Pain of Salvation
Interview mit Daniel Gildenlöw zur Akustik-Show in Leipzig

Interview

Pain of Salvation

Pain Of Salvation sind immer für Überraschungen gut. Das dürfte jedem, der sich auch nur ein wenig mit den schwedischen Prog-Veteranen auseinandergesetzt hat, relativ klar sein. Neuester Beleg für die Wandlungsfähigkeit des Quintetts war Anfang Juni eine facettenreiche Akustik-Show im Leipziger Geyserhaus, bei der Daniel Gildenlöw & Kollegen ältere Song-Perlen wie „King Of Loss“, „The Perfect Element“ und neuere Stücke wie „Spitfall“ im neuen Akustikgewand präsentierten. Heraus kam eine unerwartete und stimmungsvolle Reise durch die Diskografie der Schweden, wobei Kreativkopf Gildenlöw das Publikum mit seinen Späßen bei bester Laune hielt. Kurz vor der Show traf metal.de den sympathischen Musiker zum Gespräch. Was der Frontmann über die Prog-Szene, Zukunftsplanungen und Sri Lanka zu erzählen hat, könnt ihr im Folgenden erfahren.


Pain of Salvation

 

Wie viele Akustik-Shows gab es in den bislang 15 Jahren PAIN OF SALVATION und was ist das Besondere an der Show heute in Leipzig?

Wenn wir von reinen Akustik-Shows sprechen, dann haben wir bislang erst einmal ein solches Konzert gespielt. Das war die Show zu 12:5, die wir ja auch aufgenommen haben. Ich meine, im kleineren Rahmen haben wir auch schon mal zwei, drei Akustik-Songs gespielt, wenn es sich angeboten hat. Aber das waren dann auch eher spontane Geschichten in kleineren Locations. Wenn man ehrlich ist, dann ist das heute also erst das zweite Mal.

Wie sieht das Konzept aus, habt ihr beispielsweise Songs komplett neu arrangiert?

Einige Songs haben wir komplett umgeändert, andere sind wirklich einfach nur Akustik-Versionen. Das hängt letztendlich vom Song ab. Bei manchen Nummern hat man einfach das Gefühl, dass man damit noch nicht richtig fertig ist, dass man etwas Anderes damit machen möchte. Und eine Akustik-Show ist dann natürlich eine sehr gute Gelegenheit, um Dinge auszuprobieren. Das ist ja das Schöne mit solchen Konzerten – man nimmt den Song ganz anders wahr, man hört den Gesang besser, alles klingt klarer und transparenter. Das finde ich unglaublich interessant und reizvoll.

Wie lange habt ihr euch auf diese Show vorbereitet?

Ungefähr 50 Prozent der Zeit, die wir uns hätten vorbereiten müssen, haha. Wir haben uns getroffen, um die 15 Songs für heute Abend zu proben. Du fängst dann mit einem Song an, spielst ihn zwei, drei Stunden, um das Gefühl dafür zu bekommen, dann änderst du bestimmte Dinge, fügst die ganzen Details hinzu. Dann nimmst du dir den nächsten Song vor. Und nach sechs Songs gehst du wieder zum ersten zurück – und du kannst dich nicht mehr erinnern, was du gemacht hast, haha. Letztendlich spielst du dann die Songs mehrere Male – und immer klingen sie unterschiedlich. Wir werden also sehen, was heute Abend passiert.

Warum habt ihr euch das Geyserhaus in Leipzig als Location ausgesucht?

Wir haben uns das nicht selbst überlegt, sondern haben schon vor längerer Zeit das Angebot erhalten. Eigentlich sollte es schon im letzten Jahr stattfinden, aber da gab es immer wieder Probleme mit den Terminen. Aber jetzt hat es doch noch geklappt.

Im Laufe der Zeit hat sich euer Sound gewandelt. Am Anfang stand eher der Metal im Vordergrund, mittlerweile klingt ihr viel mehr nach Oldschool und Retro. Was sind die Gründe für diese Entwicklung?

