45 Jahre Grave Digger
Von “Heavy Metal Breakdown” zu “The Reaper”.

Special

GRAVE DIGGER feiern 2025 ihren 45. Geburtstag. Das verbliebene Gründungsmitglied Chris Boltendahl blickt für uns in den Rückspiegel und erläutert, wie es zum ersten Plattenvertrag gekommen ist, warum aus GRAVE DIGGER die Band DIGGER wurde und wie steinig der Weg zurück vom Album „Stronger Than Ever“ zu „The Reaper“ war. Es geht in den folgenden Zeilen nicht um die Musik, sondern um den Weg den GRAVE DIGGER in den 80ern und frühen 90ern gegangen sind.

Die Geschichten der frühen Jahre haben wir anhand der Veröffentlichungen unter die Lupe genommen:

Various Artists – Rock From Hell

GRAVE DIGGER – Heavy Metal Breakdown

GRAVE DIGGER – Witch Hunter

GRAVE DIGGER – War Games

DIGGER – Stronger Than Ever

GRAVE DIGGER – The Reaper

Der Kreis schließt sich 2025. Mit dem aktuellen Album „Bone Collector“ kehren GRAVE DIGGER zu den Anfängen zurück. Der Sound verzichtet auf Keyboard und Chorgesang. Das Quartett mit dem neuen Gitarristen Tobis Kersting setzt auf Simplifizierung, die die Herren so ähnlich in ihren Anfängen hatte. Vielen Dank an Chris Boltendahl für die tiefen Einblicke in die frühen Jahre. Wir freuen uns auf die anstehenden Konzerte und gratulieren zum runden Geburtstag.

GRAVE DIGGER – Bone Collector – Cover Artwork

Various Artists – Rock From Hell – Frontcover

Various Artists – „Rock From Hell“

Der Anfang war die Zusammenstellung von „Rock From Hell“, wo GRAVE DIGGER mit „Violence“ und dem ROLLING-STONES-Cover „2000 Light Years From Home“ zwei Tracks beisteuerte. Neben GRAVE DIGGER waren unter anderem RUNNING WILD mit „Adrian“ oder IRON FORCE und „Tyger In The City“ auf der Platte zu finden. Nach der Veröffentlichung der Scheibe im Jahr 1983 konnten Peter Mason und ich uns nicht auf einen gemeinsamen Weg einigen, sodass ich gar nicht mehr offiziell in der Band war, als wir das Vertragsangebot von Noise erhielten.

Jetzt war der Sänger, der auf dem Demotape und auf der „Rock From Hell“-LP zu hören war, gar nicht mehr dabei, was dem Label nicht zu verkaufen war. Durch das Angebot von Noise haben Peter Mason und ich uns zusammengerauft und mit Willi Lackmann und Albert Eckardt für Bass und Drums zwei Musiker von der Band CHALLENGER dazubekommen. Daraus wurde die GRAVE DIGGER-Besetzung, die „Heavy Metal Breakdown“ aufnehmen sollte und wollte. Für die beiden Songs, die auf der „Rock From Hell“ veröffentlicht wurden, war vorher noch Philip Seibel an den Drums zu hören. Philip hatte jedoch Probleme mit harten Drogen, was nicht mehr tragbar war. Wir saßen im Proberaum und haben das Angebot von Noise zur „Heavy Metal Breakdown“ besprochen. Wir mussten für die Aufnahmen eine Entscheidung treffen, die zu der Bandbesetzung führte, die dann nach Berlin fuhr.

Grave Digger – Heavy Metal Breakdown – Frontcover

„Heavy Metal Breakdown“

Im März 1984 sind wir ins Studio. Der Chef von Noise Records, Karl-Ulrich Walterbach, organisierte die Unterkunft für uns. Wie haben zu viert in einer Spelunke für zwei Wochen gewohnt, wo wir wie Kinder in Etagenbetten schliefen. Das Hotel war an einer heruntergekommenen Kneipe in Kreuzberg angeschlossen und weit entfernt von einem Rock & Roll Live. Wir haben dem Alkohol reichlich zugesprochen und hatten unter anderem keinen Text für den Opener „Headbanging Man“. Der ist abends mit Willi Lackmann in dem besagten Hotel an der Theke entstanden: „Dressed in leather, dressed in chains, full of aggression, full of pains.“ Rückblickend ist das irgendwo kultig, aber auch mitten aus dem Leben gegriffen.

Nach zwei Wochen waren wir mit den Aufnahmen durch. Es musste schnell gehen. Jeder Tag im Studio belastete das Budget, was jedoch sehr begrenzt war. „Yesterday“ haben wir noch auf die Platte gebracht und „Heart Attack“ zum Abschluss. Das Ding hatte keine Lyrics. Das ist nur Blendax-Gesang. Die einzigen Lyrics sind „Heart Attack“. Witzigerweise behaupten Leute, dass dort ein Text zu hören wäre, was für uns sehr amüsant war. Die Herstellung des Cover-Artworks hat 40 DM gekostet. Willi Lackmann nutzte einen Kontakt, der uns das Cover preiswert erstellte.

