Accuracy
30 Jahre dicke Hose

Special

„Immer einen auf dicke Hose machen“

Nachspielen ist doch keine Kunst – oder? Coverbands gelten, verglichen mit den Originalen, als Underdogs in der (Live-)Musikszene. Oft nur belächelt, wird jenen Gruppen gerne fehlende Kreativität nachgesagt; ganz gleich, ob sie sich konsequent einer Band widmen oder einen Mix aus Songs und Stilen diverser Vorbilder live auf die Bühnen bringen. ACCURACY aus Ostfriesland jucken derartige Vorurteile längst nicht mehr. Die Showrockband tobt seit drei Dekaden über die Bretter und zum 30-jährigen Band- und Bühnenjubiläum erzählen uns Marco Schlörmann, Tammo Welp und Vincent Weiss, wie man in diesem Bereich Gigs an Land zieht, das Publikum begeistert und eine Fangemeinde aufbaut.

Fernab jeglicher Großstädte liegt Leer, mit rund 35.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Ostfrieslands. Nordische Idylle für Touristen, Moor und Deiche, viel Wasser, plattes Land. Bis heute nicht gerade ein Mekka für junge Rockbands wie seinerzeit ACCURACY, die hier 1992 beschlossen, Hardrock zu spielen – neben gecoverten Stücken zunächst überwiegend mit eigenen Songs. „Aber wenn man hier in Ostfriesland als unbekannte Band nur eigene Stücke spielt, findet das relativ wenig Anklang,“ sagt Marco Schlörmann, Leadsänger und -gitarrist. „Mit Covermusik auf irgendwelchen Straßen- und Stadtfesten erreichst du relativ schnell Publikum und merkst, das kommt gut an. Man spürt viel eher den Erfolg, als wenn man jahrelang eigene Musik schreibt und dann 15 Leute ins Jugendzentrum kriegt. Ich glaube, damit kommt man in dieser Region nicht weiter.“

Accuracy 1990er

Marco Schlörmann (links) und Tammo Welp Mitte der 90er Jahre

Durchhaltevermögen ist gefragt

Doch weiterkommen wollten die Jungs, wobei ihr Ziel deutlich von dem anderer Bands abwich. Keine Ambitionen, eigene Stücke aufzunehmen, keine Absichten, einen Plattendeal zu ergattern. „Früher wurden wir öfter von anderen Bands damit konfrontiert, nur nachzuspielen, während sie mit eigenen Songs die Kreativität für sich in Anspruch nahmen,“ erinnert sich der 49-jährige Marco, „und das stimmt natürlich ein Stück weit.“ Gitarrist Tammo sah jedoch damals schon die Vorteile als Coverband: „Andere mussten sich aber als Vorbands teuer bei irgendwelchen größeren Acts einkaufen, und durften mit denen zwei Wochen lang durch Schottland oder so touren. In der Zeit haben wir dafür nichts ausgegeben, sondern nur Kohle verdient.“

Ihren Lebensunterhalt verdienten die Bandmitglieder schon seit Anbeginn in ganz bodenständigen Jobs und so wurde die Gage stets in eigenes Equipment investiert. Womit wir bei den Tipps wären, die Tammo, Schlagzeuger Vince und Marco jungen Musikern empfehlen, die eine Coverband gründen wollen. „Durchhaltevermögen gehört auf jeden Fall dazu, denn es ist ein langer Weg, bis man alles so weit hat, wie man es gerne hätte,“ meint Welp. „Du fängst mit der billigsten Gitarre an, mit irgendwelchen doofen Verstärkern, unser damaliger Schlagzeuger musste aus zwei Schlagzeugen eines basteln. Schön, wenn man dann viele Freunde hat, die zu den Auftritten kommen … so fängt das eigentlich an. Und von der ersten Gage kann man sich zum Beispiel eine bessere Gitarre kaufen und es geht immer weiter voran.“

