The Ocean
The Ocean
Interview
Gigantismus war schon immer eine Spezialität von THE OCEAN. Ausufernde Songs, durchdachte Konzepte, übergroße Themen, dadurch bedingte Doppelalben und ein feines Gespür für Weiterentwicklung ohne Identitätsverlust zeichnen Robin Staps und seine inzwischen feste Band aus. Dass der Hauptsitz der Band vom Oceanland inzwischen in die höchstgelegene Stadt Europas in der Schweiz verlagert wurde, ist dabei nur eine Veränderung von etlichen, zu denen mir Robin, zwar noch etwas verschlafen aber dennoch redselig wie eh und je, Auskunft gab.
Hallo Robin! Gratulation zum “Heliocentric“ – Album erstmal! Ich war ziemlich überrascht, da ich eher etwas in Richtung “Precambrian“ bzw “Proterozoic“ erwartet hatte. Nun scheint mir aber, dass Ihr etwas “softer“ geworden seid. War da von vornherein die Grundidee da, etwas runterzufahren oder entstand das zufällig?
Robin: Zufällig ist eigentlich relativ wenig bei uns, die Entwicklung hat sich schon über längere Zeit abgezeichnet. Wobei ich auch sagen muss, dass ‚Heliocentric‘ ja nun kein Weichspüler-Album geworden ist; die meisten Songs gehen ja ordentlich zur Sache – aber andererseits sind eben auch einige Stücke auf dem Album, die nur aus Gesang und Klavier bestehen. Das hat sich bereits mit dem letzten Stück von “Proterozoic“ abgezeichnet, welches nur aus Cello und Klavier bestand und ein bisschen ein Vorgeschmack auf das neue Album war, auch wenn das viele Leute vielleicht nicht so wahrgenommen haben. Die Stücke für das “Heliocentric“-Album sind im Sommer 2008 entstanden, nachdem wir 5 Monate mit “Precambrian“ auf Tour waren. Damals zeichnete sich schon ab, dass uns Mike, unser alter Sänger, verlassen würde. Es wurde auch klar, dass die neuen Songs ganz andere Anforderungen an den Gesang stellen würden, von daher haben wir uns gezielt nach einem Sänger umgesehen, der viel stärker im Bereich ‚clean vocals‘ ist. Die Suche hat sehr lange gedauert, aber als wir dann unseren Loic gefunden haben, war eigentlich sofort klar, dass er genau der Richtige ist. Man muss es für sich selbst und für die Fans interessant halten, dazu gehört eben auch, dass man an jedes Album anders herangeht.
Da muss ich Dich grade mal kurz zitieren aus dem letzten Interview hier bei uns, damals waren Deine Worte: “Ich bin im Moment an dem Punkt, wo ich sage: Ich will nie wieder ein anderes Album machen! Ich bin mit diesem Album sehr, sehr zufrieden – mehr als mit allem anderen, was ich bisher gemacht habe.“…
Tja, wir haben trotzdem wieder ein Album gemacht! Ich bin nach wie vor mit “Precambrian“ sehr zufrieden. Das ist eben eine der Sachen, die das Bandleben so spannend machen: Man überarbeitet sich völlig, wir haben an “Precambrian“ Tag und Nacht gewerkelt über Monate hinweg und ich hatte danach gestrichen die Schnauze voll! Dann sind wir 2008 fünf Monate am Stück getourt, wonach ich die Schnauze vom Touren ziemlich voll hatte und wieder Lust bekam, ins Studio zu gehen. Nach über einem Jahr Studiopause war die Motivation eben schnell wieder da…
Waren die Aufnahmen diesmal etwas entspannter als beim letzten Album?
Es war anders! Bei “Precambrian“ hab’ ich wirklich noch alles selber gemacht, jeden Schlagzeugbimmel selber programmiert, der dann genauso nachgespielt wurde. Beim jetzigen Album hatten die anderen Leute deutlich mehr Input. Ich hab zwar immer noch die ganzen Songs geschrieben, aber die Musiker hatten viel mehr Freiheiten, was mir natürlich eine ganze Menge an Lasten abgenommen hat! Wir haben im Studio nur Schlagzeug, die klassischen Instrumente und Gesang aufgenommen, den Rest haben die Leute zu Hause aufgenommen, da war ich gar nicht dabei. Ich bin auch sehr zufrieden mit dem Ergebnis, da alles viel persönlicher und organischer klingt, weil die Leute nicht nur nachspielen sondern meine Ideen genommen und sie mit ihren eigenen vermengt haben!
Seid Ihr vom Kollektiv zu einem festen Bandgefüge übergegangen?
