Amorphis
Interview mit Esa Holopainen zu "Eclipse"

Interview

In den zwei ein halb Jahren, die seit dem Release ihres letzten Albums „Far From The Sun“ vergangen sind, ging es ganz schön rund im Hause AMORPHIS. Nachdem die 2003er Scheibe abseits größerer Beachtung auf Virgin Records erschienen war, verließ Sänger Pasi Koskinen im Sommer 2004 die Band und hinterließ eine nur schwer zu schließende Lücke. Nicht wenige dürften sich gefragt haben, wie es mit dem Verlust einer der markantesten Stimmen im Metal nun bei den Finnen weitergehen sollte. Abhilfe – und weit mehr als nur das – fand man in Tomi Joutsen, der die Band seit Januar 2005 mit seiner Stimme bereichert. Doch auch auf geschäftlicher Seite ging es hoch her. Nach einigen Irrungen und Wirrungen kehren die Finnen nun in mehrerer Hinsicht zurück zu ihren Wurzeln. Zum einen ist man nach dem wenig glücklichen Ausflug zu Virgin Records wieder zum langjährigen Partner Nuclear Blast zurückgekehrt. Zum anderen bewegt man sich auf dem dieser Tage erscheinenden neuen Hammeralbum „Eclipse“ auch auf musikalischer Seite – sowohl textlich als auch kompositorisch – zurück in die Neunziger, und legt das fehlende Bindeglied zwischen „Elegy“ und „Tuonela“ vor. Es gab viel zu besprechen. Mein Partner bei der Aufarbeitung des Geschehenen: Esa Holopainen.

Hallo Esa, ich hoffe bei dir ist alles klar! Warum macht Ihr die Interviews nicht von Deutschland aus?

Weil wir sie genauso gut von hier aus machen können, haha! Es einfacher, sie von hier aus zu geben. Es ist nett, in Donzdorf zu sein, aber ich hätte vier Tage dort sein müssen. So bin ich jetzt vier Tage hier. Das Nuclear Blast Office ist zwar wirklich toll, aber nach vier Tagen in Donzdorf bekommt man schon ein wenig klaustrophobische Gefühle, haha!

Seit Eurem letzten Album ist ja eine ganze Menge vorgefallen. Die erste Frage, die kommen muss, ist natürlich: wie seid Ihr auf Tomi gekommen?

Über Empfehlungen. Ein Freund unseres Gitarristen Tomi [Koivusaari – Anm. d. Red.] spielte in einer kleinen Demoband, in der auch Tomi [Joutsen – Anm. d. Red.] sang, und er hat ihn uns empfohlen, weil er meinte, er hätte eine gute Stimme, die wir gebrauchen könnten. Da es mit ihrer Band zu dem Zeitpunkt eh nicht vorwärts ging, kam Tomi dann vorbei, um mit uns zu proben. Wir haben ein paar alte Songs gespielt und es hat wirklich gut mit ihm funktioniert! So hat eigentlich alles angefangen. Ich denke wir wussten sofort, dass er der neue Sänger sein würde.

Hattet Ihr noch andere Anwärter im Kopf?

Nein. Wir haben zwar eine Menge Demos erhalten und es waren auch wirklich viele gute Sänger darunter. Aber dennoch war keine Stimme dabei, die gut genug zu unserer Musik gepasst hätte. Unsere Ansprüche waren aber auch entsprechend hoch. Wir brauchten jemanden, der sowohl die Growls für die alten Songs als auch die cleanen Parts beherrscht. Zum Glück lief uns Tomi über den Weg!

Da kann man wirklich von Glück sprechen! Meiner Meinung nach ist Tomi stimmlich gar nicht so weit von Pasi entfernt, hat aber mehr Volumen in seiner Stimme. Habt Ihr bewusst nach einer Stimmte Ausschau gehalten, die mit Pasis vergleichbar ist?

Wir wollten eine Stimme, die in etwa auf demselben Level, derselben Frequenz liegt, wie Pasis, aber trotzdem eigenständig klingt. Tomi hat etwas mehr Bass in seiner Stimme, trifft die Töne aber auf dieselbe Art wie Pasi. Bei unseren Songs ist es relativ natürlich, dass man bei ähnlichen Vocal Lines herauskommt.

Als ich damals hörte, dass Pasi die Band verlassen hat, fragte ich mich, was nun aus der Band werden würde, da seine Stimme einzigartig ist und den Klang der Band sehr geprägt hat.

Ich bin sicher, wir hätten niemanden auswählen können, der „nur“ eine gute Stimme hat. Wir wussten, welche Art Stimme wir suchen, hatten diese aber erst mit Tomi gefunden. Einen mittelmäßigen Sänger oder jemanden mit einer zu andersartigen Stimme hätten wir nie in die Band aufgenommen. Das hat keinen Sinn.

Hast Du Dir Sorgen um die Zukunft gemacht, als sich Pasi entschloss, die Band zu verlassen?

