Paradise Lost
Interview mit Gregor Mackintosh zu "The Plague Within"

Interview

Paradise Lost

Wie bitte? „The Plague Within„, diese ambitionierte PARADISE LOST-Werkschau im Taschenformat, fünf Tage nach Veröffentlichung immer noch nicht verhaftet? Dann bitte schnellstens nachholen! Zur Belohnung plaudert Gitarrengott Gregor Mackintosh, neben Sänger Nick Holmes die treibende kreative Kraft bei den Nordengländern, mit uns über bewusste Entscheidungen im Vorfeld des Schreibprozesses, die derzeit größte Inspirationsquelle und die Notwendigkeit von verschiedenen Deluxe-Doppel-LP-Versionen.

Hallo Greg, ihr habt euch dieser Tage einer Menge an Pressevertretern zu stellen, deshalb zunächst die Frage: Wie sind die ersten Reaktionen auf „The Plague Within“ ausgefallen?

Bisher waren die Reaktionen äußerst positiv. Vor gut einem Monat haben wir „The Plague Within“ in Berlin erstmals einigen Journalisten vorgespielt. Jedes Mal, wenn ein Lied zu Ende war, sahen sie sich gegenseitig an – so, als ob sie zufrieden seien, aber zugleich nicht wüssten, was sie beim nächsten Stück erwarte. Das war genau die Reaktion, die ich mir gewünscht hatte. Grundsätzlich ist es für mich besser, überhaupt eine Reaktion, ob gut oder schlecht, zu bekommen als gar keine.

Mit den Death-Doom-Elementen auf dem neuen Werk kehrt ihr beinahe bis zum Ausgangspunkt eurer Karriere zurück, blickt ein Vierteljahrhundert weit in die Vergangenheit. Wie fühlt sich das nach so langer Zeit an? Ist es nicht ein komisches Gefühl?

Nein, es fühlt sich mittlerweile ganz natürlich an. Wir haben diese Elemente erst jetzt wieder integriert, weil es sich zuvor nicht richtig angefühlt hätte. Auf der neuen Platte aber war die Zeit reif dafür. „The Plague Within“ ist ja keinesfalls ein Death-Metal-Album, unsere frühen Death-Metal-Einflüsse scheinen vielmehr neben etlichen anderen Einflüssen durch. Wir haben versucht, alles vielseitig und ausgewogen zu gestalten.

Vielseitig ist „The Plague Within“ in der Tat geworden. Es wirkt wie die Quintessenz aus Alben wie „Gothic“, „Icon“ und „One Second“, beinahe eure gesamte Diskographie verdichtet auf 50 Minuten. War das eine bewusste Entscheidung? Wolltet ihr nach den sehr guten, aber doch recht ähnlichen Platten „Faith Divides Us – Death Unites Us“ und „Tragic Idol“ Stagnation vermeiden?

Es gab in der Tat eine bewusste Entscheidung, bevor wir mit dem Schreiben des Albums begannen: Wir wollten nicht auf Nummer sicher gehen. Alle Möglichkeiten sollten zunächst offen sein, ohne irgendwelche Grenzen. Ich war tatsächlich für alles bereit – von Elektronik bis Grindcore. Erst als der Schreibprozess voranschritt, ging das Album langsam in die finale Richtung. Es hätte also komplett anders ausfallen können, wenn wir hier oder dort anders abgebogen wären.

Wer brachte denn die Idee ins Spiel, dass Nick wieder mit dem Grunzen anfängt?

Das war meine Idee. Nick zweifelte anfangs, aber ich konnte ihn davon überzeugen, dass es der richtige Weg ist, sich nicht selbst zu limitieren, und dass es nicht bloß darum ging, Vergangenes aufzuwärmen.

Obwohl Lieder wie „Beneath Broken Earth“ oder „Flesh From Bone“ ziemlich heftig ausgefallen sind, ist euch der Spagat zwischen Härte und Eingängigkeit geglückt. Habt ihr trotz der offenen Herangehensweise besonderes Augenmerk darauf gelegt, dass PARADISE LOST nicht plötzlich zu sehr nach VALLENFYRE oder BLOODBATH klingen?