Das Kollektiv gibt’s noch, aber im Prinzip ist genau das geschehen. Es gab einen Konsolidierungsprozess in den letzten zwei Jahren, in denen das jetzige Line-Up stabil geblieben ist und ich hoffe, das wird auch noch ’ne Weile so bleiben. Wir sind während der fünf Monate auf Tour sehr gute Freunde geworden, da wurde auch klar, dass die Jungs mehr integriert werden wollten. Ich hab’ mich eigentlich früher nie dagegen gesträubt, ich hatte nur in der Vergangenheit nie die richtigen Leute, denen ich solche Freiheiten gewähren konnte ohne Angst haben zu müssen, dass es am Ende nicht mehr nach THE OCEAN klingt! Jetzt sind wir eine Band, das “Kollektiv“ bezieht sich nur noch auf die zusätzlichen klassischen Musiker und die Leute, die für uns auf kostenloser Basis Webdesign, Shirt-Designs und sowas machen. Wir werden jetzt auch unsere Record-Release-Party und die Friction-Fest-Show mit mehr Musikern aus dem Kollektiv spielen, aber der Kern der Band ist jetzt fix.
Gibt’s bezüglich der Gastmusiker jetzt auch eine gewisse Konstanz?
Da wird’s jetzt auch eine gewisse Konstanz geben, wobei da auch gelegentlich andere Musiker kommen werden. Bei der Release-Party werden genau die acht Leute spielen, die auf dem Album zu hören sind. Für das Friction-Fest werden wir das nicht machen können, da wir dann acht Leute zusätzlich aus der Schweiz nach Berlin einfliegen lassen müssten.
Werdet Ihr ausser diesen beiden Dates auch auf Tour gehen?
Wenn Du auf unsere Homepage siehst, stehen da schon wieder ne ganze Menge Daten! Nach zwei Konzerten in der Schweiz zum Release machen wir ne Mini-Tour durch Italien mit fünf Dates und durch Irland ebenfalls mit fünf Dates, dann ein paar einzelne Gigs und eben das Friction-Fest in Berlin. Danach werden wir aller Voraussicht nach ab Ende Mai eine etwas ausgedehntere Europatour spielen. Es ist noch nicht bestätigt mit wem, aber wir werden wohl headlinen. Genaueres kann ich Dir leider auch noch nicht sagen.
Habt Ihr bei den neuen Songs auch schon mit Licht/Liveshow geprobt?
Wir haben die neuen Songs noch überhaupt nicht geprobt! Ich fahre nächste Woche in die Schweiz, dann geht’s los. Bei uns läuft das etwas anders, das Album ist ausschließlich im Studio entstanden. Wir wollen jetzt auf der Release-Party das gesamte Album spielen, daher beginnt das mit dem Proben erst jetzt.
Du hast uns vorhin was über Aufwand, Aufnahmen und Herangehensweise zu “Heliocentric“ erzählt, kannst Du uns auch was über “Anthropocentric“ erzählen?
Es wird im Oktober erscheinen und stellt die zweite Hälfte zu “Heliocentric“ dar. Musikalisch wird’s etwas anders, mehr geradeaus, rockender, ein wenig technischer, mehr Metal… obwohl’s auch da wieder drei, vier akustische Songs gibt. Ich hab die “Heliocentric“-Songs in drei Wochen geschrieben, dabei kam ein in sich stimmiges Album heraus, dem ich nichts mehr hinzufügen wollte. Gleichzeitig haben aber meine Jungs auch angefangen, Songs zu schreiben, die mir sehr gut gefielen und die ich auch veröffentlichen wollte. Da haben wir beschlossen, wieder zwei Alben zu machen, “Heliocentric“ aus meinen Songs, “Anthropocentric“ zur Hälfte aus ihren Songs und den Rest hab’ ich dann noch beigesteuert. Thematisch wird es das “Heliocentric“-Thema fortsetzen mit mehr Augenmerk auf den Kreationismus. Eigentlich hätten wir es chronologisch anders herum machen müssen: das heliozentrische Weltbild hat ja das geozentrische abgelöst, demnach hätten wir eigentlich ‚Heliocentric‘ als Zweites veröffentlichen müssen. Wir haben uns aber bewusst entschieden, anders herum anzufangen: Gegenstand von ‚Anthropocentric‘ sind jene Menschen, die auch im Jahr 2010, entgegen jeglicher Errungenschaften der Aufklärung, immer noch gewissermassen ‚geozentrisch‘ denken: die glauben, dass der Mensch die einzigartige Krönung der Schöpfung sei, dass die Erde 5.000 Jahre alt sei und es die Dinosaurier nie gegeben habe… vom Artwork her sind beide Alben bewusst sehr ähnlich gehalten, nur dass bei “Anthropocentric“ natürlich anstatt der Sonne der Mensch im Mittelpunkt steht.
…da kommt aber hoffentlich nicht diese berühmte Zeichnung von Leonardo DaVinci in den Mittelpunkt, oder?
Ne, nicht ganz! Sowas ähnliches… (lacht)
Du hast ja beim aktuellen Album die Songs “Origin Of Species“ und “Origin Of God“ ans Ende gesetzt – Hand aufs Herz, hast Du “Origin Of Species“ gelesen?
Nicht im Original, aber ich bin mir durchaus über die Inhalte dieses Buches ziemlich genau im Klaren. Es ist Wahnsinn, wie weit der Kerl damals schon gedacht hat, ich bewundere seinen Mut, seinen Entdeckergeist und die Hingabe, die hinter seiner Forschung stand. Ich hab’ auch Briefe von ihm gelesen und bin großer Darwin-Fan…
Aus welchen Bereichen, abgesehen von diesem Buch, kommen eigentlich die Inspirationen für dieses Album?
