
Nach ihrem Debüt „Prolog“ starten NACHTSCHATTEN mit ihrem zweiten Studioalbum „Polaris“ einen neuen Angriffsversuch und bleiben sich dabei musikalisch treu.
„Prolog“ und „Polaris“ ähneln sich
NACHTSCHATTEN klingen nur dem Bandnamen nach wie das Goth-Rock-Projekt eines Teenagers. Doch dahinter stecken fünf versierte Musiker und mindestens ein talentierter Dichter. Im Gegensatz zum Erstling, der sich thematisch an typischen Death-Metal-Themen abarbeitete, präsentieren die Karlsruher nun ein Konzeptalbum mit fantastischer Thematik. Es geht um die selbsterdachte Göttin Polaris, ihr Wirken, ihre Gebote und Heilsversprechen. Dem Verfasser der Lyrics gebührt ein dickes Lob. Auf „Polaris“ verstecken sich ein paar sehr bemerkenswerte Verse, die zur Interpretation einladen. Selbst nach mehrmaligem Hören und Lesen der Texte ist unklar, ob Polaris eine liebevolle Göttin, eine grausame Despotin oder beides ist.
… und sind dennoch verschieden
Die ambivalente Thematik der selbsterdachten Mythologie spiegelt sich auch im wichtigsten Teil einer Band wider – ihren Songs. „Polaris“ bietet mehr Soli und Melodic-Parts. Auch wagen sich die Karlsruher an Spielereien wie Synthieorgel, Choreffekte und E-Orchester. Das klingt mitunter passend und selten überladen. Den Kritikpunkt am Vorgänger hat die Zusammenarbeit mit Bleeding Noise Records nicht gelöst – im Gegenteil: Daniel Wengles Gesang ist auf der neuen Platte sogar noch lauter als auf „Prolog“. Durch das Ungleichgewicht fristen die sehr guten Instrumentals weiterhin ein Schattendasein. Allerdings gönnt sich die Band zwischen den einzelnen Strophen mehr Zeit, was dem gelungenen Spiel etwas Luft zum Atmen lässt. Es scheint, als hätte Daniel so viel zu sagen, dass der Rest der Band warten muss. Wenn sich die zwei starken Hälften zu einem passenden Ganzen zusammenfügen, könnten NACHTSCHATTEN wirklich stark abliefern.
NACHTSCHATTEN wachsen, aber in Maßen
Das zweite Album der Karlsruher bietet viele gute Songs, bei denen man einfach mitsingen muss. Schon der Opener „Mutter Der Galaxie“ knüppelt mit stampfenden Riffs auf das Gehör ein und bietet kaum Zeit zum Durchatmen. Eingängige Soli, knallharte Rhythmen … Alles passt, doch mit dem Track „Spuren“, der stark nach unten ausreißt, kippt fast das gesamte Album. Hier wandelt sich die Platte von einem Melodic-Death-Album mit viel Potenzial zu einem unangenehmen NDH-Death-Mix. Theoretisch interessant, reicht der Sound aber nicht an TOTENMOND oder RIEFENSTAHL heran. Schlimmer noch: Der Song lässt erahnen, warum NACHTSCHATTEN so selten Klargesänge verwenden. Die Vocals erinnern an ein „LINDEMANN-Wannabe“, was weder Sänger Daniel noch die restliche Kombo nötig hätten. Beim Rausschmeißer „Polaris“ besinnen sich die Jungs wieder auf ihre Stärken und leisten Abbitte. Epische Soli, düsteres Growling und über allem thront die ungreifbare Fantastik, die den Großteil des Albums durchzieht. Doch den zuvor angerichtetet Schaden kann auch der Rausschmeißer nicht mehr beheben.
„Polaris“ ist ein guter weiterer Schritt
Dass die Karlsruher eines Tages in einem Atemzug mit Genregiganten wie IN FLAMES, SOILWORK oder ARCH ENEMY genannt werden, ist anzuzweifeln. Sowohl ihr Stil als auch die Interpretationen sind zu nischenhaft, als dass sie sich mit den großen Namen messen ließen. Allerdings bieten NACHTSCHATTEN genau das: eine Nische. Nicht brutal, aber auch nicht zu episch. Lyrisch anspruchsvoll, aber nicht zu prätentiös.
NACHTSCHATTEN behalten auf „Polaris“ ihren eingeschlagenen Kurs bei und drehen lediglich an ein paar Stellschrauben. Das machen sie aber mit bemerkenswerter Hingabe, sodass die weitere Entwicklung der Band spannend bleibt.
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