Godspeed You! Black Emperor - 'Asunder, Sweet And Other Distress'

Review

Man geht wieder auf die Barrikaden. Revolution hier, Neuwahlen da und wenn man der Boulevardpresse Glauben schenken mag, dann brannte letztens auch noch halb Frankfurt. Dabei kann doch gerade der stumme, abstrakte Protest der schönste sein, wie uns GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR auf Studioalbum Nummer fünf so eindrucksvoll beweisen. Das Artwork des im Voraus sympathischerweise lediglich als Vinyl-Schallplatte verteilten „‚Asunder, Sweet And Other Distress'“ wird von den Worten „We love you so much our country is fucked“ geziert, welche dem geneigten GY!BE-Fan durchaus noch geläufig sein dürften: Das Zitat entstammt dem Ablehnungsschreiben des kanadischen Polaris Music Prize 2013, welcher der Band für den Vorgänger „‚Allelujah! Don’t Bend! Ascend!“ verliehen wurde. In ihrem nicht immer im familienfreundlichen Ton gehaltenen Schreiben machten die Post-Rock-Urväter ihrem sonst stets instrumental vorgetragenen Unmut Luft – mit deutlicheren Worten denn je. Efrim Menuck und Kollegen servierten in ihrem emotionalen Ausbruch einen Rundumschlag, bei dem nicht nur Regierung und Preisverleiher, sondern auch umweltfeindliche Veranstaltungssponsoren ihr Fett wegbekamen.

let the muchmusic videostars fight it out in the inconsequential middle, without gov’t. culture-money in their pockets.

Das damals ausgezeichnete „‚Allelujah!“ erschien nach zehnjähriger Pause im Jahre 2012. Dahingegen wirken die inzwischen wiederum vergangenen drei Jahre wie ein Wimperschlag in der Zeit. Nichtsdestotrotz sind es drei Jahre, in welchen gerade der vielbesprochene Post-Rock wieder zahlreiche Entwicklungen gesehen und erfahren hat, drei Jahre, in denen immer mehr Bands (z.B. MOGWAI, SLEEPMAKESWAVES, MAYBESHEWILL) ihrem Hang zu elektronischen Mustern nachgegeben haben. Das kümmert GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR jedoch – ganz recht – einen Scheiß. Eine Anbiederung an die glattgebügelten vier-Minuten-Produktionen der oben genannten Vorreiter kommt für das Musikerkollektiv aus Montreal ebenso wenig in Frage, wie die Verwendung von Synthesizern, Drumcomputern und – entgegen aller Gepflogenheiten – der sonst so vertrauten Sprachsamples.

„‚Asunder, Sweet And Other Distress'“ ist vielmehr das geistige Kind umfassender Sessionarbeiten der vergangenen Jahre und tauchte in seiner Gesamtheit bereits seit 2012 regelmäßig unter dem Titel „Behemoth“ in den Setlists der Band auf. Insofern gelingt es GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR mit dem vorliegenden Opus ein noch lebendigeres Live-Feeling einzufangen als je zuvor. Nein, für steigerungswürdig hätte das wohl niemand mehr gehalten.

EUPHORIE STATT MELANCHOLIE

Kaum setzt „Peasantry Or ‚Light! Inside Of Light!'“ mit lähmend-kantigem Drumbeat und dröhnenden Gitarren ein, regen sich Namen wie CRIPPLED BLACK PHOENIX oder OMEGA MASSIF im präfrontalen Cortex. Doch eigentlich täte man gut daran, sich diese Bands fürs Erste ganz schnell aus dem Kopf schlagen, denn in den folgenden vierzig Minuten werden alle nur denkbaren Assoziationen hinaus in den fernen Hudson Bay gespült und es wird wieder einmal klar, was für einen unfassbaren Einfluss diese Giganten auf alle unsere Post-irgendwas-Lieblinge hatten, haben und immer haben werden. Die dreifaltige Gitarristenfront agiert vielseitig, mal die alles erdrückende Walze auslebend, mal bläserartige Klänge kreierend, duelliert sie sich mit den erstklassig als dynamische Einheit agierenden Streicherschichten um den Platz im Vordergrund. Vielmehr scheinen die hier abermals als Nonett (kluges Wort für eine Gruppe aus neun Musikern) agierenden GY!BE im Verlauf dieses seit 21 Jahren andauernden Balztanzes gelernt zu haben, sich in einigen kurzen Momenten filigraner Feinheit gegenseitig etwas mehr Raum zuzugestehen. Zumindest erklärt sich die im Schaffenskontext gerne genutzte englische Vokabel „chanting“ anhand des beflügelten, gar in schwindelerregende Höhen getragenen Openers nun wie von selbst. Trotz gewohntem kompositorischen Tiefgang vermittelt der wunderbar erdige Plattensound vergleichsweise mehr Euphorie als Melancholie, was jedoch nicht nur der Ähnlichkeit der ersten vier Noten des Leitmotivs mit „Oh du fröhliche“ geschuldet ist, sondern sich eher aus der ewig steigernden Klimax und somit dem bewussten Verzicht auf minutenlange Soundwand-Repetitionen ergibt (wie zuletzt beispielsweise auf „Mladic“ von „‚Allelujah! Don’t Bend! Ascend!“).

