Amorphis - The Beginning Of Times

Review

Es ist einer der ersten wirklich warmen und sonnigen Tage des Jahres, unverkennbar, dass die kalte Jahreszeit fürs Erste ausgedient hat. Nicht nur vor dem geistigen Auge erwacht die Welt plötzlich wieder in ihrer gesamten Schönheit, und so sehr man sich mit dem harten Winter auch arrangiert hat, es sind doch diese Augenblicke im Jahr, in denen man das Leben am allermeisten zu schätzen lernt. Viele, die AMORPHIS gerne in die Düster-Schublade packen wollen, mögen meinen, dass dies der denkbar ungünstige Zeitpunkt für ein neues Album der Finnen sei, aber weit gefehlt.

Die ersten Pianoklänge des Openers “Battle For Light” tauchen den Zauber der Natur grade noch in romantisches Antlitz, als plötzlich in gewohnter Manier die Gitarren den weiteren Weg vorgeben. Der Song ist ein Opener, wie er sich für ein AMORPHIS-Album nicht besser eignen könnte, die Gitarrenmelodien gepaart mit Tomis Growls könnten von einer Melodic Death-Band stammen, wenn er mit seinen unvergleichlichen Clean-Vocals glänzt kommt märchenhafte Atmosphäre auf. Man bemerkt sofort: AMORPHIS haben ihren seit “Eclipse” klar definierten, ureigenen Stil um Nuancen verfeinert, es erklingen sanfte Flöten, exotische Instrumente, stets songdienlich, nie aufdringlich. Übrigens nicht nur einmal auf “The Beginning Of Times.” Dann plötzlich bei Song Nummer zwei weiblicher Engelsgsesang, die Gitarren malen eine folkige Melodie, man spürt zum ersten Mal wieder diesen ergreifenden Schauer, den zu erleben die letzten Meisterwerke der Band auszeichnete. “Mermaid” ist ein eingängiger Rocksong im Stile der großen Hits der Band, immernoch aber so viel tiefgreifender als das, was einem so viele andere Bands als vertonte Emotion verkaufen wollen. Auch “My Enemy” steht in vollem Einklang mit der Natur. Wenn Tomi seine Death Metal-Vocals einsetzt (was er diesmal übrigens wieder viel öfter tut als noch auf “Skyforger”), dann wird uns bewusst, dass es in unserer ach so heilen Welt auch Unheil lauert. Doch nicht sehr lange, die großen, gänsehautereugenden Melodiebögen erinnern uns daran, dass heute nicht der Zeitpunkt ist, um sich von Furcht vereinnahmen zu lassen. Heute zählt nur die Schönheit des Augenblicks.

Und solche Momente gibt es massenweise auf “The Beginning Of Times”. Bei der ersten Single “You I Need” wird munter losgerockt, die Strophen gehören zu jenen melodischen Momenten, die die Musik der Finnen unvergleichlich machen. “Song Of The Sage” ist beinahe progressiv, vom gegrowlten Part, über zweistimmigen Strophengesang bis zum folkigen, von einer JETHRO TULL-mäßigen Flöte getragenen Höhepunkt grasen AMORPHIS in fünfeinhalb Minuten ihr gesamtes Spektrum ab – und bieten dabei sogar noch kleinere Neuerungen und Überraschungen. In seiner Gesamtheit vielleicht einer der Songs, die den Sound der Band am besten repräsentieren. Und es bleibt abwechslungsreich: Mal durchschneidet ein messerscharfes Riff die romantische Stimmung, im nächsten Moment erinnern AMORPHIS mit ihren elfenhaften Epen beinahe an BLIND GUARDIAN. Soliert wird auch viel, mal darf das Keyboard einige prachtvolle Teppiche über dem Horizont ausbreiten, mal gibt es ein klassiches Gitarrensolo im Stil der ganz großen Rockbands. Und das alles immer getragen von der Begabung AMORPHIS‘, das Grundthema eines Songs in unterschiedlichen Ausprägungen darzubieten, was zu der unvergleichlichen Variation der Intensität beiträgt. Gänsehaut ist auch garantiert, wenn bei “Reformation” ein Chor den Refrain begleitet, oder wenn uns die Band bei “On A Stranded Shore eine der durchdringendsten Hooklines des Jahres beschert. Manchmal kann es so einfach sein: Das Leben ist nicht immer leicht und manchmal auch ein wenig melancholisch, aber es ist in jeder seiner Phasen lebenswert. Manche mögen die stilistische Ausrichtung der Scheibe als “Sackgasse” titulieren, bei der Qualität der gebotenen Songs steht es für mich aber zweifellos fest, dass all diejenigen, die sich besonders dank der letzten drei Scheiben mit der Band angefreundet haben, auch “The Beginning Of Times” in ihr Herz schließen werden.

AMPORPHIS spielen also auch auf dem vierten Album der aktuellen Phase wie keine zweite Band mit den Emotionen. Es wäre vermessen zu behaupten, dass auf “The Beginning Of Times” alles anders ist. Wenn ich mir als Autor aber schon um meine eigene Glaubwürdigkeit Sorgen mache, weil ich nicht anders kann, als zu betonen, dass auch dieses Album trotz erwarteter stilistischer Ausrichtung wieder ein Meisterwerk ist, spricht das allerdings Bände. Wir sollten uns nichts vormachen und endlich anerkennen, dass die Finnen zu den wichtigsten und (mittlerweile) konstantesten Größen des härteren Rock gehören. Es ist tatsächlich so: Man mag bei den persönlichen Favoriten unterschiedlicher Meinung sein, und für mich gilt womöglich auch weiterhin “Skyforger” als das unantastbarste Werk von AMORPHIS, “The Beginning Of Times” kann aus meiner Sicht aber locker mit seinen Vorgängern mithalten. Das ist irgendwie beängstigend – vor allem aber anerkennungswürdig.

17.05.2011
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