Blackmore's Night
Er ist ein genialer Gitarrist, einer dieser seltsamen Menschen, auf die Gott mit dem Finger zeigte und sagte: "Du wirst etwas haben, was kein anderer hat."

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Blackmore's Night

Es scheint wirklich unrealistisch zu sein, stimmt aber auf’s Wort: Als ich das erste Mal von der Existenz eines Menschen mit dem Namen Ritchie Blackmore hörte, war ich etwa 17 Jahre alt und stand im lokalen Media Markt vor einem riesigen Werbeaufbau, in dem geschätzte 200 Exemplare von BLACKMORE’S NIGHTs „Shadow Of The Moon“ zum Verkauf angeboten wurden. Nach einem kurzen Reinhören entschied ich mich zum Kauf, denn die schöne, seichte und schwelgerische Renaissance-Popmusik auf diesem Album schien mir denkbar geeignet, einige romantische Abende zu zweien herbeizuführen (für die, die es interessiert: ich habe das Album dann doch grundsätzlich nur alleine gehört…). Zu diesem Zeitpunkt war mir nicht klar, wer eigentlich dieser seltsame Vogel mit dem albernen schwarzen Hut war, der seine Gitarre auf der Schulter transportierte und in Begleitung einer jungen Frau war, die scheinbar seiner Tochter war (in Wirklichkeit handelte es sich dabei um seine 26 Jahre jüngere Lebensgefährtin Candice Night).

Um der Ehrlichkeit jetzt die Spitze aufzusetzen: bis in diese Tage, als ich „Black Knight Ritchie Blackmore“ gelesen hat, war mir nicht ansatzweise bewusst, dass ich mit „Shadow Of The Moon“ so etwas wie den Lebenstraum eines skandalumwitterten, legendären Gitarristen gekauft hatte. Das Album, das ich als nettes „mittelalterliches“ Geklimper eingeschätzt hatte, ist der Beginn eines vollkommen neuen Abschnitts im Leben von Ritchie Blackmore gewesen, der um 1997 begann. Als ich die ersten 300 Seiten der Blackmore-Biographie von Jerry Bloom, einem mit Blackmore persönlich bekannten Musikjournalisten, gelesen hatte, wurde mir nach und nach bewusst, was eigentlich in den 30 Jahren davor geschehen war und wie derb ich diesen Mann unterschätzt hatte.

„Black Knight“ beleuchtet auf fast 500 Seiten auf akribischste Art und Weise den Werdegang eines seltsam schüchternen, schon in jungen Jahren immer in schwarz gekleideten Gitarristen, der in seinem ganzen Leben nichts anderes tat, als Gitarre zu spielen – und der offenbar, glaubt man den Berichten einiger Musiker, die in den 60er Jahren mit Blackmore arbeiteten, auch nicht viel mehr konnte. Blooms Berichterstattung ist überraschend und sympathisch ausgewogen, er verschweigt weder die düsteren, unangenehmen oder merkwürdigen Seiten Blackmores, noch glorifziert er übertrieben sein zweifellos genialistisches Talent. Bei der peniblen Aufarbeitung einer unüberschaubar komplexen Musikerkarriere, die neben den großen Bands DEEP PURPLE und RAINBOW in den Anfangsjahren kaum zählbare Sessionarbeiten für die halbe englische Rockszene umfasst, kommt eine Vielzahl von Musikerkollegen, Fans, Familienmitgliedern und Geschäftspartnern zu Wort.

Natürlich gerät Blackmore dabei nicht selten in ein Kreuzfeuer der Kritik an seinem egomanen, feigen und bislang unverschämten, unfairen Umgang mit seinen Bandkollegen, genauso oft wird allerdings sein geradezu magisches Gitarrenspiel und seine Aura eines Ausnahmegenies gelobt und der unscheinbare, stille Mann als zwar uneinschätzbar schwieriger, aber dennoch lustiger und bis in die Gegenwart zu bösartigen Scherzen aufgelegter, spitzbübischer Kerl beschrieben. Liest man, was aufgrund eines angenehmen und immer schlüssigen Schreibstils gut möglich ist, die umfangreiche und bis auf den einzelnen Gig vor 50 Leuten in den 60er Jahren heruntergebrochene Biographie mit genug Abstand, entsteht das faszinierende Bild eines Mannes, der die Geschichte der Rockmusik geprägt hat und selbst Inbegriff der Rockgeschichte ist – mit allen ihren Klischees, von zertrümmerten Gitarren, in Flammen stehenden Amps, unzählbaren Groupies und Allüren, die dem Präsidenten der USA mühelos zur Ehre gereichen würden.

Dass DEEP PURPLE und RAINBOW über 25 Jahre lang riesige Hallen füllten und unsterbliche Musikstücke erschufen, ist Blackmore aber offenbar relativ egal. Scheinbar durch gewisse Umstände mehr oder minder in die Rolle des wilden Hardrock-Gitarristen gedrängt, befreite er sich 1996 aus dessen Umklammerung, zwängte sich stattdessen in Strumpfhosen und startete mit BLACKMORE’S NIGHT die Art von Musikprojekt, das ihm nach eigenen Angaben über 25 Jahre lang vorschwebte: ruhige, entspannte und größtenteils akustische Musik, die vom epischen Hardrock der RAINBOW-Ära nicht weiter entfernt sein könnte. Hier hat Blackmore offenbar seine Erfüllung gefunden, bei der er sich nicht mit egozentrischen Sängern wie Ian Gillan, Erwartungen von Plattenfirmen und Managements oder monatelangen kräftezehrenden Touren herumschlagen musste. Das bedeutet nicht, dass Blackmore seinen Charakter geändert haben wird, nur, dass er sehr viel entspannter sein und seine ganze Musikalität ausleben konnte.
Auch wenn der Mann mittlerweile 62 Jahre alt ist, glaube ich dennoch, dass es eines nicht mehr fernen Tages eine Reunion von RAINBOW oder DEEP PURPLE geben wird – wenn man nämlich aus „Black Knight“ eines lernen kann, dann das: Ritchie Blackmore ist ein rastloser, unsteter Mensch, dessen einzige Verlässlichkeit darin besteht, dass er immer neue Herausforderungen braucht. Das bezieht sich übrigens nicht nur auf Bands, sondern auch auf Frauen. Seien wir also gespannt, was dieses Genie bis zu seinem hoffentlich noch fernen Tode noch für Überraschungen bereit hält. Vielleicht wird die nächste Biographie dann noch um ein paar hundert Seiten dicker.

Das Buch ist im Verlag Grosser & Stein erschienen.

25.07.2007

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