Nailed To Obscurity
"Stumpfes Durchbrüllen hätte einfach nicht funktioniert"

Interview

Zum Songwriting an sich: Die Kompositionen auf „Black Frost“ scheinen für mich wieder ein wenig zugänglicher zu sein. Auf „King Delusion“ wirkten die Songs sperriger, während es auf der neuen Scheibe einfacher ist, einen Draht zu dem Material zu bekommen. Seht Ihr das selber vielleicht ganz anders und habt ihr am Songwritingprozess etwas verändert, was dazu geführt haben könnte?

Ole: Für uns ist das natürlich schwer zu sagen, wie es ist, den Zugang zum Material zu bekommen, da wir diesen Punkt ja verpassen. Wir haben aber auch schon von vielen genau das Gegenteil gehört. Denen ist es etwas schwerer gefallen, reinzukommen und es brauchte ein paar Anläufe, dafür haben die Songs am Ende aber um so mehr gezündet. Das finde ich persönlich aber ganz gut, da das bei meinen heutigen Lieblingsalben auch immer so war. Wenn ich denke, „das hat irgendwie was, aber so richtig geschnallt habe ich es noch nicht, das muss ich noch ein paar Mal hören“, sind das meistens die Alben die in drei, vier oder fünf Durchläufen so dermaßen wachsen, dass man die immer wieder hören kann und richtig süchtig danach wird. Andere Alben hat man nach dem ersten Hören direkt verstanden, danach geben sie einem aber nicht mehr viel. Für mich gibt es eigentlich nur diese beiden Typen von Alben.

Am Songwritingprozess hat sich aber bei uns nicht viel geändert. Wie schon erwähnt, schreiben nach wie vor Volker und ich die Grundgerüste, wir gehen in den Proberaum und schreiben dann alle zusammen daran weiter. Das sieht dann im Detail so aus, dass wir unsere Ideen zunächst allen erklären, was wir uns wie vorstellen. Das wird dann erst einmal so umgesetzt und von da aus weiterentwickelt, ob etwas z.B. schneller gespielt werden muss oder gar nicht funktioniert und komplett verworfen wird, was auch oft genug passiert. In den meisten Fällen hat jeder Ideen, die alle unterschiedlich sind. Wir probieren alle aus und am Ende wird es eine Mischung aus all diesen Einflüssen. Lustigerweise funktioniert das letztlich immer am besten.

Das Problem an dieser Herangehensweise ist, dass wir dazu alle zusammen im Proberaum sein müssen. Das ist zwar cool, aber schwierig für uns, da wir mittlerweile alle relativ weit voneinander entfernt wohnen. Früher haben wir genau aus diesem Grund sehr lange gebraucht, um Alben fertig zu bekommen. Daher haben wir es dieses Mal wirklich so durchgezogen, dass wir uns ab dem Beginn der Proberaum-Sessions im Februar 2018 bis zum Studiotermin Ende August, absolut jedes Wochenende komplett im Proberaum eingeschlossen haben um Songs zu schreiben, sofern wir nicht live gespielt haben. Sonst wäre das in dieser Zeit nicht machbar gewesen. Das war natürlich anstrengend, aber auch sehr produktiv.

Der einzige Unterschied war, wie von Raimund schon erwähnt, die Woche der Vorproduktion im Studio zusammen mit Victor, wo wir auch noch viel an den Songs gedreht haben. Das würde ich gerne in der Zukunft so beibehalten und vielleicht zeitlich sogar noch ausweiten. So produktiv und fokussiert an dem Material arbeiten konnte ich vorher tatsächlich noch nie.

Eine Sache halte ich vielleicht noch für erwähnenswert: Wir haben für „Black Frost“ extrem viele Songs angefangen. Im Endeffekt haben wir parallel an 21 Ideen gearbeitet und bis auf die sieben Songs, die jetzt wirklich auf dem Album gelandet sind, haben wir alles andere wieder verworfen. Wir haben zwar schon immer mehr verworfen als letztlich veröffentlicht, aber an so vielen Songs gleichzeitig gearbeitet eben noch nie. Das schöne daran war, dass man, wenn man an einer Stelle nicht weiter kam, die Fragmente wie eine Playlist durchgehen konnte und einem garantiert zu einem anderen wieder etwas einfiel. So konnten wir die Wochenenden einfach besser nutzen. Da wir nur diese Wochenenden hatten, wäre es natürlich blöd gewesen, wenn zwar alle da sind, aber keine Ideen zum Weiterarbeiten vorhanden.

