Harakiri For The Sky
"Es ist kein politisches Album"
Interview
HARAKIRI FOR THE SKY stehen mit ihrem sechsten Studioalbum „Scorched Earth“ in den Startlöchern. Es hat etwas länger gedauert als gewöhnlich, hatte so aber auch mehr Zeit zum Reifen. Sänger und Texter J. J. beschreibt das Album als die Conclusio des bisherigen Schaffens von HARAKIRI FOR THE SKY und räumt mit ein paar Missverständnissen auf.
Es sind vier Jahre seit „Mære“ vergangen. Das ist die längste Pause bisher für HARAKIRI FOR THE SKY. Wie kam das, und wie hat diese Zeit das Album beeinflusst?
J. J.: Das hat einerseits damit zu tun, dass sich durch diese ständige Verschiebung wegen Corona viele Konzerte und Touren nach hinten verzögert haben. Im Endeffekt haben wir in den letzten zweieinhalb Jahren fast alles nachgeholt, was wir seit Anfang 2020 hätten machen sollen. Wenn du 80 Konzerte im Jahr spielst, plus An- und Abreise und alles drumherum, dann bleibt nicht viel Zeit und Energie, um kontinuierlich an neuen Songs zu arbeiten. Das war dann oft auf Tourpausen beschränkt.
M. S. beschreibt die Corona-Zeit immer so: Wenn man wenig rausgeht und viel daheim ist, hat man keinen Output, wenn man keinen Input hat. Es fehlen dann einfach die Dinge, die einen inspirieren. Deshalb hat das Ganze länger gedauert. Außerdem ist es beim sechsten Album so, dass es einfach nicht mehr so schnell geht. Man hat nicht mehr tausend Ideen gleichzeitig und ist generell reflektierter. Wir tun uns mittlerweile vielleicht auch leichter, schon im Vorhinein Ideen auszusortieren, die beim zweiten Hinsehen doch nicht so gut sind.
Wir haben uns auch bewusst mehr Zeit genommen, um die Songs reifen zu lassen. M. S. hat die Sachen immer wieder überarbeitet. Wir wollten generell ein bisschen experimentieren. Ich habe meine Texte zehnmal umgeschrieben, bis wir an dem Punkt waren, dass wir gesagt haben: Jetzt gehen wir ins Studio. Der Aufnahmeprozess hat dann auch länger gedauert. Es hat sich alles ein bisschen gezogen, aber ich glaube, das hat dem Album gutgetan.

Harakiri For The Sky sind (v. l.): J. J., M. S.
Ihr habt auch die Alben „Harakiri For The Sky“ und „Aokigahara“ neu aufgenommen. Was war die Motivation dafür, und was konntet ihr umsetzen, was damals vielleicht nicht möglich war?
J. J.: Der erste Lockdown war ganz cool, weil man entschleunigen konnte und Dinge gemacht hat, für die man sonst keine Zeit hat. Aber irgendwann ist man, wie wahrscheinlich die meisten Leute, in eine Art Lethargie gerutscht. Im Endeffekt haben wir gesagt, dass wir die Zeit nutzen, indem wir unsere beiden ersten Alben neu aufnehmen und als Re-Release herausbringen. Das wäre auch schwierig gewesen, wenn wir parallel ständig Konzerte spielen, unterwegs sind und ein neues Album schreiben müssten. Wir haben uns gedacht: Statt uns zu zwingen, neues Material zu schaffen, nutzen wir die Zeit für solche Projekte.
Wir spielen einige dieser Songs immer wieder live und merken, wie sie heute klingen. In der Version 2.0 klingen sie ganz anders, weil wir inzwischen andere Musiker und eine andere Band sind. Meine Stimmfarbe hat sich in den letzten zehn Jahren massiv verändert – ich singe heute viel tiefer. Damals haben wir die Alben im Home-Recording aufgenommen, mit programmierten Drums. Es hat seinen Charme, nostalgisch betrachtet, aber wir dachten uns: Wie cool wäre es, wenn diese Alben so klingen würden wie HARAKIRI FOR THE SKY im Jahr 2022? Vor allem mit echtem Schlagzeug, in einem professionellen Studio aufgenommen und ohne den Qualitätsverlust des Home-Recordings.
