Eisregen - Krebskolonie

Review

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Mitte der 2000er-Jahre hatten EISREGEN-Fans es nicht leicht, ihre Lieblingslieder live zu hören – besonders unter 18, so wie der Verfasser dieser Rezension. 2007 waren von sechs veröffentlichten Alben drei indiziert, eines davon stand sogar auf der sagenumwobenen „Liste B“, was ein Verbreitungsverbot bedeutete. 22 Jahre nach der Erstindizierung 2003 ist diese Platte nun frei verfügbar, auch wenn ein Track weiterhin textliche Anpassungen benötigt. Ist „Krebskolonie“ wirklich so böse – oder haben sich die Zeiten geändert?

EISREGEN erschaffen früh in ihrer Karriere einen Klassiker

Das rohe Black-Metal-Debüt „Zerfall“, nur neun Monate zuvor im Februar 1998 erschienen, hatte einen deutlich puristischeren Sound als der hier vorliegende Zweitling. „Krebskolonie“ integrierte die Violine von Theresa „2T“ Trenks wesentlich stärker und der Gesang von M. Roth ist deutlich besser verständlich. Die Texte erhielten neben Horror eine blutig-morbide Ebene und waren der Hauptgrund für die Indizierung. Der online abrufbare Indizierungsbericht weist übrigens viele formelle Fehler auf – Schnee von gestern.

Spannender ist: Kann die „Kolonie“ auch ohne Mythos überzeugen? Schon der Opener „Vorabend Der Schlacht“ erzeugt mit Regen und Sirenengeheul Gänsehaut, der Aufbau vom schleppenden Beginn bis zum brachialen Finale ist grandios. Die nüchterne Schilderung der Vorbereitung auf einen aussichtslosen Kampf wirkt bis heute. Der krasse Gegenentwurf ist „Nachtgeburt“, das in zwei Minuten mit rotziger Punk-Schlagseite sadomasochistische Mordpraktiken beschreibt.

Von Kleidungsstücken und Kolonien

„Scharlachrotes Kleid“ ist einer der größten Bandklassiker. Die Horrorballade bekam über die Jahre mehrere Frischzellenkuren – auch, um sie live spielen zu können. Das Original hat jedoch seinen eigenen Charme und brennt sich mit Klavier- und Violinmelodie ins Gedächtnis.

Kommen wir zum Titeltrack: Über „Krebskolonie“ wurde viel diskutiert – welche Krankheit Roth darstellen wollte, welchen Sinn die Lyrics haben. Fakt ist: „Gestern zwang mich der Hunger von den Toten zu essen, der Geschmack war zwar bitter aber sonst ok“ zeigt, dass die Gruppe sich damals schon nicht völlig ernst nahm. Der abschließende Abschnitt mit dem tänzelnden „Kraft durch Krebs – Krebs macht frei“ bleibt gewöhnungsbedürftig, doch insgesamt ist der Song ein Klassiker, den EISREGEN endlich wieder live spielen dürfen.

Vergessene Epen und eine Teilneuaufnahme

Das beste Stück der „Krebskolonie“ ist nicht einer der Klassiker, sondern „Das Kleine Leben“. Der Neunminüter glänzt abwechslungsreich, atmosphärisch, mal brutal-ausbrechend, mal ruhig und tänzelnd. Die Symbiose aus Roths Screams – Klargesang nutzten EISREGEN 1998 noch nicht – sägenden Gitarren, treibendem Schlagzeug und omnipräsentem Klavier bleibt unerreicht. Moderne Longtracks wie „Totkörperkunst“ von „Abart“ können diesem Meisterwerk nicht das Wasser reichen.

Die einzige Nummer, die nicht unverändert vom Index kam, ist „Futter Für Die Schweine“. Auf der Neuveröffentlichung gibt es das „Rezept 2025“: statt Menschen nun veganes Futter. Der Clou: Es ist das Original, lediglich die beanstandeten Textspuren wurden entfernt und neu eingesungen. Roth gelingt es dabei, sein 27 Jahre jüngeres Ich überraschend gut zu imitieren.

Über die Abschlusshymne „Thüringen“ muss man nicht viele Worte verlieren. Als „Krebskolonie“ indiziert wurde, verloren EISREGEN ihren Konzertabschluss und nahmen das Stück zwei Jahre später für die „Hexenhaus“-EP erneut auf. Mittlerweile beschließen sie ihre Konzerte lieber mit „Elektro-Hexe“ – vielleicht ändert sich das nun wieder.

„Krebskolonie“ – endlich für alle verfügbar

Nein, „Krebskolonie“ gehört nicht nur wegen des Indizierungsmythos zu den besten EISREGEN-Scheiben. Vom Sound über die Stimmung bis zu den morbiden Lyrics stimmt hier alles. Als Bonus liegen die Audiodateien des Livealbums „Lager Leipzig“ vom Wave Gotik Treffen 2000 bei. Das Schönste an der Neuveröffentlichung ist jedoch, dass diese großartigen Songs endlich wieder ins Liveset zurückkehren und jede:r dieses Album genießen kann. Der Tod ist ein Meister aus Thüringen!

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21.09.2025

Redakteur für alle Genres, außer Grindcore, und zuständig für das Premieren-Ressort.

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9 Kommentare zu Eisregen - Krebskolonie

  1. doktor von pain sagt:

    Zehn Punkte sind für Eisregen ungefähr neun zu viel.

