Paradise Lost - The Anatomy Of Melancholy

Review

Zwanzig Jahre PARADISE LOST, gepflegte Melancholie, zelebrierte Frustration, britischer schwarzer Humor, maßgebliche Beeinflussung eines ganzen Genres, Wundenheiler der geplagten Seelen ganzer Legionen von Anhängern. Was 1988 in Yorkshire mit zwar recht primitivem, aber damals schon ergreifenden, düstererhabenen Death Metal begann, sollte sich im Laufe der ersten Jahre zu einem der Mitbegründer nicht nur des Doom Deaths als auch des Gothic Metals heranreifen, dessen Alben der jeweiligen Zeit nicht nur in musikalischer Sicht, auch in Sachen Songtexte und Gestaltung immer ein Schritt voraus war, wegweisend für zig Nachahmer. Den Bandnamen hatten sie von John Miltons gleichnamigem epischem Gedicht, und nun erscheint also anlässlich des Jubiläums „The Anatomy Of Melancholy“, wunderbar passend benannt nach dem 1621 erschienenen Buch von Robert Burton.

Herzstück des DVD-Doppeldeckers ist das aufgezeichnete Konzert vom 12.04.07 im ausverkauften Koko Club, einem alten, im Jahre 1900 eröffnetem Londoner Barocktheater. Und wenn ich mir die DVD so anschaue, so hätte ich doch einiges dafür gegeben, selbst bei diesem grandiosen Auftritt mit dabei gewesen zu sein. PARADISE LOST boten nicht nur ein Best-Of Programm, nein, die liebevolle Setlist beinhaltete unglaubliche Kracher, denn hier wurde wahrlich tief in die Mottenkiste gegriffen. Beispielsweise spielten die Gothic-Metal-Pioniere an diesem Abend mit dem unsterblichen „Eternal“ und dem Titelsong gleich zwei Stücke des 1991er Referenzalbums „Gothic“. Mit dem ohne Keyboardsamples gespieltem „Sweetness“ wurde dann auch noch die B-Seite der „Seels The Sense“ Single ausgepackt! Überhaupt regierten an diesem Abend hauptsächlich eher die Stücke, welche den älteren Fans der Band zusagen, will heißen, wo PARADISE LOST die Zähne zeigen. Trotzdem ist jedes Album mit zumindest einem Song vertreten, und so wird hier auch nochmals deutlich, wie stilistisch breit und trotzdem absolut unverwechselbar die Briten doch waren und sind. Eine Ausnahme hiervon bildet leider der Doom-Death-Monolith „Lost Paradise“, von welchem nichts dargeboten wurde. Schade eigentlich, aber vielleicht gibt es dann zum 25jährigen Jubiläum endlich mal „Rotting Misery“, ich hab Zeit, ich kann warten.

Angesichts der vielen, zumindest in der Frühphase der Gruppe am laufenden Band erschienenen Meilensteine bleiben natürlich einige Songs auf der Strecke, aber ernsthaft, bei dieser riesigen Auswahl an Hits kann man es schwerlich jedem Fan recht machen. Die vollständige Setlist des Abends findet ihr unten. In Anbetracht der vielen musikalischen Highlights kann man weniger perfekte Dinge leicht verschmerzen. Denn von dem charmanten Charakter des Barocktheaters bekommt man auf der DVD kaum etwas mit, zu dunkel ist das Licht, weshalb man bei manchen Einstellungen auch die Bandmitglieder nur schwer erkennen kann. Hier und da wirkt das Bild ein wenig unscharf, im Gesamten betrachtet aber durchaus gut. Die Lightshow habe ich bei Konzerten der Briten auch schon besser gesehen, hier dominiert oftmals nur ein dunkles blau. PARADISE LOST selbst hatten bei diesen Songs natürlich das Publikum fest im Griff und boten das gewohnte Bild auf der Bühne, wie man die Mannen eben so kennt. Links bangt breitbeinig Greg Mackintosh und liefert seine intensiven, düstermelodischen Leads, mittig Nick Holmes, festgeklammert am Mikroständer, dezent gestikulierend und erfreulicherweise mit starker Stimme. Rechts daneben ebenfalls eher etwas hüftsteif Bassist Steve Edmondson, während Rhythmusgitarrist Aaren Aedy wieder vollen Körpereinsatz zeigt und alles gibt. Routiniert, motiviert und dabei überzeugend.

Die zweite Disk ist vollgestopft mit eher unspektakulärem Bonusmaterial. Den Anfang macht ein viertelstündliches, in ruhiger Atmosphäre geführtes Interview, in welchem alle Bandmitglieder zu Wort kommen. Schöne Sache eigentlich, aber ich hätte mir doch Untertitel gewünscht, da man doch nicht immer alles einwandfrei verstehen kann. Im Anschluss werden Fans nach dem Konzert interviewt, und es stellt sich heraus, dass diese aus halb Europa für diesen Gig angereist kamen. Nett, aber so was schaut man sich doch nur einmal an. Interessanter ist da schon „Lost In Europe“, ein Tourreport vom letzten Jahr, welcher eine knappe halbe Stunde in Anspruch nimmt. Hier gibt es auch komplette Live-Versionen von „The Enemy“ und „Ash & Debris“. Zum Schluß gibt es noch die Promo Videoclips von „The Enemy“ als auch „Praise Lamented Shade“ sowie einen kurzen Trailer zur „Over The Madness“ DVD.

Im Gesamten betrachtet überzeugt natürlich in erster Linie das eingefangene Konzert mit der überragenden Setlist und guten Performance, in welchem einige Klassiker der ruhmreichen Vergangenheit in perfektem Sound und meist gutem Bild zum Besten gegeben werden. Im Vergleich zur eher enttäuschenden „Over The Madness“ Dokumentations-DVD ist diese Veröffentlichung wirklich ihr Geld wert. Alles Gute zum Geburtstag!

Setlist:

01. Intro
02. The Enemy
03. Grey
04. Erased
05. Red Shift
06. So Much Is Lost
07. Sweetness
08. Praise Lamented Shade
09. Pity The Sadness
10. Forever Failure
11. Once Solemn
12. As I Die
13. Embers Fire
14. Mouth
15. No Celebration
16. Eternal
17. True Belief
18. One Second
19. The Last Time
20. Gothic
21. Say Just Words + Zugabe Isolate

01.06.2008

Geschäftsführender Redakteur (stellv. Redaktionsleitung, News-Planung)

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