My Cold Embrace
Interview zu "Earth Exhausted"

Interview

My Cold Embrace

Seit mittlerweile 15 Jahren beglücken MY COLD EMBRACE den Underground und sind dort eine verwurzelte, feste Größe, ohne allerdings bisher auf größeren Labels, und damit der Chance auf einen höheren Bekanntheitsgrad untergekommen zu sein. An der Qualität ihrer Veröffentlichungen kann das eigentlich nicht liegen, waren diese bisher immer überdurchschnittlich, was die aktuelle EP „Earth Exhausted“ wieder einmal verdeutlicht. Wir führten hierzu ein Interview mit der Band.

My Cold Embrace

Schön, dass es von euch in Form von „Earth Exhausted“ wieder neues Death-Metal-Futter in gewohnter Manier gibt! Wann entstanden denn die Stücke und gibt es etwas, was ihr im Vergleich zu euren vorherigen Veröffentlichungen anders gemacht habt?

Dirk: Einige Ideen sind gut abgehangen, zweifellos. Dennoch liebe ich die Recording Situation im Studio, wenn den Ideen Profil verliehen wird, sich noch mal einige Läufe verändern und wir die Tracks in die Endfassungen bringen, wobei das Experimentieren mit Stimmungen, Melodien und Läufen viel kreative Befriedigung mit sich bringt. Wir haben uns in den letzten paar Jahren Live derart den Arsch abgespielt und dadurch das Songwriting so sehr vernachlässigt, dass wir momentan umso mehr Lust auf’s Songwriting haben. Die sehr guten Reaktionen auf „Earth Exhausted“ schieben das zusätzlich ganz massiv an. Die Ideen fließen aus uns heraus und der Focus ist ganz klar: Die nächste Scheibe wird bereits jetzt mit viel frischer Energie und Kraft angegangen, was auch an Neuzugang Pato liegt, der Gründungsmitglied Tim am Bass ersetzt.

Den: Die Frage ist fies, weil die Antwort fast ein bisschen peinlich ist. Eigentlich stammen Teile der Songs bereits aus der Zeit kurz nach „Hausgeist“, sind also schon gute fünf Jahre alt. Doch durch das Vorgängeralbum haben wir einen guten Schwung an Shows eingesammelt, weshalb wir Songwriting in der Folgezeit nur sehr sporadisch betrieben haben. Dazu kamen dann noch diverse Cover-Projekte für die Tributplatten an DISRUPT, NASUM und JAPANISCHE KAMPFHÖRSPIELE, sodass der eigene Kram wirklich zu kurz kam.
Von der Vorgehensweise her haben wir nicht allzu viel verändert. (Drummer)-Dennis, Marco oder Dirk bringen meist Versatzstücke oder gar ganze Songideen aus ihren Wohnzimmern mit, an denen wir dann gemeinsam arbeiten. Die gesamte Situation drum herum, speziell im Privaten, hat sich aber über die Jahre doch drastisch verändert. Hochzeiten, Kinder, Haustiere, Jobstress… das alles trägt man mental natürlich mit sich umher, sowohl das Positive als auch das Negative. Deshalb klingen die neuen Tracks vielleicht manchmal etwas drastischer und ungestümer als ältere Songs.

Ihr haltet den Undergroundspirit oben – wieder habt ihr alles in Eigenregie veröffentlicht. Warum wollt ihr nicht zu einem Label, oder will euch keines haben?

Dirk: Wir haben schon immer auch mit Labels kooperiert. Unsere letzte CD „Schnittmenge“ erschien beispielsweise über 666 Records aus Wolfsburg, die sehr gute Arbeit geleistet haben,  und auch für Compilations, Tributes und Vinyl haben wir zum Teil mehrfach mit Labels wie G.U.C., Power It Up Records und vielen anderen gearbeitet. Dass unsere vollen Releases dann doch über uns selbst erscheinen, ist zum einen pragmatisch gedacht, denn wir kennen die Szene sehr gut und machen sehr gute Promotion, die wir ungern aus der Hand geben wollen, zum anderen aber hast du als deutsche Band einen echten Standortnachteil, und als Prophet im eigenen Land ist das Labelinteresse der größeren Adressen mit echten Entwicklungsmöglichkeiten für MY COLD EMBRACE zu gering. Auf einem Kleinstlabel neben ein oder zwei weiteren Releases zu landen bringt uns da letztlich auch nicht weiter, so dass der große Labelwurf noch zu warten scheint, wir werden sehen. Wir haben nichts gegen vernünftige Angebote. Wenn wir jedoch meinen, dass die offerierte Leistung durch uns selbst besser zu bringen ist, machen wir es wie immer mit viel Spaß bei 100% Kontrolle selbst.

