Blind Guardian - The God Machine

Review

Geschlagene sieben Jahre haben BLIND GUARDIAN ihre Fans auf das neue Album „The God Machine“ warten lassen. Zwar hielten uns die Barden zwischenzeitlich mit einem vollgepackten Live-Album und dem seit ewig und drei Tagen angekündigten Klassik-Projekt bei Laune, trotzdem wurde es höchste Zeit für neuen Stoff. Nun sind die Krefelder ja bekanntlich nicht die Schnellsten im Studio, einen derart langen Zeitraum wie zwischen „Beyond The Red Mirror“ und „The God Machine“ haben BLIND GUARDIAN allerdings noch nie zwischen zwei regulären Studioalben ins Land ziehen lassen. Hat sich das Warten also gelohnt?

BLIND GUARDIAN melden sich mit einem Knall zurück

Hansi Kürsch und Co. hatten es im Vorfeld bereits angekündigt; nach dem opulenten, für BLIND GUARDIAN-Verhältnisse recht sperrigen „Beyond The Red Mirror“ und der reinen Orchester-Platte „Legacy Of The Dark Lands“ war in Sachen Bombast erstmal alles gesagt. Direkter und härter würde es auf dem neuen Album zugehen und falls die vier vorab veröffentlichten Singles irgendwie an einem vorbeigegangen sein sollten, so bestätigt sich bereits nach den ersten 30 Sekunden des Openers, dass es sich bei diesen Aussagen keinesfalls um leeres Marketing-Geschwätz gehandelt hat.

Zwar wirken die ersten Töne von „Deliver Us From Evil“ noch leicht verspielt, danach schwingen die Krefelder die Speed-Metal-Axt jedoch wie seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr, bevor eine getragene Bridge in einen mehrstimmigen Chorus führt, den man schon nach dem ersten Durchgang lauthals und mit gereckter Faust in die Nacht schmettern möchte. Die erste zukünftige Live-Granate ist gezündet.

Das darauffolgende „Damnation“ drückt ebenfalls ordentlich und wird mehr noch als der Opener von André Olbrichs einzigartigen melodischen Leads angetrieben, die neben Hansis markantem Gesang seit jeher das Aushängeschild von BLIND GUARDIAN darstellen und auf „The God Machine“ wieder deutlich mehr im Rampenlicht stehen. Letzterer ist übrigens bestens bei Stimme und schlägt passend zur generellen stilistischen Ausrichtung des Albums wieder deutlich öfter jene rauen Töne an, die bei Songs jüngeren Datums vor allem Live-Performances vorbehalten waren.

Mit dem düster-epischen „Secrets Of The American Gods“ nehmen BLIND GUARDIAN das Tempo erstmal etwas raus und setzen erneut auf einen mit mehrstimmigen Chören gespickten Refrain, der das Zeug dazu hat, gestandenen Metallern Pipi in die Augen zu treiben. Danach langt „Violent Shadows“ mit seinen schneidenden Riffs bis in die frühen 90er zurück, ohne dabei auch nur im Geringsten angestaubt zu wirken. Und verbeugen sich die Rheinländer da in der Bridge vor „Master of Puppets“?

Die Barden klingen so frisch wie lange nicht mehr

„Life Beyond The Spheres“ zeigt BLIND GUARDIAN dann doch nochmal von ihrer progressiven und etwas bombastischeren Seite; unter den neuen Nummern hätte diese wohl am ehesten auch auf den Vorgänger gepasst. „Architects Of Doom“ arbeitet sich wieder mit treibenden Speed-Metal-Riffs und Leads zum Niederknien auf einen erhabenen Mittelteil hin, bevor die Ballade des Albums ansteht.

„Let It Be No More“ ist ein ungewohnt persönliches und ergreifendes Stück, bei dem Hansi Kürsch unter anderem den Tod seiner Mutter verarbeitet. Im unglaublich ergiebigen Balladen-Fundus der Krefelder schafft es der Song zwar nicht ganz ins obere Drittel und kann auch im Albumkontext nicht ganz mithalten, das ist aber unbedingt in Relation zum bockstarken restlichen Material zu sehen. Die Witcher-Hymne „Blood Of The Elves“ drückt das Gaspedal noch ein letztes Mal durch, auch hier sind Götterleads und ein Gänsehautrefrain natürlich Ehrensache, bevor „Destiny“ stilistisch überraschend an das seinerzeit (zu Unrecht) eher verhalten aufgenommene „Fly“ erinnernd aus einem Album entlässt, welches so manches Lächeln auf so manches Gesicht gezaubert haben dürfte.

„The God Machine“ vereint alt und neu

Ein schlechtes Album haben BLIND GUARDIAN nie veröffentlicht, wohl aber einige unter Fans kontrovers aufgenommene stilistische Schlenker vollzogen. Mit „The God Machine“ liefern die Barden jetzt nicht nur eine absolute Machtdemonstration ab; das Album hat auch das Zeug dazu, Fans der jüngeren Generation und alte Fans der 90er-Alben bis „Imaginations From The Other Side“ gleichermaßen miteinander zu versöhnen. Die Speed-Metal-Wurzeln der Band werden mühelos mit den über die Jahre immer weiter ausgefeilten Chor-Arrangements und dem bis zur Perfektion gepflegten Faible für kleine Details verwoben. „The God Machine“ klingt also keinesfalls anachronistisch oder rückwärtsgewandt und obwohl BLIND GUARDIAN alte Tugenden kanalisieren wie schon lange nicht mehr, so geht der Blick doch stets nach vorne.

Ausfälle leistet sich die Band keine und schwächelt nur mit „Let It Be No More“ minimal. Einzig die mal wieder etwas steril geratene Produktion von Charlie Bauerfeind wird den durchweg nach der Bühne schreienden Stücken nicht ganz gerecht, etwas mehr Fülle und Wärme hätte besonders den Drums gutgetan. Nichtsdestotrotz stellt „The God Machine“ ein weiteres Ausrufezeichen in einer ohnehin nahezu konkurrenzlosen Diskographie dar und dürfte für manche als das stärkste BLIND GUARDIAN-Album der letzten 20 Jahre durchgehen.

Fantasy-Fans und Leseratten können sich übrigens wie immer gleich doppelt freuen, hat Hansi Kürsch im Bücherregal doch wieder aus den Vollen geschöpft und mit The Stormlight Archives von Brandon Sanderson, den Kingkiller Chronicles von Patrick Rothfuss, Neil Gaimans American Gods und der Hexer-Reihe von Andrzej Sapkowski gleich mehrere moderne Klassiker als Vorlage genutzt.

26.08.2022
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