Megadeth - So Far, So Good... So What!

Review

1987 hatten MEGADETH einen weiteren Schritt auf der Karriereleiter genommen, tourten sie doch zunächst zusammen mit ALICE COOPER, um anschließend ausgiebig auf einer Headlinertour durch den UK und die USA zu ziehen. Außerdem liefen die Verkäufe ihres Zweitwerks “Peace Sells” so hervorragend, dass die Plattenfirma Capitol für das nächste Werk mit einem üppigen Studiobudget winkte. Bevor die Band aber ihr drittes Album “So Far, So Good… So What!” anging, standen einschneidende Entscheidungen an.

Räumer am Drogenbüffet

Bandleader Dave Mustaine sagte einmal retrospektiv über die Zeit während des Debüts, dass er „genauso erstaunt [sei] über die Musik, die wir gemacht haben, wie über die Tatsache, dass wir alles überlebt haben!“ Was er damit meinte, ist der massive Drogenkonsum der Bandmitglieder. Bei Drummer Gar Samuelson war es so schlimm, dass MEGADETH für die letzten Tourdates Chuck Behler als Backup anheuerten. Dieser übernahm nach Samuelsons Rausschmiss also quasi im fliegenden Wechsel den Platz auf dem Drumhocker. Bei Gitarrist Chris Poland gab es eher atmosphärische Störungen im zwischenmenschlichen Bereich. Mustaine setzte Poland vor die Tür, nicht ohne ihm ein paar Nettigkeiten auf den Weg zu geben. Der Platz an der zweiten Leadgitarre ging an MALICE-Gitarrist Jay Reynolds – der blieb allerdings nicht lange: Als er den anderen erklärte, dass ihm sein Gitarrenlehrer die Riffs erst noch beibringen müsste, nahm die Band lieber gleich Gitarrenlehrer Jeff Young in die Band auf.

Damit waren die Probleme allerdings nicht aus der Welt geschafft, denn vor allem Dave Mustaine bediente sich selbst als Räumer am Drogenbüffet. Die Studiozeit dehnte sich schließlich auf quälend lange fünf Monate, in der sich Mustaine zu allem Überfluss mit Produzent Paul Lani überwarf. Hitproduzent Michael Wagener war es schließlich, der die Scheibe remixen und in die finale Form bringen sollte.

Am Ende dieser Widrigkeiten stand aber ein famoses Drittwerk: “So Far, So Good… So What!” enthält eine Reihe Klassikersongs und fängt die damalige Weltangst zwischen Reaktorunglück, Battletech und Atomkrieg mit Interkontinentalraketen erstaunlich gut ein. Dazu passt dann auch das Cover im Fernsehübertragungslook mit einem bis an die Zähne bewaffneten Vic Rattlehead.

MEGADETH und die Weltangst

Zudem ist der Einstieg kompromisslos (und das nicht nur, weil Mustaines Gesang erst nach fünfeinhalb Minuten einsetzt): “So Far, So Good… So What!” beginnt mit dem Instrumental “Into The Lungs Of Hell”, das durch die sich immer weiter steigernde Leadgitarre tatsächlich wie ein Absteigen in den Höllenschlund anmutet – was dann die Hölle ist, Atomreaktor oder Todesstern, bleibt der Fantasie des Hörers überlassen.

“Set The World Afire” wiederum beginnt dem alten Schlager “I Don’t Want To Set The World On Fire”, der durch die Detonation einer Atombombe abbricht und von bedrohlichen Gitarrenriffs abgelöst wird. MEGADETH spielten ja eine Mischung aus Speed und Thrash Metal, aber um Genres haben sie sich nicht geschert. Wichtig war nur, was am Ende dabei rauskam, und in diesem Fall war das war der Stoff, aus dem die Alpträume sind. Das war die vertonte Gefahr eines Atomschlags und das in Musik gegossene Dahinsiechen danach.