Ihr seid bekannt für eure Do-It-Yourself-Attitüde. Ihr sprecht euch gegen die Ausbeutung von Bands von Seiten der Labels als auch Veranstalter aus. Bitte geht darauf doch nochmals näher ein!

Dirk: Die Labelausbeute ist heutzutage kein großes Drama (mehr). Die Bands haben über die eigene Internetvermarktung und durch Auftritte wie bandcamp einen guten Zugang zum Markt. Labels werden zunehmend überflüssiger, so dass klassische Knebelverträge wie in den Neunzigern heute eh kaum noch gemacht werden. Wer sich selbst unter Wert verkauft ist einfach selbst schuld. Positiv an der Labelstruktur ist jedoch der Vertrieb. Dieses Distributionssystem kannst du als Do-It-Yourself-Band nicht mit eigenen Mitteln knacken. Was nutzt alle gute Werbung, wenn die Fans an deine Scheiben über die wichtigsten Kanäle nicht unmittelbar drankommen? Die Leute bestellen keine Scheiben mehr wie früher direkt bei der Band! Man darf den Verkauf über Amazon, ebay, Nuclear Blast oder EMP sowie Vertriebsstrukturen, die dich in den Media Markt/Saturn bringen, nicht zu gering schätzen, ganz im Gegenteil. Hier wird der wesentliche Szeneumsatz generiert, als Non-Label Band bleibt dir dieser Zugang leider zu stark verwehrt und wir müssen schauen, wie wir unsere Scheiben in die Hände der Leute bekommen.

Da die großen Bands kaum noch Geld über CD-Verkäufe bekommen, müssen sie diesen Umsatz Live generieren. Das schlägt bis unten durch, denn Underground Shows werden durch das Überangebot der großen Player deutlich schlechter besucht und kleine Bands müssen im Vorprogramm der Großen häufig zahlen: „Pay To Play“, es gibt vermehrt Battles und Votings wo du nicht mal Kosten für die Anfahrt ersetzt bekommst. Das ist ein Gegeneinander und kein Miteinander mehr und nicht unsere Auffassung von Heavy Metal! In Union We Stand!. Die Veranstalterszene schlachtet (zum Teil!) die kleinen Bands in deren Glauben aus, dass man eben investieren müsse. Das ist Quatsch. Niemand hat es verdient, derart ausgenommen zu werden. Verlangen wir als Band mit rund 100 Euro Spritgeld für ne Show im Bundesgebiet zu viel, wenn wir seit 15 Jahren aktiv sind und sieben CDs im Kreuz haben? Scheinbar schon, das ist traurig.

Gibt es für euch als Band auch Schattenseiten, ohne Label in der Hinterhand?

Dirk: Beim Booking wird das hin und wieder deutlich. Viele Veranstalter wehren sich gegen Non-Label- Bands und schauen da ganz genau hin, letztlich wissen sie ja auch, dass Plattenfirmen die Bookings ihrer Schäfchen publizieren und für beide Seiten dadurch eine zusätzliche win-win Situation entsteht. Viele Internetmagazine weisen darauf hin, dass man Eigenproduktionen für Reviews nicht mehr berücksichtige und sich bitte nur noch Labels melden mögen. Diese Praxis finde ich seltsam, denn es ist unklar, nach welchen qualitativen Maßstäben da selektiert wird. Ein weiteres Beispiel: Eines der drei großen Metalmagazine in Deutschland setzt verstärkt darauf, dass sich auch Bands ohne Label auf die CD-Compilation einkaufen können, was ich erstmal spitzenklasse finde. Leider scheiterst du aber als Non-Label-Band daran, im Anschluss an eine gute CD Kritik auch ein Interview zu arrangieren, da diese nur dann stattfinden, wenn im Gegenzug eine Anzeige (durch das eben nicht vorhandene Label) geschaltet wird, was ökonomisch gesehen wiederum nicht ganz unverständlich ist. Das kostet ne Stange Geld und es kann nicht im Sinne einer Underground-Band sein, sich selbst die Interviews zu kaufen. Die Fans da draußen müssen diese Strukturen im Hintergrund kennenlernen, um wirklich zu hinterfragen, warum welche Band WO tatsächlich momentan auf der „Wave Of Attention“ schwimmt…

Ist die gesamte Band am Songwriting beteiligt oder liegt das in der Hand von nur einer bestimmten Person innerhalb der Band?