Für mich war es immer klar, PARADISE LOST und VALLENFYRE vollkommen separiert zu betrachten. Und Nick hat für BLOODBATH mehr oder weniger nur den Gesang übernommen, so dass es recht einfach war, alles auseinander zu halten. VALLENFYRE ist meine chaotische, aggressive Seite, PARADISE LOST meine mürrisch-reflektierte.

Ihr habt mindestens zwölf neue Lieder aufgenommen, aber nur zehn haben es letztlich auf das Album geschafft. Wer entscheidet bei euch, welche Lieder letztlich auf das Album kommen und welche zu B-Seiten werden? Geschieht das vollkommen demokratisch?

Ja, es ist ein absolut demokratischer Prozess bei PARADISE LOST. Wir entscheiden erst, wenn die Aufnahmen abgeschlossen sind, welche und wie viele Lieder auf das Album kommen. Für „The Plague Within“ hatten wir zunächst zehn Stücke geschrieben, aber als die Aufnahmen dann anstanden, hatte ich das Gefühl, dass irgendetwas fehlte. Es brauchte noch ein paar Ecken und Kanten und so schrieb ich sozusagen in der letzten Minute „Beneath Broken Earth“ und „Flesh From Bone“. Dafür haben wir zwei andere Lieder [das bedächtige „Fear Of Silence“ und den herrlich galoppierenden Brecher „Never Look Away“; Anm. d. V.] als Bonus zurückgehalten.

Welches neue Lied magst du denn am liebsten?

„Beneath Broken Earth“. Dessen pures Elend bringt mich zum Lächeln.

Also nicht „An Eternity Of Lies“? Immerhin ist dort deine Frau Heather im Chorus zu hören. Wie kam es zu ihrem Mitwirken?

Sie ist eine sehr erfahrene Sängerin. Ich habe sie im Jahre 2002 auf Tour in den Vereinigten Staaten kennengelernt, als sie mit ihrer Band TAPPING THE VEIN mit uns und OPETH unterwegs war. Sie hat bereits in der Vergangenheit einige Passagen für PARADISE LOST eingesungen, beispielsweise bei „The Enemy“ oder der Live-Version von „Gothic“.

Gab es konkrete Inspirationsquellen für Nick und dich während des Schreibprozesses?

Ich denke der Haupteinfluss, so komisch es auch klingen mag, ist das Älterwerden. Man wird sich der eigenen Sterblichkeit und auch der Mechanismen, die uns als Jugendliche angetrieben haben, zunehmend bewusst. Textlich ist das Album ziemlich reflektiert und ich denke, dass die Musik dies auch widerspiegelt.

Also kann man sagen, dass es die Mittlebenskrise ist, die euch musikalisch so tief in die eigene Vergangenheit eintauchen ließ?

Ich bin mir nicht sicher, ob ich das so sagen würde. Aber die Dinge, die uns in unserer Jugend wirklich berühren, die verlassen uns natürlich niemals ganz.

Die Gestaltung der Platte erinnert mit ihrem handgemachten Ansatz jedenfalls ganz an die gute alte Zeit: Zbigniew M. Bielak hat euch ein fantastisches Umschlagbild für „The Plague Within“ gezaubert, so detailliert wie morbide. Was war die ursprüngliche Idee? Habt ihr ihm ein fertiges Konzept gegeben, um mit seinen Entwürfen zu beginnen?

Wir gaben ihm eine ungefähre Idee von dem, was wir haben wollten; etwas, das psychische Erkrankungen verbildlicht. Er kam dann auf Sisyphos, hier interpretiert als Metapher für den ewigen Kampf um geistige Gesundheit, wobei die Last in diesem Fall das Hirn ist.

