
20 Jahre SOLCHE: zwischen Cajón, Kassberg und Kontinenten
Special
20 Jahre SOLCHE! Eine Chemnitzer Band, die zeigt, dass Kunst nicht laut sein muss, um weit zu tragen.
Im Podcast erzählt Holm Krieger über die Geschichte einer Akustikrock-Band, die mit Gitarre, Bass und Cajón von Chemnitz über Belarus bis nach Wladiwostok gereist ist und dabei einen ganz eigenen Weg gefunden hat: neugierig statt bewertend, reduziert statt angepasst, gemeinschaftlich statt kommerziell. Ein Porträt über Haltung, Reiselust, Kulturarbeit und die Freiheit, Musik als Verein zu leben.
20 Jahre Bandgeschichte sind für die meisten Musikerschaffenden eine kleine Ewigkeit, für manche eine Last, für wenige eine Biografie voller Umwege, Glücksfälle und Entscheidungen, die rückblickend wie Schicksal wirken. Bei SOLCHE, die ebenso selbstverständlich beim Rotary Club wie bei Warnstreiks spielt, ist es eine Mischung aus all dem, vor allem aber die Geschichte einer Band, die nie aufhörte, sich selbst neu zu erfinden, ohne sich dabei jemals zu verbiegen.
Vom Zwölfsaiter-Bass zur radikalen Reduktion
Was SOLCHE von Anfang an besonders machte, war ein Hang zur Reduktion. Dabei begann alles ganz anders: mit verzerrten Gitarren, einem Zwölfsaiter-Bass und der Hoffnung, irgendwo zwischen Rockclubs und Jugendzentren eine Schneise in die Welt der lauten Musik zu schlagen. Doch wie so oft im Leben entscheidet nicht der Plan über die Richtung, sondern der Bruch. Als der Gitarrist die Band verließ, standen fünf gebuchte Auftritte im Raum und ein Duo, das sich auf einmal nackt und unvollständig fühlte. Aus dieser Verlegenheit entstand etwas, das sich rückblickend wie ein Befreiungsschlag liest: Gitarre, Bass, Cajón und plötzlich viel mehr Raum für Texte, Zwischenräume und Haltung. SOLCHE unplugged, wie sie damals schrieben, war geboren.
Diese Reduktion hat die Band nie wieder verlassen. Die Songs wurden kürzer, die Arrangements sparsamer, die Texte dichter. Das Publikum verstand plötzlich jedes Wort, und auf kleinen Bühnen, in Wohn- oder Klassenzimmern eröffnete sich eine Welt, die für große Rockbands unerreichbar bleibt. SOLCHE fanden ihre Nische nicht, indem sie danach suchten. Sie fanden sie, weil sie den Mut hatten, erst einmal alles wegzulassen, was im Weg stand.
Philosophie als Treibstoff und als Filter
Im Zentrum ihrer Musik steht bis heute eine Neugier, die niemals bewertend sein will. „Be curious, not judgmental“, zitiert Holm, Sänger und Bassist, im Gespräch. Dieser Satz beschreibt SOLCHE besser als jede Genre-Schublade. Ihre Texte sind keine Parolen, sondern Denkbewegungen. Sie erzählen von Fragen, Konflikten, gesellschaftlichen Phänomenen und den vielen Grautönen dazwischen. Bei SOLCHE entsteht ein Lied nicht aus Kalkül, sondern aus einer Phrase, einer Idee, einer philosophischen Irritation und dann wächst darum langsam Musik.
Osteuropa statt Popakademie: Der 20.000 km SOLCHE-Kulturtransfer
Während andere Bands in Förderprogramme, Popakademien oder Businesskurse gingen, führte SOLCHE ihre Reise ausgerechnet in jene Regionen, die man nicht auf dem Radar hat, wenn man von Internationalität spricht. Über ein Dresdner Kulturprojekt spielten sie zunächst in Belarus, dann in Russland, Litauen und Kroatien, später sogar im fernen Wladiwostok. Unterstützt von Goethe-Institut, DAAD-Lektoren oder der Bosch-Stiftung führten sie Workshops, spielten in Kinos und Klassenräumen, standen auf dem Roten Platz und tanzten mit Menschen, die keine einzige deutsche Zeile verstanden, aber spürten, dass die Energie dahinter echt war. In Jakutsk erlebten sie minus 42 Grad, im sibirischen Nirgendwo endlose Busfahrten und überall dieselbe Erkenntnis: Menschen sind sich viel ähnlicher, als Nachrichten es vermuten lassen.
