Changeling
Die Grenzen des Machbaren – Das große Interview zum Debüt

Interview

Hast du deinen Mitmusikern vorgegeben, was sie spielen sollen oder haben sie ihre Spuren selbst ausgearbeitet?

Zu 95 Prozent ist alles vorgegeben. Also, eigentlich zu hundert Prozent, weil ich bei meinen Alben alles immer ausproduziere und Demos mache. Das heißt, selbst die Gesangslinien habe ich mit meiner Stimme im Demo festgehalten, damit klar war ‘Hier passiert das und das’. Schlagzeug und Bass stehen ebenfalls komplett vorher. Aber wie diese Parts genau funktionieren, ändert sich im Verlauf der Produktion.

Natürlich hat Mike seine Parts zum Besseren verändert und Dinge anders gespielt, als ich sie vorher geplant hatte. Arran ist sehr nah an meinen Vorgaben geblieben, aber er hat alles viel besser gespielt. Mit Florian haben wir wahrscheinlich die größten Änderungen gemacht, weil er die Texte geschrieben hat und wir die Gesangslinien bei ihm in Holland auf die Texte angepasst und immer wieder getweakt und rumgetüftelt haben.

Der Flow des Albums wirkt tatsächlich so, als hättest du die Songs in der Reihenfolge geschrieben, wie sie in der Tracklist gelandet sind.

Es freut mich, dass du das so wahrnimmst, aber so ist es natürlich nicht gewesen. Aber ich wollte schon erreichen, dass man das Album als Story, als eine Reise wahrnimmt. Am Ende ist man an einem ganz anderen Platz als am Anfang. Das so auszutüfteln ist auch einer der Gründe, warum ich so lange an diesem Album gesessen habe. Wenn das rüber kommt, bin ich total happy damit.

Kommen wir noch mal zum musikalischen Konzept. Was du über die ersten drei Stücke gesagt hast, ist auf alle Fälle nachvollziehbar. Wenn man die “Akróasis” kennt, freut man sich, dass Tom Geldschläger nach acht, neun Jahren mal wieder Sachen macht, die er damals schon gemacht hat. Ich denke schon, dass einige Fans sehr darauf gewartet haben und sich darüber freuen.

Es hat halt lange gedauert, bis ich diesen Bereich wieder ‘anfassen’ konnte, weil die OBSCURA-Erfahrung so traumatisch war. Ich kann natürlich in keinster Weise vorplanen, wie Leute darauf reagieren. Aber ich kann von Anfang an eine bewusste Entscheidung treffen, ob ich die Leute, die mich von diesem Album kennen, mit ins Boot hole oder nicht und ob ich mit diesem Stil neue Sachen wage oder nicht. Ich habe mich quasi für den Mittelweg entschieden. Es war nicht immer einfach, aber wenn ich mir die bisherigen Reaktionen so anschaue, war es die richtige Entscheidung. Das Album funktioniert als Statement, die Vergangenheit ins Boot zu holen und Impulse für die Zukunft zu setzen – das war mir wichtig.

Auf „Changeling“ sind insgesamt über 50 Musiker zu hören

Großes Kompliment auch für “World What World”. Das Riff auf der Oud geht sofort ins Herz und es ist toll, dass du mit Andy LaRocque einen wahnsinnig unterschätzten Gitarrengott ins Boot geholt hast. Obwohl er auf dem Song für seine Verhältnisse ein wenig untypisch spielt.

Erstmal vielen Dank dafür. Für mich ist es auch super geil, ihn auf dem Album zu haben. Was sein Solo angeht, stehe ich etwas dazwischen, denn es ist genau das, was ich dort haben wollte und es erinnert mich auch an Sachen, die ich mit ihm verbinde. Er ist natürlich auch Profi genug, sich in den Song einzufinden und nicht einfach nur etwas abzuliefern, was er vor 20 Jahren schon gemacht hat. Ich bin auf alle Fälle total dankbar, dass ich so jemanden auf meinem Album haben kann. Das gilt natürlich für alle Gastsoli, aber Andy ist schon sehr speziell für mich. Gerade die DEATH-Alben “Human”, “Individual Thought Patterns” und “Symbolic” haben mich überhaupt erst mit diesem Stil in Berührung gebracht.

Stichwort Gastmusiker: Du hast über 50 Gäste auf dem Album zusammenbringen können. Waren das jeweils schon vorher Freunde und Bekannte von dir oder hast du auch einige ins Blaue hinein kontaktiert?

Beides. Ich habe über die letzten Jahre als Produzent und Orchestrator für andere Bands gearbeitet. Dadurch habe ich über die Jahre einen Pool von Musikern aufgebaut, die ich kenne und mit denen ich schon gearbeitet habe. Diesen Pool habe ich angezapft, in der Zusammenarbeit hat sich daraus aber auch ergeben, dass andere Leute hinzugekommen sind. “Anathema” habe ich z. B. nicht selbst orchestriert, sondern der großartige Felix Gayed gemacht, weil ich das Gefühl hatte, es selbst nicht in der Qualität hinzubekommen. Über ihn bin ich dann wiederum an den Kirchenorganisten Stefan Prost geraten.

Hast du denn persönlich einen Lieblingssong und ein Lieblingssolo auf dem Album?

Ich habe diese Frage schon in anderen Interviews gestellt bekommen und winde mich ein bisschen. Ich wiederhole einfach mal, was ich beim letzten Mal gesagt habe: Mit bestimmten Sachen bin ich noch zufriedener als mit anderen [lacht]. Ich bin dann einfach noch ein halbes Prozent näher an der ursprünglichen Idee hinter dem Song. Deswegen sind für mich der Titelsong und “Abyss” meine Highlights, weil sie dieser Vorstellung ganz genau entsprechen.

“Abyss” ist mit acht Minuten nicht nur ein sehr interessanter Song, sondern auch eine denkbar unkonventionelle erste Single. Gleichzeitig liebt man dafür auch Musiker wie dich und Florian. War das ein Statement?

Ja, darum ging es. Man kann es sich sicherlich leichter machen, als einen achtminütigen, mikrotonalen Song mit Fretless-Gitarrensolo auszukoppeln, aber manchmal gibt es ganz praktische Gründe. Ich habe kein Millionen-Budget und die Videos habe ich noch aufgenommen, bevor Season Of Mist das Album veröffentlichen wollten. Das heißt, das ganze Budget musste ich zusammentragen. Wie macht man denn zu überlangen Songs wie “Abdication” oder “Anathema” ein Video? Deswegen habe ich mit verschiedenen Leuten Konzepte erstellt und “Abyss” war der Song, zu dem wir am einfachsten visuell was sagen konnten.

Deswegen ist es gleichermaßen ein Statement. Mir ist es wichtig, dass ich mit Selbstvertrauen rausgehe und sage ‘Ich erfülle erst mal nicht die Erwartungen’. Die zweite Single “Falling In Circles” ist dann wieder das genaue Gegenteil.

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Quelle: Tom "Fountainhead" Geldschläger
30.04.2025

Redakteur

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