Wenn wir tatsächlich aufnehmen, gehen wir übrigens auch nicht mit komplett fertigen Songs ins Studio. Da sind wir genau so offen für Veränderungen, die uns dort zufällig auffallen. Alle Soli sind z.B. auch während der Studio-Sessions entstanden. Das letzte Solo in „Road To Perdition“ habe ich eigentlich improvisiert und am Tag, an dem ich es aufgenommen habe, erst geschrieben. Ich habe ein wenig herumgespielt und fand es so gut, dass ich es direkt aufnehmen wollte, bevor ich es vergesse, obwohl die Aufnahme eigentlich erst ein paar Tage später geplant war. Bei Volkers Soli war das ähnlich. Diese Spontaneität versuchen wir uns im Studio immer offen zu halten. Das bringt einfach eine gewisse Lebendigkeit in die Aufnahmen, genau wie wir die Songs ja auch in einer Quasi-Livesituation schreiben. All das führt im Endergebnis, glaube ich, zu einem relativ natürlichen Sound, der in einer gewissen Art und Weise auch ein „Live-Feeling“ ausstrahlt, obwohl es sehr sauber produziert ist.

Band Foto Nailed To Obscurity 2018

Raimund Ennenga (links) und Jan-Ole Lamberti (rechts) mit NAILED TO OBSCURITY

Wie Du gerade schon erwähnt hast, Ole, lebt Ihr mittlerweile relativ weit voneinander entfernt. Soweit ich weiß übt Ihr auch alle „nebenbei“ noch normale Jobs aus. Anfang des Jahres 2019 tourt ihr dann direkt mit AMORPHIS, SOILWORK und JINJER durch Europa und einige Festivalshows sind ebenfalls bereits bestätigt. Mir kommt es so vor, als würdet Ihr Eure Touraktivitäten deutlich ausbauen. Wie vereint Ihr das mit Euren Jobs und den weit voneinander entfernten Lebensmittelpunkten?

Raimund: Du hast natürlich Recht, wir möchten unsere Live-Aktivitäten ausbauen und sind deshalb ganz froh über den Schritt, den wir im Booking-Bereich machen konnten. Das ist vielleicht ein wenig untergegangen, aber auch dort sind wir seit Mitte 2018 in neuen Händen. Klar, wir möchten so viel live spielen, wie es irgend möglich ist, aber sicherlich gibt es da diese kleinen Schranken, wie Jobs und Kilometer, die gefahren werden müssen. Diese Kilometer, die wir beispielsweise zu einer Probe zurücklegen müssen, fühlen sich aber mittlerweile schon total normal und natürlich an…

Ole: Ich finde auch, wenn wir zu Konzerten fahren, die übertrieben weit weg sind – wir dachten z.B. dummerweise, dass es eine bessere Idee wäre mit dem Auto nach England zum Bloodstock zu fahren, statt zu fliegen – fühlt sich das alles nicht so schlimm an. In der Gruppe macht das einfach Spaß.

Raimund: Wir haben einfach einen guten Draht zueinander. Was das Fahren zu den Proben angeht: Ich selbst kenne das ohnehin gar nicht anders. Egal wo ich bislang gewohnt habe, musste ich immer diese Kilometer zurücklegen, das gehört schon irgendwie dazu und ich bewerte es schon fast gar nicht mehr. Bisher hatten wir auch alle bezüglich unserer Jobs immer Glück. Mal schauen, was da noch für Hürden auf uns zukommen. Wir hoffen aber natürlich, dass es so wie bisher weiter gehen kann.

