Marienbad - Werk 1: Nachtfall

Review

Recherchiert man – was zum guten Ton der journalistischen Arbeit gehört – was das weltweite Wissensnetz über das tschechische Städtchen Marienbad zu sagen hat, bekommt man vor allem eines angeboten: Kururlaub. Dieses MARIENBAD hat mit Kuren allerdings überhaupt nichts gemein, sondern ist ein der Erholung eher hinderliches Projekt der EISREGEN-Musiker Michael Roth und Ronny Fimmel. Konzeptionell geht es in “Werk 1: Nachtfall“ um ein gleichnamiges tschechisches Dörfchen, von dem Roth nach eigenen Angaben durch seine Großmutter und ein Buch, das diese ihm vererbt habe, erfahren hat. Dieses Buch, “Der Fluch Marienbads“, soll die Geschichte Marienbads erzählen, in dem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehrere seltsame bis morbide Geschehnisse stattgefunden haben sollen und das 1961 von einem Stausee überflutet und von der Landkarte getilgt worden sein soll.

Das klingt soweit inhaltlich absolut nach EISREGEN. Musikalisch soll sich MARIENBAD durch eine eher dem Dark oder sogar Doom Metal nahe Umsetzung mit epischem cleanen Gesang deutlich von der Hauptband der Musiker unterscheiden. Tut es teilweise auch. Natürlich ist nach mehr als einem Dutzend Jahren EISREGEN eine eindeutige Handschrift zu erkennen, die sich vor allem in eigentlich relativ einfachen, aber strukturell eigenartig unorthodoxen Riffs als Grundlage für meinem Geschmack nach etwas zu lange Songs äußert. Das erinnert in seinem Stampfen manchmal etwas an THE VISION BLEAK oder die groovigen Songs von SHINING, auch wenn MARIENBAD lange nicht so heavy und kompakt klingen. Das Drumming von Gastdrummer Allen B. Konstanz (bezeichnenderweise von THE VISION BLEAK) dazu ist unauffällig schlicht, im Vergleich zu EISREGEN eher gemäßigt-ruhig und lässt damit genug Raum, um sich auf Melodien und Texte zu konzentrieren. Die für das Konzept notwendige Atmosphäre kommt durch gelegentliche Keyboardeinsätze und Leadgitarren zustande, vor allem aber durch Michael Roths charakteristischen Gesang. Der ist leider mitnichten episch, wenn auch tendenziell cleaner und angenehmer als die keifige Stimme bei EISREGEN.

Roths Leistung ist dann auch der Punkt an “Werk 1: Nachtfall“, der vermutlich die Gemüter spalten wird. Ich habe diesen Mann immer eher als eine Art kitschige deutsche Regionalversion eines Edgar Allen Poe-Imitators verstanden – oder, positiver gesagt: Eher als Erzähler denn als Sänger. So tritt er auch bei MARIENBAD auf und erzählt mit viel zu viel Pathos und dem obligatorisch-nervigen gerollten R eine Handvoll Geschichten, von dem mystischen Ruf nach Marienbad über eine gelbe Villa, die zum Selbstmord einlädt, sieben Kinder, die gemeinsam in einem Teich ertrinken, zwölf Menschen, die bei der Flutung des Dorfes freiwillig zurückbleiben und ertrinken bis zu der unheilvoll-mystischen Atmosphäre, die an besagtem Stausee herrschen soll.
Wenn man darauf steht, ist das ein wirklich kreatives Konzept, bei dem einem schon der ein oder andere Schauer über den Rücken laufen kann. Dass ich bei einer intensiven Recherche weder den leisesten Hinweis auf Marienbad, noch auf einen Stausee in der Nähe des angeblichen Nachbarortes Stein-Schönau (der nächste Stausee liegt 70 Kilometer entfernt) finden konnte, und dass das gesamte Konzept meiner Meinung nach eine nicht ganz überzeugend ersonnene Fiktion als Mischung aus Atlantismythos und tschechischer Märchenerzählerei ist, spielt da eigentlich keine Rolle.

Ich denke, dass man die Idee des Albums musikalisch intensiver und treffender hätte umsetzen können, und dass MARIENBAD ihre Geschichte eher mit der Brechstange als mit spitzer Feder erzählen. Trotzdem ist das vermutlich das, was die breite Masse fasziniert – eine Legende, von der man nicht so recht weiß, was daran Realität und was Fiktion ist, eine absolut anständige musikalische Leistung und eine gut verdauliche Platte mit leichtem Thrillfaktor. Auch wenn mich das persönlich nicht vollends überzeugt, ist “Werk 1: Nachtfall“ objektiv eher besser als EISREGEN.

14.05.2011

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1 Kommentar zu Marienbad - Werk 1: Nachtfall

  1. knut sagt:

    Na, wenn Google davon nix weiß, dann kann es natürlich nicht viel Wahres dran sein…