Accuracy Live

Schlagzeuger Vincent Weiss in Action

Alles Verhandlungssache

Stichwort Gage: Ob und wieviel ‚Mäuse‘ eine Band für einen Auftritt erhält, ist natürlich stets Verhandlungssache. „Die Einnahmen stehen meist in keinem Verhältnis zu dem Aufwand, den man betreibt,“ erklärt Marco. „Zwischen dem, was man kriegt und dem, was man nehmen müsste, liegt oft eine Riesenspanne. Keine Seltenheit, dass Musiker mit ihrem 5.000 €-Equipment zu einem 50 €-Gig hinbrettern.“ Vincent nickt zustimmend und bestätigt: „Der Markt ist auch in diesem Bereich total kaputt! Viele Coverbands spielen für fast nichts, nur um aufzutreten. Und Veranstalter wollen Geld sparen und darunter leidet dann letztendlich die Qualität.“ Empfehlung der Leeraner: Bandeinnahmen möglichst in Technik investieren, weil eigenes Equipment hilfreich bei Gagenverhandlungen sein kann. „Wir haben inzwischen den Vorteil, dass wir, bis auf die Bühne selbst, alles an eigener Technik haben. Das bietet Verhandlungsspielraum, denn Veranstalter müssen keine Technik mieten, da haben die Preise nämlich auch ordentlich angezogen. Ist für uns dann natürlich viel mehr Arbeit mit dem Auf- und Abbau, als ob wir nur unsere Instrumente mitbringen müssen.“

Accuracy heute

Schlörri (links) und Tammo heute

Der Bandname war den Jungs übrigens 1992 nicht so wichtig: Wörterbuch aufgeschlagen, blind mit dem Finger auf ein Wort getippt, fertig. „Bescheuert, oder?“ findet der Frontmann, „den kann hier kaum jemand richtig aussprechen.“ Daher nennen sie sich selbst augenzwinkernd ‚Akkurazzen‘, wobei offiziell ACCURACY bestehen bleibt.

Ihr erster Gig lief ein paar Monate nach der Bandgründung im Clubhaus eines örtlichen Fussballvereins und dann kannte wer wen, der wiederum wen kannte usw. Um Auftrittsmöglichkeiten zu checken, rät Tammo Welp damals wie heute: „Immer einen auf dicke Hose machen!“ Damit meint er, selbstbewusst auftreten und nicht kleckern, sondern klotzen. „Wir haben anfangs zig Verstärker auf die Bühne geschleppt, damit es nach was aussieht, obwohl viele gar nicht angeschlossen waren!“ lacht er.

Das Auge hört mit

Ein weiterer wichtiger Tipp, den ACCURACY selbst als Anfänger mit auf den Weg bekommen haben: „Die Leute wollen was sehen!“ so Marco. „Mal überzogen gesagt: Wenn du auf der Bühne nur rumstehst und in Arbeitsklamotten ein bisschen Mucke machst – damit kommst du nicht weit. Die Leute wollen nicht den Nachbarn auf der Bühne sehen, sondern sie wollen, dass da irgendwas passiert. Deswegen: Flippt aus auf der Bühne, macht irgendwas und schon habt ihr das Publikum. Die Musik steht zwar im Vordergrund, aber man muss auch was für’s Auge tun.“ Darunter verstehen die Leeraner nicht nur eine unterhaltsame Live-Performance, sondern das Drumherum muss ebenfalls stimmen. Kein überflüssiges Gerümpel auf der Bühne und laut Tammo „alles schwarz abhängen! Klingt jetzt komisch, aber wenn du mal in einem Festzelt gespielt hast, wo als Bühnenhintergrund die Almhütte von Heidi zu sehen ist …“ schmunzelt der 48-jährige, offensichtlich mit der Erinnerung an einen skurrilen Abend, und Schlörmann ergänzt: „Sowas fällt am Ende immer auf die Band zurück. Das Publikum findet dich erst gut, wenn das Gesamtbild stimmt.“