Die Pausen, die nötig waren und die Alben, die daraus entstanden
Dann kamen die Jahre der Stille, wie sie fast jede Band kennt. Kinder, Jobs, ein Hausprojekt, private Verpflichtungen und irgendwann die Suche nach einem neuen Cajón-Spieler, die länger dauerte, als ihnen lieb war. Und dann, als er gefunden worden war, begann eine neue Phase. Während Corona die Bühnen stoppte, schrieb SOLCHE ein Doppelalbum über psychische Auffälligkeiten und gesellschaftliche Sümpfe: „Schöpfe und Sümpfe“. Ein Werk mit 26 Songs, das zeigt, wie tief man graben kann, wenn die Welt stillsteht. Kurz danach folgte endlich das Album, das jahrelang als Idee im Raum stand: „Raus aus dem Schatten“, unterstützt von Initiative Musik, voller Gastmusiker und mit Momenten, die in ihrer Größe beinahe surreal wirken, etwa als die Band eine Kirchenorgel für eine Aufnahme nutzte und die Musik plötzlich den Raum körperlich füllte.
Die Entscheidung gegen das Business und für die Freiheit
All das klingt nach einer Band, die sich durch die Jahre mit Professionalität und Leidenschaft auszeichnet. Doch das Besondere ist: SOLCHE wollten nie von ihrer Musik leben. Sie wollten mit ihrer Musik leben. Sie wollten nicht von Erfolgslogiken, Trends oder Algorithmen abhängig sein. Und genau daraus erwuchs etwas, das heute zu ihrem Markenzeichen geworden ist: Freiheit.
Diese Freiheit zeigt sich nicht nur künstlerisch, sondern auch strukturell. Als das Finanzamt irgendwann feststellte, dass SOLCHE zwar regelmäßig Umsätze machten, aber keinerlei Gewinnabsichten verfolgten, erklärte es die Band kurzerhand für nicht geschäftsfähig genug für eine GbR. Es war der Moment, in dem viele Bands verzweifeln würden. Doch SOLCHE machten ihn zum Wendepunkt: Sie gründeten Solche e.V., einen Kulturverein, dessen Struktur heute fast visionär wirkt. Vier Vollmitglieder, rund 30 Fördermitglieder, eine Rechtsform, die kulturelles Arbeiten ermöglicht, statt es zu behindern.
Der Verein macht es möglich, Projekte anderer Kunstschaffender zu unterstützen, Aufnahmen zu finanzieren, Preise wie den Hörspielpreis „UmweltNixe“ zu stiften, Bands aus Belarus oder Tschechien nach Chemnitz zu holen, Gemeinwohlaktionen zu organisieren und Kulturarbeit zu leisten, die weit über das eigene Musikschaffen hinausgeht. Es ist eine Form, die zeigt, wie Kultur im 21. Jahrhundert aussehen kann: nicht als Produkt, sondern als Geflecht, als Netzwerk, als Gemeingut.
SOLCHE: mehr als eine Chemnitzer Anekdote
Vielleicht liegt genau darin die eigentliche Schönheit dieser Band: SOLCHE als Gegenentwurf zu einer Musikindustrie, die immer schneller, immer professioneller, immer marktorientierter wird. Sie zeigen, dass Relevanz nicht aus Reichweite entsteht, sondern aus Echtheit. Dass Kunst Menschen verbinden kann, gerade dort, wo alles andere scheitert. Und dass eine Band, die sich als Verein organisiert, nicht weniger musikschaffend ist, sondern vielmehr mehr Mitmensch, mehr Kulturraum, mehr Resonanzkörper einer Gesellschaft, die gerade dringend Orte braucht, an denen man miteinander ins Gespräch kommt.
SOLCHE sind keine heavy Rockband geworden, und auch keine Metal-Band. Und dennoch passen sie auf diese Seite. Weil ihre Geschichte von Haltung erzählt. Von Brüchen. Vom Mut zur Reduktion. Von der Entscheidung für den langsamen Erfolg und gegen die schnelle Wirkung. Und davon, dass Kunst tausend Wege kennt, aber nur einer wirklich zählt: der, der bleibt.
Den Podcast mit Holm Krieger von der Band SOLCHE gibt es auch im Radioformat, da sogar mit Musik!
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Diana Heinbucher
































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