Eigentlich nicht. Wir haben das respektiert und fanden es OK. Es gibt niemanden in unserer Band, der nicht ersetzbar wäre. Natürlich war Pasi als Sänger stets im Mittelpunkt, die Band war aber nicht um ihn herum aufgestellt. Wir merkten erst ein paar Monate nach seinem Ausstieg, als wir begannen, nach einem neuen Sänger Ausschau zu halten, wie wichtig er für die Band war und wie schwer es war, ihn zu ersetzen. Es war eine wirklich schwere Zeit. Wir waren ziemlich frustriert und dachten sogar darüber nach, ein reines Instrumentalalbum aufzunehmen.

Wäre das wirklich eine denkbare Alternative gewesen?

Ein rein instrumentales oder akustisches Album ist auf jeden Fall eine interessante Idee! Persönlich liebe ich akustische Musik sehr und eine Akustikplatte wäre mit Sicherheit ein nettes Projekt. Ob mit AMORPHIS oder nicht könnte ich jetzt nicht sagen, aber reizen würde es mich auf jeden Fall! Ich finde alte, traditionelle, bodenständige Instrumente sehr faszinierend. Wir wollten jedoch erst einmal ein sehr straightes AMORPHIS Album machen.

Und das ist Euch gelungen. Die Scheibe klingt ziemlich back to the roots. Und das nicht nur aufgrund der Growls, sondern auch aufgrund des Feelings, das mich an „Elegy“ und „Tuonela“ denken lässt. Steckt eine besondere Absicht dahinter?

Der Hauptgrund dafür, dass das Album eher klingt wie einige unserer früheren Sachen, ist Tomi. Als er zur Band stieß, hatten wir bereits einige Songs fertig und konzentrierten uns darauf, seine Vocals darin einzupassen. Tomi ist großer Fan unserer alten Alben und sagte, er würde neben den cleanen Parts auch gerne wieder Growls einbringen. Wir hatten nichts dagegen. In der Folge war es glaube ich nur normal, dass wir vermehrt heaviere Gitarren eingebaut haben und versucht haben, die Songstrukturen neben cleanen Vocals auch auf Growls auszulegen. Wenn ich mir die Scheibe jetzt anhöre, erinnern mich viele Stellen an unsere früheren Scheiben. Gleichzeitig gibt es aber auch Elemente, die uns weitertragen und eine neue Seite für AMORPHIS aufschlagen.

Das sehe ich genauso. Es ist auf jeden Fall auch eine Weiterentwicklung von „Far From The Sun“.

Ja, obwohl „Far From The Sun“ ein ungewöhnliches Album ist. Ich mag viele der Songs, die auf der Platte sind. Es sind wirklich gute dabei. Aber zu der Zeit, als wir das Album aufnahmen, merkten wir schon, dass Pasi nicht mehr so motiviert war. Es war recht schwer, ihn zum Arbeiten zu bewegen. Als wir für „Far From The Sun“ dann auf Tour waren und Festivals spielten, kamen wir an den Punkt, wo wir dann Tacheles mit ihm redeten und ihn fragten, ob es noch Sinn macht, weiter in der Band zu sein. Seine unmotivierte Art hat sich auf die Band übertragen.

Viele Leute halten „Far From The Sun“ für zu poppig und machen Virgin dafür verantwortlich. Hatten sie tatsächlich einen Einfluss auf die musikalische Seite der Platte?

Sie hatten weder Einfluss auf die Produktion noch auf das Material, das wir schrieben. Sie wollten nur eine Metalband für ihre Dependance in Finnland. Als wir aus unserem Vertrag mit Relapse rauskamen, hatten wir einfach genug von den Konditionen, die wir bislang hatten, und wollten etwas Neues ausprobieren. Virgin waren eines der Labels, die uns einen sehr guten Deal angeboten haben. Sie versprachen uns eine Menge Dinge, die sie am Ende nicht halten konnten. Ich weiß nicht, was uns im Endeffekt zu der Unterschrift bewogen hat, denn ich denke, wir hatten alle so eine Ahnung, dass Majors nicht wirklich wissen, was sie tun. In unserem Fall war es genau so. Manchmal hat es funktioniert, aber in den meisten Ländern, in denen das Album erschienen ist, war es mehr oder weniger ein Witz. Die Scheibe kam heraus, aber niemand hat etwas für sie getan. Und dann wussten sie nicht einmal, was sie damit anfangen sollten. Wenn ich jetzt zurückschaue muss ich sagen, dass es die Verschwendung eines guten Albums war. Wir sind jetzt allerdings in der glücklichen Position, beide Seiten – sowohl Independent Label als auch Major Label – zu kennen, und nach unserer Major Zeit ein noch stärkeres Album aufgenommen zu haben.

Hat Euch Eure Zeit bei Virgin zurückgeworfen?

Ich denke, unsere Zeit bei Virgin war eher experimenteller Natur, haha! Keiner von uns wusste zu dem Zeitpunkt, was wir als Band wirklich wollten. Wir hatten keine großen Erwartungen an Virgin. Natürlich wussten wir, dass es entweder besser oder eben auch schlechter laufen könnte als bisher. Naja, dann wurde der Alptraum Wirklichkeit und die ganze Situation wurde noch schlimmer. Wir hätten das Album damals selber rausbringen können und hätten eine bessere Promotion gehabt, als das, was Virgin für uns getan haben.

