
Fluoryne
Ein Gespräch über "Transneptunian" und die Zukunft der Menschheit
Interview
Wie entstehen die Songs für FLUORYNE? Beginnst du mit einem Gitarrenriff als Ausgangspunkt oder spielst du erst einmal mit verschiedenen Synthie-Elementen herum, um die gewünschte Grundatmosphäre zu schaffen?
Das war und ist von Song zu Song ganz unterschiedlich. Die Initialzündung für die Trilogie aus „Nereid“, „Neptune“ und „Triton“ (die nicht nur am Anfang des Albums steht, sondern auch das erste Stück war, das ich für das Album geschrieben habe) war tatsächlich weder eine Gitarren-Idee noch eine Synthesizer-Spielerei, sondern etwas völlig anderes: Wir haben zuhause einen Hängesessel, der über Metallketten an einem der Deckenbalken im Obergeschoss befestigt ist – und irgendwann im Spätsommer / Frühherbst 2023 saß ich in diesem Hängestuhl und ließ mich und meine Seele baumeln…
Dabei quietschten zwei Kettenglieder, was mich zuerst ein bisschen genervt hat – bis mir auffiel, dass die beiden Töne im Hin- und Herschwingen eine kleine Sexte auseinander lagen (ich sagte ja: kopflastig). Auf diesem Wechselspiel baut die gesamte Trilogie am Anfang des Albums auf – und der Chemie-Nerd in mir ergänzt noch, dass die Töne, die dort im Wechsel erklingen, h und g sind. Das Stück, das hieraus entstanden ist, müsste also eigentlich „Merkur“ heißen, weil „Hg“ das chemische Symbol für Quecksilber (engl. mercury) ist – nur ist der Merkur als sonnennächster Planet natürlich alles andere als transneptunisch…
Zu den anderen Stücken gibt es keine vergleichbaren Anekdoten, sie sind aber ganz unterschiedlich entstanden – vor allem sind viele Motive ehrlicherweise gar nicht mal so neu, sondern entstammen unterschiedlichen Phasen meiner musikalischen Aktivität, hatten aber bisher nie den Weg in die Öffentlichkeit gefunden: „Arrokoth“ zum Beispiel ist ein Stück, das ich während meiner Schulzeit (also vor mehr als 25 Jahren) geschrieben habe, aber nie so umsetzen konnte wie ich es mir vorgestellt habe; „Sedna“ besteht aus Gitarrenriffs, die ich vor knapp 20 Jahren für das zweite FLUORYNE-Demo geschrieben habe, ohne es je zu veröffentlichen; „Kuiper Belt“ ist im Wesentlichen ein Song, den ich vor knapp 15 Jahren in Berlin angefangen hatte; der Anfang von „Oort Cloud“ wiederum ist erst recht kürzlich am Klavier entstanden, auch wenn die Grund-Harmonik ein schon älteres Gitarrenmotiv war – alle Songs des Albums haben unterschiedliche Entstehungsgeschichten und Ausgangs-Punkte. Gemeinsam ist ihnen aber, dass ich alle Ideen – selbst die Uralt-Ideen – im Interesse der Atmosphäre ausgestaltet habe.

Abgesehen von einigen Zitaten als Sprachsamples verzichtest du auf Texte bei deinen Songs. Fällt es dir leichter, deine Gedanken und Gefühle in die Musik zu übersetzen als diese in Worten auszuformulieren?
Um ehrlich zu sein, hatte ich „Transneptunian“ ursprünglich sogar als reines Instrumentalalbum angelegt. Irgendwie war mir von Anfang an klar, dass zu dem Konzept und der Atmosphäre, die mir vorschwebten, keine Songtexte im herkömmlichen Sinn passen würden – und ich habe auch sehr lange an dem instrumentalen Ansatz festgehalten, bis mir irgendwann die Idee kam, dass thematisch passende Zitate das atmosphärische i-Tüpfelchen sein könnten.
Gut, so richtig neu war die Idee für mich nicht – ich hatte ja bereits auf „Dämmerung“ keine eigenen Texte verwendet, sondern expressionistische Lyrik vertont; für „Transneptunian“ war mir schnell klar, dass der Ursprung der Zitate entweder Science-Fiction oder populärwissenschaftliche Literatur sein müsste, und es nur Fragmente sein durften – und die Wahl fiel am Ende auf Cixin Liu.
Ganz grundsätzlich ist es aber tatsächlich so, dass ich mich sehr schwer damit tue, selbst Songtexte zu schreiben. Auf dem Demo-Album „Dark Water“ 2005 war mir das noch vergleichsweise leicht gefallen – allerdings hauptsächlich, weil es englische Texte waren. Bei deutschen Songtexten hatte ich schon immer so hohe Ansprüche, dass ich sie selbst nicht erfüllen kann – und leider sind über die letzten Jahre auch bei englischen Texten meine Ansprüche gestiegen. Ich würde gern auf zukünftigen FLUORYNE-Veröffentlichungen wieder mit eigenen Songtexten arbeiten – aber ich habe keine Ahnung, ob mir das gelingt.