Als wir mit der Band angefangen haben, wussten wir nicht, wo das Ganze hinführen würde. Wir waren DIY-Leute, die alles zu Hause ausgearbeitet haben. Aber irgendwann kamen wir an den Punkt, an dem wir diskutiert haben: Remastern? Nein, das bringt uns kein echtes Schlagzeug in den Mix. Remixen? Wieder das Gleiche. Also haben wir beschlossen, die Alben komplett neu aufzunehmen. Wir sind sehr glücklich mit dieser Entscheidung. Für die Fans macht es keinen großen Unterschied, da die Originalversionen auf YouTube, Spotify und Co. bleiben. Man kann sich also entscheiden, welche Version man mag.
Und man muss sich ja gar nicht entscheiden.
J. J.: Nein, manche mögen vielleicht auch beide. Abgesehen von der Aufnahmequalität und meiner veränderten Stimmfarbe ist es kein drastischer Unterschied. Wir haben an den Songs nichts geändert: keine neuen Teile, nichts weggelassen. Es ist ein Re-Recording, einfach eine besser aufgenommene Version.

Harakiri For The Sky – „Scorched Earth“-Cover
Zurück zu „Scorched Earth“. Im Pressetext steht, es sei inspiriert durch „a world that’s tragically broken.“ Das klingt wie ‚weg vom Introspektiven‘. Aber das Album wirkt gar nicht so, sondern eher wie ein Herzschmerz-Album. In Bezug auf Beziehungen, weniger die üblichen Mental-Health-Themen.
J. J.: Ja, ich hole mal ein bisschen aus. Ich wurde schon öfter gefragt, ob das Album ein politisches Album ist. Nein, es ist kein politisches Album. Aber ich merke in den letzten Jahren, vor allem seit dem Russland-Überfall auf die Ukraine und besonders seit dem 7. Oktober letztes Jahr, aber eigentlich schon seit Corona, wie sehr mich das Weltgeschehen mental negativ beeinflusst. Seit diesem 7. Oktober denke ich manchmal, wenn ich an eine Gesprächstherapie glauben würde, wäre es mittlerweile Zeit, weil mich das alles innerlich aufbricht. Man wird von morgens bis abends mit Schlagzeilen bombardiert, und jede davon zieht einen runter. Es ist kein politisches Album, aber diese Weltgeschehnisse haben die Stimmung auf dem Album natürlich mit beeinflusst.
Ich schreibe bei HARAKIRI FOR THE SKY und auch bei meinen anderen Bands immer über autobiografische Themen, die ich selbst erlebt habe. Ich kann und will keine Fantasiegeschichten schreiben. Mitte, Ende 2020 ging mein Leben ziemlich den Bach runter. Meine damalige Freundin hat mich nach sechs Jahren Beziehung rausgeworfen – warum auch immer. Corona kam dazu, keine Auftritte, und ich hatte eine echte Existenzkrise. Das alles hat sich in diesen Songs niedergeschlagen, weshalb die Texte so stark von Herzschmerz geprägt sind.
Eine lustige Anekdote dazu: Als wir die Tracklist des Albums veröffentlicht haben, hat jemand kommentiert, wie ‚emo‘ die Titel sind. Titel wie „Without You, I’m Just a Sad Song“ und „Too Late for Goodbyes“ klingen tatsächlich sehr emo. Mir war das nie bewusst, weil ich die Titel nie in einer Liste untereinander gesehen habe. Aber ja, es ist Herzschmerz von Anfang bis Ende. Das ist bei HARAKIRI FOR THE SKY nichts Neues. Themen wie Substance Abuse, Mental Health, Depressionen oder zerbrochene Beziehungen sind wichtige Bestandteile unserer Musik. Sie beschäftigen mich und werden es wohl immer tun. Das Leben wird nicht einfacher und je älter man wird, desto häufiger werden die Abschiede. Auch wenn ich mittlerweile in einer glücklichen Beziehung bin und seit einem Jahr verheiratet, schwingen solche Erlebnisse immer nach. Ich bin anscheinend zu sensibel für den ganzen Scheiß – ganz einfach ausgedrückt.

Harakiri For The Sky – Ultima Ratio Fest 2023
Im Pressetext steht auch: ‚Scorched Earth is like the conclusion of all the albums we’ve done in the past, all that Harakiri stands for, and stood for musically and lyrically.‘ Das klingt ein bisschen wie das Ende von irgendwas. Habt ihr eine Stiländerung vor? Ist das etwa eine versteckte Ankündigung für eine Pause?
