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Interview mit Damian Wilson zum Debütalbum "I Am Anonymous"

Interview

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Während viele Prog-Fans sehnsüchtig auf ein neues THRESHOLD-Album warten, hat der als Sänger zu seinen britischen Landsleuten zurückgekehrte Damian Wilson noch ein zweites, nicht minder heißes Eisen im Feuer. Denn unlängst veröffentlichten HEADSPACE, die Wilson vor einigen Jahren gemeinsam mit Ozzy-Osbourne-Live-Keyboarder Adam Wakeman ins Leben rief, ihr Debütalbum „I Am Anonymous“. Und es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn diese starke Scheibe nicht auf allen „Alben des Jahres“-Hitlisten der internationalen Prog-Metal-Gemeinde auftauchen sollte.

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Mit einem bärenstarken Debütalbum im Rücken stellt sich ein bestens gelaunter Damian Wilson bereitwillig den neugierigen Fragen der Metal-Presse und quasselt dermaßen munter drauflos, dass ich im Laufe des halbstündigen Telefongesprächs selbst kaum dazu komme, ihm überhaupt meine Fragen zu stellen. Aber halb so schlimm, denn Wilson weiß genau, was er zu sagen hat und was den neugierigen Fragensteller interessiert. Einen kleinen Smalltalk über das Wetter in Holland, wo er gerade wieder für Gesangsaufnahmen weilt, lässt er sich aber zu Beginn nicht nehmen. „Ich war heute den ganzen Tag im Studio und wir hatten hier typisches Studio-Wetter: Draußen war es wunderschön, aber ich musste den ganzen Tag im dunklen Aufnahmeraum verbringen.“ Irgendwelche Schattenseiten muss eben auch das Leben eines erfolgreichen und beliebten Sängers haben.

Doch kümmern wir uns lieber um „I Am Anonymous“, das bei der Fachpresse offenbar ziemlich gut ankommt. „Bislang waren die Reaktionen auf das Album, die ich mitbekommen habe, überwältigend positiv.“ Sonderlich großes Interesse bringt der Sänger Plattenkritiken jedoch nicht entgegen. „Die Leute schicken mir das halt zu, wenn wir gute Reviews bekommen, aber ich halt selbst nicht die Augen danach offen. Als Künstler und Bandmitglied weiß man selbst, was an einem Album gut gelungen ist und was weniger gut. Ich kenne auch seine Schwächen sehr genau. Aber ich bin sehr zufrieden mit ‚I Am Anonymous‘ und denke, dass es ein großartiges Album geworden ist. Ich weiß, was es taugt, und brauche niemanden, der ihn mir bestätigt.“

Dass er das eigene Schaffen durchaus realistisch beurteilen kann, zeigt sich in Wilsons kritischer Beurteilung der 2007 erschienenen „I Am…“-EP. „Ich denke nicht, dass die EP auch nur ansatzweise in derselben Liga spielt wie das Album.“ Damals hatte man für die Tour im Vorprogramm von OZZY OSBOURNE eine Kostprobe des eigenen Schaffens gebraucht, die interessierte Fans mit nach Hause nehmen konnten. „Wir hatten damals zwar bereits eine Menge Material geschrieben, aber noch keine Aufnahmen davon. Das Ganze war also mit ziemlich heißer Nadel gestrickt. Ich will damit nicht sagen, dass die EP schlecht war, aber sie zeigte einfach nicht das volle Potential von HEADSPACE.“

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Stilistisch tanzt zwischen sieben verschachtelten Kompositionen mit einer Mindestlänge von acht Minuten die nicht einmal vierminütige Klavierballade „Soldier“ komplett aus der Reihe. Das Singer/Songwriter-Feeling weist überdeutlich darauf hin, dass das Stück zunächst für Wilsons Solo-Auftritte geschrieben wurde. „Das interessante an ‚Soldier‘ ist, dass es eigentlich das zentrale Stück des Albums ist. Ich habe den Song ursprünglich in Dur auf der Gitarre geschrieben und er handelte von den Soldaten in dem Ort, wo ich lebte.“ Während der Arbeiten an ihrem Debütalbum wurde der Band jedoch klar, wie gut das Lied thematisch in das angestrebte Gesamtkonzept passte. „Wir diskutierten eine Zeitlang, ob wir ‚Soldier‘ aufnehmen wollten oder nicht. In meinen Augen gehört es aber einfach dazu, denn es lenkt die Aufmerksamkeit des Zuhörers auf eine zusätzliche Bedeutungsebene dieses Albums.“