Den: Das Heft in der Hand halten sicherlich Schlagzeuger und Gitarristen. Von dort kommen 95% der Ideen. Daraus den fertigen Song zu basteln ist aber fast immer ein Gemeinschaftsprojekt. Da werden Riffs überarbeitet, verschoben, neu zusammengesetzt. Und nicht selten schreiben wir auch komplette Teile eines Songs von Grund auf zusammen im Proberaum. Einzige Ausnahme sind bisher die Vocals, die fast immer von mir kommen und die ich auch recht frei platziere.

Ich finde, man hört dem Death Metal eure Punk- bzw. Hardcore-Vergangenheit hier und da an. Ist das beabsichtigt, oder kommt das einfach so raus, wenn ihr neue Lieder schreibt? Und habt ihr nicht mal wieder Lust, etwas in der Richtung zu machen?

Den: Ich für meinen Teil habe eigentlich gar keine Vergangenheit dieser Art. Als ich anfing, mir bewusst Musik anzuhören, waren das zu Beginn eher Rap- und Crossover-Geschichten. Irgendwann hab ich an der Stellschraube des Härtegrads gedreht und bin über Nu Metal und NWOAHM schließlich auch an Death, Grind und Crust geraten. Bis heute sind meine Playlisten ein bunter Mix aus all diesen Genres. Dass wir manchmal so rotzig klingen, ist aber durchaus beabsichtigt. Es gibt wirklich genug glattpolierten, überproduzierten Hochglanzmetal und auch –hardcore, da müssen wir nicht ins selbe Horn stoßen. Noch dazu ist die Welt nun mal dreckig und hässlich, da bleibt ein solcher Einschlag im Sound ja gar nicht aus. Zumindest nicht, wenn man es authentisch will.

Dirk: Ich habe vor MY COLD EMBRACE in einer Punk Band gespielt. Ob man das immer noch direkt raushört weiß ich nicht. Ich höre gerne und viel Schweden HC, Punk, Grind und Crust. Was mich daran fasziniert ist die Art von Urgewalt die dadurch entsteht, dass die Songs schroff, fies, unerwartet und gefährlich klingen. Diese Rotzigkeit weiß ich an MY COLD EMBRACE sehr zu schätzen, vor allem aber weil sie bei uns eben nicht technische Unzulänglichkeiten kaschiert, sondern im Gegenteil: Gerade unsere vielen Takt- und Rhythmuswechsel und das streckenweise sehr wirre und komplizierte Riffing bei transparentem und griffigem Sound gewinnen dadurch umso mehr an Durchschlagskraft. Außerdem sind es die Texte dieser Szene, denen ich vom Verständnis her tausendmal näher bin als irgendwelchem Ritter- und Fantasy Mist. Ich denke, dass man uns diese Authentizität anhören kann, wir können sie gar nicht gewollt produzieren, da sie einfach dadurch entsteht, dass wir uns nicht verbiegen beim Komponieren und uns keine Fesseln anlegen.

Wovon handeln denn die Texte auf „Earth Exhausted“?

Den: Ich hab die Texte und auch das Konzept dahinter erst nach Fertigstellung aller Songs geschrieben. Wir wollten, dass die Lieder sowohl stilistisch, aber auch inhaltlich, einen sauberen Fluss ergeben. So dicht und zusammenhängend wie auf „Earth Exhausted“ waren MY COLD EMBRACE-Lyrics noch nie.

Es geht um einen Mann, der sich die Frage nach dem Sinn der Existenz der Menschheit stellt und deshalb auszieht, um die Wahrheit zu suchen. Und da der Mensch an Land ja so ziemlich alles kennt, fährt er dazu hinaus aufs Meer. Dabei wird er von einem Sturm überrascht und sinkt auf den Meeresgrund. Doch anstatt zu ertrinken, wird er dort eins mit Mutter Erde und erfährt so all den Mist, den die Menschheit unserem Planeten antut, am eigenen Leib. So wird er am Ende zu einer Art Racheengel des Planeten und schwört, die Erde von den Menschen zu befreien. Ob das gelingt? Das wird uns die nächste Scheibe sagen.

Gibt es für euch noch Ziele, die ihr mit MY COLD EMBRACE erreichen wollt, oder habt ihr schon alles erreicht, wovon ihr in den Anfangstagen geträumt hattet?