GEFANGEN IN DER AUSLAUFRILLE

Damit der Einstieg aber auch ja nicht allzu happy oder gar beschwingend dasteht, stellen GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR die Geduld des Hörers in der Folge erst mal ordentlich auf die Probe: „Lambs‘ Breath“ bietet nichts als den dronigsten Drone, den man sich im Livekontext vorstellen kann und treibt den Spaß dann auch endgültig auf die Spitze, so dass das aus den Anfangstagen der Gruppe vertraute, minutenlange Herumreiten auf einer einzigen Note dem Herrn Redakteur nach einer halben Stunde dann auch echt ein bisschen an die Substanz geht. Moment mal – eine halbe Stunde? Auf einer Schallplattenseite? Ach, witzig. Mit Kalkül hat man die Auslaufrille doch glatt in die Mitte der Platte verlegt, ohne der Nadel die Chance zu geben, aus dem Loop auszubrechen. Feiner Schachzug, die Herren, feiner Schachzug.

Eigentlich hätte man die bevorstehende Apokalypse spätestens anhand des umseitigen „Asunder, Sweet“ erahnen müssen. Zum schier unaufhaltsamen Gedröhne gesellen sich nun wieder von reinster Paranoia getragene Streicher, welche nicht nur reichlich Druck aufbauen, sondern gleichzeitig genau die Getriebenheit vermitteln, an denen es den Soundscape-Stücken des Vorgängers (z.B. „Strung Like Lights At Thee Printemps Erable“) oftmals mangelte. Und dann bricht langsam aber sicher die Hölle los und „Piss Crowns Are Trebled“ schneidet das finale Kapitel an.

HIER WIRD AM THRON DES OPUS MAGNUM GERÜTTELT

Die letzten Sirenen heulen los, die fast vergessenen Gitarren werden wieder eingestöpselt und ich erliege der Vision, wie ich nächste Woche beim Konzert in Essen an genau dieser Stelle erzittern werden und an jenen Moment zurückdenken werde, in welchem ich dieses Meisterwerk zum ersten Mal hören durfte. Scheiße, ich glaube, das wird mir schon irgendwie das Gehirn rausblasen. Wer „BBF3“ (von „Slow Riot For New Zerø Kanada“) kennt, weiß, dass GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR ihr Opus Magnum bereits auf ihrer ersten EP zu schaffen wussten und dass es wohl nie wieder ein natürlicheres, aufwühlenderes Songfinale geben könnte als jenes. Bitte festhalten, hier wird gerade hart am Thron gerüttelt. Wieder regiert das Gitarren/Streicher-Wechselspiel, aber was Violinistin Sophie Trudeau diesmal auffährt, setzt GY!BE-schaffensintern wirklich neue Maßstäbe. Selten wirkten die Instrumente untereinander besser in Schichten arrangiert, selten schien die Einheit, jedes Streichen, jedes Zupfen, jeder Schlag mehr zu einem großen Ganzen zu verschmelzen.

Bleibt die Frage, ob sich die anfängliche Hoffnung auf Besserung am Ende bewahrheitet oder ob wir alle im schwarzen Loch der „fucked country“ verschwinden. Die kanadische Protestelite verrät es uns jedenfalls nicht. Sie spielt mal wieder mit unseren Gefühlen.

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31.03.2015

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