Last Night On Earth Festival 2006
Rückschau auf die erste Festivalerfahrung

Special

Irgendwann im Herbst 2006 kultivierte ein damals gerade fünfzehn Jahre alt gewordener metal.de-Redakteur in spe seine ersten Haare im Gesicht, freute sich darüber, dass er mit dem jüngst angelegten amazon-Account nun Videospiele ab 16 Jahre ohne elterliche Supervision bestellen konnte und hörte von morgens bis abends seine Lieblingsalben rauf und runter, während er mit seinen Jungs via ICQ über Gott und die Welt sprach.

Die damals noch florierende Welt der Webforen machte vor so gut wie keiner Band Halt, die mit ihren Fans kommunizieren wollte und auch EQUILIBRIUM, eine der damals in der CD-Rotation beliebtesten Bands des Jünglings, betrieben ebenfalls ein solches. Es kam einem wie ein Ritterschlag gleich, wenn der eigene Beitrag von einem der im Forum aktiven Bandmitglieder zitiert wurde.

In jenem Forum jedenfalls tauchte irgendwann die Ankündigung eines Livegigs der Band auf, welcher in Anröchte in Nordrhein-Westfalen stattfinden sollte. Unter normalen Umständen viel zu weit für den chronisch blanken Bremer Schüler (danke, Hot Shot Records!), aber in diesem Falle fiel nach Sichtung des Gigs die Kinnlade mit Karacho auf die chipskrümelgetränkte Tastatur. Es war kein einfacher EQUILIBRIUM-Gig, es war ein Ein-Tages-Festival namens „Last Night On Earth“, welches neben den Pagan-Metallern auch noch unter anderem DISILLUSION, SAVAGE CIRCUS, GRAVEWORM und WINTERSUN am Start hatte.

Also musste schnell der zum Glück metalaffine Vater angerufen werden, welcher auf Grund von LEGION OF THE DAMNED und ENDSTILLE im Billing nicht lange überzeugt werden musste, drei Tickets für 23,50€ das Stück gekauft werden und irgendwie da hin gekommen werden.Der alte Herr lieh sich zu diesem Zwecke extra einen BMW-Combi eines Bekannten aus und dann ging es nach endloser Vorfreude samt Vater und Schulfreund los nach Anröchte.

Last Night On Earth in Anröchte

Wir kamen gegen 13:30 Uhr am Festivalort, das Bürgerhaus der Gemeinde, an und es hatte sich bereits eine respektable Schlange vor der Venue gebildet. Diese war so lang, dass wir den Opener des Festivals verpassten, weil der Einlass nicht besonders organisiert von statten ging. Egal, in der Warteschlange wurden Hits wie J.B.O.s „Verteidiger des Blödsinns“ und EQUILIBRIUMs „Met“ gegrölt und der pubertierende Jüngling fühlte sich auf einmal wie zuhause. Die das Festival eröffnende Band erschien damals unwichtig, hatte doch kaum einer von ORDEN OGAN gehört. Heute wäre der Frust über das Verpassen der Kapelle sicherlich ein anderer gewesen.

Während dann die ebenfalls noch sehr jungen, aber damals schon grellbunt kostümierten GRAILKNIGHTS mit einem damals noch reinen Melo-Death-Set auftraten, haben es dann schließlich alle hereingeschafft und da diese Band ebenfalls nett klang, aber sonst unbekannt war, wurde der Merchstand erst einmal geräubert. Festivalshirt (13€): check! EQUILIBRIUM-Shirt (10€): check! Diverse CDs später, darunter die jugendliche Erfurcht, dass unter anderem einige indizierte EISREGEN-Alben unter den käuflich erwerblichen Alben waren, war das Portemonnaie dann auch so leer, dass für Getränke und Essen nichts mehr übrig war. Egal, man konnte die Halle jederzeit verlassen und in Papas Auto fand sich Cola light (bäh!) und Essen war ohnehin nebensächlich. Durch eine erste dort eingelegte Pause verpasst wurden SYNASTHASIA, eine Underground-Power-Metal-Formation aus der Umgebung.

Absolut großartig gelöst war die Bühnensituation. Es standen auf je einer Seite der länglichen Halle eine Bühne, eine etwas kleinere und eine Hauptbühne. Auf dieser wechselten sich die Bands ab, sodass die Umbaupausen nur fünf bis zehn Minuten betrugen und man quasi dauerhaft beschallt wurde.