Nochmal zu den Genres: Selbst vor dem Punkklassiker “Anarchy For The UK” machten die vier nicht Halt, wobei die Gitarren ein Stück weit zackiger gespielt sind (obwohl SEX PISTOLS-Gitarrero Steve Jones höchstpersönlich die Leadgitarre beisteuerte). Über die Version kann man als Fan sicherlich diskutieren, aber Capitol sah dennoch Potential für eine Singleauskopplung.

Zwischen Anarchie und „Drunk Driving“

Folgt mit “Mary Jane” eine vermeintliche Ballade, die aber schnell an Fahrt aufnimmt und mit ihren verzweifelten Gitarrenleads an die ersten beiden Tracks anknüpft. Ein nettes Gimmick sind zudem die Gitarrenspuren, die im Stereomix allmählich gegeneinander die Seiten wechseln. “502” startet wiederum rasant und prescht, gefolgt von Polizeisirenen, davon. Kein Wunder, ist 502 bei der amerikanischen Polizei doch der interne Code für “Drunk Driving”. Im Mittelteil gibt es wieder ein schönes Soundgimmick mit einem Autocrash; beim ersten Hören während einer Autofahrt ist das definitiv nichts für schwache Nerven.

Wesentlich getragener ist das mehr als sechsminütige “In My Darkest Hour”, das eine ganze Reihe von Sahneriffs enthält. Das Stück erfährt einige Wendungen und nimmt immer mehr an Fahrt auf, bis sich im abschließenden schnellen Teil Dave Mustaine und Jeff Young gegenseitig zu Höchstgeschwindigkeiten anstacheln. Aufgrund von Atmosphäre und Riffing ist das Stück auch heute noch ein absoluter MEGADETH-Klassiker.

Das gilt auch für “Liar” – jedenfalls wenn es um das flirrend schnelle Eingansriff und die Dramaturgie geht. Der Text hingegen ist eine dreistrophige Hasssalve, deren Adressat angeblich Ex-Gitarrist Chris Poland sein soll. Wer also mal im Englischen alle möglichen Krankheiten durchdeklinieren möchte, findet hier ein Lehrstück. Das düstere “Hook In Mouth” wiederum ist eine Anklage gegen all die Moralwächter, die im Amerika der Achtziger Jahre immer mehr an Einfluss gewannen (und die den “Parental Advisory”-Sticker auf CDs durchsetzten (der übrigens anfangs sicherlich nicht als Kaufargument gedacht war)). Daher bringt Mustaine im Refrain dann noch die von Gangshouts vorgebrachte Buchstabenfolge F-R-E-E-D-O-M unter.

“So Far, So Good… So What!” gehört in die beste Phase der Band

Insgesamt ist das ein würdiger Abschluss einer knackig kurzen Scheibe, deren bedrohliche Atmosphäre auch heute noch den Hörer abholt. Ein weiterer Pluspunkt ist das nur wenig stromlinienförmige Songwriting, bei dem Riffs im Dutzend aufgefahren werden. Zuletzt muss natürlich noch das Gitarrenspiel des Duos Mustaine/Young genannt werden, das verglichen mit den ersten beiden Platten in immer neue Sphären vordrang. Wenn man sich Livemitschnitte aus der Zeit anschaut, wundert es doch, wie die Band die Songs so gekonnt spielen konnte – wenn denn der kolportierte Drogenkonsum stimmt.

Zusammen mit “Peace Sells… But Who’s Buying?” (1986) und “Rust In Peace” (1990) fällt “So Far, So Good… So What!” in die beste Phase der Band. Welche dieser Scheiben der Fan bevorzugt, ist natürlich Ansichtssache (und wie es sich bei dem Autor dieser Zeilen verhält, lest Ihr in der Rubrik „Der erste Schuss“). Den Karrierehöhepunkt hatten MEGADETH hiermit allerdings noch nicht erreicht – der sollte erst später und nach weiteren Wechseln an Gitarre und Schlagzeug kommen. “Rust In Peace” ist dann allerdings das Thema einer weiteren Folge “Blast From The Past”.

23.12.2020

- Dreaming in Red -

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