Ich habe damals eine Woche vor VÖ erfahren, dass es ein neues AMORPHIS Album geben wird…

Als wir zu der Zeit in Österreich auf einem Festival gespielt haben, hat uns ein Journalist angesprochen, den wir schon etwas länger kennen. Er hat uns vor Ort um ein Interview gebeten, nachdem er bei Virgin/Österreich angerufen hatte und die ihm gesagt hatten, die Band sei auf Festivaltour und gebe keine Interviews, haha! Und wir hatten uns die ganze Zeit gewundert, warum es keine Interviews gab…

Wie war eigentlich die Tour zu „Far From The Sun“? Ich erinnere mich, dass ich Euch damals in einem ziemlich kleinen, unbekannten Club gesehen habe.

Das war genauso ein Desaster. Wir wurden für wirklich komische Locations gebucht und es gab nicht einmal Promotion für die Konzerte. Es war alles ziemlich komisch. Die Tour kam nur zustande, weil wir unserem Booking Agent Beine gemacht haben und ihn dringend darum gebeten haben, etwas zu tun. Am Ende kamen sie dann mit dieser Tour an, die in drei Wochen auf die Beine gestellt worden war. Es gab zwar ein paar gute Shows, aber mindestens genauso viele, die einfach nur seltsam waren.

Hofft Ihr jetzt auf eine bessere Zukunft mit Nuclear Blast?

Ich bin mir sicher, dass es besser wird als mit Virgin! Ich weiß noch, dass wir 2003 einige Festivals gespielt haben. Unter anderem eines in Deutschland [Summer Breeze 2003 – Anm. d. Red.]. Dort haben wir Markus [Staiger – Anm. d. Red.] von Nuclear Blast getroffen. Er sagte uns damals, dass falls es Probleme geben sollte – wie es ja den Anschein machte – wir bei Nuclear Blast jederzeit willkommen wären. Etwas später wussten wir, dass wir nicht weiter mit Virgin zusammenarbeiten wollten und fragten bei NB an, was sie davon halten würden, wenn wir wieder zusammenkämen. Sie waren begeistert davon und so kam eines zum anderen. Es war eine ganz schöne Erleichterung für uns, da wir die Leute bei NB seit Jahren kennen. Jetzt können wir eben beurteilen wie sie im Vergleich zu Majors arbeiten. Der Unterschied ist wie Tag und Nacht. Es fühlt sich sehr gut an, wieder bei ihnen zu sein. Wir haben nicht einmal über Alternativen nachgedacht. Wir waren sehr frustriert und wollten nur noch zu diesem Label zurück, das wir von früher her kannten, und von dem wir wussten, dass es gut arbeitet.

Wie sieht es denn dieses Jahr mit Festivals und Tourneen aus?

Wird es geben! Wir sind derzeit dabei, einige Shows zu buchen. Ziemlich sicher ist, dass wir auf dem Wacken spielen werden. Was sonst noch in Deutschland ansteht, weiß ich nicht, aber Wacken ist ziemlich sicher.

Habt Ihr schon einmal in Wacken gespielt?

Ja, aber das ist viele Jahre her. Damals war das Festival noch ziemlich jung. Wir haben damals mit MOTÖRHEAD und ROCKBITCH gespielt.

Das muss dann ca. 1998 gewesen sein, oder?

Ja, das kommt ungefähr hin.

Um noch einmal auf das Album zurückzukommen: die Bewegung hin zu Euren Wurzeln spiegelt sich ja auch im Konzept wider, das dasselbe ist wie auf „Tales From The Thousand Lakes“. Wann wart Ihr Euch darüber im Klaren, dass Ihr auch damit zurückgehen wollt? Bevor oder nachdem Tomi zur Band stieß?

Über das Konzept entschieden wir, nachdem Tomi zu uns gekommen war. Als wir uns darauf konzentrierten, was der textliche Hintergrund für das Album sein sollte, kam die Frage auf, wer die Texte schreiben sollte, da die ganzen Lyrics der letzten Alben von Pasi stammten. Vor ein paar Jahren hatten wir eine Anfrage von einem finnischen Regisseur namens Pekka Lehto bekommen, ob wir nicht den Soundtrack zu einem Filmprojekt machen wollten, das er zu der Zeit plante. Es handelte sich dabei um einen TV Film, der sich um Kullervo und dessen tragische Geschichte aus dem Kalevala drehen sollte. Wir waren sehr daran interessiert, lasen uns das Script durch und beschäftigten uns viel mit der Geschichte. Wir haben allerdings nie wieder von dem Regisseur gehört, da er keine Finanzierung für sein Projekt zusammen bekam. Damit war die Sache erst einmal gestorben. Für das Album kam uns dann die Idee, diese Geschichte zu erzählen.

16.02.2006
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