Blind Guardian - Memories Of A Time To Come

Review

Eine der erfolgreichsten, mit Sicherheit aber die perfektionistischste Metal-Band Deutschlands feiert in diesem Jahr ihr 25-jähriges Bestehen. Da ist es gleichermaßen naheliegend wie legitim, mit „Memories Of A Time To Come“ endlich das erste Best-Of-Album in die Läden zu bringen. Aber BLIND GUARDIAN wären nicht sie selbst, wenn sie es dabei belassen würden, einfach ein paar Klassiker herauszusuchen und auf CD zu pressen. Stattdessen haben die Krefelder (mit Ausnahme von „Sacred Worlds“) alles noch einmal neu abgemischt und vier Stücke sogar komplett neu eingespielt.

Von der neuen Abmischung profitiert naturgemäß vor allem das ältere Material. So kommen Klassiker wie „Majesty“, „The Last Candle“ und „Somewhere Far Beyond“ nun endlich in einem zeitgemäßen Soundgewand daher und selbst langjährige Fans können hier viele neue Details entdecken, die im Klangbild der ursprünglichen Fassungen noch zu sehr untergingen. Anders als bei den nur remasterten 2007er Album-Re-Releases könnte der veränderte Sound hier daher auch für Besitzer des gesamten Backkataloges der Band ein vernünftiges Kaufargument darstellen.

Noch krasser fallen die Unterschiede natürlich bei den neu aufgenommenen Titeln aus. Die Live-Hymne „Valhalla“ demonstriert eindrucksvoll, wie sehr sich die Band in spieltechnischer Hinsicht seit ihren Anfangstagen weiterentwickelt hat. Genialerweise hat man hier auch wieder Kai Hansen (GAMMA RAY, ex-HELLOWEEN) als Gast ins Studio geholt, der dem Stück wie schon beim Original vom „Follow The Blind“-Album mit starken Gitarrensoli und seiner rauen Gesangsstimme eine ganz besondere Note verleiht.

Den „Bard’s Song“ haben BLIND GUARDIAN nach 2003 nun schon zum zweiten Mal neu eingespielt und ihn dabei mit orchestralen Akzenten in ein wesentlich symphonischeres Gewand gepackt. Mir persönlich gefiel dabei die intimere Atmosphäre der 2003er-Version zwar besser, aber schön, dass man nun eine weitere Version dieses Klassikers zur Auswahl hat. Diesmal hat man sich aber auch des stets im Schatten des Mitsing-Klassikers stehenden zweiten Teiles, „The Hobbit“, angenommen, dessen Neuaufnahme ein besonderes Highlight auf „Memories Of A Time To Come“ darstellt.

Als vierte Neueinspielung wurde das 14-Minuten-Epos „And Then There Was Silence“ ausgewählt, bei dem sich mehr am Arrangement der Bühnenfassung als am Studio-Original orientiert wurde. Auf mich persönlich wirkt das Original jedoch nach wie vor etwas gewaltiger und beeindruckender, so dass ich diesem hier den Vorzug geben würde. Insgesamt stellen aber alle vier Neueinspielungen eine echte Bereicherung dar und geben ein Beispiel dafür ab, was BLIND GUARDIAN mit ihrer heutigen musikalischen Klasse noch aus vielen anderen Stücken ihrer Bandgeschichte herausholen könnten.

Angesichts des üppigen Backkatalogs lässt sich über die Songauswahl natürlich vortrefflich streiten und jeder Fan kann vermutlich mindestens ein Lied nennen, dass er bei diesem Best-Of vermisst. Wenn man sich aber die Liner-Notes der Band im Booklet zu den einzelnen Songs durchliest, kann man nachvollziehen, warum die Wahl gerade auf diese Songs gefallen ist. Ziel war es nicht zuletzt, einen möglichst umfassenden Einblick in die verschiedenen Facetten des BLIND-GUARDIAN-Sounds zu geben und daraus ein rundes Gesamtwerk mit einem stimmigen Spannungsbogen zu stricken. Beides ist auf „Memories Of A Time To Come“ hervorragend gelungen. Unverständlich erscheint hingegen, warum man nicht noch eine Handvoll weiterer Songs hinzugefügt und dadurch die mögliche Spielzeit wesentlich besser ausgenutzt hat, rund zwanzig Minuten mehr wäre auf jedem der beiden Silberlinge nämlich noch drin gewesen.

Für Neueinsteiger, die die Musik der Tolkien-Jünger erst noch für sich entdecken wollen, stellt die Doppel-CD-Fassung von „Memories Of A Time To Come“ den idealen Erstkontakt dar. Für langjährige Fans dürfte hingegen die limitierte Deluxe Edition interessant sein, deren Bonus-CD randvoll mit Demo-Stücken gepackt wurde. Darunter finden sich fünf frisch überarbeitete Aufnahmen der BLIND-GUARDIAN-Vorläuferband LUCIFER’S HERITAGE, sowie zehn Demo-Fassungen früher Band-Highlights von „Battalions Of Fear“ bis hin zu „A Past And Future Secret“. Wirklich neu ist das Demo-Material zwar nicht (die Stücke fanden sich bereits über die CDs der 2007er BLIND-GUARDIAN-Re-Release-Serie verstreut), die Zusammenstellung als Demo-Compilation weiß dennoch zu gefallen und das Fan-Herz zu erfreuen.

Unklar bleibt, warum diese Best-Of-Kopplung nicht bei Nuclear Blast erscheint, dem aktuellen Label der Band, sondern bei EMI, die inzwischen die langjährige BLIND-GUARDIAN-Heimat Virgin Records aufgekauft haben. Dem Käufer kann dies aber eigentlich auch herzlich egal sein, denn die Produktqualität stimmt in jedem Fall und dürfte auch die Krefelder Perfektionisten selbst zufriedenstellen. Ob man eine Best-Of-Zusammenstellung überhaupt braucht, darüber darf man natürlich gerne streiten. Wenn man sich aber nach 25 Jahren dazu entschließt, eine solche auf den Markt zu bringen, sollte sie im Grunde genau so aussehen – auch wenn sie dabei gerne noch ein paar Lieder mehr hätte enthalten dürfen.

30.01.2012
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