“. Sie waren auch Die-Hard-„Sacred“-Fans, von daher war es für sie sowas wie ein Ritterschlag, da mitmachen zu dürfen. Für uns ist es generell immer sehr spannend, solche Kooperationen zu machen, weil man ein bisschen anders denken muss, auch anders denken darf, und das Endergebnis dann auch immer ein bisschen anders ist. Ich glaube, „Sacred Worlds“ ist – obwohl es eben hundertprozentig in so ein Computerspiel reinpasst – eine perfekte Symbiose aus dem, was uns während der „Imaginations“-Zeit und der „Nightfall“-Zeit ausgemacht hat. Und deswegen wäre ich froh, wenn wir häufiger solche Aufträge bekommen würden, weil dann passiert doch irgendwie noch ein bisschen was anderes.

Schon vor dem „Sacred“-Spiel habt ihr ja bereits ein Lied zum Soundtrack des „Dungeon Siege“-Films beisteuern dürfen. Was ist für euch die größere Ehre, bei einem Computerspiel beteiligt zu sein oder bei einem Uwe-Boll-Film?

Klar, die Arbeit, die man in so ein Computerspiel steckt, wenn man dann auch extra einen Song dafür kreiert, wird von uns ein bisschen höher bewertet. Aber einem geschenkten Gaul guckt man nicht ins Maul. Bei einem Film mal mitmachen zu dürfen, ist für uns auch eine interessante Sache gewesen. Und der Film war jetzt nicht so weit weg von den Thematiken, die wir im Grunde genommen auch immer ganz gerne besingen, so dass das für uns auch eine schöne Sache gewesen ist. Aber da ist ja nicht extra irgendwas dafür kreiert worden, sondern da sind Sachen von unserem Album genommen worden, aber deswegen war es trotzdem gut, dabei sein zu dürfen.

Ich frage vor allem auch deshalb, weil Uwe-Boll-Filme ja so eine Sache für sich sind…

Klar, da kann man drüber streiten, ob das jetzt ein Weltklasse-Film ist oder nicht, dem einen wird’s gefallen, dem anderen nicht. Das war für uns aber gar nicht so wichtig. Für uns war wichtig, in einem Film dabei zu sein. Wir haben die Anfrage gekriegt und spontan ja gesagt. Dadurch, dass es dann eben noch Musik von unserem damals aktuellen Album gewesen ist, war es für uns letztlich auch ein leichtes, ein ok zu geben. Man hätte auch sagen können: „Nee, das ist uns nicht toll genug“ oder was auch immer. Aber das ist ja Quatsch. Man will da auch mal reinschnuppern. Wir sind damals auch in dem Studio gewesen und durften uns da die Soundtrack-Musik anhören und gucken, wie bestimmte Sachen miteinander kombiniert werden. Da haben wir auch viel gelernt, keine Frage.

Seid ihr dabei auch – ungeachtet dessen, dass ihr ja schon viel länger an eurem Orchester-Projekt arbeitet – auf den Geschmack gekommen, für „At The Edge Of Time“ erstmals mit einem echten Orchester zusammenzuarbeiten?

Nein, das hatte damit nix zu tun. Aber für unser Orchester-Projekt war es gut zu sehen, wie Musik wirkt, wenn Bilder dabei sind. Seitdem weiß ich eben, dass unser Orchester-Projekt so, wie wir es momentan anliegen haben, nicht als Soundtrack geeignet wäre, weil es teilweise einfach viel zu bombastisch wäre und auf jeden Fall zuviel vom Bild ablenken würde. Man muss Score-Musik im Grunde genommen tatsächlich den Bildern anpassen. Mit anderen Worten: Wenn man mal die Chance bekommen sollte, an so einem Projekt teilzuhaben, muss man die Musik genau dafür konzipieren. Man kann nicht einfach sagen, ok, wir haben hier jetzt „Herr der Ringe“-mäßige Musik gemacht – was wir mit unserem Orchester-Projekt haben – und die kann man für den Film benutzen. Das wird so nicht funktionieren.

Mich hat es halt gewundert, dass ihr überhaupt erst so spät mit einem echten Orchester gearbeitet habt. Denn ihr hattet ja schon auf der „Somewhere Far Beyond“ mit „Theatre Of Pain“ ein Lied, das förmlich nach einer Orchester-Version schreit. Und auch „And Then There Was Silence“ ließe sich so noch einmal auf ein völlig neues Level heben.

Das würde auch automatisch irgendwann passieren, wenn wir dann eventuell diese Classic-Rock-Idee für unser „Blind Guardian Festival“ in die Tat umsetzen würden. Klar, die Idee haben wir auch seitdem, aber es ist grade in den Neunzigern so gewesen, dass es geldtechnisch nicht machbar gewesen wäre, überhaupt mit einem Orchester zu arbeiten. Wir hatten auch nicht die Leute, die uns hätten helfen können, um einen Orchester-Score für „Theatre Of Pain“ zu kreieren. Wir haben damals schon gute Ideen gehabt, wie ein Orchester klingen könnte, und wir hatten auch noch Leute, die uns geholfen haben, aber die hatten nicht diesen klassischen Bezug, sondern waren – genau wie wir – einfach nur Sound-Ästheten und Freaks, die was ausprobieren wollten. Und dann kam irgendwann so etwas wie „Theatre Of Pain“ heraus und später dann „And Then There Was Silence“. So richtig in dieses Metier abgedriftet oder eingetaucht sind wir eigentlich erst seit „A Twist In The Myth“. Da gab es dann konkrete Überlegungen mal direkt mit einem Orchester zu arbeiten, die haben wir aber leider Gottes zu den Akten legen müssen, weil unsere ersten Erfahrungen mit einem Orchester, das Songs für uns gespielt hat, negativ waren, so dass wir davon abgesehen haben. Die richtigen Leute haben wir, wenn man so will, erst mit „Sacred Worlds“ und „Wheel Of Time“ getroffen.