Die Scheibe zog gute Kritiken nach sich, unter anderem in der zweiten Ausgabe des Metal Hammer. Wir haben anschließend einige Konzerte gespielt. Wir hatten einen Auftritt in einem Schulzentrum in Gladbeck, wo meine Eltern anwesend waren. Die sind aber schnell gegangen, da die Musik ihnen nicht gefiel und es viel zu laut war.

Grave Digger – Witch Hunter – Frontcover

„Witch Hunter“

Zehn Monate später musste bereits das Nachfolgealbum fertig sein. Für die Aufnahmen zur „Witch Hunter“ ging es wieder nach Berlin. Wir wurden dieses Mal aber in einem besseren Hotel untergebracht und hatten Einzelzimmer. Auf dem Weg nach Berlin mussten wir in Transit durch die DDR reisen. Wir haben einen Transporter gemietet für die Tour und sind die erste Raststätte in der DDR angefahren und haben den Wagen voll Radeberger gepackt. Für uns kostete das Bier fast nichts. Dazu gab es auch noch billigen Fusel und so sind wir Richtung Studio.

Zwischendurch hatten wir noch die EP „Shoot Her Down!“ mit drei Nummern aufgenommen. Wir sollten eventuell auch in den USA spielen, METALLICA war im Gespräch. Der Willi Lackmann war 10 oder 15 Jahre älter als der Rest und hat primär den Bass gespielt, weil er über eine PA verfügte. Der hatte damals einen roten Honda Civic und war bereits Familienvater. Er konnte oder wollte nicht länger von zu Hause weg, da hatten Job und Familie höhere Priorität. Auf der Fahrt nach Berlin schaukelte sich das Thema hoch, sodass er mich unweit der Grenze zum Aussteigen bewegt hat und wieder gen Heimat fuhr. Wir standen ohne Bassisten im Studio. Peter Mason und ich haben den Part für die drei Stücke übernommen.

Anschließend sollte ein Bassist aus Leverkusen die vier Saiten spielen. Mit René Teichgräber sind wir für die Aufnahmen zur „Witch Hunter“ ins Studio gefahren. Dort stellte sich heraus, dass Teichgräber die musikalischen Anforderungen nicht erfüllte. Der sah gut aus, konnte aber kein Bass spielen. Bei zwei Liedern ist er mit drauf. Das ging nur, weil wir das Band langsamer laufen ließen, damit er überhaupt in der Lage war etwas beizusteuern. Folglich gingen wir bereits während der Aufnahmen zu „Witch Hunter“ wieder getrennte Wege. Anschließend haben Peter und ich den Bass eingespielt. Das Mischen fand in einem größeren Studio statt, wo das Equipment höherwertiger war, da das Vinyl als Direct Metal Mastering herausgebracht wurde. Das Cover wurde hochwertiger als beim Debüt und hat ein professioneller Künstler gezeichnet.

Grave Digger – War Games – Frontcover

„War Games“

Nach der Veröffentlichung vom zweiten Album hatten wir tatsächlich eine Tour und durften im Vorprogramm von HELLOWEEN agieren. Während des Tourens oder in unseren Proberaum sammelten wir zwischen den Scheiben Ideen für neue Songs. Die „War Games“ kam im Februar 1986 auf den Markt, keine neun Monate nach der „Witch Hunter“. Beim Vergleich der beiden LPs lässt sich die Optimierung des Aufnahmestandards gut verfolgen. Mit jeder LP wurde es Stück für Stück besser. Wir hatten mittlerweile wieder einen Bassisten mit C. F. Frank, der war richtig stark an den vier Saiten.

Das Studio haben wir ebenfalls gewechselt. Es ging nach Hannover in das Horus Sound Studio von Frank Bornemann, dem Bandgründer von ELOY. Wir hatten mittlerweile unseren Hang zum Kiffen entdeckt, was auch dem Studioinhaber entgegenkam mit seinen entsprechenden Quellen. Wir konnten direkt in Räumlichkeiten an dem Studio übernachten. Als Produzent arbeiteten wir mit Jan Němec, der leider bereits verstorben ist. Das Cover ist aus meiner heutigen Sicht der totale Abstieg. Mehr 80er Klischee ging nicht und dazu ist das Ding schlecht gezeichnet. Der Fotograf kam dann zu uns und nahm uns mit in eine Schlachterei. Dort schminkte uns jemand und wir haben uns mit den Bildern auf dem Backcover einfach nur lächerlich gemacht. Das ganze Cover Artwork war einfach nur schlecht.

