Nattsol
Interview mit Erlend Antonsen zu "Stemning"

Interview

Nattsol

NÀTTSÒL mag zwar ein neuer Name am norwegischen Folk/Black-Metal-Horizont sein, ihr Album „Stemning“ ist aber ein beeindruckend reifes und fertiges Erstlingswerk. Und ein Werk, das im besten Sinne an die ersten Alben von ULVER anknüpft, jedoch einen eigenen Charakter hat. Metal.de ergriff die Gelegenheit beim Schopfe, Bandkopf Erlend Antonsen (Kompositionen, Akustikgitarre, Bass) zu Band, Album und Norwegen zu befragen.


Nattsol

Moin Erlend, Euer Album „Stemning“ steht ja jetzt endlich kurz vor der Veröffentlichung – wie geht’s Dir und was machst Du gerade?

Hi Mann! Wir sorgen gerade dafür, dass jedes kleine Detail rund um diese Veröffentlichung am richtigen Ort sitzt. Das ist natürlich ein wenig stressig, aber das generelle Gefühl ist gut, und dass jetzt das Album veröffentlicht wird, ist einfach großartig.

Die Aufnahmen für „Stemning“ sind bereits seit zwei Jahren fertig im Kasten. Warum hat es so lange gedauert, bis Ihr ein passendes Label gefunden habt?

Gute Labels sind schwer zu finden. Wir haben ein paar Angebote von Möchtegernlabels erhalten, darunter eins, das uns auch auf Nachfrage keinen Vertrag in verständlichem Englisch schicken konnte. Die anderen in der Band waren alle schon einmal in dieser Situation, weswegen wir ziemlich genau wussten, worauf wir bei der Labelauswahl achten müssen. Lupus Lounge legten vom ersten Moment eine professionelle Einstellung an den Tag, so dass die Entscheidung für sie alles in allem einfach war.

Ihr habt die Aufnahmen für das Album bereits vor vier Jahren begonnen – demnach ohne die finanzielle Unterstützung einer Plattenfirma. Andererseits hattest Du von Anfang an die Idee, Dir für die Umsetzung echte Profis ins Boot zu holen und das Projekt richtig groß umzusetzen. Gab es jemals den Moment, wo Du dachtest, dass Du Dich übernommen hast?

Ich habe natürlich zwischendurch gezweifelt, ob das Album jemals offiziell über ein Label erscheinen wird. Andererseits wusste ich aber, dass ich es bestmöglich aufgenommen habe – bei einem Budget, das bei null lag. Bald nachdem ich das Album fertig geschrieben hatte, fing ich an einer Hochschule an zu studieren und hatte kaum mehr Zeit und noch weniger Geld. Glücklicherweise fand ich großartige Musiker, die ein Interesse an dem Projekt hatten, das über das reine Einspielen hinausgeht. Ohne sie wäre ich mir nicht sicher, ob das Album jemals das Tageslicht erblickt hätte.

Dann ist jetzt eine gute Gelegenheit, die Band vorzustellen. Ihr habt „Stemning“ zu sechst aufgenommen, aber die Aufnahmen liegen ja bereits einige Zeit zurück. Wer ist im Moment noch in der Band, wer sind die Gastmusiker, und was zeichnet sie aus?

Im Kern besteht die Band aus mir, Nattsjel an der Gitarre und Venomenon (Gesang). Uruz hatte auf dem Drumhocker Platz genommen und ist ein Profi durch und durch. Er nahm meine Vorgaben, fügte seine Magie hinzu, und ich könnte nicht glücklicher mit seiner Arbeit sein. Gustav Jørgen Pedersen hat sich uns als Sessionmitglied angeschlossen, um die cleanen Gesangsparts einzusingen, und das Ergebnis spricht für sich.
Der letzte Song des Albums ist gleichzeitig der letzte, den ich geschrieben habe. Ich wusste, dass ich das Album mit einem akustischen Song abschließen wollte, und es war Nattsjel, der mit vorschlug, darauf weiblichen Gesang zu verwenden. Er kannte Anette Gulbrandsen von früher und empfahl mir, es mit ihr auszuprobieren. Nun, gegen das Ergebnis gibt es wohl nichts einzuwenden!
In der Rückschau wirkt es fast unwahrscheinlich, dass wir die richtigen Leute für die Instrumente finden würden. Wir haben schließlich verschiedene Musiker ausprobiert, und die genannten stachen regelrecht hervor. Ich würde jederzeit wieder mit ihnen zusammen arbeiten!

Du bist ja nicht der Hauptgitarrist bei NÀTTSÒL – was war denn der Einfluss von Nattsjel auf die Songs?