Wo wir jetzt schon wieder bei eurem Orchester-Album angekommen sind, muss ich natürlich fragen: Wird dieses das nächste BLIND-GUARDIAN-Album werden?

Das kann ich so noch nicht unterschreiben. Wir arbeiten jetzt schon an neuem Material und haben wieder beide Sachen parallel laufen. Da müssen wir letztendlich gucken, womit wir schneller fertig sind. Ich würde mir wünschen, dass beide Alben zeitnah zueinander veröffentlicht werden würden, ich könnte mir aber durchaus vorstellen, dass wir uns schlussendlich wieder dazu durchringen, zuerst ein reguläres BLIND-GUARDIAN-Album zu veröffentlichen. Das hängt tatsächlich einfach von der Entwicklung ab.

Alles klar. Jetzt komme ich aber nicht umhin, dich auch noch nach der Zukunft von DEMONS & WIZARDS zu fragen, deinem Nebenprojekt mit Jon Schaffer. Da dieser nun mit ICED EARTH endlich wieder richtig durchzustarten scheint, sinken wohl auch die Chancen für ein neues DEMONS & WIZARDS-Album, oder?

Die sinken eigentlich nur zeitlich. Wir wissen noch nicht genau, wann wir es machen, wir werden es aber auf jeden Fall machen. Es ist so, dass wir in der Lage sind, relativ schnell miteinander ein Album zu komponieren. Wir müssen eigentlich nur eine Möglichkeit finden, die freie Zeit, die wir haben, zu bündeln. Ich würde mal davon ausgehen, dass es in den nächsten drei Jahren auch ein DEMONS & WIZARDS-Album geben wird. Wann das der Fall sein wird, kann ich allerdings nicht sagen, das fällt mir auch ein bisschen schwer. Auf jeden Fall gibt es erste grundsätzliche Gedanken über musikalische Konzepte und es gibt auch erste gedankliche Austausche über die Musik selbst.

Ich würde DEMONS & WIZARDS auch furchtbar gerne einmal live sehen…

Das ist so ein Ding, was wir schon auch berücksichtigen. Für uns ist klar, dass wir, wenn wir ein drittes Album machen, auch ein bisschen Zeit zur Verfügung stellen müssen für zumindest eine Festival-Tour. Das wird in jedem Fall dann auch passieren. Von daher kann man eigentlich sehr schwer davon ausgehen, dass wir nochmal aktiv werden.

Das freut mich sehr. Mein heimlicher Traum wäre immernoch eine Art Doppel-Headliner-Tour von ICED EARTH und BLIND GUARDIAN, wo ihr als krönender Abschluss dann zusammen ein paar DEMONS & WIZARDS-Stücke spielt.

Das ist – egal wie die Konstellation dann aussehen würde – für mich extrem schwer. Wenn ich ein reguläres BLIND-GUARDIAN-Set von 100-110 Minuten gesungen habe, bin ich durch. Da geht dann nix mehr. Und ich könnte weder vorher noch nachher auf die Bühne für DEMONS & WIZARDS-Geschichten. Und dann eine Konstellation zu finden, wo das funktioniert, ist sehr ungünstig. Aber auch Jon sträubt sich da ein bisschen. Zwischenzeitlich wäre es für ihn mal machbar gewesen, aber mittlerweile sagt er auch, das ist zu aufwändig.

Selbst wenn es nur für einen Song wäre, würdet ihr damit wohl viele Fans bereits tierisch glücklich machen…

Ja, ein Song geht natürlich immer, aber das ist nicht unbedingt das, was uns beiden dann da vorschweben würde.

Na gut. Jetzt haben wir ziemlich lange gequatscht. Meinetwegen können wir natürlich gerne noch weitermachen, aber…

(lacht) Ich hab auch eigentlich den nächsten Interviewer schon seit einer Viertelstunde in der Leitung. Der arme Kerl denkt wahrscheinlich jetzt, ich würde gar nicht mehr anrufen.

Oh, das tut mir leid. Dann machen wir’s einfach kurz. Danke für das Gespräch, es hat mir viel Spaß gemacht. Gibt es noch irgendwas, was du euren Fans zum Abschluss mit auf den Weg geben willst.

Och, ist eigentlich alles gut soweit. Du hast eigentlich alles wichtige gefragt. Ich denke mal, die Leute haben das Album eh schon oder werden es sich holen. Und wenn nicht, dann sollen sie sich schämen!

13.02.2012
Exit mobile version