Dafür hatten wir erstmals sowas wie ein Konzept. Die zweite Seite der LP dreht sich um den Atombombenabwurf auf Hiroshima. Die Lieder selbst waren durchwachsen. Das jugendliche, eher ungestüme der ersten beiden Veröffentlichungen wurde mehr durchdacht. Wir setzten mit Michael Flechsig einen Backgroundsänger ein, der später bei der Band ZENO die Vocals übernahm. Michael hat für die Chorpassagen gesorgt und insgesamt wurde der ganze Prozess professioneller. Die Tracks haben wir in den Monaten zwischen den Aufnahmen zusammengebaut. Zu einem Riff eine Textzeile, dann ein Refrain und anschließend haben wir die Einzelteile zusammengebaut. Das Songwriting war damals unbekümmert und mit einem gewissen jugendlichen Draufgängertum. Bei der „War Games“ haben wir uns erstmals etwas mehr Gedanken über Texte gemacht.

Es folgt eine Tour mit CELTIC FROST, GRAVE DIGGER und HELLOWEEN, wovon nur GRAVE DIGGER jeden Abend spielte. Die anderen beiden Bands hatten Probleme mit ihren Sängern. Entweder konnte Kai Hansen aus diversen Gründen nicht auftreten oder Tom G. Warrior war unpässlich.

Grave Digger – War Games – Backcover

Digger – Stronger Than Ever – Frontcover

DIGGER – „Stronger Than Ever“

Nach der Tour hatten wir eine Demo für den Nachfolger von „War Games“ bereits fertig. Das Tape hatte den Arbeitstitel „Digger“ und wir hatten das Demo-Tape bei Noise Records eingereicht. Es war ein starkes Heavy-Metal-Album. Das Demo-Tape suche ich. Ich habe keine Ahnung, ob Uwe Lulis das Band noch irgendwo hat. Die Reaktion vom Label war aber eine andere. Nach Meinung von Noise Records sollten wir uns am US-Markt ausrichten und dem damals angesagten Poser-Metal mit Bands wie BON JOVI oder POISON. Mit dem Produzenten Mick Jackson haben wir die Demonummern umgebaut auf die gewünschte kommerzielle Ausrichtung. Über den uns bereits bekannten Jan Němec kamen die weiteren Musiker wie Bodo Schopf (u.a. Drummer bei MICHAEL SCHENKER), Armin Sabol, der „Major Tom“ für PETER SCHILLING geschrieben hatte, und Matthias Ulmer für die Keyboards.

Wir haben uns dem Ansatz mehr oder weniger willenlos ergeben und sahen uns bereits als neue Sterne in anderen Sphären. Im Endeffekt haben wir uns bequatschen lassen, was wir als Band umsetzen sollen. Das Ergebnis ging voll in die Hose. Das Album wurde nie in den USA veröffentlicht. Die Fans haben uns zerrissene Plattencover auf die Bühne geworfen und wollten die Nummern von den ersten beiden Alben hören. Wir haben uns kurzzeitig für die Gigs noch geschminkt und waren endgültig am Ende. Das Label hat uns sofort fallenlassen, sodass wir die Band aufgelöst haben.

Grave Digger – The Reaper – Frontcover

„The Reaper“

Ich selbst habe zeitnah ein Studium angefangen. Uwe Lulis und ich starteten 1988 musikalisch neu und arbeiteten an Songmaterial. In meinem damaligen Home-Studio haben wir zum Beispiel „Back To The Roots“ geschrieben und aufgenommen. So sind wir wieder langsam auf den Geschmack gekommen und haben unter dem Namen HAWAII (HAWAII – „Bottles And Four Coconuts“) ein Demo-Tape herausgegeben. Uwe und ich hatten diverse Drummer und Bassisten in der Zeit und haben viele Stücke geschrieben und aufgenommen.

Hawaii – Bottles And For Coconuts

Die Musik war auch in der Zwischenzeit, wo wir nichts veröffentlicht haben, immer da. Wir sind bereits kurz nach der Wende unter dem Namen GRAVE DIGGER wieder aufgetreten. Das war parallel zu der Soundfindung mit dem HAWAII-Demo. Wir hatten 1991 eine „For Promotion Only“ CD am Start, wo “Ride On”, “Shadows Of A Moonless Night”, “Spy Of Mas’On” und “Fight The Fight” zu hören sind. Die vier Lieder und das Material der ersten drei LPs war unser Repertoire bei Konzerten bis zur Veröffentlichung von „The Reaper“ und der EP „Symphony Of Death“.

Viele der Tracks, die auf „The Reaper“ zu finden sind, waren vorher bereits auf dem HAWAII-Demotape. Boggi Koppec und Wolfgang Funk haben die Demo in die Hände bekommen. Daraufhin kam Gun auf uns zu und wollte mit GRAVE DIGGER erneut starten. Das war 1993 und wir haben via Gun Records das „The Reaper“-Album veröffentlicht. Aufgenommen haben wir die Scheibe in den Karo-Studios in Hamburg mit Jörg Michael an den Drums und Tomi Göttlich am Bass.

Mit „The Reaper“ ging es wieder in die richtige Richtung, sodass sich weitere Türen für uns öffneten und die Karriere, die bis jetzt anhält, ins Rollen gekommen ist.

Grave Digger – The Reaper – Backcover
Quelle: Interview mit Chris Boltendahl / Grave Digger
30.01.2025

Ein Leben ohne Musik ist möglich, jedoch sinnlos

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