Das Heavy-Metal-Länderspecial
10 zeitgenössische Heavy-Metal-Bands aus Kanada

Special

Klassischer Heavy Metal war nie weg, hat aber besonders seit den späten 2000ern under anderem im Zuge der New Wave of Traditional Heavy Metal eine Art Renaissance erfahren. Junge Bands in Kutte, Leder und Spandex machen sich seither aus allen Ecken der Welt auf, den Glanz der 80er mal mehr und mal weniger erfolgreich ins Hier und Jetzt zu transportieren. Und gerade Kanada ist seit jeher bekannt für starke Exporte im Bereich der Hartwurst-Szene; seien es nun die legendären Speedster EXCITER, die Thrash-Legende ANNIHILATOR, die Weirdos ANVIL oder natürlich RUSH, die, wenngleich keine Heavy-Metal-Band im eigentlichen Sinne, enormen Einfluss insbesondere auf progressive Bands hatten.

Nicht zu unterschätzen ist sicherlich auch der Einfluss von 3 INCHES OF BLOOD aus Victoria, die zum Jahrtausendwechsel mit dazu beigetragen haben, traditionellen Heavy Metal wieder ein wenig mehr ins Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit zu rücken. Zwischen der noch nicht abgeflauten Nu-Metal-Welle und dem grassierenden Metalcore-Boom grätschten die Kanadier mit schrillem Falsett, rasendem Heavy Metal und Texten über epische Schlachten, Ziegen reitende Barbaren und blutrünstige Orks auf die Bildfläche und konnten fernab aller Trends überraschend große Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Wer in den frühen 2000ern mal „Tony Hawk’s Underground 2“ gezockt hat oder einen der zahlreichen Metal-Sampler sein Eigen nannte, wird sicherlich irgendwann über „Deadly Sinners“ vom Album „Advance and Vanquish“ gestolpert sein. Diese plötzliche Popularität war natürlich von relativ kurzer Dauer, dennoch hat die Band bis zu ihrer Auflösung 2015 einige starke Alben abgeliefert und war an der derzeitigen Renaissance nicht ganz unschuldig.

Zwischen modernen Großstädten und unberührter Natur, zwischen Elchen und Ahornsirup hat sich grade in den letzten Jahren eine enorm umtriebige und vielseitige Szene formiert, die unter den jungen Wilden klassischer Spielarten ganz vorne mitschwimmt und in schöner Regelmäßigkeit qualitativ hochwertiges Material auf die Welt loslässt. Daher wollen wir die Gelegenheit nutzen und eine ausgewählte Top Ten der aktuellen Szene in unbestimmter Reihenfolge etwas genauer beleuchten. Dabei soll es hier wie gesagt ausdrücklich nicht um alte Heroen gehen, sondern um jene Bands, die überwiegend seit Ende der 2000er die kanadische Heavy-Metal-Landschaft aufmischen. In diesem Sinne: Fire up the Blades!

TRAVELER

TRAVELER aus Calgary in der kanadischen Provinz Alberta waren seit ihrer Gründung im Jahr 2017 nicht faul. Ursprünglich als Soloprojekt des Gitarristen und Hauptsongwriters Matt Ries ins Leben gerufen, haben die fleißigen Gesellen neben einer Demo und einer Split-EP bereits zwei Full-Length-Releases unterm Nietengürtel.

Musikalisch orientieren sich die umtriebigen Reisenden an IRON MAIDEN, was sich besonders bei den flotten Twin-Leads bemerkbar macht, aber auch JUDAS PRIEST schimmern immer wieder durch. Dabei bringen TRAVELER durch pfiffiges Songwriting und nicht zuletzt auch durch die markante Stimme von JP Abboud, der hier sowohl in schneidenden Höhen als auch in angenehm rauen Mitteltönen glänzt, genug eigenes Gewicht auf die Waage, um sich deutlich von der Masse blasser Kopien abzuheben.

SMOULDER

Die Epic Doomer SMOULDER aus Toronto sind zwar noch recht frisch im Geschäft, haben mit ihrem 2019 erschienenen Debüt „Times of Obscene Evil and Wild Daring“ und der 2020er EP „Dream Quest Ends“ aber schon für ganz schönen Wirbel in der Szene gesorgt. Zwischen schleppendem Doom und mit stolz geschwellter Heldenbrust vormarschierendem Kraftprotz-Metal der Marke „Ilian of Garathorm“ sind die Kanadier ein gefundenes Fressen für Keep-It-True-Besucher; Einflüsse von Bands wie CANDLEMASS, SOLITUDE AETURNUS, aber auch MANILLA ROAD und alten MANOWAR sind allgegenwärtig.

