Dream Theater - Systematic Chaos

Review

Okay, nachdem der Glanz eines neuen Albums nun vorbei ist, kann ich es endlich aussprechen: „Octavarium“ fand ich vor zwei Jahren ziemlich enttäuschend. Sicher war es im Vergleich zu dem was sonst so auf einen zu kommt immer noch kritiklos erhaben, aber allein mit einem starken ersten und letzten Song, sowie der etwas poppigen Ausrichtung, konnte sich die Scheibe nicht dauerhaft in meinem CD-Player halten. Umso erfreuter war ich dann zu hören, dass „Systematic Chaos“ mal wieder ein Album mit Eiern sein würde – was nicht erst seit „Train Of Thought“ zu grandiosen Ergebnissen geführt hat. Und was soll ich sagen: In einem Genre indem sowieso eine Veröffentlichung perfekter als die andere ist, hebt sich die neue Traumtheater nochmal ein gutes Stück von der Konkurrenz ab.

Nicht nur dass „Systematic Chaos“ ein Werk ist, das unbedingt mehrere Hördurchläufe braucht, es ist auch eines, welches man in seinen 80 Minuten so oft hören will, bis jedes kleinste Detail rausseziert wurde. Der härtere Sound äußert sich dabei jedoch nicht im Sinne eines „Train Of Thought“ 2, sondern eher in dem Fehler jeglicher Balladen, dem hohen Anteil mächtiger Gitarrenriffs und dem einstweiligen Zitieren der eigenen Vergangenheit.
Das fängt schon mit dem Opener „In The Presence Of Enemies Pt. 1“ an, der ohne Probleme auch auf der „Awake“ stehen könnte. Nach einem der gut gelauntesten Riffs des Albums (von denen es nicht viele gibt) das in ein wildes vierminütiges Instrumentalintro übergeht, wird schnell klar wie man mit dem Bandsound eine neue Härte zelebrieren kann, ohne Keyboarder Jordan Rudess zum alleinigen Mitspielen wilder Gitarrensoli zu verdammen. Das Keyboard spielt als dramatischer Atmosphäreträger nämlich eine gehörige Rolle und sorgt für den größten Kopfkinofaktor seit „Six Degrees Of Inner Turbulence“.

Richtig überraschend wird es dann im Mittelteil. Angeführt wird dieser vom neunminütigen „The Dark Eternal Night“, der von der Atmosphäre her auch problemlos auf der nächsten VISION BLEAK stehen könnte. Der bereits im Vorfeld online gestellte Song beginnt mit einer ungewohnt tief gestimmten Gitarrenmasturbation, die sich im folgenden zu einer Horrorgeschichte mit Ohrwurmrefrain mausert. Spätestens hier fällt auch etwas eine Tendenz auf, die sich noch bis Ende der ersten 50 Minuten der Platte fortsetzen wird: es gibt deutlich weniger Frickelsoli als in früheren Tagen. Stattdessen wird viel mit Riffs experimentiert, oder James LaBrie noch eine zusätzliche Gesangspassage oder ein Break spendiert. Die Stimmung steht also songdienlich immer im Mittelpunkt.
Womit man auch den Zehnminüter „Repentance“ charaktersieren könnte, der die Teile acht und neun von Mike Portnoys Alkoholentzugsepos darstellt, um im nächsten Album zu einem „60minütigen Epos mit heilender Wirkung“ vervollständigt zu werden (Portnoy himself). Diesmal geht es ungemein düster, ruhig und psychodelisch zu Werke, mit einem oft zitierten Riff aus „This Dying Soul“ und einem gegen Ende majestätischen Ausbau.

Die letzten drei Songs „Prophets Of War“, „The Ministry Of Lost Souls“ und „In The Presence Of Enemies Pt. 2“ (zusammen knapp die Hälfte des Albums) beenden dann die Experimente wieder und schmettern extrovertiert eine wütende Gesellschafts- und Amerikakritik gen Hörer. Wer „In The Name Of God“ mochte, wird sich hier pudelwohl fühlen und mehr als einmal in frenetische Lobgesänge ausbrechen. So wie ich gerade. Und ich will darüber gar keinen Hehl machen, denn „Systematic Chaos“ haut mich aus den Socken wie schon lange kein Album mehr, gerade nach dem deutlich schwächeren Vorgänger. Hier haben wir es nicht nur mit einem der wenigen 80minütigen Progalben zu tun, die man ohne Kopfweh zu kriegen nonstop durchhören kann, sondern auch mit einem der noch viel selteneren, die man am liebsten den ganzen Tag durchgehend hören will. Ganz klare Sache: Höchstnote.

28.05.2007
Exit mobile version