Um das verstehen zu können muss man natürlich zunächst das Gesamtkonzept verstehen. „Oberflächlich betrachtet scheint sich das Album um einen Soldaten in einer Art von Krieg zu drehen. Zunächst ist da der Kriegsausbruch, dann geht es um Soldaten und wie man einer wird, dann wird der Soldat in den Krieg geschickt, dort aber gefangen genommen. Und als er endlich wieder nach Hause darf, kommt er mit seinem Leben dort nicht mehr klar und zerstört die Gesellschaft.“ Setzt man sich jedoch genauer mit dem Album auseinander, stellt man fast, dass es wesentlich mehr Tiefgang aufweist. „Es geht auch um die Rechtfertigung von Kriegen, um einen Prozess, um Computerspiele und Familienleben. Auf gewisse Weise handelt es zwar von einem Soldaten, eigentlich geht es aber überhaupt nicht um Krieg, das ist nur der erste Eindruck, den man bekommt. Es geht um die menschliche Natur, um Verluste und dergleichen.“

„I Am Anonymous“ erweckt zwar den Eindruck, politische Themen anzuschneiden. Dennoch verwehrt sich Wilson gegen diese naheliegende Interpretation. „Ich finde nicht, dass das Album eine echte politische Komponente hat, denn es geht nur um die menschliche Existenz. Auch in ‚The Fall Of America‘ geht es nicht wirklich um Amerika. Ich kann mir vorstellen, dass viele das sehr wörtlich nehmen und als eine Analyse der aktuellen politischen Situation verstehen, weil es ein wenig so klingen soll. In Wirklichkeit geht es aber um unsere Zukunft als Menschen. Und wir ändern uns im Grunde nicht. Der Weltfrieden ist für uns unerreichbar, weil wir Menschen sind. So sind wir eben, egal ob wir es akzeptieren oder nicht.“ Auch die scheinbar offensichtliche Verbindung zur Internet-Guerilla-Bewegung „Anonymous“ lässt Wilson nicht gelten. „Der Titel ist ein Verweis auf den Zuhörer, mit dem wir ihm sagen wollen, dass er oder sie eben nicht anonym ist. Darum geht es bei dem Album und wenn man es unter diesem Gesichtspunkt anhört, wird man unsere Absicht dahinter verstehen.“

Was irgendwie widersprüchlich und verwirrend klingt, wird auch nur bedingt klarer, als Wilson auf die Verbindungen zum von Elisabeth Kübler-Ross entwickelten Modell der „fünf Phasen des Sterbens“ (Leugnen, Zorn, Verhandeln, Depression, Akzeptanz) eingeht. „Der entscheidende Punkt ist doch, dass wir als Menschen ausgesprochen vorhersehbar sind. Das zeigt die Gültigkeit von Modellen wie dem von Kübler-Ross. Sie hat ihr Modell ursprünglich im Bezug auf den Prozess des Sterbens entwickelt, aber davon ausgehend kann man es auch auf globale Ereignisse und die Heilungsprozesse der Menschheit übertragen.“ So sind auch die einzelnen Songs auf „I Am Anonymous“ den fünf Sterbephasen zugeordnet und wer aufmerksam hinhört, erkennt die Verbindung zu all den von Wilson angesprochenen Themen, die plötzlich gar nicht mehr so widersprüchlich erscheinen, wie es seine Erläuterungen vermuten lassen.