Ein nach heutigen Maßstäben ungleicher Ersatz – DARZAMAT

Bandtechnisch so richtig los ging das Festival dann mit dem Auftritt von DARZAMAT. Wie so viele Bands, die am Nachmittag auf dem Last Night On Earth auftraten, handelte es sich um eine junge Nachwuchskapelle. Diese war erst kurzfristig eingesprungen, da eine dänische Band absagen musste und so nicht ihr Debütalbum „The Strength / The Sound / The Songs“ vorstellen konnte. Ja, VOLBEAT nachmittags in einer kleinen Mehrzweckhalle: das wäre es rückblickend gewesen. DARZAMAT jedenfalls überzeugten mit ihrem melodischen Black Metal und wäre das Geld nicht schon leer gewesen, wäre sicherlich eine CD von der Band hinterher in die Sammlung gewandert.

Die danach aufspielenden KINGDOM OF SALVATION wurden im (natürlich) ebenfalls existierenden Last-Night-On-Earth-Webforum groß angekündigt und gehyped, hinterließen allerdings keinen bleibenden Eindruck. Es könnte auch an der immer größer werdenden Vorfreude auf die näher rückenden Lieblingsbands gelegen haben, man weiß es nicht.

ENDSTILLE und DISILLUSION – Die Euphorie beginnt

Während der zigarrerauchende Erzeuger sich in die erste Reihe der damals sich auf dem Zenit ihres Schaffens befindlichen Kieler Black-Metal-Band stellte und den Gig in vollen Zügen genoss – es war immerhin mit „Navigator“ als aktuellem Album, aber ein Stück aus „Endstilles Reich“ wurde auch schon vorweg genommen – stellte sich der Sprössling schon bei der Bühne auf der anderen Seite des Saals auf, denn nach ENDSTILLE waren DISILLUSION dran: bis heute ein absoluter Favorit des heute nicht mehr ganz so jungen Fans. Von ENDSTILLE blieb deswegen nicht ganz viel hängen in der Erinnerung, außer einer nebelverhangenen Bühne und 45 Minuten Gebolze.

DISILLUSION in der ersten Reihe zu erleben zählte dann zum ersten Highlight des Tages. Die Band hatte kurz vorher „Gloria“ veröffentlicht und demzufolge fanden sich viele Stücke der Scheibe in der Setlist. Leider wurde „Back To Times Of Splendor“ dadurch etwas vernachlässigt und nur mit „Alone I Stand In Fires“ bedacht, dafür konnte man an dem Abend aber auch ein Stück der Demo „Three Neuron Kings“ hören. Nichtsdestotrotz eine prägende Erfahrung, auch wenn es noch knappe neun Jahre nach dem Last Night On Earth dauern sollte, bis unser junger Konzertbesucher dann endlich das Debütwerk in voller Länge live erleben sollte.

GRAVEWORM und ONE MAN ARMY AND THE UNDEAD QUARTET müssen da erst einmal mithalten

In der Retrospektive kamen beide Gigs nicht sonderlich gut weg, gerade GRAVEWORM klangen an diesem Abend erstaunlich kraftlos und nicht einmal die Performance von „I – The Machine“ mochte dieses noch retten. ONE MAN ARMY AND THE UNDEAD QUARTET hatten nicht den besten Sound des Tages und zudem ihr bestes Album „Error In Evolution“ noch nicht veröffentlicht, sodass die Songs des Debüts „21st Century Killing Machine“ nicht ausreichten, um unseren Jüngling zu überzeugen.

Aus der heutigen Perspektive wären die beiden Gigs ein großes Leckerli, da GRAVEWORM mit Sicherheit einige Klassiker ihres Frühwerks mit im Set hatten und ONE MAN ARMY AND THE UNDEAD QUARTET ja zu Gunsten von THE CROWNs Reunion mit Johan Lindstrand aufgelöst wurden.

SAVAGE CIRCUS und DISBELIEF treffen auf ein aufgewärmtes Publikum

Zu den Highlights des Last Night On Earth zählte sicherlich die Performance von SAVAGE CIRCUS. Damals traten sie mit ihrem Debütalbum „Dreamland Manor“ an und auch, wenn zu dem Zeitpunkt BLIND GUARDIAN noch nicht wirklich auf dem Radar des unwissenden Konzertbesuchers waren, so würde der Gig den Krefeldern alle Ehre machen. Thomen Stauch an den Drums, Piet Sielck an der Gitarre und Jens Carlsson am Gesang sorgten für eine Power-Metal-Performance erster Güteklasse. Schade, dass diese Band sich viel zu früh aufgelöst hat.

