Geist - Kainsmal

Review

„‚Verflucht seist du von dem Ackerboden hinweg, der seinen Mund aufgerissen hat, das Blut deines Bruders von deiner Hand zu empfangen! Wenn du den Ackerboden bebaust, soll er dir nicht länger seine Kraft geben, unstet und flüchtig sollst du sein auf der Erde!‘ Da sagte Kain zu dem Herrn: ‚Zu groß ist meine Strafe, als dass ich sie tragen könnte. Siehe, du hast mich heute von der Fläche des Ackerbodens vertrieben, und vor deinem Angesicht muss ich mich verbergen und werde unstet und flüchtig sein auf der Erde; und es wird geschehen: jeder, der mich findet, wird mich erschlagen.‘ Der Herr aber sprach zu ihm: ‚Nicht so, jeder, der Kain erschlägt – siebenfach soll er gerächt werden!‘ Und der Herr machte an Kain ein Zeichen, damit ihn nicht jeder erschlüge, der ihn fände. So ging Kain weg vom Angesicht der Herrn und wohnte im Land Nod, östlich von Eden.“

Der Mord, den Kain an seinem Bruder Abel beging, gilt als der erste Mord der Menschheitsgeschichte. Das Mal, das er dafür trägt, ist Versinnbildlichung seiner Strafe und Mahnmal zugleich: Verdammung, ewige Rastlosigkeit und immerwährender Misserfolg zeichnen fortan sein Leben.

Mit „Kainsmal“ nehmen sich GEIST einem altbekannten Thema an, nähern sich ihm aber aus einem Blickwinkel, der im Metal bislang – wenn überhaupt – selten gewählt wurde. Einmal ganz abgesehen davon, dass die biblische Überlieferung nicht dem im Black Metal gängigen Hohn und Spott zum Opfer fällt, sondern als Grundlage zur philosophischen Auseinandersetzung dient. Entsprechendes Gewicht kommt den sehr bildhaften, ausdrucksstarken Texten zu, die ihrerseits trotzdem reichlich Interpretationsspielraum lassen. Ähnlich gehaltvoll präsentiert sich die musikalische Seite. Im Vergleich zum bereits starken Vorgänger „Patina“ geben sich die Strukturen auf „Kainsmal“ um einiges kompakter. Einerseits regiert der wütende skandinavische Knüppel, der die sechs Kompositionen in vorwiegend rasendem Tempo nach vorn peitscht. Auf der anderen Seite finden sich zahlreiche untypische Stellen, die, mit reichlich Überraschungsmoment versehen, teilweise fast progressive Züge annehmen.

Die sparsam, aber sehr effektvoll eingesetzten Keyboardakzente verstehen es, durch wenige Akkorde die dichte Atmosphäre noch zu potenzieren, und den vorwiegend schnellen, harschen Songs für eine kurze Dauer fast hymnischen Charakter zu verleihen. Akustische Teile, die plötzlich auftauchenden Dissonanzen weichen, Wechselspiele von Harmonie und Disharmonie oder auch ganz abgefahrene Stellen, wie die entfernt an einen Winnetou-Soundtrack erinnernde Passage in „Lykoi“, die komplett in Dur gehalten ist, finden sich auf „Kainsmal“ genauso, wie rücksichtslose Raserei. Zu entdecken gibt es viel. Seinen Höhepunkt erreicht das Album allerdings mit dem Titeltrack, der sich mit akustischen Gitarren eingeleitet, über sieben ein halb Minuten intensiver Nachdenklichkeit zu einem emotionalen Finale steigert, in dem Klaus Kinski, von melancholischen akustischen Gitarren begleitet, Nietzsches „Vereinsamt“ rezitiert.

Damit beschließen GEIST ein ambitioniertes Album, das zusammen mit seinem ausdrucksstarken Cover Artwork, den bildhaften Texten, der rasenden, eindringlichen Musik und dem allgegenwärtigen Themenkomplex als Gesamtkunstwerk beeindruckt. Für Fans von LUNAR AURORA, NOCTE OBDUCTA und frühen DORNENREICH sehr zu empfehlen.

12.09.2006

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3 Kommentare zu Geist - Kainsmal

  1. vain sagt:

    Nach dem Review gibt es eigentlich nicht mehr viel zu sagen, in meinen ein wohl überdurchschnittliches Album welches als einzigen Kritikpunkt eine viel zu kurze Spielzeit hat. Man ist gespannt wie es mit Geist weiter geht, ich erwarte großes, sehr schöne CD.

    9/10
  2. bator sagt:

    Wirklich eine sehr sehr feine CD.

    9/10
  3. Anonymous sagt:

    Ein rundum gelungenes Album: Lyrisch hochwertig und um Weiten besser als der Genrestandard, optisch höchstwunderbar und musikalisch einwandfrei. Es hat meine Zeit gebraucht, bis ich das Album lieb gewann – Anfangs war ich etwas enttäuscht, wie weit man sich von "Patina" weg entwickelt hat – doch nach einer Weile zündet das Album und zeigt seine großen Stärken: Wunderbare Gitarrenläufe ("Einst War Es Wein" nach dem Ambientpart), stets aufrecht erhaltene Spannung und ein wunderbar homogenes Gesamtbild. Kritikpunkt ist die stellenweise unsaubere Spielweise bei den akustischen Intros (Schnarren bei Kainsmal z.B.); hat aber auch Atmosphäre. Irgendwie.

    9/10