Alkaloid
"Im Tech-Death-Genre ist alles gesagt"

Interview

Unter dem Banner ALKALOID fanden sich 2015 wegweisende Protagonisten der deutschen Technical- und Progressive-Death-Metal-Szene zusammen und veröffentlichten mit „The Malkuth Grimoire“ ein vielbeachtetes und hochgelobtes Album. Drei Jahre später erscheint mit „Liquid Anatomy“ der heiß erwartetete Zweitling des Kollektivs. Wir haben uns mit Drummer Hannes Grossmann und Sänger Morean über die Grenzen des Prog-Metal-Genres, unerschöpflichen musikalischen Schöpfergeist und die finanziellen Zwänge einer Extrem-Metal-Band unterhalten.

Heute erscheint mit „Liquid Anatomy“ euer zweites Studioalbum. Was dürfen eure Fans erwarten?

Morean: Das nächste Level dessen, was sie mit „The Malkuth Grimoire“ auf die Mütze gekriegt haben! Jedoch keine Wiederholung bewährter Rezepte; mehr eine konsequente Weiterentwicklung des Songwritings, der Virtuosität und der Produktion in einem noch breiteren musikalischen Spektrum. Dabei haben wir uns diesmal auch öfter recht deutlich zu unserem Faible für Prog Rock bekannt, allerdings ohne in den harten Parts irgendwelche Kompromisse einzugehen. Das war eine ziemlich abenteuerliche Brücke, die gebaut werden wollte.

Euer Debüt „The Malkuth Grimoire“ habt ihr 2015 noch mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne finanziert. Gab es diese Überlegung diesmal auch?

Morean: Nein, obwohl es sicher möglich gewesen wäre. Aber langfristige Selbstvermarktung ist für uns keine Option. Wir wollen uns so weit wie möglich auf das Musikalische konzentrieren können, und da hilft es sehr, dass wir mit Season of Mist jetzt ein qualitativ hochwertiges Label im Rücken haben. Das wollten wir von Anfang an eigentlich, nur wollte vor unserer Indiegogo-Kampagne kein Label was von uns wissen. Somit hatten wir damals eh keine Wahl.

War der Druck nach der sehr erfolgreichen Spendenkampagne und der extrem positiven Kritikerresonanz zum ersten Album diesmal ein anderer?

Morean: Nein, gar nicht. Wir versuchen immer, unsere eigenen schärfsten Kritiker zu sein; wenn wir selber zufrieden sind, vertrauen wir dann auch darauf, dass so eine Platte den Fans ebenfalls gefällt.

Der ganze Sinn dieser Band für uns ist, größtmögliche künstlerische Freiheit zu haben, somit ist es uns relativ wurscht, was andere von uns erwarten. Den eigenen Erwartungen gerecht zu werden, ist allerdings schon eine heftige Aufgabe, und die ist nach dem Erfolg des ersten Albums natürlich nicht unbedingt kleiner geworden. Deswegen haben wir auch sehr lange an dieser Produktion gesessen bis wir endlich happy waren.

Sind sich selbst die schärfsten Kritiker: ALKALOID.

Beim Hören von „Liquid Anatomy“ habe ich den Eindruck bekommen, dass ihr diesmal die Death-Metal-Anteile etwas hochgeschraubt habt. Wolltet ihr es etwas härter und unzugänglicher angehen?

Morean: Nein. Wir schreiben eigentlich einfach immer was wir wollen, ohne Rücksicht auf Erwartungen. Bevor alle Songs da waren, schien es erst auch, als würde diese Platte sogar eher soft werden. Aber vor allem Dannys und meine Songs fielen letztlich um einiges härter aus, als erwartet, was dem Album als ganzes auch gut tut, glaube ich. Ich bin für alles offen, solange die Songs geil sind, aber persönlich kann ich mir nicht vorstellen, auf die Härte zu verzichten und was das betrifft mit angezogener Handbremse zu fahren. Vielleicht wirken die harten Parts auch diesmal stärker, weil der Kontrast zu den vielen Clean-Parts einfach größer ist als beim ersten Album, das doch vor allem aus eindeutigen Metal-Songs bestand. Und natürlich spielen die inhaltlichen Konzepte der Songs eine große Rolle in der Ausarbeitung, und eine poppig klingende Supernova wäre einfach irgendwie daneben.

„Unzugänglichkeit“ ist ganz bestimmt nichts, wonach wir bewusst streben. Im Gegenteil: wir bemühen uns sehr, auch die abgefahrensten Ideen noch so griffig und klar wie möglich zu kriegen. Aber bei den konzeptuellen Inhalten machen wir halt keine Kompromisse. Ich denke, die Komplexität stammt eher daher, als aus musikalischen Erwägungen.