  2. motley_gue sagt:

    Sorry, ich kann das nicht mehr ernst nehmen.
    Jannik Kleemann mag ein Sub-Genre und vergibt eine 10. Immer. Egal, welcher Rotz. Eine Frau singt, es hat etwas mit Piraten oder Mittelalter zu tun, es hat plakativ-provokative Horror-Texte? 10.
    Jannik Kleemann mag das Genre nicht. Er vergibt 6 oder weniger.
    Eisregen waren damals sicher provokativ, in diesem Sinne auch ein Stachel im Fleisch des Konservativismus. Sie waren damit auch in gewissem Ausmaß innovativ. Auch die Geige war bedingt besonders. Dafür gerne ein paar Punkte. Aber sorry, das war immer schon peinlich-pubertär und musikalisch weit weg von gut. Reicht es aus, dass man es auf die Liste geschafft hat? Wohl eher nicht.
    Schade, andere Redakteure bemühen sich wirklich, gute Reviews zu schreiben. Inflationär 10 Punkte zu vergeben ist kein Review.

    3/10
  3. Madsam sagt:

    Finde es schwierig, jemanden zu kritisieren weil er ein Album mag, dass man selbst nicht gut findet. Wenn man die Historie der Rezensionen des guten Mannes durchschaut, sind dort nicht nur 6en und 10er zu finden.
    Wenn ich das aus heutiger Sicht rezensieren müsste, fände ich es auch schwer das Album, oder vielmehr noch, Eisregen selbst einzuordnen. Mein ich aus der Zeit hätte der 10 vlt auch zugestimmt.
    Aus heutiger Sicht, wo ich Eisregen seit bestimmt 15 Jahren nicht mehr gehört habe, finde ich die Texte auch nicht mehr gut und das ganze Getue drumherum eher zum Fremdschämen.

    Daher kann man es mit einer Rezension einer solch polarisierender Band eh niemand Recht machen.

  4. metal-maniac sagt:

    Ich finde madsam fasst es schon ganz gut zusammen. Bei Eisregen hatte ich immer den Eindruck, dass die Band mehr von ihrem Ruf als von musikalischer Qualität lebt. Auch für mich war sie eine der ersten Berührungspunkte mit extremeren Metal-Spielarten und übte eine gewisse Faszination auf mich als junger Kerl aus wobei es bei mir eher die Farbenfinsternis war. Allerdings war ich mir auch damals ohne größere Erfahrung in dem Bereich schon sehr sicher, dass es dort deutlich Besseres geben muss. Aus heutiger Sicht kann ich die Band überhaupt nicht mehr ernst nehmen und finde es eher zum Fremdschämen. Ich glaube ohne die Indizierungen hätten die Alben niemals diesen Bekanntheitsgrad erreicht. Wobei man Eisregen wohl kaum einen gewissen Impact auf die deutsche Metal-Szene mit ihren ersten Scheiben absprechen kann. Was aber natürllich nicht heißen soll, dass es dem Autor deswegen nicht gefallen darf. Aber 10 Punkte..?

  5. zircular sagt:

    Geht gar nicht, dieses vorpupertäre Gedödel, zumal die Band nicht mit Qualität sondern nur vom Hype profitieren kann. kann.

    3/10
  6. daniel sagt:

    Ich kann ja nachvollziehen das viele nix mit Eisregen anfangen können. Viele Alben kann man mit Sicherheit als unnötig, belanglos oder einfallslos bezeichnen. Allerdings ist Krebskolonie ein absoluter Meilenstein zu dieser Zeit !! Da gab es so gut wie keinen harten Metal der auf Deutsch getextet wurde. Die Texte sind legendär. Der Sound, die Eingängigkeit und die Stimme sind auf jedem Song perfekt !! Diese Band polarisiert ! Dennoch hat sie ihre Fans und Berechtigung im Metal Kosmos. Muss man nicht mögen…muss man nicht hören !! Für mich gehört diese Platte zu den wichtigsten in meiner Plattensammlung ! Und ich bin froh noch ein Original zu haben !!

    10/10
  7. metal-maniac sagt:

    „Da gab es so gut wie keinen harten Metal der auf Deutsch getextet wurde. Die Texte sind legendär.“

    Auch wenn Krebskolonie noch so ein wenig vor meiner „aktiven“ Zeit veröffentlicht wurde, halte ich das dann doch für eine eher gewagte Aussage. 😉

  8. autoexec.bat sagt:

    Kontroverses Album von einer polarisierenden Band. Ich kann die ganzen Kommentare schon sehr gut nachvollziehen, denn musikalisch anspruchsvoll ist das alles jetzt nicht und es lebt schon stark von der lyrischen Provokation. Stört mich persönlich weniger. Als jemand, der das Album damals im Original gekauft hat und sie auch noch live sehen durfte, bevor die Hälfte der Songs indiziert wurden, bin ich vielleicht etwas voreingenommen.

    Diese Entmenschlichung der Personen, der Nihilismus und Zynismus, das sehr morbide der Texte, das für mich starke Parallelen zu Filmen wie „Nekromantik“, „Der Todesking“ usw. aufweist, alleine diese negative Atmosphäre, das kriegt dieses Album (und die zwei Nachfolger) richtig gut hin.
    Allerdings hat es etwas an Reiz verloren mit der Zeit. Da ich mir erst letztes Jahr das Album nach langer Abstinenz mal wieder reingezogen habe, muss ich zugegeben, es funktioniert nicht mehr so wie 1999. Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass Eisregen für mich schon lange uninteressant sind. Trotzdem ist es natürlich erfreulich, dass es vom Index geflogen ist.

    7/10
  9. TerraP sagt:

    Ganz spannend, die Scheibe wurde hier schon Reviews, als sie erstmals rauskam – 7 Punkte und dafür ganz viel Überschwang in der Kommentarspalte. Ist dann wohl doch nicht so gut gealtert, das Ding.