Alle Songs waren bereits fertig geschrieben, als Nattsjel dazugestoßen ist. Aber auch wenn er keine Riffs geschrieben hat, hat er den Liedern doch mit seinem Spiel und seinem speziellen Sound seinen Stempel aufgedrückt. Es kommt ja nicht nur auf das Riff an, sondern auch auf die Ausführung, und dazu hat er seinen Teil beigetragen. Das Album würde sicherlich anders klingen ohne ihn.

Haben sich die Songs denn weiterentwickelt, als Ihr den Gesang aufgenommen habt (was Ihr als letztes in Angriff genommen habt)?

Wir haben ziemlich viel Zeit für die Gesangaufnahmen und die Arrangements aufgewendet. Ursprünglich hatten wir ziemlich schnell den kompletten Gesang eingetütet, uns dann aber nach eingehenden Überlegungen dazu entschlossen, alles nochmal neu zu machen. Also haben wir die Gesangsarrangements nochmal überarbeitet und alles neu aufgenommen. Und ganz ehrlich: Das war die beste Entscheidung, die wir treffen konnten und all die zusätzliche Arbeit und Zeit wert!

Stimmt, in den Liedern kommen bisweilen sehr komplexe Gesangsarrangements vor. Daneben gibt es aber auch sehr liebevoll ausgearbeitete Passagen, beispielsweise mit Akustikgitarren. Wie komponierst Du üblicherweise und womit fängst Du an?

Oh, ich glaube, jeder Musiker würde zustimmen, dass das eine der schwierigsten Fragen überhaupt ist. Es gibt keine Formel, die du dafür anwenden kannst. Manchmal fange ich mit einem Riff an, ein andermal habe ich eine klare Idee davon, wie der Song hinterher aussehen soll. Was du aber immer benötigst, ist der kreative Funke, und der kommt üblicherweise bei Nacht und im Herbst und Winter. Übrigens schreibe ich für NÀTTSÒL die meisten Riffs auf der Akustikgitarre, sogar die Metalriffs.

Dann lass uns mal zum Eingemachten kommen. Es gibt sechs Stücke auf „Stemning“, die alle eine andere Stimmung transportieren, die durch eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort hervorgerufen wird. Hattest Du von Anbeginn die Idee, dass das Album diesem Konzept folgen sollte?

Das Konzept wurde mit Leben erfüllt, als das erste Lied fertig war. Ich hatte aber keine klare Idee vom Konzept, bis mir der Albumtitel „Stemning“ einfiel, der übersetzt so viel wie „Stimmung“ oder „Atmosphäre“ bedeutet. Es ist ein so einfacher Titel, aber er beschreibt perfekt, was ich ausdrücken wollte. Danach schien alles auf seinen rechten Platz zu rücken.

Wie schon gesagt, bezieht sich die Musik auf Gefühlslagen oder Stimmungen. Sie sollen also die Gefühle ausdrücken, die in solch einer Situation aufkommen. Glaubst Du, dass der Hörer das nachempfinden kann, auch wenn er beispielsweise in einer großen Stadt lebt und nie bei einem Wintersturm im Fjell gestanden hat? Oder andersherum gefragt: Was sollten Hörer tun, um diese Stimmungen richtig nachempfinden zu können?

Nun, ich habe in Trondheim gelebt, als ich die Lieder geschrieben habe. Wenn man den Einheimischen Glauben schenken kann, war es ein ungewöhnlich strenger Winter mit Minusgraden und Schnee für rund vier Monate. Zu der Zeit bin ich fast jeden Tag in den Wald gegangen, und das hat mich garantiert dazu gebracht, „Stemning“ zu schreiben.
Ich bin zwar im ländlichen Norwegen aufgewachsen, aber selbst dort ist nicht leicht, einen Ort zu finden, der völlig frei von Lärm oder menschlichen Einflüssen wäre. Insofern ist das gar nicht so verschieden von einer Stadt. Musik kann sowieso nicht das Gefühl ersetzen, das man bei einem Spaziergang im Wald hat, aber sie kann als Soundtrack dienen, um die Eindrücke zu verstärken. Wenn du dir dann später dieselbe Musik anhörst, wirst du dich daran später stärker erinnern.

Welche der sechs Stimmungen ist für Dich die eindrücklichste?

Für mich kann das nur „Ved Aas I Haustmoerket“ sein. Das ist der Song, mit dem ich am meisten zufrieden bin und von den sechs Liedern das erste, das ich geschrieben habe. Am besten kann ich das damit erklären, dass dieser Song einen natürlichen Fluss hat. Es erinnert mich daran, in einem dunklen Wald zu sein, wo du keine menschlichen Laute hörst, und das ist für mich eine spirituelle Erfahrung, als ob ich mit der Natur in irgendeiner Weise verbunden wäre.