Ole: Tatsächlich ist es so, dass es um uns gerade ganz gut zu stehen scheint (lacht). Wir diskutieren im Moment schon einiges, da wir gerne noch deutlich mehr machen wollen. Das würde aber bedeuten, dass wir relativ drastische Schritte bezüglich unseres Privatlebens einleiten müssten. Einige von uns verändern schon etwas, um darauf gegebenenfalls vorbereitet zu sein, aber andere können das auch einfach nicht. Da suchen wir momentan nach Lösungen. Ob wir das dieses Jahr schon alles umsetzten können oder auch erst nächstes, wissen wir einfach noch nicht. Wir wissen also, dass wir einiges verändern müssen, um künftig auch live noch mehr machen zu können, was uns auch wirklich enorm wichtig ist.

Zum Abschluss würde ich gerne noch ein allgemeineres Thema ansprechen. Wie seht Ihr die Zukunft des Melodic Death Metal? Einige Leute meinen, der klassische Melo Death der Neunziger wäre tot, andererseits kehren Bands wie AT THE GATES oder auch NIGHT IN GALES gerade zu ihrem ursprünglichen Sound zurück. Viele experimentieren auch mit anderen Stilrichtungen, wie z.B. Doom, was ja auch bei Euch ein Thema zu sein scheint. Da ich Euch auch dem Melodic Death zuordnen würde: Wohin geht die Reise aus Eurer Sicht?

Raimund: Das ist wirklich eine schwierige Frage. Erst einmal möchte ich gerne, zusätzlich zu den von Dir genannten Bands, noch FRAGMENTS OF UNBECOMING empfehlen. Das sind gute Freunde von mir, und die passen in diese Aufzählung, denke ich, ganz gut rein. Aber etwas über die Zukunft des Genres zu prognostizieren ist wirklich schwer. Allgemein ist die Entwicklung von Musik ja ein sehr dynamischer Prozess. Daher gibt es ja auch immer wieder „Peaks“, Genres die dann plötzlich besonders favorisiert werden. Wenn man jetzt, wie von Dir schon genannt, AT THE GATES oder auch „klassische“ IN FLAMES – ich denke jeder versteht was ich damit meine – als Blaupausen für den klassischen Melodic Death Metal nimmt, weiß ich nicht, ob das noch einmal in dieser Form zurück kommt. Es wird aber natürlich immer Bands geben, die diesen Stil weiterhin spielen, davon bin ich überzeugt.

Im Metal gab es bisher ja immer plötzlich irgendwelche Mischungen, in denen ein anderes Genre mit Metal kombiniert wurde. Das plakativste Beispiel ist da vermutlich Metalcore, wo Melodic Death mit Hardcore verbunden wurde zu etwas neuem, angereichert u.a. durch die typischen cleanen Gesangspassagen. So etwas passiert immer wieder, und ich könnte mir Vorstellen, dass es auch zukünftig wieder neue Mixgestaltungen geben wird. Wir haben z.B. einen gewissen Anteil Doom in unseren Sound integriert, vielleicht sogar ganz entfernt ein wenig Gothic Metal, wenn man eher an Bands wie MOONSPELL oder PARADISE LOST denkt. Andere Bands reichern ihren Stil wiederum elektronisch an. Langfristig wird sich vielleicht einfach eine neue Schublade öffnen und man hat wieder einen neuen Namen. Melodic Death Metal gibt es schon so lange, vielleicht muss mal wieder ein neuer Begriff in diesen Topf geschmissen werden, auf den sich Bands dann stürzen können. Eine konkrete Antwort zur Entwicklung des Genres kann ich Dir also gar nicht geben. Ich finde es aber auch spannend, das Ganze einfach mal abzuwarten.