Auch inhaltlich dreht sich alles um schwertschwingende Kriegerinnen, finstere Gestalten und fantastische Abenteuer. Sarah Kitteringham ergänzt den Sound von SMOULDER zudem mit ihrer markanten Stimme, die technisch vielleicht nicht immer mit einigen der hier aufgezählten Kollegen mithalten kann, dem Ganzen aber durchaus einen leicht kauzigen Charme und einen hohen Wiedererkennungswert verleiht. Unbeschlagen in Sachen Metal ist die als Journalistin tätige Sängerin sowieso nicht, so zählt sie seit einigen Jahren zum Team des Youtube-Channels BangerTV und stellt dort in schöner Regelmäßigkeit interessante Platten vor. Voller Einsatz also.

GATEKEEPER

JP Abboud die Zweite! Und im Falle von GATEKEEPER wohl leider auch vorerst die Letzte, denn der charismatische Frontmann hat die Band leider vor Kurzem verlassen, um sich stärker auf TRAVELER und seine Prog-Band SYRINX konzentrieren zu können. Das ist in der Tat ein herber Schlag für die in Vancouver, British Columbia ansässigen Epic-Metaller, denn der ausdrucksstarke Gesang hat dem ohnehin schon hörenswerten Material der Kanadier das besondere Etwas verliehen.

Im Vergleich zu TRAVELER ging Abboud hier nochmal etwas mehr aus sich heraus und besonders die hohen Schreie gehen durch Mark und Bein. GATEKEEPER sind bereits auf der Suche nach adäquatem Ersatz und werden hoffentlich schnell fündig, solange muss man sich mit dem Album „East of Sun“ und der EP „The Grey Maiden“ begnügen, die besten Epic Metal zwischen SOLSTICE, OMEN und alten MANOWAR bieten.

CAUCHEMAR

Mit CAUCHEMAR aus Montréal widmen wir uns nun dem französischsprachigen Teil Kanadas, der tendenziell ja eher für seine florierende Black-Metal-Szene bekannt ist. Okkult geht es auch bei CAUCHEMAR zu (wobei das beim Métal Noir Québécois gar kein so großes Thema ist), musikalisch orientiert sich die Band allerdings eher an obskurem Urzeit-Heavy-Metal, trippigem Hard Rock und vernebeltem Doom zwischen PAGAN ALTAR, BLACK SABBATH oder aktuelleren Genre-Vertretern wie LUCIFER und JESS AND THE ANCIENT ONES.

Der entrückte, französischsprachige Gesang von Annick Giroux überzeugt zwar eher durch Charisma denn durch überragende Technik, passt aber gut ins mystisch angehauchte Gesamtbild. Zudem ist auch die CAUCHEMAR-Fronterin, ähnlich wie SMOULDERs Sarah Kitteringham, als Musik-Journalistin tätig und kennt sich gut in der Szene aus. Ganz klar eine weitere Empfehlung für Traditionalisten und Dauergäste beim Keep It True oder beim Hammer Of Doom.

STRIKER

STRIKER aus Edmonton sind bereits seit 2007 dabei und eine verlässliche Konstante in der kanadischen Heavy-Metal-Szene. Auf stolze sechs Alben und einige kleinere Veröffentlichungen hat es die Band in dieser Zeit gebracht, einen gesunden Zwei-Jahres-Rhythmus hat man also mehr oder weniger eingehalten. Dabei hat sich der rasante Sound zwischen Heavy-, Speed- und Thrash Metal über die Jahre durchaus gewandelt.

Besonders auf ihrem aktuellen Album „Play to Win“ tun die Kanadier es ihren schwedischen Kollegen ENFORCER gleich und haben sich Stilen wie Hard Rock, Glam und sogar AOR geöffnet. Eine ordentliche Kante hat das Material immer noch, eine gewisse Stadiontauglichkeit kann man so manchem Stück aber nicht absprechen. Zum Ende des Jahres soll es mit UNLEASH THE ARCHERS und NORTHTALE auf Europa-Tour gehen. Je nach Stand der Seuchenbekämpfung darf man vorsichtig optimistisch sein.