J. J.: Nein, eigentlich nicht. Aber es ist schon wahr, was da steht. Der Text stammt von mir, und ich bin der Meinung, dass dieses Album tatsächlich alle Stärken von HARAKIRI FOR THE SKY in einer Platte vereint. Wir haben immer noch diese meditativen Post-Black-Metal-Teile mit Blastbeats, hohen Gitarren – das, was wir schon immer gemacht haben. Gleichzeitig gibt es aber auch viele Elemente, die eher experimentell sind, wie Indie-Rock, Grunge oder Post-Punk-Ansätze.
Im Grunde fasst das Album unsere musikalische Reise seit dem ersten Album zusammen und bringt das Beste aus den vorherigen Platten auf den Punkt. M. S. und ich wissen noch nicht, wie das nächste Album aussehen wird. Aber ich glaube nicht, dass es einen radikalen Stilbruch geben wird. Wir wissen inzwischen, in welche Richtung wir grundsätzlich gehen wollen. Natürlich beeinflussen uns neue Einflüsse, aber wir wollten beispielsweise mit „Scorched Earth“ keine bloße „Mære 2.0“ machen. Eine gewisse Weiterentwicklung war uns wichtig.
Es ist gut, wenn eine Band einen eigenen Stil gefunden hat, aber man will sich auch nicht ständig wiederholen. Deshalb habe ich das Album als ‚Conclusio‘ bezeichnet. Passend dazu sind auch die fünf Tiere, die schon auf den letzten Alben zu sehen waren, jetzt gemeinsam auf dem Albumcover versammelt. Die Tiere fliehen vor dem brennenden Wald, und einige von ihnen stehen selbst schon in Flammen.
Also kein Ende, sondern die logische Konsequenz dessen, was HARAKIRI FOR THE SKY bisher gemacht haben.
J. J.: Genau, das ist eine schöne Beschreibung.
Ihr habt vier Gastsänger:innen auf „Scorched Earth“. Gibt es interessante Anekdoten, wie das zustande kam, oder wie ihr euch kennengelernt habt?
J. J.: Ja, ich gehe das mal chronologisch durch. Fangen wir mit Tim von AUSTERE an. Ich bin auf AUSTERE gestoßen, als deren erstes Album rauskam – das war 2006 oder 2007, mitten in meiner ‚Je schräger und obskurer, desto besser‘-Phase. Ich war damals 18 oder 19 und habe fast nur Underground-Black-Metal gehört. AUSTERE, LIFELOVER, NYKTALGIA. Das ganze Depressive-Black-Metal-Zeug. Bevor der Post-Black-Metal gekommen ist, war das ein bisschen meine Religion. Tim habe ich etwa 15 Jahre später bei einem unserer Konzerte getroffen. Er trug einen Harakiri-Pullover, und mir war nicht bewusst, dass er Harakiri-Fan ist. Ich bin bei Leuten, die etwas gemacht haben, das ich extrem feiere, immer etwas starstruck. Tim hat eine großartige Singstimme, was man bei GERM etwas besser hört als bei AUSTERE. Die Zusammenarbeit war total unkompliziert, und ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis.
Womit wir beim zweiten Feature sind. SVALBARD kennt man ja mittlerweile. Spätestens jetzt, seit der Tour mit ALCEST, aber mich begleitet die Band schon ziemlich lange. Ich bin seit 2015 Fan, als ich sie bei einem Konzert in Wien gesehen habe. Es war in einem besetzten Haus namens EKH, wo Punks wohnen und Konzerte stattfinden. SVALBARD hat damals mit anderen Bands gespielt. Und ich war ziemlich geflasht, weil Serena sowohl schön clean singen kann, als auch extrem geile Harsh-Vocals hat. Seit diesem Konzert bin ich SVALBARD-Fan. Nachdem ich schon länger mit einer Frau zusammenarbeiten wollte, die auch schreien kann, war Serena für mich die erste Wahl. M. S. hat zusätzlich gereizt, dass wir das mit Clean Vocals verbinden. Wir haben uns letztes Jahr bei einem Konzert persönlich kennengelernt, nachdem wir zuvor länger geschrieben hatten. Sie ist eine super, super liebe Frau.