Lupus Lounge vergleicht Eure Musik ja mit skandinavischem Naturmystizismus und frühen ULVER, aber mit einer eigenen Note versehen. Recht treffend, wie ich finde. Wie würdest Du diese eigene Note von NÀTTSÒL beschreiben?

Wir haben eigentlich nur ein Ziel, das wir mit unserer Musik erreichen wollen: Wir möchten demjenigen, der danach sucht, die Spiritualität und den Mystizismus der Natur näherbringen. Wir möchten kein Genre revolutionieren, hoffen aber, dass wir Leuten, die Spaß an solcher Musik haben, den passenden Soundtrack bieten können.

Würdest Du dann Dich und NÀTTSÒL als Black Metal bezeichnen? Oder gibt es irgendeine Idee oder einen Einfluss, der Dir besonders nahe steht?

Es scheint ja, dass es genauso viele Auffassungen von Black Metal gibt, wie es Fans in diesem Genre gibt. Vielleicht kann es als traditioneller Black Metal bezeichnet werden? Hört sich wie öde Beschreibung an, aber wir möchten mit unserer Musik Atmosphäre erschaffen, und das ist es, worum es im Black Metal geht.

Neben NÀTTSÒL spielst Du auch in der Band QUADRIVIUM. Welche der beiden ist Dir wichtiger, und bei welcher schreibst Du die persönlichere Musik?

„Stemning“ ist bis jetzt mein persönlichstes Album, aber mir sind beide Bands eigentlich gleich wichtig. QUADRIVIUM ist einfach ein anderes Vehikel, um mich musikalisch auszudrücken.

Gut, mal eine ganz andere Frage: Metal ist in Norwegen ein Thema, das sogar in den Tageszeitungen behandelt wird – etwas, was in Deutschland in diesem Maß undenkbar ist. Wirst Du mit Deiner Musik von den Medien in Norwegen oder Deiner Region wahrgenommen?

Manchmal ist Metal tatsächlich ein Thema für die nationalen Medien, aber meistens doch nur, wenn etwas Außergewöhnliches passiert. Über die Musik und ihre Qualitäten wird eigentlich nur sehr selten etwas geschrieben. Ironischerweise kommt Metal dann aber sehr gut weg, und der Tenor ist, dass Metal dafür respektiert werden sollte. Und in den nächsten zwanzig Artikeln steht wieder die reine Sensationsgier im Vordergrund.
Es gibt eine Dokumentation mit dem Titel „Satan Rir Media“ („Satan reitet die Medien“), die davon handelt, wie die nationalen Medien in Norwegen mit den Ereignissen von 1994 umgegangen sind. Die Doku zeigt viel von dem Wahnsinn und der offenen Panik, die durch die Medien und die norwegische Bevölkerung gefegt ist. Die Medienberichterstattung von Metal in Norwegen leidet darunter bis zum heutigen Tag. Auch wenn ich glaube, dass die meisten Leute in Norwegen Black Metal irgendwie akzeptiert haben (wie war das gleich mit KEEP OF KALESSIN beim norwegischen Finale zum Eurovision Song Contest?), gibt es doch immer noch ein tiefes Misstrauen gegenüber denjenigen, die diese Musik spielen oder hören. Eine interessante Frage ist doch, wie sich das Genre ohne all diese Skandale entwickelt hätte…

Was kannst Du uns über die Zukunft von NÀTTSÒL verraten? Ihr werdet keine Konzerte spielen – gibt es denn schon neues Material, das wir in naher Zukunft erwarten dürfen?

Es wird auf jeden Fall noch ein zweites Album geben und hoffentlich noch viele weitere. Es kommt halt darauf an, ob wir etwas schreiben können, das in unseren Augen einer Veröffentlichung würdig ist. Zum Glück haben wir bei NÀTTSÒL jetzt einen Kern von engagierten Mitgliedern, und bei zukünftigen Alben wird viel mehr von der Kreativität von Nattsjel und Venomenon miteinfließen.

Danke für das Interview, das war’s auch schon! Die letzten Worte gehören Dir!

Danke für die Möglichkeit, dieses Interview mit metal.de machen zu können!
Und an alle Leser: Macht einfach mal eine Reise tief in die Wälder, weit weg von menschlichen Einflüssen – es wird die menschlichste und spirituellste Erfahrung sein, die Ihr je erlebt habt…

27.05.2010

- Dreaming in Red -

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