POSSESSED STEEL

POSSESSED STEEL aus Toronto haben sich bereits 2010 formiert; nach zwischenzeitlicher Auflösung und zwei nur wenig beachteten EPs sind die Epic Metaller allerdings erst 2020 mit ihrem Debütalbum „Aedris“ so richtig in der Szene aufgeschlagen. Man könnte allerdings sagen, dass sich das lange Warten gelohnt hat, denn die Scheibe ist eine richtige Wundertüte für Heavy-Metal-Fans geworden. POSSESSED STEEL bringen nämlich das Kunststück fertig, zwar zahlreiche Einflüsse in ihrem Sound durchschimmern zu lassen, dabei aber zu keiner Zeit offensichtlich nach irgendeiner anderen Band zu klingen.

MANILLA ROAD, MANOWAR, BROCAS HELM, ARGUS, VISIGOTH, SOLSTICE und viele mehr haben ihre Spuren hinterlassen, trotzdem ziehen POSSESSED STEEL klar ihr eigenes Ding durch. Das gelingt grade im traditionellen Metal wirklich nur den wenigstens Bands. Auch der latente Kauz-Faktor, den viele ähnlich geartete Truppen oft durch ihre etwas holprige Herangehensweise transportieren, ist bei POSSESSED STEEL allenfalls am Rande vorzufinden. Dafür klingen die Kanadier schlichtweg zu professionell. Lyrisch geht es allerdings stilecht um Schlachten, magische Schwerter und mythologische Gestalten, aber selbst hier entfaltet sich ein gewisser Zauber, der eher an ASHBURY als an Conan den Barbaren denken lässt.

UNLEASH THE ARCHERS

Zugegeben, UNLEASH THE ARCHERS tanzen in dieser Auflistung ein wenig aus der Reihe. Nicht nur fährt das Quartett aus Vancouver insgesamt einen etwas moderneren Sound als die hier aufgezählten Bands, sie lassen sich stilistisch auch schwerer festnageln. 2009 auf „Behold The Devastation“ mit einer deutlichen Melo-Death-Schlagseite gestartet, hat sich die Band über die Jahre stärker zum klassischen Heavy- und Power Metal entwickelt, allerdings stets in einem zeitgemäßen Gewand und teils mit knackiger Thrash-Kante.

Dreh- und Angelpunkt des Sounds von UNLEASH THE ARCHERS ist und bleibt allerdings der Gesang von Brittney Hayes (a.k.a. Brittney Slayes), deren beachtlicher Stimmumfang problemlos mit dem eines Bruce Dickinson oder Rob Halford mithalten kann. Irgendwo im klanglichen Kosmos zwischen den üblichen Verdächtigen von der Insel, gut gelauntem Euro Metal à la HELLOWEEN und knackigem US Power Metal angesiedelt, nennt die Band selbst auch immer wieder gerne die Schweden LOST HORIZON als Einfluss.

Zudem dringt das aktuelle Album „Abyss“ mitunter in ziemlich poppige Regionen vor, was überzeugten Traditionalisten wohl sauer aufstoßen dürfte. Für die sind UNLEASH THE ARCHERS mit ihrer quirligen Art, ihrem ausgeprägten Hang zur Nerdkultur und einer ganz bewusst eingesetzten, augenzwinkernden Cheesiness allerdings ohnehin nur bedingt geeignet. Wer darüber hinwegsieht, findet eine Band mit reichlich Spaß in den Backen und einer der stärksten Stimmen der aktuellen Heavy-Metal-Szene.

RIOT CITY

Mit RIOT CITY aus Calgary haben wir eine weitere Band am Start, die zwar bereits seit 2011 aktiv ist, aber erst 2019 mit ihrem Debüt-Album um die Ecke kam. Dafür hat sich „Burn the Night“ aber auch ziemlich gewaschen. Der überwiegend rasant vorgetragene Heavy Metal huldigt ganz unverhohlen JUDAS PRIEST, was schon mit dem stylischen Cover-Artwork beginnt. Der Laser aus den Augen schießende Cyborg-Vogel ließe sich problemlos zwischen „Screaming for Vengeance“, „Defenders of the Faith“, „Painkiller“ und jüngst „Firepower“ einreihen.

