1RAUCHEN haben nie versucht, sich anzubiedern. Seit Jahren steht die Hamburger Band für kompromisslosen Hardcore-Punk, für Powerviolence mit kurzer Halbwertszeit, aber maximaler Wucht. Mit ihrem neuen Album „Fallen und Schweben“ öffnen sie diesen Sound behutsam – nicht, indem sie ihn glätten, sondern indem sie neue Facetten zulassen: Elektronische Texturen, klare Melodielinien, atmosphärische Schichten, die sich zwischen das vertraute Scheppern und Schrammeln legen. Heraus kommt ein Album, das gleichzeitig das zugänglichste und reifste Werk der Band ist.
Roh, schmutzig und kompromisslos – der Sound von RAUCHEN
Von Beginn an reißt „Fallen und Schweben“ seine Hörerschaft in eine klaustrophobische Dichte hinein. Schon „Isolation“ rollt mit Gitarrenwänden an, während die Stimme verzweifelt gegen das eigene Gefängnis anschreit. Die Songs sind kurz, scharf und unnachgiebig, kaum ein Moment zum Durchatmen bleibt. Doch zwischen den rasenden Akkorden schimmert immer wieder ein philosophischer Kern durch – Texte, die nicht nur zerstören wollen, sondern sezierend unsere eigenen Wahrheiten freilegen.
Die Stärke der Platte liegt im Spannungsverhältnis von rohem Sound und nachdenklicher Tiefe. „Fesseln“ und „Sturm“ verhandeln psychische Zwänge mit der gleichen Brutalität, mit der das Schlagzeug voranpeitscht. „Flimmern“ baut hypnotische Schleifen aus Noise und Wiederholung, während „Stachel“ Schuld, Scham und Körpererinnerungen wie ein Manifest gegen moralische Zwänge ausschreit.
Texte, die ins Mark treffen
Besonders herausragend ist „Desfred“. Der Song webt Fragmente aus Margaret Atwoods Der Report der Magd in das eigene Textgerüst ein – und plötzlich wird aus RAUCHENs Wut eine literarische, universelle Verzweiflung. Die Stimme spuckt Atwoods dystopische Sätze heraus wie eine Anklage gegen Gegenwart und Vergangenheit zugleich. Hier zeigt sich, dass RAUCHEN nicht nur musikalisch, sondern auch intellektuell an Schärfe gewonnen haben: ein Song, der so beklemmend wie erhellend wirkt, und der das Album auf ein neues Level hebt.
Rauchen: Packend, roh und voller Tiefe
Das titelgebende Finale „Fallen und Schweben“ überrascht dann fast zärtlich. Zwischen all der Wut und Härte eröffnet sich hier ein Moment der Versöhnung, eine klare Absage an männliches Begehren als Norm und ein Bekenntnis zur Selbstbestimmung. Musikalisch bleibt es wuchtig, doch ein leiser Hoffnungsschimmer schiebt sich durch die Risse.
Produziert von Kristian Kühl und visuell verdichtet durch André Finsters Artwork, wirkt die Platte wie aus einem Guss: roh, schmutzig, voller Kanten – und dennoch durchzogen von unerwarteter Klarheit. Sie erinnert an die 90er, ohne Retro-Kitsch zu verfallen, sie ist Hardcore-Punk im Jetzt, Powerviolence mit Reflexion, das musikalische Äquivalent zum Aufwachen im Auge des Sturms. Damit ist „Fallen und Schweben“ packend, verstörend und zugleich tröstlich. Eine Platte, die sich nicht vor der eigenen Schwere fürchtet, sondern sie zum Antrieb macht.

Diana Heinbucher

















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