Das prächtige Resultat eignet sich besonders für hübsch aufgemacht LP-Versionen. Bei „The Plague Within“ gibt es aber gleich vier verschiedene Deluxe-Doppel-LP-Versionen mit grünem, rotem, goldenem oder schwarzem Vinyl. Teilweise hat man beim Kauf sogar die Chance, handgeschriebene Texte von Nick oder deine Gitarre zu gewinnen. Wer denkt sich solche Dinge aus? Die Marketing-Abteilung bei Century Media oder seid ihr da selbst involviert?

Das ist für gewöhnlich eine reine Marketing-Angelegenheit. Ich persönlich fühle mich nicht wirklich wohl dabei, wie Bands heutzutage vermarktet werden müssen, um ihre Platten an den Mann zu bringen. Abgesehen davon finde ich jedoch, dass eine Gitarre oder handgeschriebene Textblätter schon eine ziemlich feine, individuelle Sache sind.

Also sind solche spektakulären Deluxe-Ausgaben heutzutage nötig, um zu überleben? Oder überschätzt man den Profit, den sowas abwirft?

Es ist wohl ein integraler Bestandteil dessen, wie die Dinge heutzutage im Musikgeschäft ineinander greifen. Ich denke nicht, dass diese Sondereditionen wirklich viel Geld abwerfen, aber es hilft eventuell bei Chart-Positionierungen und anderem. Ich bevorzuge es, mich mit solchen Dingen nicht näher zu beschäftigen, um nicht noch pessimistischer zu werden.

Dann zurück zu den positiven Dingen! Es gibt nicht viele Formationen im Metal-Bereich, die stilistisch ein solch weites Feld abgedeckt haben wie PARADISE LOST: Vom Death Metal bis zu dunkler Rockmusik mit Elektronikeinflüssen und beinahe wieder ganz zurück. Vor 15 Jahren warf man euch für Platten wie „One Second“ und „Host“ Ausverkauf vor, heutzutage werden diese Alben von Kritikern wie auch Fans gleichermaßen geschätzt. Fühlst du Bestätigung oder gar Stolz, wenn du siehst, wie sich die Wahrnehmung diesbezüglich verändert hat?

Für mich ist dieses Phänomen amüsant und verwirrend zugleich. Wir haben bereits vor langer Zeit gelernt, dass wir es nicht allen Menschen recht machen können, weshalb wir es gar nicht erst versuchen. Wir machen einfach unser Ding und sehen, was passiert. Unsere unterschiedlichen Stile im Laufe der Jahre haben uns aber in eine ziemlich einzigartige Position gebracht: Wir können an einem Tag auf einem Über-Goth-Festival spielen, am nächsten auf einem Black- oder Death-Metal-Festival.

Apropos Konzerte: Welche Setlist darf man bei der im Herbst anstehenden Tour erwarten? Jetzt, wo ihr teilweise zu euren Death-Metal-Wurzeln zurückgekehrt seid, könntet ihr ja erst recht ein paar lange vergessene Perlen wie „Our Saviour“, „Rapture“ oder „The Painless“ ausgraben – anstelle der zuletzt recht häufig gespielten „Gothic“ und „Rotting Misery“.

Ich würde das liebend gerne. Wir müssen das zwar noch besprechen, aber ich denke, dass der Setlist eine Überarbeitung guttun wird.

Für Nick dürfte es recht hart werden, ständig zwischen den drei verschiedenen Gesangsstilen – Grunzen, „Icon“-Bellen und Klargesang – hin und her zu wechseln. Wie bereitet er sich darauf vor?

Für das Gegrunze dürfte die Zeit mit BLOODBATH Vorbereitung genug sein. Und sein endloses Jammern und Klagen sollte ihn für alles andere aufwärmen, haha.

Greg, danke für deine Zeit und viel Erfolg mit dem fantastischen neuen Werk.

Schön, dass es dir gefällt. Vielleicht in zehn Jahren dann auch allen anderen, haha.

Quelle: Gregor Mackintosh
02.06.2015
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