Wacken Open Air
Verliert das Wacken Open Air seinen metallischen Kern nun endgültig?

Special

Das Wacken Open Air (W:O:A) verbündet sich also mit der ESL, der Electronic Sports League (wir berichteten). Grundgedanke: Metaller mögen Games, einige Bands (IRON MAIDEN, SABATON etc.) tun sich im Spiele-Umfeld mit eigenen Kooperationen hervor. Da liegt es natürlich Nahe, dass auch das selbsternannte „größte Heavy -Metal-Festival der Welt“ sich beteiligt. Die Argumentation klingt ja auch erst mal durchaus schlüssig: Viele Metaller mögen ja wirklich elektronische Spiele, also lasst uns das Umfeld doch perfekt nutzen um die beiden Welten miteinander verbinden. Oder?

Wacken Open Air: Darf es noch ein Event mehr sein?

Schauen wir aber zunächst mit der „Brille der Entrüstung“ (rechtschaffende Wut+2) auf diese Meldung, werfen wir dem Wacken Open Air schnell noch mehr Jahrmarkt vor, noch mehr Party-Meilen-Tourismus. Als Lordsiegelbewahrer des wahren Metal-Events konnte man mehr oder weniger lustige Rahmenprogrammpunkte wie Metal-Yoga, Wrestling und Bier-Tastings vielleicht noch unter Kauzigkeit abtun, irgendwie ignorieren, ausblenden. Vielleicht sogar heimlich ein bisschen charmant finden. Aber nun? Was kommt als nächstes? Gemeinsames Warhammer-Modelle bemalen mit Games Workshop-Workshops? Ein Metal-Autosalon, sponsored by VW, weil Metaller ja auch Autos kaufen? Stockcar-Rennen? Turmspringen? Ihr ahnt die Richtung. Das „Fernglas der Nostalgie“ (Verklärung+3) lassen wir aber lieber gleich in der Tasche, da kommt in diesem Fall eh nix Gutes bei raus…

Aber hier bewegen wir uns ansonsten noch einen Schritt weiter, an schrulligem Rahmenprogramm vorbei: Eine rasant wachsende Industrie – die sogar die Teilnahme an den Olympischen Spielen erreicht hat -, nimmt Zugriff auf ein spezielles Klientel, von dem man sich Zuspruch erhofft. Menschen, die etwas mit Fantum anfangen können, manchmal ein bisschen Eigenbrödlerisch sind, ansonsten überwiegend Subkultur und meist ziemlich loyal ihren Helden gegenüber sind. Da werden vergleichbare Kulturen zusammengebracht – Synergieeffekte einkalkuliert.

Deshalb ist dieser Schachzug natürlich so sorgfältig geplant, wie gut kalkuliert. Denn versucht man auf diesem Wege nicht nur zusammenzubringen, was vermeintlich zusammen gehört, es hat auch noch einen anderen positiven Effekt: Man leitet einen ganzen Generationenwechsel auf einem der renommiertesten und zugkräftigsten Metal-Festivals ein. Denn schauen wir mal hin: E-Sports ist eine relative junge Disziplin, die einen enormen Wachstumsmarkt verspricht. Die Zielgruppe ist jung, und überwiegend männlich. Viel im Programm des Festivals der letzten Jahre war eher auf „Nicht-mehr-ganz-so-jung“ und mehrheitlich männlich ausgerichtet.

Ob das wirklich zusammen passt…

Da helfen auch blumige Pressemitteilungen nichts: Es ist der nächste Schritt auf dem Weg der „Eventisierung“ eines großen Festivals. Die kühne These des „Das passt schon zusammen“ ist zumindest diskussionswürdig: Heizende Gaming-PC mit schneller Internetanbindung auf der grünen Wiese? Verdreckte Metaller, die sich nach zwei Tagen Dauerregen gemütlich eine Runde „League Of Legends“ anschauen? Eingeheizt von vorturnenden You-Tube-Kommentatoren? Hmmm… Da sind mir ONKEL TOM-Biertastings schon lieber. Und die Andeutung: „Hat ja beides irgendwie was mit Fantasie-Welten zu tun“ hat auch noch keine Mammut-AD&D-Runde auf ein Festival gebracht.

Also schauen wir mal, wann es eine Wacken-Bühne mit drei bis fünf Bands auf einem eSport-Event gibt.

