
Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.
Bevor Norwegen zur Black-Metal-Brutstätte dieser Welt wurde, gab es im Land der Fjorde und Stabkirchen eine kleine, feine Death-Metal-Szene … nee, falsch: Es gab in Norwegen ein paar wenige Death-Metal-Bands, von denen DARKTHRONE im Nachhinein sicherlich die bekannteste war. Den Preis für die zeitigste Veröffentlichung ging allerdings an CADAVER, die ihr Debüt „Hallucinating Anxiety“ bereits im Winter 1989/90 eintüteten und das schließlich am 3. Dezember 1990 über ein Unterlabel von Earache Records in die Läden kam. Fenriz, Nocturno Culto & Co. zogen mit „Soulside Journey“ ja erst zwei Monate später nach.
CADAVER machen das Rennen
Jetzt war die ganze Angelegenheit ja aber kein Wettkampf, sondern vielmehr Ausdruck. Death Metal war für Heranwachsende (und dazu zählten die drei Mitglieder mit ihren damals 17 bis 20 Jahren sicherlich dazu) Ventil und Anecken. Das originale Albumcover mit seinem sorgsamen Arrangement aus Würmern und Schlachtüberbleibseln ist jedenfalls beredtes Zeugnis dafür – sichtbar und hörbar zu machen, thematisieren, was in der Gesellschaft tabuisiert wird (hier in der Tod/Horror/Ekel-Version).
Musikalisch stellte sich das so dar, dass die Besetzung mit Anders „Neddo“ Odden (Gitarre), René Jansen (Bass) und Ole Bjerkebakke (Schlagzeug, Gesang) eher für die grobe Death-Metal-Variante stand. Heißt: Die 14 Tracks auf „Hallucinating Anxiety“ folgten eher frühen CARCASS, AUTOPSY und der Stockholm-Szene im Demo-Stadium. Feinheiten und technische Finessen sollte man nicht erwarten, Gitarrensoli erst recht nicht.
Dafür aber eine Kakophonie zu Beginn: Das Intro „Tuba“ scheint Töne ebenjenes Instrumentes zu enthalten, nur rückwärts abgespielt. Dafür stürmt der Opener „Ignominious Eczema“ geradewegs nach vorne. Das Tempo variiert zwischen schnell und schleppend, die Gitarre schrammelt und der Drummer setzt sauber gespielte Double-Bass-Rhythmen ein, während er den Text über Hauterkrankungen mehr bellt als grunzt.
Kakophonie zu Beginn
Varianten ergeben sich bei den Fünf-Ton-Riffs hauptsächlich im Anschlag und im untergelegten Rhythmus, keineswegs aber beim Gitarrensound: Das Distortion-Pedal wird auf Anschlag gedreht, und das war’s. Auch Experimente mit Melodien bleiben außen vor. Die Tracks auf „Hallucinating Anxiety“ leben von ihren kranken Harmonien, die so herrlich zu den Texten über Eiter, Ekzeme, Fehlbildungen und medizinische Sektionen, über Halluzinationen, mentale und körperliche Ausnahmezustände passen.
Das Ganze ist so gesehen ein One-trick pony, noch dazu halten sich die Fähigkeiten an den Instrumenten in einem gewissen Rahmen. Was „Hallucinating Anxiety“ dann aber doch so überzeugend macht, ist die kompromisslose Umsetzung. Wo vielleicht die songschreiberische Finesse noch fehlt, machen CADAVER diesen Makel mit noch mehr Riffs, Breaks und noch schnellerer Geschwindigkeit wieder wett. Überhaupt Geschwindigkeit: Das Album wurde zu Zeiten eingespielt, als Schlagzeuger noch nicht mit einem Klick spielten, und das hört man, wenn sich Gitarrist und Drummer ein Wettrennen liefern (und sich bisweilen gegenseitig überholen).
„Hallucinating Anxiety“ geht also völlig klar und zaubert auch nach 35 Jahren noch das eine oder andere Grinsen ins Gesicht – abgesehen davon, dass der Kopf irgendwann unweigerlich anfängt mitzunicken. Dennoch war es einleuchtend, dass solch ein Album nur einmal funktioniert, weswegen sich das Trio für den Nachfolger „…In Pains“ etwas mehr einfallen lassen musste, als lediglich neue, kompakte Songs, einen besseren Sound und vielleicht etwas ausdrucksstärkeren Gesang abzuliefern. Die größte Neuerung war diesbezüglich sicherlich der Wechsel an den vier Saiten, spielte der neue Mann Eilert Solstad doch auch Kontrabass und sorgte damit für interessante Sounderweiterungen.
„Hallucinating Anxiety“ funktioniert (aber nur einmal)
Dennoch war 1993 das erste Mal Schluss, bevor CADAVER zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Inkarnationen wieder auferstanden. Am bizarrsten war sicherlich die Zeit um die Jahrtausendwende, als die Norweger mit einem frühen Internet-Prank Aufmerksamkeit erregten: Sie betrieben nämlich eine Website eines vermeintlichen professionellen Unternehmens, das vorgab, sich auf die Beseitigung von Beweismitteln in Mordfällen zu spezialisieren. Das fanden die Ermittlungsbehörden weniger witzig und nahmen den ganzen Bums wieder offline.

Nur die Ruhe: Wer will denn schon den Kopf verlieren? (Hier die Neuauflage des Albums mit alternativem Artwork.)
Solltet Ihr Euch aber mit der Frühphase von CADAVER auseinandersetzen wollen: „Hallucinating Anxiety“ wird dieser Tage von Listenable Records neu aufgelegt – mit neuem Coverartwork, neuem Intro und Outro, einer komplett neuen Songreihenfolge und aufgepimpten Sound (sprich: Remix), wobei der räudige, gepresste Charakter des Originals beibehalten wurde und Gitarrist Anders „Neddo“ Odden höchstselbst die Regler bediente.
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Eckart Maronde


















Arghhh…