Ich habe über die Jahre irgendwie eine Allergie gegenüber bestimmten Trends in der progressiven Musikszene entwickelt. Es gab immer mehr Bands, die ihre Musik zu stark an bestimmten Regeln und Konzepten ausrichteten. Es ist wie mit einem Kriminalroman, wo bestimmte Elemente eingebaut und damit gängige Klischees bedient werden. Du hast dann immer einen geschiedenen Cop in den mittleren Vierzigern, der Probleme hat, sich unterzuordnen. Bei dem privat einiges schief läuft und der eine Tochter im Teenager-Alter hat, zu der er eine schwierige Beziehung hat. Sein Chef, mit dem er immer wieder Ärger hat, lässt ihn dann mit einer jungen Polizistin zusammenarbeiten. Er will aber lieber alleine arbeiten, und am Ende gibt es dann doch irgendeine konstruierte Freundschaftsbeziehung zwischen den beiden. Ähnliches habe ich in der Prog-Szene beobachtet. Da werden dann auch bestimmte Dinge gemacht, die schon tausende Male vorher gemacht wurden: immer die gleichen Keyboard-Gitarrenarrangements, getriggerte Drums, eine unnatürlich klingende Produktion und Haufenweise Gitarrenspuren übereinander, die überhaupt nicht mehr nach Gitarren klingen. Und das konnte ich dann einfach nicht mehr hören. Die 90er und vor allem das letzte Jahrzehnt sind geprägt von Produktionen, die einfach zu überladen und zu massiv sind. Das hat mir einfach nichts mehr gegeben. Ich habe mich dann gefragt, welche Musik mich noch bewegt. Und letztendlich kam ich so zum Retro-Sound aus den 70ern. Diese Musik klingt etwas trockener und ungeschönt, mit Ecken und Kanten. Und dann war das einfach eine natürliche Entwicklung. Ich wollte schon mit „Scarsick“ in diese Richtung. Wobei ich da noch einige Kompromisse, beispielsweise beim Drum-Sound, eingegangen bin. Danach wollte ich aber keine Kompromisse mehr. Ich wollte einfach konsequent diesen Sound. Das ist auch einer der Gründe, warum wir uns immer weiter verändern. Ich verändere für jedes Album unbewusst die Prämissen. Nicht nur beim Songwriting, sondern was den gesamten Prozess des „Album-Machens“ angeht. Und für die „Road Salt“-Sachen haben wir uns dann wirklich auf das Wesentliche zurückbesonnen. Beim Mischen haben wir beispielsweise bei jedem Song von vorne angefangen, keine Templates oder Voreinstellungen verwendet. Das war ja auch das, was die Musiker in den 70ern gemacht haben. Und ich musste mich dafür wirklich aus meiner Komfort-Zone bewegen. Ich hatte keinerlei Erfahrung mit solchen Sounds, es war ein unbeschriebenes Blatt für mich. Und da ich ein Kind der digitalen Ära bin, habe ich natürlich kein Haus voller analogem Equipment. Damals in den 80ern oder den frühen 90ern war dieses Equipment so viel günstiger zu haben. Aber heutzutage bekommst du dieses Zeug nicht mehr, es sei denn du hast unendlich viel Geld. Wir waren also gezwungen, einige dieser Sounds mit modernem Equipment zu imitieren. Teilweise musste ich bei ein paar Songs die Aufnahmen mehrmals komplett neu beginnen, weil ich noch nicht den richtigen Sound gefunden hatte.

Pain of Salvation

 

Bei euren neun Alben waren einige Überraschungen dabei. In welche Richtung wird sich PAIN OF SALVATION in Zukunft entwickeln?

Ich habe derzeit keinen Plan. Ich weiß, dass ich vieles weiter behalten möchte, beispielsweise die Intimität von „Road Salt“ und einige Dinge, die wir auf der Platte kreiert haben. Ich denke nicht, dass es vom Grundsound da großartige Veränderungen geben wird. Was die Musik angeht, habe ich wirklich keine Ahnung. Ich brauche immer eine klare Idee, einen klaren Einfall. Und das ist bis jetzt noch nicht passiert.