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Obwohl Wilson letztlich für die Liedtexte und damit auch für das inhaltliche Konzept verantwortlich zeichnete, hatten hierbei auch seine Mitstreiter ein Wörtchen mitzureden. „Ich habe das Konzept mit den anderen Bandmitgliedern durchgesprochen, um sicherzustellen, dass wir alle in die richtige Richtung steuern. Ein Großteil der Musik, wie zum Beispiel ‚Daddy Fucking Loves Me‘, wurde von unserem Gitarristen Pete Rinaldi so geschrieben, dass sie das Fünf-Stufen-Modell von Kübler-Ross wiederspiegelt. Pete hat das in die Musik einfließen lassen und es ist alles ziemlich gut durchdacht.“ Wilson wird nicht müde, den wichtigen Einfluss des Gitarristen herauszustellen, der sich dabei als echter Teamplayer erwies. „Ohne Petes Gitarrenparts würde dieses Album ganz anders klingen. Er hat beispielsweise ‚Die With A Bullet‘ komplett umstrukturiert. Ich habe ihm am Telefon kleine Ideen vorgesungen, die er aufgenommen und in seine eigenen Songparts eingebaut hat. Und bei all diesen Änderungen konnte ich meine Ideen immernoch heraushören, auch wenn das Endergebnis ganz anders klang als die Ursprungsfassungen. Was ich ihm zugeschickt hatte, sollte ihn inspirieren und ich bin sehr glücklich darüber, dass er meinen Input annahm und mir nicht einfach fertige Stücke zuschickte, für die ich dann nur noch die Gesangsstimme hätte aufnehmen sollen. Er hat wirklich allen Beteiligten zugehört, ohne dass dabei sein eigener Einfluss verlorengegangen wäre.“

Keyboarder Adam Wakeman und Gitarrist Pete Rinaldi verpassten der musikalischen Ausarbeitung schließlich den letzten Schliff. „Sie waren so etwas wie die Regisseure bei diesem Album. Wenn ich das Album geschrieben hätte, hätte ich nur Viervierteltakte und einfache Tonarten und Harmonien verwendet. ‚Soldier‘ ist dafür ein gutes Beispiel. Adam hat da ein Lied genommen, das ich in G-Dur auf Basis von vier Akkorden geschrieben hatte, und daraus ein Moll-Stück gemacht, dem er seinen Stempel aufgedrückt hat. In meiner ursprünglichen Version hätte ‚Soldier‘ überhaupt nicht auf das Album gepasst.“ Letztlich ist das Album aber in echter Teamarbeit entstanden, so dass sich alle Musiker gleichberechtigt einbringen konnten. „Dieses Album fühlt sich an wie MEIN Album. Es steckt soviel von mir darin, wie in jedem anderen Album, das ich je gemacht habe. Aber so geht es uns allen. Pete empfindet so, Adam genauso. Jeder von uns hat eine Menge Arbeit in dieses Album gesteckt und sieht es nun als ein Teil von sich an.“

Angesichts des extrem abwechslungsreichen und dynamischen Songwritings kommt man nicht umhin, Wilsons Stimme zu bewundern, die sich scheinbar mühelos den wechselnden Stimmungen innerhalb der Songs anpasst. Da überrascht sein hartes Urteil über die eigene Leistung: „Ich denke, dass die Gesangsperformance das Schwächste an ‚I Am Anonymous‘ ist, denn ich habe mir darüber bei den Aufnahmen überhaupt keine Gedanken gemacht. Ich habe immer die Message vor Augen gehabt, die ich rüberbringen wollte. Wenn ich mit Arjen Lucassen (STAR ONE, AYREON – Anm. d. Red.) oder mit THRESHOLD arbeite, achte ich immer auf eine saubere Performance. Bei diesem Album wollte ich eine Botschaft vermitteln und habe alles so gesungen, wie es mir in den Sinn kam, ohne großartig darüber nachzudenken. Im Grunde ist das, wie wenn ich mit dir telefoniere. Ich will dir etwas erzählen und da achte ich gar nicht darauf, wie meine Stimme klingt.“