DISBELIEF lieferten dann den ersten lupenreinen Death-Metal-Gig des Abends und wussten zu überzeugen. Zuhause stand bisher nur die „66sick“ im Regal, welche selten gehört wurde und das Konzert hat deswegen definitiv einige Pluspunkte für die Band rausgeholt. Das Problem dabei war nur, dass die nächste Band nicht nur für den Verfasser die Band war, auf welche gefühlt drei Viertel der Halle warteten und deswegen deren Zeitüberziehung von fünf Minuten anstelle von Applaus mit erhobenen Mittelfingern bekundet wurde.

EQUILIBRIUM und LEGION OF THE DAMNED – Von prägenden Erlebnissen und Starallüren

EQUILIBRIUM waren 2006 definitiv eine der angesagtesten Pagan-Metal-Bands Deutschlands. Zudem waren sie die unangefochtene Lieblingsband unseres kuttentragenden Schülers zu der Zeit. Schon zuhause wurde sich ausgerechnet, dass mit einer Stunde Spielzeit quasi das ganze „Turis Fratyr“-Album gespielt werden konnte und der Hype darauf wuchs ins Unermessliche. Wenn sie den ungeliebtesten Song des Albums („Die Prophezeiung“) streichen würden, würde sogar „Nach dem Winter“ aus der Demo ins Set passen. Und so kam es tatsächlich auch, genau dieses Set wurde gespielt, sogar inklusive des unsterblichen „Tote Heldensagen“. Zudem präsentierten sie damals schon „Blut im Auge“ vom erst 1,5 Jahre später erscheinenden „Sagas“. Und auch wenn der Moshpit die zarten Knochen fast zerdrückt hätte, so dauerte es doch eine Weile, bis die Ehrfurcht vor dem gerade Erlebten nachließ.

Umso ernüchternder war dann der Gig von LEGION OF THE DAMNED, die sich nicht mit der Second Stage zufrieden geben wollten und deswegen eine lange Umbaupause folgte, damit die Band, die in dem Jahr gerade erst „Malevolent Rapture“ veröffentlicht hat, auch auf der großen Bühne spielen konnte. Das Unverständnis darüber trübt die Erinnerung an den Gig, der auf Grund der Setlist sicherlich fett war.

Der Abschluss – EKTOMORF, END OF GREEN und WINTERSUN

EKTOMORF haben mit „Outcast“ ihr wohl bis heute wichtigstes Album kurz vor dem Last Night On Earth veröffentlicht und spielen davon dementsprechend viele Songs live. Zusammen mit „Fuck You All“ und ein, zwei weiteren Klassikern war das Grund genug, die schon arg schwindenden Kraftreserven noch einmal zu mobilisieren, um für die Band standesgemäß abzugehen. Der späte Platz in der Running Order war jedenfalls goldrichtig, denn die Kraft, die die Band damals wie heute versprüht, macht müde Männer und Frauen wieder munter. Nicht dauerhaft jedoch, denn unsereiner setzte sich danach auf den Boden an die Hallenwand und verschlief spontan den kompletten Gig von END OF GREEN und das sogar, obwohl an dem Tag kein Alkohol getrunken wurde.

Dafür war die Fitness dann beim Headliner WINTERSUN, der immerhin von ein bis zwei Uhr nachts spielen sollte, wieder da. Nur ärgerlich, dass der Sound zickte und, dass um Punkt zwei Uhr morgens Schicht im Schacht sein musste, WINTERSUN aber auf Grund der durch LEGION OF THE DAMNED entstandenen Verspätung ihr Set kürzen mussten. Das gefiel dem Publikum natürlich überhaupt nicht, war aber nicht zu ändern. Immerhin gab es unter anderem die beiden Übertracks „Winter Madness“ und „Starchild“ zum ersten Mal für uns auf die Ohren.

Die erste Festivalerfahrung wird einem immer im Gedächtnis bleiben

Bis heute findet das damals schon in weiser Voraussicht in XL gekaufte Leibchen Platz auf dem Körper und auch das erste Festivalbändchen, beziehungsweise das, was davon nach knapp zehn Jahren am Arm noch übrig war, wird natürlich sorgfältig aufbewahrt. Die erste Festivalerfahrung ist etwas, was wohl niemand vergessen wird und so viele Träume in Sachen Liveerlebnis an einem Tag erfüllen zu können war einmalig! Zudem war es auch so kräftezehrend, dass der nun komplett geplättete Jüngling kurz nach Beginn der Rückfahrt auf dem Beifahrersitz einratzte, während sein alter Herr ihn und seinen Kumpel sicher heimbrachte. Danke, Papa!

31.05.2023

Redakteur für alle Genres, außer Grindcore, und zuständig für das Premieren-Ressort.

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