My Sleeping Karma
Macht man die Augen zu, kann es ein sehr intensiver und mitunter überraschender Trip werden

Interview

Sieben Jahre dauerte es, ehe MY SLEEPING KARMA mit „Atma“ ein neues Album veröffentlichen. Eine schwierige Zeit für die Band, welche immer wieder am Abgrund stand. Was die Band alles in den letzten Jahren durchmachte und welche Auswirkungen das auf das neue Album hatte, besprachen wir im Interview mit Schlagzeuger Steffen.

Cover Artwork von MY SLEEPING KARMA "Alma"

Cover Artwork von MY SLEEPING KARMA „Alma“

Offensichtliche Frage zuerst – es hat sieben lange Jahre seit eurem letzten Studioalbum „Moksha“ gedauert, ehe ihr mit „Atma“ ein neues Album veröffentlicht. Was waren die Gründe, weshalb wir so lange auf ein neues Album von euch warten mussten?

Die Gründe waren recht vielschichtig. Nach „Moksha“ waren wir irgendwie ausgebrannt und hatten lange Zeit keine Inspiration zum Proben bzw. schreiben neuer Songs. Insbesondere unser Gitarrist Seppi war inspirationslos und genervt von seinem eigenen Spielstil. Das war einer der Gründe für das Livealbum „Mela Ananda“, weil wir einfach gespürt haben, dass wir eine Pause benötigen. Als wir danach wieder mit dem Songwriting angefangen haben, wollte Seppi unbedingt ein Metal-Album schreiben, weil er eben von seinem bisherigen Stil genervt war und es anders machen wollte. Das haben wir dann auch gemacht, aber nach einer ganzen Weile entschlossen, die entstandenen Songs alle wieder in die Tonne zu klopfen, weil sie einfach keine wirklichen MY SLEEPING KARMA Songs waren. Das hat irgendwie nicht wirklich zu uns gepasst.

Danach wurde uns dann unser Studio gekündigt, sodass wir unser gesamtes Equipment in unseren Proberaum umziehen mussten. In dem Zuge haben wir den Proberaum umgebaut und alles renoviert. Das hat einige Zeit in Anspruch genommen.

Kurz nachdem wir wieder mit dem Songwriting begonnen und gerade fünf oder sechs Songs geschrieben hatten, habe ich meine Krebsdiagnose bekommen. Der war leider schon so fortgeschritten, dass sofort mit der Chemo begonnen werden musste. Also wieder ein halbes Jahr Pause. Ich hatte mich gerade von der Chemo erholt und wir wollten weitermachen – dann kam der Lockdown. Wieder Pause. Während dem Lockdown hat dann unser Bassist persönliche Probleme bekommen und musste in Folge dessen noch eine Scheidung hinter sich bringen.

Ich denke, man kann sich relativ gut vorstellen, dass unsere Gesamtstimmung nicht wirklich gut war. Nach alldem haben wir uns irgendwann Ende 2020 die vorhandenen Songs angehört und festgestellt, dass diese irgendwie nicht mehr zu unserer aktuellen Stimmung passen, weil sie eben unter ganz anderen Voraussetzungen geschrieben wurden. Also haben wir entschieden, alle Songs noch einmal umzubauen und sie unserem Gemütszustand anzupassen. Das Ergebnis kann man nun letztendlich auf „Atma“ hören. Es mag sicherlich nicht das Album mit den meisten Ohrwürmern sein, aber für uns ist es das mit Abstand emotionalste Album.

Ihr hattet absolut schwierige Zeiten durchlebt, und es stand sogar im Raum, MY SLEEPING KARMA zu beenden. Welchen Einfluss hatte diese Phase auf das neue Album „Atma“? 

Wir haben eine relativ simple Vorgehensweise beim Songwriting: Der Song muss sich für alle gut anfühlen beim Spielen. Tut er dies nicht, bauen wir ihn entweder um, oder wir verwerfen ihn komplett.

Insofern hatten diese Ereignisse natürlich massiven Einfluss auf das Album, da wir beim Songwriting eine ganz andere Gefühlslage hatten. Die Gefühle beeinflussen sehr direkt, was man gut oder weniger gut findet was wiederum die Entstehung und den Aufbau der Songs beeinflusst.

Inwiefern hat die Zeit eure persönlichen Bande enger zusammengeschweißt?

Es war bei uns schon immer so, dass wir sehr viel reden und diskutieren vor und bei der Probe. Häufig gerät die Musik in den Hintergrund vor lauter Diskussionen. Was aber neu und prägend war in dieser Zeit ist, dass wir an manchen Tagen einfach zusammen geweint haben, ohne viele Worte zu verlieren. Das war natürlich schmerzhaft, aber auch extrem erleichternd. Ich denke schon, dass uns diese Zeit noch enger zusammengeschweißt hat.

