Sascha Blach
Lyrische Eruptionen - Der erste Gedichtband von Sascha Blach

Special

Ist es für den Ottonormalverbraucher ein ziemlicher Unterschied, ob er ein Buch liest, oder eine CD hört, ist die Wahl des Mediums für einen kunstschaffenden Menschen meist nur zweitrangig. Als Musiker muss man ja ohnehin etwas von Literatur verstehen, wenn man sich an cleveren Songtexten probieren will, und wer Dramatik über Akkorde und Spannungskurven ausdrückt, findet dies in ähnlicher Form auch in den meisten guten Büchern wieder. Das wir von Metal.de nun mit unserer metal-only Politik brechen und den 200-seitigen Gedichtband „Trümmerpfad zur Transzendenz“ besprechen, liegt primär daran, dass Autor Sascha Blach in vergangenen Konzeptalben von DESPAIRATION oder insbesondere der letzten EDEN WEINT IM GRAB schon immer in der literarischen Ausarbeitung der Texte einen genausohohen Stellenwert wie die Musik gesehen hatte, was im Falle des letzteren Albums schließlich auch von zahlreichen Seiten kritisiert wurde. Umso nachvollziehbarer ist es daher, dass er es nun ganz ohne Musik versucht und sich als Schöpfer des „Visionismus“ in Szene setzen will.

Sascha Blach

Und dazu bedient er sich sechs Kapitel, die sich alle mit einem gewissen Phänomen jenes auserkorenen Genres auseinandersetzen, und wohlklingend zusammengesetzte Namen wie „Der Blick durchs transzendente Fenster – Naturmystik und phantastische Gedankenspiele“ tragen. Die Etablierung und Definierung der Gattung scheint also jederzeit eines der obersten Ziele des transzendenten Trümmerpfads zu sein. Und der Erfolg des Buches ist damit zu einem großen Maße auch von der Frage abhängig, ob es dieses sich damit auch nicht übernommen hat.

Und wie so oft in der Kunst, lautet die Antwort ‚Jein‘. Glaubt man anfangs noch es mit einem ziemlichen Übermut zu tun zu haben, wenn ein Autor sich selbst als Vorbote einer neuen Gattung sieht und diese auch selbst benennt – an dieser Stelle sei an die vielen Kunstexzentriker erinnert, die von sich selbst behaupten, sie würden der ‚Avantgarde‘ angehören – zeugt das Vorwort von einem durchdachten philosophischen Konstrukt samt einer detaillierten Gesellschaftskritik. Es geht also beileibe nicht alleine um die namensgebende Transzendenz, in der Blach durch die Kunst Unsterblichkeit erlangen will und sich als Teil eines höheren Strebens sieht, auch wenn das zugegebenermaßen einer der Hauptgedanken ist. Mindestens gleichwertig steht dem eine Entlarvung der Gesellschaft als moralisch verwerflicher Sündenpfuhl, der keinerlei Raum für Optimismus lässt.

Erschreckenderweise ist die Methode, mit der sich Blach an diesem Thema abarbeitet unangenehm stumpf. Wären seine Gedichte Kurzfilme, würden sie wohl die etwas tiefsinnigeren Brüder von Youtubefilmen wie „2 girls 1 cup“ sein. Versteht man beim Thema Veganismus noch, warum der Autor den Mensch möglichst animalisch und abstoßend darstellen will, wünscht man sich an zahlreichen anderen Stellen schon fast Eisregen-Texter M. Roth vorbei, wenn über Seiten hinweg diverse Ekelszenerien in Zeitlupe ausgebreitet werden um die Gedichte in verglichen dazu schon fast nichtigen Profanitäten beenden zu lassen. Eine Entwicklung, die man vom Anfang bis zum Ende eines Gedichtes erwartet, findet nur selten statt. Stattdessen kommt teilweise über Kapitel hinweg kaum eine der „lyrischen Eruptionen“ ohne verfaultes Fleisch, erschlagene Kinder und jede Menge Ejakulation aus. Als großer Freund von Gottfried Benn wäre ich zwar der Letzte, der sich per se darüber aufregen würde, aber an zu vielen Stellen ist mir schlichtweg nicht klar geworden, worauf man damit nun eigentlich genau hinauswill.

Denn auch daran hat sich Blach einen Bruch gehoben: Zwar ist es verständlich, ein neu erfundenes Genre erstmal definieren zu wollen, doch anstatt, dass sich ein Thema in einem Kapitel von Gedicht zu Gedicht weiter entblättert, kommt es zu einer etwas tranigen Repetition der ständig gleichen Motive. Und das, ohne dass man über Strophen hinweg irgendetwas Neues zu lesen bekommt. Auch die sechs Kurzgeschichten, die am Ende eines jeden Kapitels stehen, bringen keinen größeren Erkenntnisgewinn. Stattdessen schildern sie meist sehr unsympathische Kuriositäten, hinter denen zwar durchaus Überlegungen stecken, die aber so spannungslos breit getreten werden, dass nach den ersten Seiten eigentlich schon alles gesagt ist.

Dass das Lesen des Buches dennoch einen gewissen Unterhaltungswert hat, liegt primär an zwei Dingen. Zum einen hat Blach mit den Dingen die er anprangert schlichtweg Recht. Seine Argumentationen sind schlüssig, der Wunsch nach Transzendenz nachvollziehbar und die Analyse von gesellschaftlichen und kulturellen Missständen präzise. Die Art, wie sie bearbeitet wurden, wirken mitunter etwas plump, treffen aber einen wahren Kern.
Zum zweiten drosselt die Anordnung, in der alle thematisch gleichen Gedichte auf einen Haufen gepackt wurden, den Spannungsgrad zwar merklich, dennoch fallen einige Perlen auf. So haben mich als alten Formalisten der ironisch gewählte Knittelvers im „Nonkonformist“ und die aggressiven Wortverbindungen in der „VersVerGEWALTigung“ gefreut. Aber gerade im letzten Kapitel läuft Blach nochmal zur Hochform auf und begeistert mit einer angenehm vielschichtigen Form der Endzeitbeschreibung.

So glaube ich zwar nicht, dass „Trümmerpfad zur Transzendenz“ in lyrischen Kreisen auf sich aufmerksam machen kann, halte das Buch aber für eine gelungene Momentaufnahme unserer Zeit, die in kommenden Werken hoffentlich auch in der Bearbeitung besser zur Geltung kommt. Denn ob die neue Genrebezeichnung „Visionismus“ durch jene Gedichtsammlung wirklich gerechtfertigt ist, oder wir es hier schlichtweg mit kritischen und morbiden Themen zu tun haben, die mit dem Werkzeug der deutschen Romantik angefasst wurden, ist an diesem Punkt noch nicht zu beantworten.

Dem Band liegt ein Hörbuch bei, für das 20 der Gedichte musikalisch aufbereitet vertont wurden.

17.09.2009

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