Den: Wenn die Frage darauf abzielt, ob wir zufrieden sind, wo wir stehen, würde ich das bejahen. Wir sind seit über 15 Jahren fester Bestandteil des deutschen Undergrounds, uns von Beginn an treu gebliebenen und halten, neben der ganzen musikalischen Aktivität, lautstark gewisse Grundwerte hoch, die der größte Teil der Szene mit der Zeit über Bord geworfen hat. Das heißt aber nicht, dass wir „satt“ sind. Es gibt so viele Bühnen, auf denen wir noch nicht waren, und so viele Länder, in denen wir noch spielen wollen… das reicht als Anschub für die nächsten 15 Jahre locker aus.

Dirk: Für mich persönlich waren, als wir starteten, das Touren, das Produzieren von Vinyl und Konzerte im Ausland immer auf der großen Wunschliste. Wir haben sie erreicht und nebenbei auch noch mit unseren Lieblings- und Wunschbands wie z.B. DYING FETUS, MISERY INDEX oder WOLFBRIGADE gespielt. Sicher ist da noch Luft nach oben und das Träumen hört nicht auf. Einmal auf dem Party.San zu spielen oder im Vorprogramm von IN FLAMES zu zocken gehört nach wie vor auf meinen privaten Wunschzettel. Von der Vinylsplit mit DISMEMBER ganz zu schweigen, haha.

Was waren in den 15 Jahren eures Bestehens die Highlights, und was lief richtig schief?

Den: Ich schildere das mal aus meiner ganz persönlichen Sicht, da hier sicherlich jeder ein eigenes Bild hat. Für mich haben die Gigs im Ausland, speziell unser Trip nach Istanbul, immer einen ganz eigenen Reiz. Man trifft dort auf andere Kulturen und Mentalitäten, und trotzdem reicht der gemeinsame Nenner Musik aus, um sich bestens zu verstehen. Das krasse Gegenteil dazu sind die Momente, in denen man als Band nicht vorwärts, sich zu Tode diskutiert ohne auch nur einen einzigen Ton gespielt zu haben und an manchen Abenden kurz davor ist, alles hinzuschmeißen.

Dirk: Frühere Besetzungswechsel haben hin und wieder auch mal zu Sinnkrisen geführt, die sich bis ins Private ausgewirkt haben. Wenn ich ehrlich bin ist das schönste Highlight eigentlich die Tatsache, dass wir uns seit 15 Jahren immer noch als Freunde im Proberaum treffen, musizieren und träumen können. Egal ob Freunde, Partner oder Verwandte kommen und gehen, ob du den Job wechselst oder umziehst, ob du dich trennst oder was auch immer: Die Band und die Jungs sind und waren immer da und begleiten die fortwährende, typisch menschliche Sehnsucht im Leben, dass dich bei allem Trubel und Chaos etwas Stetiges und Dauerhaftes im Leben begleitet. MY COLD EMBRACE sind mein Heimathafen.

Du musst dich zwischen Paderborner Pilsener, Hansa Export oder Pfefferminzschnaps entscheiden. Was wählst du und warum?

Den: Das ist eine Frage der Darreichungsform. Hansa haben wir früher palettenweise aus den Läden geschleppt, genau so würde ich es auch wieder haben wollen. Aber Paderborner ist ja fast schon ein lokales Highlight, von daher nehme ich mal das.

Dirk: Paderborner, keine Frage! Steht jede Woche kalt bereit im Proberaum! Mit Pfeffi haben wir da vor allem bei Konzerten im Osten der Republik unsere kuriosesten Erfahrungen mit gemacht, die Jungs bestehen allerdings darauf, dass mein Maulkorb diesbezüglich verschlossen bleibt, ha ha.

Was steht in nächster Zukunft bei euch an?

Dirk: Zunächst promoten wir unsere neue Scheibe „Earth Exhausted“ mit ganzer Kraft und arbeiten Neuzugang Pato in die alten Songs am Bass ein, so dass wir mit Beginn des Jahres 2014 wieder bühnenfähig sein sollten. Derzeit trudeln die ersten guten Bookingangebote für 2014 rein (dieses Jahr wollen wir keine Shows mehr spielen und haben alles abgelehnt) und ich hoffe, wir bekommen den Kalender mal wieder richtig voll. Wenn dann nächstes Jahr um diese Zeit hoffentlich unser nächster Longplayer in den Startlöchern steht haben wir alles richtig gemacht.

Vielen Dank für das Interview! Die letzten Worte gehören dir!

Dirk: Vielen herzlichen Dank für deinen Support und dein Interesse, was in der heutigen Zeit alles andere als selbstverständlich geworden ist, da die Aufmerksamkeitsspanne der Kids sich in Mausklickgeschwindigkeit zu verringern scheint. In diesem Sinne: Up the irons!

06.11.2013

Geschäftsführender Redakteur (stellv. Redaktionsleitung, News-Planung)

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