Die Textzitate auf „Transneptunian“ entstammen den Trisolaris-Büchern des chinesischen Science-Fiction-Autors Cixin Liu, die wir beide sehr schätzen. Was begeistert dich an diesen Romanen und warum sollten sich unsere Leser allgemein mehr mit Science-Fiction auseinandersetzen?
Hier muss ich einmal kurz klugscheißen: Bei den Spoken Word-Passagen handelt es sich zwar ausschließlich um Zitate von Cixin Liu (bzw. deren Übersetzungen ins Englische), allerdings stammen nicht alle aus der Trisolaris-Trilogie, sondern zum Teil aus der Kurzgeschichtensammlung „The Wandering Earth„, die ich ebenfalls wärmstens empfehle.
Es gibt zwei Aspekte an Cixin Lius Erzählungen, die mich persönlich sehr reizen: Einerseits unterscheiden sich die Narrative / Dramaturgien von denen, die man aus der „westlichen“ Science-Fiction kennt – mal sind diese Unterschiede sehr subtil, mal gravierend, in jedem Fall aber sehr inspirierend. Andererseits finde ich die fachliche Tiefe (der Fachbegriff ist meines Wissens Hard Science-Fiction) enorm stimulierend, gerade weil ich kein Physiker bin und mich daher nicht auf heimischem Terrain bewege – weiß aber auch, dass dieser Aspekt viele potentielle Leser*innen ohne naturwissenschaftlichen Hintergrund ziemlich schnell vergrault / vergraulen kann.
Speziell an der Trisolaris-Trilogie finde ich reizvoll, wie Liu im übergreifenden Bogen der Geschichte dem Fermi-Paradoxon begegnet. Es gibt verschiedene Hypothesen zur Beantwortung der Frage „Where is everyone?“ – keine davon ist besonders optimistisch, aber die Dunkler-Wald-Hypothese (die ich an dieser Stelle nicht näher erläutern möchte, um interessierte Leser*innen der Trisolaris-Reihe nicht zu spoilern) ist noch eine der am wenigsten wünschenswerten… Ich muss allerdings ehrlich sagen, dass für mich der letzte Teil der Trisolaris-Trilogie dann schon etwas „drüber“ war – die Ideendichte wird darin so hoch, dass ich mich gefragt habe, ob Liu nicht lieber eine Tetra- oder Pentalogie hätte schreiben sollen, um im dritten Teil nicht so auf das Gaspedal treten zu müssen… Vielleicht ist es auch ein Stilmittel, aber ich fand es irgendwann echt anstrengend.
Ich denke, es ist grundsätzlich immer eine gute Idee, sich mit Kunst in jeder Form auseinanderzusetzen (auch, wenn man natürlich darüber streiten kann, ob und in welchem Ausmaß Science-Fiction als Kunst durchgeht): Sie erweitert unseren Horizont und unseren Wortschatz, im übertragenen Sinn. Wenn ich diese Überlegung mal speziell auf Science-Fiction münze, sind für mich zwei Dinge entscheidend:
Zum einen holt gute Science-Fiction die lesende Person auf eine andere Weise aus der Komfortzone als es andere Formen der Belletristik tun – die meisten Genres sind zwar sicher auch dazu in der Lage, aber Science-Fiction gelingt das anhand „physikalischer Realitäten“, ohne transzendente oder „magische“ Elemente zu benötigen (auch wenn Arthur C. Clarkes drittes Gesetz dafür sorgt, dass die Grenzen mitunter verschwimmen: Any sufficiently advanced technology is indistinguishable from magic).
Beispiele hierfür wären die veränderte Schwerkraft auf anderen Planeten / Monden oder unter Raumfahrt-Bedingungen (ich finde, Filme wie „Der Marsianer“ oder „Interstellar“ haben das Konzept des rotierenden Raumschiffs zur Erzeugung künstlicher Schwerkraft und die daraus erwachsenden Schwierigkeiten auf ganz wunderbare Weise in Szene gesetzt); oder die auf der Relativitätstheorie beruhende Zeitdilatation in Abhängigkeit von der Schwerkraft und der Beschleunigung. Es zwingt die lesende Person gewissermaßen, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen, obwohl sie kaum Alltagsrelevanz haben (ich sage „kaum“, weil relativistische Effekte sich zum Beispiel auf GPS-Systeme auswirken – aber das ist wohl nur den wenigsten Nutzer*innen bewusst).
Auf der anderen Seite – und das ist meines Erachtens der viel wichtigere Punkt – vermittelt gut gemachte Science-Fiction ein Grundverständnis für naturwissenschaftliches Denken, ohne dass es diesen „trockenen“ Charakter bekommt, den so viele mit dem naturwissenschaftlichen Unterricht aus der Schule verknüpfen. Dafür braucht es gar keine Hard Science-Fiction, meist geht das ganz niederschwellig. An dieser Stelle würde ich einfach mal eine Empfehlung für Andy Weirs „Der Astronaut“ aussprechen – dieser Roman ist ein Paradebeispiel dafür, wie naturwissenschaftliche Zusammenhänge (von Atombau bis Evolution) auf enorm unterhaltsame Weise vermittelt werden können.
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| Band | |
|---|---|
| Stile | Post-Black Metal |
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Florian Schörg
































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