Das ist schwer zu sagen. Ich wollte schon immer ein Album über monotheistische Religionen machen. Hier sind wir der historischen Chronologie gefolgt, von der Entstehung des Himmels und der Himmelskörper nach biblischer Schilderung bis zu Kopernikus und Galilei, später Giordano Bruno, der von der Inquisition hingerichtet wurde, hin zu Darwins‘ Evolutionstheorie und Richard Dawkins‘ modernem, aufgeklärten Atheismus.
Die Themen Eurer Alben sind sehr archaisch, Ihr macht auch sehr gerne Doppelalben – Aeolian/Fluxion, Precambrian war zweigeteilt und jetzt wieder zwei komplette Alben als Einheit. Wieso dieses Über-Format?
Um sich solcher Themen überhaupt annehmen zu können, bedarf es grosser Formate. Solche Themen liefern viel zu viel Material, um das mit zwölf Texten abzudecken. Mit 24 oder 25 Stücken sieht’s da schon besser aus! Ich bin aber auch Fan des Mediums “Doppelalbum“. Das musikalische Spektrum unserer Band ist einfach recht groß und im Rahmen eines Doppelalbums kann man mehr mit musikalischen Kontrasten arbeiten. Es war ja auf allen genannten bisherigen Doppel-Alben so, dass wir unsere epische, ausufernde Seite bewusst von der eher mathematischen, brutalen Seite abgesetzt haben. Davon sind wir jetzt allerdings ein wenig abgerückt, denn bei den aktuellen Alben ist es nicht mehr so, dass das eine das eindeutig “harte“ und das andere das eindeutig “akustische“ Album sein wird.
Ein weiterer Punkt war, dass wir zusammen so viele gute Songs geschrieben hatten, dass wir vor der Wahl standen, tatsächlich auszusortieren oder eben alle Songs zu veröffentlichen – was nur im Rahmen eines Doppelalbums möglich war..
Euer Stil hat sich seit “Aeolian“ radikal gewandelt von diesem ungestümen Hardcore hin zu einem Progressive-Metal Album wie “Heliocentric“. Wieso das?
Das ging hauptsächlich von mir aus. Ich gebe zu, ich hab’ ein bisschen die Schnauze voll von Krach! Ich hör’ zwar immer noch Metal, wenn mal wieder ein großartiges Album rauskommt höre ich wochenlang nichts Anderes… aber mittlerweile interessiert mich überwiegend andere Musik, dieser “möglichst hart, möglichst schnell, möglichst vertrackt“-Stil langweilt mich ein wenig. Ich bin halt älter geworden, da ändern sich die musikalischen Herausforderungen! Bei den Arbeiten an “Heliocentric“ hab’ ich selbst irgendwann innegehalten und gedacht: “Krass, was machst Du da gerade? Das klingt ja total anders als vorher!“
Wenn Du gerade von Veränderungen sprichst, auch Euer “Oceanland“ ist ja inzwischen leider nicht mehr aktuell…
Richtig! Wir haben uns damals eben in diesem alten Keller einer U-Boot-Fabrik aus dem zweiten Weltkrieg eingerichtet. Das war in der Anfangszeit der Band total wichtig, dass wir da so oft proben und Krach machen konnten, wie wir wollten. Rausgeschmissen wurden wir da dann aus dem einfachen Grund, dass das gesamte Gebäude renoviert wurde. Das ist aber nicht so tragisch, denn diese Anfangstage der Band sind inzwischen vorbei. Wir proben mittlerweile nur noch vor Aufnahmen und vor Touren und das machen wir in der Schweiz, in einem Raum, der ganz ähnlich ist wie das Oceanland – bezeichnenderweise in einer alten Uhrenfabrik!
Dann war’s das mit meinen Fragen soweit, hast Du den Lesern von metal.de noch was zu sagen?
Ja, ich würde gern in eigenem Interesse noch auf das Friction-Fest in Berlin hinweisen! Wir wollten ein Festival erstellen mit dem Ziel, Reibung zwischen verschiedenen Stilen innerhalb von rock und metal im weitesten Sinne zu erzeugen und Bands ein Forum zu bieten, die anders sind, die neue musikalische Ansätze verfolgen und Grenzen überschreiten wollen. Damit wollen wir einen Gegenpol zu den üblichen Festivals bilden, die in der Regel auf wenig Abwechslung und damit musikalische Langeweile ausgerichtet sind. THE OCEAN werden auch spielen, mit erweitertem Line-up, genauso wie BOHREN & THE CLUB OF GORE, ENTOMBED, CYNIC, WOLVES IN THE THRONE ROOM, CRIPPLED BLACK PHOENIX, EFTERKLANG, LONG DISTANCE CALLING und noch etliche andere hochkarätige Bands! Stattfinden wird das Ganze am 7. und 8. Mai. Schaut doch einfach mal vorbei auf [http://www.frictionfest.de]
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