Und auch soundtechnisch sind die britischen Metal Gods nie weit entfernt; zwischen halsbrecherischen Gitarrenduellen schwingt sich Sänger Cale Savy immer wieder in Halford’sche Höhen auf und jagt wohlige Schauer über den Rücken, die viele wohl tatsächlich zuletzt so bei „Painkiller“ verspürt haben. Dazu gesellen sich natürlich auch noch ein paar andere Einflüsse, RIOT etwa lassen sich ebenfalls ausmachen und die ein oder andere MAIDEN-Harmonie ist Ehrensache.

All das mag auf dem Papier nicht unbedingt einfallsreich und zudem tausendfach gehört klingen; ähnlich wie TRAVELER punkten RIOT CITY aber schlichtweg mit starkem Songwriting und ziehen ihren Stiefel mit derartiger Überzeugung durch, dass man als Heavy-Metal-Fan eigentlich nur fragen kann: Wann kommt das nächste Album?

SKULL FIST

SKULL FIST sind trotz kurzzeitiger Trennungen und ein paar Besetzungswechseln mit STRIKER sowas wie die alten Hasen in der jüngeren kanadischen Heavy-Metal-Szene. Die Band aus Toronto ist seit 2006 aktiv und hat es in dieser Zeit immerhin auf drei Alben, ein Demo, eine EP und eine Split mit POWERWOLF gebracht. Dabei haben die Jungs fleißig getourt und waren allgemein recht präsent. Ebenfalls ähnlich wie die Kollegen von STRIKER haben SKULL FIST mit einer gradlinigen Mischung aus Speed- und Heavy Metal angefangen, wobei SKULL FIST immer ein wenig ruppiger unterwegs waren und eine deutliche Hard-Rock-Schlagseite hatten.

Passend dazu ist die Band auch inhaltlich eher bodenständig unterwegs und singt großteilig über das was sie tut: Rocken, feiern und allgemein dem Metal huldigen. Eine weitere Gemeinsamkeit mit den Kollegen aus Edmonton: Auch SKULL FIST haben ihren Stil auf ihrem aktuellen Album „Way of the Road“ einer dezenten Wandlung unterzogen und sich noch stärker auf ihre Hard-Rock-Wurzeln besonnen. Herausgekommen ist dabei ein Sound, der mitunter stark an alte SCORPIONS erinnert, was sicherlich auch an der gesanglichen Umstellung von Zach Slaughter liegt, der hier eine recht passable Klaus-Meine-Interpretation abgibt. Dieser Wandel hat nicht jedem gefallen, weshalb „Way of the Road“ auch nicht überall ganz so gut ankam wie die Vorgänger, dennoch ist mit SKULL FIST weiterhin zu rechnen.

METALIAN

Zu guter Letzt wagen wir uns mit METALIAN ein weiteres Mal in den französischsprachigen Teil Kanadas, wobei die Band im Gegensatz zu ihren Nachbarn von CAUCHEMAR englischsprachig unterwegs ist. Eigentlich könnte man METALIAN innerhalb der aktuellen kanadischen Szene auch zu den alten Hasen zählen, tatsächlich gibt es die Truppe nämlich schon seit 2003 und damit länger, als sämtliche hier aufgezählten Bands.

Auf der faulen Haut gelegen haben METALIAN in dieser Zeit ebenfalls nicht, diverse Splits, EPs, Demos und drei reguläre Alben befinden sich bereits in der Vita der Band aus Montréal. Trotzdem haben sie es geschafft, weitestgehend unter dem Radar zu fliegen und erst mit ihren letzten beiden Alben „Midnight Rider“ und „Vortex“ etwas mehr Aufmerksamkeit in der breiteren Heavy-Metal-Szene zu erhaschen.

Die haben sich METALIAN allerdings auch verdient; zwar machen sie mit ihrem rasanten klassischen Heavy Metal auch nichts anderes, als ihren Heroen, allen voran JUDAS PRIEST, Tribut zu zollen. Das tun sie aber wie die Kollegen von TRAVELER oder RIOT CITY so gekonnt und mit einem derart ansteckenden Enthusiasmus, dass sie in den 80ern wohl durch die Decke gegangen wären. Die hohen Schreie sitzen, die Gitarren kreischen und das Gaspedal ist meist durchgedrückt, so muss das!

 

 

07.05.2021
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