Einige deiner Mitstreiter haben die Band vor kurzem verlassen…

…Was? Wirklich? Wo sind die hin? Wir haben doch ein Konzert heute, haha!

Im Ernst, wie hat sich das auf den Kreativitätsprozess und das Songwriting ausgewirkt?

Ich bin nicht so blauäugig zu glauben, dass diese Besetzung für immer so bleiben wird. Ich sehe die Band wie ein organisches Konstrukt, das sich immer weiterentwickelt und natürlich auch im Laufe der Zeit verschiedene Veränderungen durchläuft. Klar ist es schwierig und manchmal auch traurig, wenn Leute die Band verlassen. Besonders, wenn man sich jahrelang aufeinander eingespielt hat und nicht nur eine musikalische Verbindung, sondern auch eine persönliche untereinander aufgebaut hat. Denn das dauert seine Zeit. Das Besondere an unserem jetzigen Lineup ist mit Sicherheit, dass alles sehr intuitiv abläuft. Die Jungs sind einfach sehr gute Musiker und wir verstehen uns meistens auch ohne viele Worte, was viele Dinge natürlich einfacher macht. Das Gute an den Momenten, wenn jemand die Band verlässt, ist dass diese Momente immer auch eine Chance darstellen, etwas Neues zu machen. Mit verschiedenen Musikern kannst du auch unterschiedliche Dinge ausprobieren. Immer wenn man neue Bandmitglieder sucht, dann müssen diese natürlich einerseits die bestehenden Songs verstehen und nachvollziehen können, aber vor allem eine neue Note und frischen Wind in das Gesamtkonzept einbringen. Diesen Prozess kann man sehr schön anhand einer kleinen Begebenheit erklären: Wir haben mit Logitech seit längerem eine Kooperation für ein großes Online-Projekt. Und sie haben uns gefragt, ob sie einen Song von uns verwenden dürfen. Und ich fragte sie, was für einen Song sie haben wollten. Ich habe mir zu Hause ein paar Gedanken gemacht. Und wie ich so durch unsere Diskographie wühlte, dachte ich mir plötzlich: „Verdammt, das ist alles von der selben Band.“ Remedy Lane, Kingdom Of Loss oder Gone – all diese Songs sind so unterschiedlich. Und dann war ich wirklich stolz auf das, was wir da geschafft haben. Es ist eben genau dieser ständige Wandel und die Weiterentwicklung von PAIN OF SALVATION, die sich da zeigt.

Du giltst als einer der herausragenden Sänger im Prog/Metal-Bereich. Wie hast du deine Stimme entwickeln können?

Eine sehr gute Sache ist, wenn man Dinge ausprobiert, die einen vor Herausforderungen stellen und die man noch nicht beherrscht. Ich werde oft gefragt, vor allem von anderen Sängern, wie ich bestimmte Dinge mache oder was das Geheimnis hinter meinem Gesang ist. Aber ich habe keinen Trick, oder keine Geheimnisse. Natürlich braucht man in erster Linie auch das nötige Talent. Ich selbst habe sehr früh angefangen zu singen, und habe sehr schnell einen starken Willen und Ehrgeiz entwickelt, mich weiterzuentwickeln und besser zu werden. Ich erinnere mich beispielsweise daran, wie ich vor vielen Jahren versuchte, einen unserer Songs komplett eine Oktave höher zu singen, was sehr schwierig war. Und unser damaliger Gitarrist fragte mich, ob ich denn unbedingt so hoch singen müsste. Der Drummer und der Basser meinten hingegen, es würde total cool klingen, wie Rob Halford. Und unser Klampfer meinte nur lapidar: „Schön wär’s“, haha. Das ist mir irgendwie im Gedächtnis geblieben. Und das spiegelt meine Entwicklung sehr gut wider. Ich habe mir immer Sachen in den Kopf gesetzt und immer weiter probiert. Ich schätze, das war gut für mich. Ich zwinge mich auch heute immer noch, über den Tellerrand hinaus zu blicken und Sachen auszuprobieren, die mir zunächst unmöglich erscheinen.