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Wie bei so vielen aktuellen Bandprojekten, sorgten auch bei HEADSPACE unterschiedliche Wohnsitze für erschwerte Arbeitsbedingungen. Dennoch entwickelten sich viele Songs aus klassischen Jam-Situationen heraus. „Den filmmusikartigen Anfang von ‚In Hell’s Name‘ haben Adam und ich in seinem Wohnzimmer entwickelt. Und auch bei ‚Stalled Armageddon‘ und ‚Fall Of America‘ habe ich mich einfach mit Adam zusammengesetzt und wir haben mit verschiedenen Themen herumgespielt. Letztlich haben Pete und Adam dann alles zusammengesetzt, weil es schwierig war, zu fünft zusammen zu kommen, weil wir zu verschiedenen Zeiten mit unseren anderen Bands auf Tour waren. Das fertige Album zeigt aber eine perfekte Kombination unserer aller Fähigkeiten, auch wenn wir bei der Produktion nicht immer alle im selben Raum anwesend sein konnten.“

Angesichts der anderweitigen Verpflichtungen aller Musiker verwundert es nicht, dass HEADSPACE-Fans fünf Jahre auf das Debütalbum warten mussten. Doch Wilson schiebt die Verantwortung galant weiter. „Pete ist schuld! Wir hatten bereits eine Menge an guten Songs fertig und ich dachte, wir könnten die einfach aufnehmen und daraus ein Album machen. Aber Pete fühlte sich damit nicht wohl und wollte noch einmal neue Songs schreiben. Er wollte ein Konzeptalbum machen und dann fiel es mir zu, ein Konzept zu finden.“ Während die Band mit dem Songwriting also noch einmal bei Null anfing, kam es zu genau den terminlichen Überschneidungen mit anderen Projekten, die man eigentlich vermeiden wollte. „Die Musik wurde lettztlich um unsere anderweitigen Tour-Aktivitäten herum geschrieben. Ich bin aber sehr zufrieden mit dem Ergebnis, das war es absolut wert. Dadurch, dass wir nicht die bereits fertigen Songs verwendeten, hatte ich die Chance, meine Gedanken auf eine ganz andere Weise auszudrücken. Jeder der Songs hat eine ganz besondere Bedeutung und ich liebe dieses Albumkonzept.“

Die mit HEADSPACE gesammelten Erfahrungen werden mit Sicherheit auch das Solo-Schaffen des Künstlers beeinflussen. „Mein nächstes Solo-Album wird auch ein Konzeptalbum,“ lacht Wilson augenzwinkernd. Dabei gelten für seine Singer/Songwriter-artigen Shows mit wesentlich intimeren drei-Minuten-Stücken eben doch ganz andere Spielregeln, als für die ausufernden Prog-Kompositionen von HEADSPACE. „Mein größtes Problem auf der Bühne ist es eigentlich, genügend Zeit zu haben. Man bekommt da einen Zeitplan vorgegeben, aber gerade bei meinen Solo-Shows bin ich dann oftmals zweieinhalb bis drei Stunden lang nur mit meiner Gitarre auf der Bühne, weil ich so lange brauche, um mich auf ein Publikum einzustimmen und eine Verbindung aufzubauen. Eine 40-Minuten-Show ist dagegen bereits vorbei, wenn man gerade angefangen hat, diese Verbindung aufzubauen.“

Eine Verbindung würden wir live auch gerne zu HEADSPACE aufbauen. Bislang sind leider nur drei Shows Anfang September in den Niederlanden angekündigt, doch noch sollte man die Hoffnung auf einen Besuch des Quintetts in Deutschland nicht aufgeben. „Wir würden gerne auch Shows in Deutschland und England spielen. Wir hängt eben wieder an den sonstigen Aktivitäten mit unseren anderen Bands. Wir sind da alle sehr beschäftigt, aber ich denke, es wird sich eine Möglichkeit ergeben.“ Das hoffen wir natürlich auch. Bis wünschen wir HEADSPACE alles Gute und danken Damian recht herzlich für das Interview.

17.06.2012

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