Habt ihr inzwischen wieder euren inneren Frieden gefunden? Ist „Atma“ so etwas wie eure Katharsis?

Wir haben uns sicherlich gegenseitig noch besser kennen- und schätzen gelernt durch diese Zeit. Insbesondere hat diese Zeit gezeigt, dass man den anderen sein lassen darf, so wie er ist. Ohne ihn groß beeinflussen zu müssen. Jeder Einzelne ist für sich gut, genauso wie er eben ist. Insofern ist hier sicherlich ein stückweit mehr Frieden eingekehrt. Was meine Erkrankung anbelangt ist es aber leider so, dass es jederzeit wieder schlimmer werden kann und möglicherweise weitere Chemos notwendig werden, oder es eben irgendwann keine weitere Behandlungsmöglichkeit mehr gibt. Insofern bin ich dankbar für jeden einzelnen Tag!

Wie würdest du aus deiner Sicht die musikalische Entwicklung von MY SLEEPING KARMA beschreiben? Und wo siehst du die Entwicklung oder Unterschiede zwischen „Atma“ und euren vorherigen Arbeiten, die zu diesem Album geführt haben?

Oje – das können Außenstehende aus meiner Sicht wesentlich besser beurteilen. Man ist bei eigener Musik in der Regel relativ „Betriebsblind“. Für uns ist einzig und alleine wichtig, dass wir Spaß haben beim Spielen. Ob das musikalisch dann super anspruchsvoll ist, halte ich eher für eine Nebensache.

Welche Bedeutung steckt hinter dem Albumtitel und wie ist die Verbindung zum Cover von Sebastian Jerke?

Bei „Soma“ ging es thematisch um die geistige Welt und bei „Moksha“ um die Verbindung der geistigen mit der realen Welt. Die Idee für das neue Album war, sich mit der Zeitlinie an sich und einer möglichen Zukunft zu beschäftigen. Wir haben daher das Wort „Atma“ als Albumtitel gewählt.

„Atma“ oder Atman wird als das wahre Selbst eines jeden Wesens beschrieben, die ewige unzerstörbare innere Gestalt. Diese ewige und unveränderliche Identität, dass ICH BIN, das bewusste und unwandelbare Selbst ist der Empfänger jeglicher Wahrnehmung und wird von der feinstofflichen Hülle und dem grobstofflichen Körper bedeckt.

Hintergrund zur Gesamtstory von „Atma“ sind die offenkundigen weltweiten Entwicklungen. Möchte man die negativen Punkte herausheben, so scheint es immer mehr Konflikte zu geben, die Toleranz bzw. Offenheit für andere Meinungen scheint massiv abzunehmen, Propaganda und Desinformation nehmen massiv zu und gleichzeitig wird das Potential für eine großflächige Überwachung massiv ausgebaut.

Dem gegenüber steht allerdings eine zunehmende Offenheit für Spiritualität, eine zunehmende Toleranz gegenüber Randgruppen, eine erhöhte Sensibilität gegenüber unserer Umwelt sowie zunehmende Offenheit für lokale statt globale oder zum Beispiel auch fleischlose Produkte.

Das Folgende mag sich für einen strikt rational denkenden Menschen eher wie Nonsens anhören, aber wer sich ein klein wenig mit Spiritualität beschäftigt bzw. auskennt, der kann dem möglicherweise zustimmen: Wir sind davon überzeugt, dass eine friedvolle und glückliche Zukunft der Menschheit kommen wird. Dies ist allerdings nur dann möglich, wenn sich die Menschen mehr der Spiritualität, dem Inneren öffnen und sich dessen bewusstwerden, wer wir wirklich sind. Wir sind in Wahrheit friedvolle empathische Wesen voller Liebe. Dieser Prozess wird auch „The Great Awakening“ genannt.

Sebastian hat versucht, im Booklet diesen Prozess des spirituellen Erwachens mittels symbolischer Personen darzustellen. Die Kurzform davon ist quasi das Cover, welches die Verkrustung, den Schleier zeigt, der von der Erde weggerissen wird.

Zu „Prema“ habt ihr ein Video gedreht, in welchem ihr euch mit dem Stand unserer heutigen Gesellschaft auseinandersetzt. Kannst du bitte etwas näher darauf eingehen?

Das Video zu „Prema“ behandelt exakt die gleiche Story wie soeben beschrieben. Also die Story zu „Atma“, allerdings haben wir hier andere Bilder bzw. eine andere Visualisierung gewählt, als im Booklet. Sonst wäre es ja zu gleichförmig bzw. langweilig geworden.