Accuracy live

Ostfriesen-Dreier v.l.n.r. Detlef. Marco und Tammo

Apropos Musik im Vordergrund: In einem Landstrich, wo zu allen erdenklichen Festivitäten gerne zu Top 40-Hits und Schlager ohne Ende gefeiert wird, hat man es als Coverrockband mit Metal-Attitüden nicht immer ganz leicht. Die Ostfriesen haben daher ein sehr umfangreiches Repertoire, was auf den ersten Blick nach ‚Kuddelmuddel‘ klingt, wie man in Norddeutschland sagt. Hier trifft RAGE AGAINST THE MACHINE auf DIE ÄRZTE, PEARL JAM, PAPA ROACH und LINKIN PARK auf DIE TOTEN HOSEN, und auch Titel von AC/DC, VAN HALEN, METALLICA, JUDAS PRIEST, AEROSMITH, GREEN DAY und BON JOVI befinden sich gleichermaßen auf der Setlist wie RAMMSTEIN mit den RED HOT CHILI PEPPERS, KLAUS LAGE, WESTERNHAGEN und GUNS N‘ ROSES. Wie bitte passt denn das zusammen? Und warum treffen hier musikalische Welten aufeinander.

Taktische Mitgröhl-Nummern

Auch in dieser Hinsicht überlassen die Friesen, die inzwischen am liebsten mit ihrem kompletten Equipment sowie eigenen Sound- und Lichttechnikern auftreten, nichts dem Zufall. „Wir haben etwa 50 Songs im aktuellen Standardprogramm und mit den Gassenhauern, die wir jederzeit spielen können, dürften es so 60 – 70 Stücke sein,“ überlegt der Sänger. Und hinter der seltsam anmutenden Mischung steckt ein Plan. Zuerst ein paar gemäßigte Rocksongs gespickt mit Balladen, dann folgt die Abteilung Deutschrock. „Wenn du auf Veranstaltungen wie Stadtfesten spielst, gehört sowas einfach dazu,“ erklärt Tammo das Vorgehen und Marco fährt fort: „Genau, mit den deutschen Mitgröhl-Nummern hast du sie erstmal soweit. Und danach kannst du in andere Bereiche reingehen und das funktioniert dann auf einmal auch.“

Andere Bereiche, das bezieht der Sänger beispielsweise auf „Killing In the Name“ von RAGE AGAINST THE MACHINE, bei dem der Keyboarder Franky überraschend die Pole Position einnimmt und regelmäßig mit dem Publikum richtig abgeht, wenn Gaby die JOAN JETT rockt, oder „Highway To Hell“ über die Deiche dröhnt. Da fragt sich der geneigte Leser, wie Schlörmann, von allen nur ‚Schlörri‘ genannt, überhaupt stimmlich diese Bandbreite abdeckt. Schließlich hängt bei Coversongs die Messlatte ganz oben, hier wird letztendlich jeweils mit dem Original verglichen. „Ich versuche nie, zu kopieren. Wenn ich AC/DC singe, will ich nicht Brian Johnson nachmachen, das würde mir doch keiner abkaufen. Ich singe das so, wie ich möchte. Und es gibt auch Songs, die nicht funktionieren, weil ich nicht so viel Range nach oben habe.“ Welche Stücke es ins Programm schaffen, wird innerhalb der Band abgestimmt. „Nach 2-3 Proben sitzt ein Song meistens,“ beschreibt Tammo die Vorgehensweise, „und dann kommt live der Härtetest.“