Ole: Ich gehe auch davon aus, dass Melodic Death in dieser Form nicht aussterben wird, da es einfach kein kurzlebiger Trend ist, wie das – zumindest in meinen Augen – Metalcore war. Es gibt ihn zwar noch, aber diese Welle an Metalcore-Bands nicht mehr unbedingt. Ich erinnere mich noch gut daran, dass wir eine Zeit lang wirklich Schwierigkeiten hatten, mit Metal-Bands zusammen zu spielen. Diese Bands klangen dann oft auch sehr ähnlich, was ich gar nicht unbedingt auf die großen Bands beziehe, die bekannt geworden sind. Die sind groß geworden und geblieben, da sie eine gewisse Qualität und einen eigenen Stil innerhalb des relativ limitierten Sounds hatten. Aber viele der kleinen Bands waren einfach ziemlich offensichtliche Kopien davon. Wenn man die Leute gesehen hatte, wusste man bereits wie die klingen. Die waren quasi uniformiert und haben die Songs so geschrieben, wie eben so ein Metalcore-Song sein muss. Da ist der Breakdown an der Stelle, die Harmonien bestehen nur aus diesen typischen, glaube ich, großen und kleinen Terzen. Das ist mittlerweile wieder deutlich weniger geworden, auch wenn ich das Gefühl habe, dass die größeren Bands gerade ein kleines Revival erleben, aber eben auch nur die.

Und genau so sehe ich das beim Melodic Death nicht, da das Genre einfach viel breiter gefächert ist. Da gibt es allein schon so viele Bands, mit denen ich selbst kaum etwas anfangen kann. Durch die Melodien hat man einfach auch viel eher die Möglichkeit, eine eigene Handschrift mit einzubringen. In vielen anderen Subgenres ist das nicht so, dass die Ausprägungen zwischen den Bands so extrem unterschiedlich ausfallen.

Aus meiner Sicht war es auch früher nicht so, dass es DEN einen Melo-Death-Sound gab, wie beispielsweise im Metalcore. Ich finde, dass IN FLAMES, AT THE GATES und DARK TRANQUILLITY zu der Zeit, als sie den Grundstein gelegt und diese Szene begründet haben, auch schon ziemlich unterschiedlich klangen. Jede Band hatte da schon ihren eigenen Sound. Wenn man dann z.B. SOILWORK nimmt, mit denen wir ja jetzt auf Tour gehen, haben die einen viel progressiveren, technischeren Ansatz. Eine Band wie AMORPHIS, die zwar mit Göteborg nichts zu tun hat, aber auch melodischen Death Metal spielt, hat wiederum eine sehr Folk-lastige Herangehensweise.

Irgend eine Form von melodischem Metal mit Death-Metal-Anteilen wird es immer geben, so lange es Metal gibt. Ich finde es auch bei uns schwierig, NAILED TO OBSCURITY in die Melo-Death-Schublade zu schieben, obwohl wir natürlich Death Metal machen, der sehr melodisch ist. Trotzdem sehe ich es anders als Raimund, ich finde nicht, dass man einen anderen Begriff braucht. Ich bin kein Freund davon, neue Genres zu erfinden, damit man einfach einen Namen hat. Für mich reicht es eigentlich, wenn alles einfach Metal ist und jeder sucht sich heraus, was ihm gefällt oder eben auch nicht.

Raimund: Absolut richtig. Das war von mir auch eher als kleine, zynische Bemerkung bezüglich der diversen Trend-Hypes gedacht. Diese Hochphase, die dieses Genre mal hatte, wo Melodic Death vielleicht auch wirklich ein kleiner Trend war, die gibt es natürlich nicht mehr.

Vermutlich hat es sich auch genau in diese Richtung entwickelt. Es gab einen gewissen Trend, in dieser Phase hat sicher auch einiges ähnlich geklungen, aber mittlerweile hat sich das in die von Ole angesprochene Richtung entwickelt. Alles, was eine gewisse Death-Metal-Basis hat, aber gleichzeitig sehr melodisch ist – obwohl die melodischen Parts sehr unterschiedlich sein und aus Genres wie Folk, Doom, usw. stammen können – wird als Melodic Death zusammengefasst.

Ole: Genau, es gibt einfach so viele verschiedene Ausprägungen, dass man gar nicht mehr von DEM Melo Death sprechen kann.

Raimund: Daher verwenden die Labels mittlerweile wohl auch eher diese Sticker: „Für Fans von…“ Das ist einfach aussagekräftiger als jede Genreschublade.

Das ist doch ein schönes Schlusswort. Ich danke Euch für das entspannte und ausführliche Gespräch!

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Quelle: Interview mit Jan-Ole (g.) und Raimund (v.) / Nailed To Obscurity
05.01.2019

"Time doesn't heal - it only makes you forget." (Ghost Brigade)

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