Slayer
Ein Wiedersehen, das glücklich macht?

Special

Es ist der 29.11.2018. Ein eisiger Wind weht vor der Münchner Olympiahalle, während SLAYER drinnen ihr letztes Konzert in der Landeshauptstadt geben. Zutiefst bewegt bin ich, als Tom Araya nach den Schlussakkorden von „Angel Of Death“ über die Bühne schreitet, immer wieder innehält und minutenlang ins Publikum blickt.

Eine Sandkastenliebe, die alles überdauert hat

SLAYER gehören zu den Bands, die in meinem Leben als Heavy-Metal-Fan zukunftsweisend waren, und ich kann sie ohne Scham in einem Atemzug mit IRON MAIDEN, METALLICA und MORBID ANGEL nennen. Während Araya an diesem späten Novemberabend auch zu unseren Plätzen starrt, denke ich in einem spontanen melancholischen Anflug an meine Schulzeit zurück. Damals war ich mit geschwellter Brust in mein neues SLAYER-Shirt gehüllt im Physikunterricht erschienen. Später auf dem Pausenhof bezahlte ich einen bitteren Preis dafür, auch eine SLAYER-Jogginghose angezogen zu haben. Nach einer hinterhältigen Attacke irgendwelcher Hip-Hop-Proleten stand ich der Lächerlichkeit preisgegeben vor meinem Schwarm, während die Jogginghose unter den Kniekehlen hing.

Schnell wird mir klar, dass ich für den endgültigen Abschied noch nicht bereit bin. Also reise ich der Band während des nächsten halben Jahres hinterher. Doch an jedem Abend verliere ich ein bisschen mehr das Vertrauen in SLAYER, denn die Kalifornier präsentieren die immer gleichen Phrasen und Tom Araya zieht seinen Trauermarsch vom linken zum rechten Bühnenrand beinahe einstudiert durch. Nichts ist individuell, nichts wird der Situation überlassen.

Auch am 03.08.2019, als SLAYER das letzte Mal auf europäischem Boden (genauer gesagt in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle in Stuttgart) eine Bühne verlassen, lässt Tom Araya seinen Blick lange übers Publikum schweifen.

Konzertfoto von Slayer auf Final Tour in Germany 2019 in Stuttgart

Slayer – Final Tour in Germany 2019

Gemeinsam durch dick und dünn

Ich bin traurig und gleichzeitig dankbar dafür, dass SLAYER immer für mich da gewesen sind, wenn ich sie gebraucht habe. Stets loyal war ich der Band gegenüber, wenn ich mit heruntergezogener Jogginghose von meinen Mitschüler:innen ausgelacht wurde oder jemand die abstrusen Nazianleihen einiger Bandmitglieder kritisierte und ich sie als Mainstream-Provokation deutete. SLAYER haben mich niemals im Stich gelassen: Wenn Tom Araya als gläubiger Christ den Untergang des Christentums und den Aufstieg Satans besingen konnte, dann konnte ich als kuttentragender Teenage Dirtbag jede soziale Prüfung bestehen. Wenn die Stimmen in meinem pubertären Kopf zu laut wurden, musste ich nur „Hell Awaits“ auflegen und das Problem hatte sich von selbst gelöst. Wenn ich mal richtig sauer auf meine Eltern war und den Badezimmerspiegel mit ausgedrückten Eiterpickeln verunreinigte, war „Reign In Blood“, dieser kurze und heftige Mittelfinger in die Gesichter aller Spießer, der reinste Balsam.

Am 21.02.2024 verkünden SLAYER die Rückkehr auf die Bühne – zunächst nur für zwei Festivalshows in den USA. Für viele ist das ein Grund zu feiern. Für mich bricht ein ohnehin wackelndes Kartenhaus der Authentizität endgültig ein. Bis zuletzt habe ich versucht, Tom Arayas Abschiedsworte in Erinnerung zu behalten. Richtig cool finde ich den neuen Track aus Kerry Kings Supergroup-Schmiede. Richtig uncool finde ich, und das muss ich mir eingestehen, dass SLAYER marketingtechnisch nicht von der Bildfläche verschwunden sind und der Onlineshop regelmäßig mit neuen Shirt-Kollektionen erweitert wurde.

Am 22.02.2024 macht eine Meldung die Runde, in der sich KERRY KING empört über die Bekanntgabe der SLAYER-Reunion gibt. Tom würde noch nicht einmal seine Anrufe annehmen und er könne nicht glauben, dass die Band hinter seinem Rücken agiere.

Konzertfoto von Slayer auf Final Tour in Germany 2019 in Stuttgart

Slayer – Final Tour in Germany 2019

Das ist ein weiterer rostiger Sargnagel in der Beziehung zwischen SLAYER und mir. Den Ausverkauf einer meiner Lieblingsbands werde ich vermutlich nicht verkraften. Und wenn die Kalifornier für weitere Konzerte nach Europa kommen? Dann werde ich dort sein …

Galerie mit 23 Bildern: Slayer - Wacken Open Air 2019
22.02.2024

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1 Kommentar zu Slayer - Ein Wiedersehen, das glücklich macht?

  1. Werner sagt:

    Nabend Oliver,

    was offene Worte, danke dafür. Ich erlebte ähnliche Dinge in den frühen 80ern wegen meiner Vorliebe zu Iron Maiden –
    durfte wegen T-shirts von denen nicht in die Disco oder flog aus der Tanzschule und war bei den Mitschülern untendurch. Ich schrieb das auch schon mal in nem anderen Thread – in der Zeit vor Metal Hammer – ganze 4 Metalheads auf der gesamtem Schule quer durch alle Klassen, wir standen wie die Aussätzigen aufm Pausenhof:)

    Ich überlege ob ich wirklich im Juli aufs 41 jährige Klassentreffen gehen soll – ich war da immer der „Außerirdische“- und der „Streber“ – hatte wirklich Spaß am Lehrstoff und machte mehr als nötig, weil ichs einfach geil fand und nicht wegen nem 1er Abschluß. Ein verrückter Streber, der schon 1982 mit nem Iron Maiden Nietenarmband rumrannte.

    Damals kriegte man das noch nicht an jeder Ecke und kostete auch noch richtig Asche.

    Ich finde es toll so Storys wie von dir zu lesen.

    Das Leben war früher als Metalhead viel schwieriger als heute , können sich die jungen Leuts heute gar nicht mehr vorstellen – selbst Mega Acts wie Maiden – die im Ausland schon die Stadien füllten – spielten hierzulande in bestenfalls halbvollen Hallen vor ein paar tausend Leuten ……..wenn überhaupt.

    Deutschland war echt ein Nachzügler in Einbringung der Metal Kultur –
    und heute führen wir mit Wacken den Olymp mit an:)
    Geschichte kann so ironisch wirken…..