Auch sind die einzelnen Songs diesmal länger geworden und nicht nach einzelnen Kapiteln benannt. Folgt das Album diesmal einem loseren Konzept?

Morean: Eigentlich genauso wie beim letzten Mal. Es gibt ein Grundkonzept, aber die Songwriter müssen sich nicht sklavisch dran halten. Die neuen „Dyson“-Songs sind beide länger als die ersten vier, und haben somit eher den Charakter selbständiger Songs. Dafür ist „Rise of the Cephalopods“ in Kapitel mit eigenen Namen unterteilt, auch wenn Hannes darauf besteht, dass die 20 Minuten als ein einziger Song wahrgenommen werden sollen.

Was sehr wohl der Fall ist, ist dass wir Geschichten der ersten Platte hier weitergesponnen haben. Wenn man so weitermacht, könnte man in ein paar Jahren die Songs die konzeptionell zusammengehören, wie z.B. „Cthulhu“ und „Azagthoth“, alle „Dyson“-Songs, oder die beiden Albumcloser und all deren Nachfolger als sehr strenge, lose Konzeptalben erneut veröffentlichen. Der Grund, warum wir das nicht jetzt schon machen konnten, ist schlicht, dass wir, als wir angefangen haben, überhaupt noch nicht einschätzen konnten, wie lang all die Geschichten werden wollten; wir haben einfach ein paar Songs und Texte geschrieben. Erst als die erste Platte fertig war, sahen wir, dass manche Ideen einfach viel mehr Platz brauchen, um sie anständig zu Ende spinnen zu können, und was mich betrifft ist da auch jetzt noch kein Ende in Sicht.

Wie schon auf „The Malkuth Grimoire“ ist der letzte Song auf „Liquid Anatomy“ der mit Abstand längste. „Rise Of The Cephalopods“ kommt auf fast 20 Minuten. Wie entsteht ein solches Werk und woran erkennt man im Songwriting-Prozess, dass hier alles zusammengehört und man es am Ende nicht auf mehrere Songs aufteilen wird?

Hannes: Ich hatte seit langem geplant, einen langen Song zu schreiben, der aus mehreren Teilen besteht. Ich bin ein großer Fan von YES und RUSH, die in den 70ern bekannt waren für ihre Longtracks. Beispielsweise haben Bands wie DREAM THEATER, OPETH oder SYMPHONY X dieses Konzept bereits auf das Metal-Genre übertragen. Ich wollte nun die Grenzen in punkto Dynamik noch weiter ausloten, also sowohl die softesten, ruhigsten, melodischsten Parts verwenden und diese dem krassesten Death Metal gegenüberstellen.

Wahrer Progressive Metal entsteht, wenn die musikalischen Grenzen verschoben werden. Nun hatte ich allerdings außer dieser Idee keinen Anhaltspunkt, wie ich den Song nun starten sollte. Ich habe dann mit einem Stück von Rachmaninov experimentiert, also Akkordfolgen analysiert und diese Basis solange verändert, bis was eigenes entstanden ist. Von da an ergab sich der Rest irgendwie von selbst, über den Zeitraum von circa sechs Monaten. Es kam immer wieder eine neue Idee dazu. Was nicht mehr passte, wurde konsequent verworfen und umgeschrieben. Dabei sind alle Parts auf dem Papier entstanden. Notenlesen bringt da einen entscheidenden Vorteil. Dass ich den Song nicht in einzelne Tracks aufteilen wollte, liegt daran, dass es nun mal eindeutig um einen Song handelt. Das ist eher ’ne Sache des Feelings. Die musikalischen Grundthemen kommen an verschiedenen Stellen des Songs in immer wieder variierter Form vor.

Morean: Als der Song instrumental stand, war ich mit Text und Vocals dran. Ich hatte die Chance, in diesem Song eine ausladende Geschichte zu erzählen, und ich genieße es sehr, wenn ich mir in meiner Fantasie in so einem Werk dann die Gäule durchgehen lassen kann. Um diese Geschichte, was den Inhalt betrifft, klar strukturieren zu können, hab ich den Text in verschiedene Kapitel unterteilt, die jedem Teil des Songs eine klare narrative Funktion geben. Musikalisch ging’s mir beim Gesang aber vor allem darum, den roten Faden, den Hannes durch den Song gezogen hat, so weit wie möglich durch meinen Gesang zu verstärken. Das wird vor allem in den Refrains jedes Teils deutlich; diese entwickeln sich zusammen mit der Musik, geben dem Hörer aber einen klaren Anker, mit dem offensichtlich gemacht wird, dass das alles zusammengehört, egal wie extrem die Kontraste in der Musik sind. Das war viel Arbeit, hat aber in der Ausarbeitung sehr viel Spaß gemacht.

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18.05.2018

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