Galerie mit 17 Bildern: Harakiri For The Sky - Ultima Ratio Fest 2023 in Berlin


P. G. von GROZA ist mittlerweile ein guter Freund von mir und M. S.. Er wohnt ganz in der Nähe von Salzburg, und wir sehen uns öfter. Wir haben mit wenigen Bands so viele Konzerte zusammen gespielt. Er hat auf dem letzten KARG-Album gesungen und ich habe auf dem aktuellen GROZA-Album gesungen. Da war es eine logische Konsequenz, wieder zusammenzuarbeiten. Ursprünglich sollte P. G. mit mir zusammen Schreigesang machen, aber er hat spontan etwas im Stil von ALICE IN CHAINS probiert, und das hat perfekt gepasst. Dass wir alle ziemliche Grunge-Fans sind, dürfte kein Geheimnis sein. Ich finde, der Song ist richtig gut geworden. Ich glaube, das ist auch was für unsere Fans. Der PLACEBO-Song vom letzten Album ist super angekommen. Wir werden den Song auf den drei Release-Shows in Deutschland spielen und es sieht so aus, als würde P. G. auch mitfahren.
Zum letzten Song: M.S. wollte mal einen Song schreiben, der ein bisschen in die Richtung KATATONIA geht. Ich bin auch ein ziemlicher KATATONIA-Fan, aber M. S. ist da wirklich ein Fanboy. Er wollte probieren, etwas in die Richtung zu schreiben. Und es ist halt leider so: Ich habe keine wahnsinnig schöne Singstimme. Ich kann jetzt nicht nicht singen, aber meine Range ist nicht wahnsinnig weit. Daniel, der den Song eingesungen hat, ist eigentlich Gitarrist bei KARG und seiner eigenen Band BACKWARDS CHARM. Das ist eine ziemlich klassische Shoegaze-Band, würde ich sagen. Daniel hat das am selben Tag oder einen Tag später eingesungen, ohne dass wir ihm irgendwelche Gesangsmelodien vorgegeben haben. Alles, was er von mir hatte, war der Text.

Harakiri For The Sky – „Scorched Earth“-Tour
Was können wir von der Tour erwarten?
J. J.: Ich schätze mal, dass wir die Sachen, die wir als Single veröffentlicht haben, alle live spielen. Wir sind gerade in der Probephase, und es ist ein bisschen schwierig. Wir haben halt immer lange Alben, lange Songs und davon nicht gerade wenig. Ich glaube, es wird langsam relativ schwierig, eine Setlist zusammenzustellen, bei der vor allem ein bisschen von allem dabei ist. Es ist leider oft so – und ich glaube, da sind wir nicht die einzige Band -, dass die Publikumslieblinge nicht unbedingt die Songs sind, die die Band gerne spielt. Vor allem, wenn man die Sachen schon hunderte Male gespielt hat, konzentriert man sich natürlich lieber auf die neuen Stücke. Aber man muss schauen, dass man das Beste aus allen Welten rausholt.
Ich habe kürzlich ein Interview mit Dirk von TOCOTRONIC für das SLAM Magazine geführt. Der hat auch gesagt: „Ja, natürlich, es gibt Songs, die spielen wir seit 1995. Aber man muss damit einfach seinen Frieden machen.“ Wenn man selbst auf ein Konzert geht, von einer Band, die einem viel bedeutet, und man hört keinen einzigen Klassiker, ist man halt auch enttäuscht. Im Endeffekt hat er absolut recht, und ich sehe das genauso. Wir proben jetzt wahrscheinlich mehr Songs, als wir live spielen werden. Aber das ist nicht schlecht, weil wir abgesehen von den Release-Konzerten bei den Touren – wie der USA-Tour oder der Europa-Tour – auch ein bisschen durchwechseln können. Heute fühlt man sich ein bisschen mehr nach dem einen Song, morgen nach einem anderen. Es ist eigentlich kein schlechtes Ding, wenn man ein bisschen Auswahl hat.
Wir kommen zum Ende. Was steht bei euch jetzt an und was hast du noch loszuwerden?
J. J.: Ich freue mich einfach, wenn das Album endlich draußen ist. Es war doch ein sehr langer Schaffensprozess. Die Tour wird hoffentlich auch cool. Ich glaube, wir sind jetzt gut aufgestellt – mit ELR und auch mit dem Direct Support [DÖDSRIT oder KARG, je nach Termin, Anm. d. Red.]. Es wird sicher ein cooles Jahr. Ich hoffe, dass noch ein paar Festivals im Sommer dazukommen.
Vielen Dank für das Interview!
J. J.: Dann vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast!
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Stile | Post-Black Metal, Post-Metal, Post-Rock |
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