Schreibst du deine Texte vor dem Hintergrund der Musik und der Emotion, die damit verbunden ist, oder steht zunächst ein Text, der dann auf die Musik angepasst wird?

Normalerweise würde ich sagen, dass es von Song zu Song unterschiedlich ist. Aber ich bevorzuge es eigentlich, wenn die Gesangsmelodien bereits ausgearbeitet sind und dann in die Musik integriert werden. Ich habe den Eindruck, dass besonders im Prog-Genre der Gitarrist oder der Basser die Songs schreiben, und dann irgendjemand einen Text verfasst, ihn dem Sänger übergibt und sagt: „Hier, sieh zu was du damit anfangen kannst.“ Und dann kommen dabei diese merkwürdigen Gesangsmelodien heraus, die den Lyrics irgendwie nicht gerecht werden. Und gleichzeitig wird klar, dass die Texte nicht wirklich im Kontext der Musik stehen. Es ist dann einfach die Musik und ein Text dazu, der irgendwie darüber gelegt wird. Und wenn ein Wort oder ein Reim nicht passt, dann wird das irgendwie hingebogen. Für mich hört sich das bei vielen Bands künstlich an. Einfach, weil zwei Dinge zusammen kommen, die von vornherein nicht zusammen gehören. Ich fühle mich wie eine Katze, die gegen den Strich gestreichelt wird. Egal, wie lange man streichelt, ich fühle mich unwohl dabei.

 

Pain of Salvation

 

Mikael Akerfeldt und Steven Wilson haben kürzlich gemeinsam eine Platte herausgebracht. Du und diese beiden Musiker werden nicht selten als das Dreigestirn des Prog bezeichnet. Hast du Kontakt zu den beiden und können wir eventuell auf ein gemeinsames Projekt hoffen?

Diese beiden sind viel proggier als ich, haha. Aber im Ernst, ich mag Mikael wirklich. Wir haben viele musikalische Gemeinsamkeiten und auch den gleichen Zynismus, wenn es um die Musikindustrie oder allgemeine Belange geht. Es ist immer sehr inspirierend, mit ihm zusammen zu sein. Was Steven angeht, wir haben uns noch nicht getroffen oder unterhalten. Mir hat mal jemand gesagt, dass er Scarsick sehr mochte. Ich respektiere es auf jeden Fall, einen 3- oder 4-Minuten-Song zu schreiben. In dieser Hinsicht ist er einer der kompetentesten und talentiertesten Komponisten. Was eine Zusammenarbeit angeht, sieht es wohl gerade eher ungünstig aus, da ich mit PAIN OF SALVATION wirklich ausgelastet bin. Das soll aber nicht heißen, dass ich ein gemeinsames Projekt gänzlich ausschließen würde.

Ihr werdet im Oktober in Israel und Brasilien spielen und habt schon viel von der Welt gesehen. Gibt es dennoch einen Ort, an dem ihr besonders gern ein Konzert spielen würdet?

Ich finde es immer schön, neue Länder kennenzulernen und neue Leute zu erreichen. Indien war beispielsweise eine beeindruckende und eine der schönsten Erfahrungen, die ich als Musiker gemacht habe. Wenn alles klar geht, werden wir noch in diesem Jahr in China spielen, worauf ich mich auch sehr freue. Wir haben natürlich immer wenig Zeit, wenn wir irgendwo hin fahren. Aber ich bin an dem Punkt angekommen, wo mich das Reisen an sich schon glücklich macht. Man braucht ja in Indien nur aus dem Flughafen raus und zehn Meter um die Ecke laufen. Man merkt sofort, wie anders dieser Ort ist, verglichen mit dem, was man gewöhnt ist. Und ich würde gerne nach Sri Lanka. Da war ich mal im Urlaub, die Menschen dort sind sehr freundlich und das Land ist wunderschön. Besonders für jemanden wie mich, der in den Bergen aufgewachsen ist, haha.

02.07.2012

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