Accuracy live

Accuracy heben live gerne ab

Fünf Stunden Spielzeit

ACCURACY spielen 20 – 30 Auftritte pro Jahr, ziehen inzwischen bei eigenen Shows bis zu 400 zahlende Gäste. Doch wer dabei an Konzerte mit einer regulären Spielzeit von 90 Minuten denkt, liegt hier gänzlich falsch. Bis zu fünf (!) Stunden sind beim Booking dieser Coverband beinahe Standard, und die zieht das, abgesehen von kurzen ‚Teepausen‘ (brauchen echte Ostfriesen!), auch mit vollem Einsatz durch. Marco dazu: „Wobei ich fünf Stunden schon extrem finde. Ich meine: Welche Band spielt fünf Stunden? Das ist schon ein Unterschied zu denen, die eigene Mucke spielen.“ Und Tammo fügt hinzu: „Nach ein paar Stunden auf der Bühne wird es dann auch schwieriger, zu posen und hochzuspringen. Selbst ’ne Klampfe wird irgendwann schwer!“

Schlüssel zum Erfolg

‚Ober-Akkurazze‘ und Frontmann Marco Schlörmann ist inzwischen das einzige Gründungsmitglied nach 30 Jahren Bandgeschichte, was nicht heißt, dass andere Mitstreiter nicht auch schon eine gefühlte Ewigkeit dabei sind. Gitarrist Tammo Welp kam 1994 dazu, Detlef Beckmann bedient seit 2000 den Bass und Keyboarder Frank Erfeling haut seit 2003 in die Tasten. So gesehen sind Sängerin Gaby Appiß (seit 2019) und Drummer Vincent Weiss (seit Oktober 2021) die Neuzugänge in der Gruppe. Letztgenannter ist übrigens der einzige Neu-Ostfriese und Berufsmusiker bei ACCURACY. Der gebürtige Frankfurter kann auf reichlich Erfahrung im In- und Ausland zurückblicken, spielte unter anderem mit Mick Simpson (GARY MOORE BAND) sowie dem R’n’B-Sänger Craig David und trommelte schon häufig als gebuchter Trommler bei Live-Auftritten zahlreicher Interpreten im deutschen TV, zum Beispiel bei ‚Die ultimative Chartshow‘ mit Oliver Geissen.

Accuracy live

Gaby Appiß präsentiert zwischendurch Songs von Sängerinnen

Durch einen Umzug nach Leer ergab sich der Kontakt zu den Akkurazzen. „Goldrichtig!“ betont der Drummer, der in Leer inzwischen auch den ‚Accuracy Band Campus‘ ins Leben gerufen hat, wo der Deutsch-Amerikaner an Gitarre, Bass, Keyboards, Klavier und Drums unterrichtet. Alles ohne Altersbegrenzung und mit dem Ziel, Erlerntes mit Gleichgesinnten sofort in einer Band umzusetzen. Bei Interesse kann man Vince über die Webseite von ACCURACY kontaktieren. Der Schlagzeuger, der übrigens ebenfalls in der Kasseler KISS Tribute Band KISSIN‘ TIME die Felle drischt, merkt abschließend noch eine wichtige Voraussetzung für junge Musiker an, die eine Band – mit oder ohne Coversongs – gründen wollen. „Man muss menschlich und musikalisch auf einer Wellenlänge sein, dann ist das Zusammenspiel schon mal gesichert. Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten, sich als Band zu verkaufen und an Auftritte zu gelangen. Ich denke, ein ganz großer Schlüssel zum Erfolg ist der Zusammenhalt, die Stimmung in einer Band. Ein wichtiger Faktor, gerade wenn man anfängt oder auf dem Weg ist, denn sowas merkt das Publikum.“

Und das Live-Publikum entscheidet am Ende über Gedeih oder Verderb. Was halten unsere Leser im Allgemeinen von Coverbands? Muss es live immer das Original sein oder rockt ihr auch gerne zu Live-Acts ab, die nachspielen? Habt ihr Showbands erlebt, die euch beeindruckt haben? Oder seid ihr selbst in einer Coverband aktiv? Wir sind gespannt auf eure Kommentare!

Text: Susann Klose

Quelle: Susann Klose
06.08.2022

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