Wacken 2018

Wacken 2018

Letztlich glaubwürdig, dass die Musik hier wirklich im Vordergrund steht, ist man damit auch nur noch eingeschränkt: Natürlich stellt das Wacken Open Air in schöner Regelmäßigkeit ein Programm auf die Beine, das eine Reise in den hohen Norden de Landes absolut rechtfertigt. Aber vielleicht reicht dieses Programm eben schlicht dauerhaft nicht mehr aus, um den riesigen Apparat am Laufen zu halten – mit einer Perspektive für die nächsten zehn Jahre. Neue Zielgruppen müssen her. Knapp 70.000 Leute anzulocken ohne die ganz großen Bands wie METALLICA oder BLACK SABBATH aufzufahren, das ist eine schwere Aufgabe. Dazu kommt: Um eine gewisse Menge an Leute an einen Ort zu lotsen und dazu zu bringen mehrere Hundert Euro auszugeben, ja, da reicht das einfache Darbieten von Musik auf einer Bühne vielleicht schlicht nicht mehr aus. Bei vielen anderen der großen Festival-Player im mainstreamigeren Bereich ist man diese Art der Promotion vielleicht gewohnt, aber nun trifft es langsam auch den Kernbereich großer METAL-Festivals. Zugegeben: Den Weg machen Bier und Zigarettenmarken seit Jahrzehnten mit speziellen Areas auf jedem Festival, eigenen Bühnen und hammerharter Werbepräsenz – aber das ist Werbung, keine kulturelle Übernahme.

Den wahren Kern des Ganzen nicht verlieren

Wo natürlich die individuelle Grenze liegt, was eine derartige Eventisierung angeht, muss jeder für sich selbst entscheiden. Der Grad dürfte bei vielen, die ein Festival wegen der Musik besuchen, könnte allerdings relativ schmal sein. Und den Weg muss man dann halt mitgehen – oder sich auf kleinere Festivals zurückziehen, die es in der Republik ja auch in Hülle und Fülle gibt.  Sicherlich kann ein gutes Rahmenprogramm die Attraktivität eines Festivals deutlich erhöhen. Wichtig ist es aber immer den Bezug zum Wesentlichen zu behalten – und das kann nur die Musik sein-, mit dem Ziel die eigene Identität zu unterstreichen und diese nicht beliebig auszulegen. Ansonsten ist man dauerhaft „nur“ eine Ansammlung von einzelnen Programmpunkten, die irgendwie lose miteinander verknüpft sind – ein Jahrmarkt der beliebigen Freizeitaktivitäten mit guter Musik im Hintergrund.


Die Kolumne „St. Anger – Die Meinungsmache“ ist, wie der Name schon sagt, Meinung. Begründet, aber gefärbt, wertend und vielleicht provokativ – und jeder Artikel ist das Produkt eines kleinen Teils der Redaktion. Daher spiegelt der Inhalt des Artikels auch nicht unbedingt die Ansichten der gesamten Redaktion wider.

01.07.2018

Iä! Iä! Cthulhu fhtagn!

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3 Kommentare zu Wacken Open Air - Verliert das Wacken Open Air seinen metallischen Kern nun endgültig?

  1. ameisengehirn sagt:

    wer‘s braucht. Ich schau mir dann doch lieber Bands an, das soll ja glaub ich selbst in Wacken noch möglich sein. Hab‘ es allerdings eher mit kleineren Festivals oder Club Shows. Ansonsten wie erwähnt, gibt ja keinen Zwang jeden S… paß mitzumachen.

    1. Sane sagt:

      So what, es wird ja nicht explizit als Aufhänger genutzt. Irgendson Mittelaltergedöns hat mindestens genauso wenig mit Musik zu tun wie ein Stand mit zockern oder warhammer40k-freaks.
      Muss ja keiner hingehen und solange es für einige einen Mehrwert darstellt ist doch alles cool.
      Wer das woa für ein echtes, pures metalfestival hält und sich über den neuerlichen Kommerz aufregt dem ist sowieso nicht mehr zu helfen.

  2. christian1981 sagt:

    Kleine Anmerkung: An einer Stelle ist der Artikel missverständlich. Man könnte glauben, eSports ist demnächst Teil der Olympischen Sommerspiele. eSports wird allerdings (erstmal) nur Teil der Asienspiele.