Big Big Train - The Likes Of Us

Review

Nach dem tragischen Tod von David Longdon im November 2021 hatte BIG BIG TRAIN-Chef Gregory Spawton überlegt, ob er die Band überhaupt weiterführen sollte ohne ihren langjährigen Sänger. Wie das vorliegende Album „The Likes Of Us“ belegt, hat er sich offenbar gegen ein Ende entschieden, auch um Longdons Willen, und hat nun Alberto Bravin ins Boote geholt, ehemals bei PREMIATA FORNERIA MARCONI, bei denen Spawton ihn zusammen mit Nick D’Virgilio das ein oder andere Mal live in Aktion erlebte und für ein künftiges Projekt vormerkte. Nun gibt Bravin auf dem vorliegenden, 15. Studioalbum (16. wenn man „Ingenious Devices“ mitzählt, das größtenteils jedoch nur aus Neuaufnahmen älterer Stücke von 2019 besteht) sein Stelldichein, nicht nur als Sänger sondern auch als Co-Songwriter und Co-Produzent. Und noch eine Änderung: Die Band firmiert nach langer Zeit wieder in einem größeren Labelhafen – nämlich InsideOut.

„The Likes Of Us“ entschärft die üble Vorahnung, die bei Betrachtung des Artworks entsteht

Der Blick aufs Cover lässt Übles erwarten. Kommt hier der Klang gewordene Zuckerschock auf ahnungslose Hörer zu? Nein, so schlimm ist „The Likes Of Us“ nicht. Im Gegensatz zu bisweilen etwas fehlgeleiteter Pop-Einfältigkeiten, die sich das multinationale Prog-Gefüge auf vergangenen Veröffentlichungen wie „Common Ground“ geleistet haben (wie etwa ein unpassend peppiger Pop-Song zum Thema COVID) findet die Band den Weg zurück zu etwas gediegeneren, wenn auch reichlich Pop-/AOR-affinen Retro-Prog. Im Wesentlichen: Wer Bands wie TRANSATLANTIC mag, wird sich hier direkt heimisch fühlen. Der Sound ist einigermaßen konservativ in Szene gesetzt, dabei immer gerne mal im weiteren Sinne an den klassischen GENESIS angelehnt, an anderer Stelle Hook-zentriert daherkommend. Prinzipiell lässt man den Prog einer großen Hook aber nur ungern in die Quere kommen.

Aber BIG BIG TRAIN machen ihre Sache damit ziemlich souverän. Das multinationale Septett setzt dabei auf gute Hörbarkeit, allzu komplexe Arrangements sind also nicht zu erwarten – Easy Listening im Vergleich zu manch anderen, konsequenter inszenierten Erzeugnissen, aber in dem was sie tun durchaus effektiv. Bravin geht mit seiner glasklaren Stimme in den Stücken auf und die Backing Vocals, die immer im rechten Moment unter ihm auftauchen und seine Darbietung geradezu emporheben, werden der Hörerschaft wie Sahnetörtchen in die Gehörgänge hineingeschoben. Sein Gesangsstil unterscheidet sich recht deutlich von dem Longdons, aber daran gewöhnt man sich schnell. So kommt der Große Große Zug anno 2024 also letztlich doch recht vertraut klingend angefahren.

Die Aufnahmesessions in Präsenz haben offenbar gefruchtet

Offenbar hat sich ein Großteil der Band in Triest, der Heimatstadt Bravins, eingefunden, um das Album auf Bravins Empfehlung hin im dort gelegenen Urban Recording Studio aufzunehmen. Dass die Band in Präsenz aufgenommen hat, scheint dem Hörfluss gut getan zu haben, oder zumindest wirkt es so, als klänge „The Likes Of Us“ ziemlich elegant und leichtfüßig. Der neue Frontmann scheint auch tüchtig am Songwriting-Prozess beteiligt worden zu sein und taucht demnach bei gleich fünf der acht Stücke mit Songwriting-Credits auf. Den Sound grundlegend umgekrempelt hat er damit jedoch nicht. Den Hang zu pastoralen Melodien, mehrstimmigen Gesangsarrangements und Phrasen, die sich eher traditionsbewusst denn vorausschauend geben, bewahren sich die Großzügigen trotz des einschneidenden Wechsels im Personal.

Den Lackmustest dieser Erfrischungskur besteht die Band in Form des Siebzehnminüters „Between The Masts“, den man als Hörer jedoch auch erstmal Schicht für Schicht herunterblättern muss. Das kann zugegeben anfangs etwas mühselig ausfallen, da die Band eher gedämpft und weniger impulsiv agiert, aber der Wohlklang erledigt einiges an Fußarbeit, um den Prozess so angenehm wie möglich zu gestalten. Sehr ansprechend anzuhören sind ferner Elemente wie die Keyboard-Arrangements in „Bookmarks“, die im Zusammenspiel mit der Arbeit von Violinistin Clare Lindley butterweich unter die Haut gehen, oder wie der Gesang in „Love Is The Light“, der wiederum in Kombination mit den großartigen Arrangements eine ziemlich kompetente Rock-Ballade auf die Beine stellt. Vollendet wird das Paket noch von Hits wie „Oblivion“, dem Rockoper-artigen „Miramare“ und dem nervösen AOR-Rausschmeißer „Final Eleven“.

Dadurch klingen BIG BIG TRAIN verjüngt und ungezwungen

Der Band wird gerne ein gewisser Konservativismus vorgeworfen und das ist im Hinblick auf „The Likes Of Us“ irgendwo auch nachvollziehbar. BIG BIG TRAIN machen auf „The Likes Of Us“ dennoch vieles richtig, verschreiben sich natürlich lieber dem Wohlklang als der Komplexität, was angesichts des Ergebnisses jedoch absolut legitim ist. Natürlich werden hier keine Wände in Köpfen eingerissen wie auf manch anderen Releases der vergangenen Jahre, die den Prog auf ihre eigenen Arten und Weisen vorangetrieben haben. „The Likes Of Us“ fühlt sich mehr wie ein Komfortalbum an – es fühlt sich in dieser Rolle vor allem aber hörbar pudelwohl. Wer sich schlicht und ergreifend an einem charmant angestaubten Sound erfreuen möchte, ohne dass das Rad dabei neu erfunden werden muss, ist bei „The Likes Of Us“ jedenfalls goldrichtig.

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23.02.2024

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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