Ist das Musizieren eine Art spirituelle Erfahrung für dich?

Im weitesten Sinne ja. Musik machen besteht ja nicht nur daraus, zum Beispiel die richtige Note im korrekten Moment anzuschlagen. Vielmehr würde ich es als ein gemeinsames Einlassen mehrerer Personen auf ein bestimmtes Feeling, auf eine bestimmte Schwingung beschreiben. Je besser man es schafft, die gemeinsame Schwingung zu finden, desto mehr kann man Mitreißen. Voraussetzung ist natürlich, dass sich der Hörer darauf einlassen möchte bzw. kann.

Wie wichtig ist für euch musikalische Freiheit und Entwicklung, da ihr ja einen Stil spielt, in dem die Pioniere selbst ziemlich abenteuerlustig und offen für Entwicklung waren?

Unsere musikalische Freiheit ist uns natürlich sehr wichtig. An dieser Stelle muss ich mal ein Lob an Napalm Records loswerden: Wir wurden zu keinem Zeitpunkt zu irgendetwas gedrängt. Weder was die Musik an sich anbelangt, noch das Cover noch irgendwelche Veröffentlichungszeiträume. Napalm hat uns immer völlige Freiheit gelassen und uns vorbehaltlos unterstützt, sobald wir etwas veröffentlichen wollten. Das ist absolut top. Besser geht es nicht. Vielen Dank dafür!

Wenn du die Atmosphäre von MY SLEEPING KARMA mit einem Film vergleichen würdest – welcher Film fällt dir ein und warum?

Oje – da fällt mir kein wirklich passender Film ein. Am besten würde noch „Inception“ passen. Macht man die Augen zu, kann es ein sehr intensiver und mitunter überraschender Trip werden 🙂

Ihr spielt seit euren Anfängen in der Originalbesetzung. Was ist euer Geheimnis, was hält das Feuer in euch am Brennen? 

Es macht einfach nach wie vor sau Spaß mit den Jungs Musik zu machen. Warum das genau so ist, kann ich nicht wirklich sagen. Ich vermute mal, dass wir vier zufällig den gleichen Kanal öffnen und uns gegenseitig aufeinander einlassen können, so dass ein gemeinsames Feeling erzeugt wird.

Ansonsten ist es ähnlich wie in einer Ehe – wir reden einfach immer offen miteinander und sagen uns, sobald einem irgendetwas nicht passt. Ehrlichkeit, Offenheit und eine gute Kommunikation sind das A und O einer funktionierenden Beziehung 🙂

Was habt ihr in nächster Zukunft geplant?

Wir spielen erst einmal die gebuchten Sommerfestivals, dann schauen wir mal weiter. Man konnte ja leider nicht allzu weit vorausplanen, weil niemand weiß, was die Politiker für den Winter so aushecken. Kommt wieder ein Lockdown? Kommen Konzertabsagen? Niemand weiß.

Hinzu kommt, dass sich bei mir die Situation mit dem Krebs jederzeit wieder verschlechtern kann. Von daher hatten wir leider erst einmal nichts für Herbst/Winter geplant. Wir haben kürzlich darüber diskutiert eventuell für das Frühjahr 2023 eine Tour anzudenken. Das steckt aber noch in den Kinderschuhen. Schauen wir mal, was sich ergibt.

Vielen Dank für das Interview! Die letzten Worte gehören dir!

Vielen herzlichen Dank an alle Fans und Freunde da draußen. Ohne euch wäre das alles nicht möglich gewesen. Wir sind einfach unglaublich dankbar für alles, was wir die letzten Jahre erleben durften!

Behaltet euer gutes Karma.

With Love

Steffen, Matte, Seppi, Norman

09.08.2022

Geschäftsführender Redakteur (stellv. Redaktionsleitung, News-Planung)

Interessante Alben finden

Auf der Suche nach neuer Mucke? Durchsuche unser Review-Archiv mit aktuell 36677 Reviews und lass Dich inspirieren!

Nach Wertung filtern ▼︎
Punkten
Nach Genres filtern ►︎
  • Black Metal
  • Death Metal
  • Doom Metal
  • Gothic / Darkwave
  • Gothic Metal / Mittelalter
  • Hardcore / Grindcore
  • Heavy Metal
  • Industrial / Electronic
  • Modern Metal
  • Off Topic
  • Pagan / Viking Metal
  • Post-Rock/Metal
  • Progressive Rock/Metal
  • Punk
  • Rock
  • Sonstige
  • Thrash Metal

Kommentare